Urteil des BFH vom 30.03.2015

Kein Anspruch des Tabakwarenhändlers auf Entlastung von der Tabaksteuer bei Diebstahl von Tabakwaren oder bei Zahlungsunfähigkeit des Abnehmers

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 30.3.2015, VII B 30/14
Kein Anspruch des Tabakwarenhändlers auf Entlastung von der Tabaksteuer bei Diebstahl von
Tabakwaren oder bei Zahlungsunfähigkeit des Abnehmers
Tenor
Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des
Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 30. Januar 2014 1 K 1297/12 wird als unbegründet
zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
1 I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) betreibt ein Tabakwarengeschäft. Bei einem
Einbruchsdiebstahl wurden ihm Zigaretten mit einem Handelswert von 5.358,26 EUR
entwendet. Den Antrag auf Erstattung der im Handelswert enthaltenen Tabaksteuer in
Höhe von 4.232,51 EUR lehnte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt --
HZA--) ab. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, für
die begehrte Entlastung von der Tabaksteuer gebe es keine Anspruchsgrundlage. Der
Gesetzgeber sei nicht gehalten, die Überwälzbarkeit der Verbrauchsteuer auf den
Endverbraucher in jedem Fall sicherzustellen. Es reiche vielmehr aus, wenn die erhobene
Verbrauchsteuer grundsätzlich auf Abwälzbarkeit angelegt sei. Die in § 60 des
Energiesteuergesetzes (EnergieStG) normierte Erstattungsregelung im Fall von
Forderungsausfällen sei auf das Tabaksteuerrecht nicht übertragbar.
2 Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen
grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Zu
klären sei die Frage, ob der Eigentümer zum Verkauf bestimmter und mit Tabaksteuer
belasteter Tabakwaren, der selbst nicht Schuldner der Steuer sei, einen Anspruch auf
Vergütung von Tabaksteuer habe, wenn ihm die Tabakwaren gestohlen worden seien. Ein
entsprechender Anspruch ergebe sich unmittelbar aus Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes
(GG). Den Regelungen des Tabaksteuergesetzes (TabakStG) komme eine berufsregelnde
Tendenz zu. Der Eingriff in die Berufsfreiheit von Tabak-Zwischenhändlern und Tabak-
Einzelhändlern entfalte --insbesondere bei häufigen Diebstählen--- eine erdrosselnde
Wirkung. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Steuerbelastung der Tabakwaren fast
80 % des Preises ausmache. Da die Tabaksteuer eine besondere Verbrauchsteuer sei, die
nicht den Händler, sondern den Endverbraucher belasten solle, erweise sich die
Verweigerung einer Entlastung im Fall des Diebstahls der Tabakwaren als systemwidrig.
Zudem müsse berücksichtigt werden, dass ihm (dem Kläger) eine Preiserhöhung verwehrt
sei, so dass er das existenzielle Risiko eines Diebstahls nicht in seine Kalkulation
einbeziehen könne. Schließlich könnten die vom FG in Bezug genommenen
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Ökosteuer und zur
Vergnügungssteuer nicht ohne Weiteres auf den Streitfall übertragen werden. Denn im
Streitfall hänge die Möglichkeit der Überwälzung der im Verhältnis zur Stromsteuer und
Vergnügungssteuer sehr viel höheren Tabaksteuerbelastung nicht von marktbedingten
Möglichkeiten ab.
3 Das HZA ist der Beschwerde entgegengetreten. Es vertritt die Auffassung, die vom Kläger
aufgeworfene Frage sei nicht klärungsbedürftig. Der höchstrichterlichen Rechtsprechung
sei zu entnehmen, dass ein Entlastungsanspruch im Fall des Diebstahls
verbrauchsteuerpflichtiger Waren nicht bestehe. Vielmehr habe der Tabakwarenhändler
das wirtschaftliche Risiko eines Diebstahls selbst zu tragen, denn der Gesetzgeber müsse
keine Gewähr dafür bieten, dass die Überwälzung der Steuerlast auf den eigentlichen
Belastungsträger stets gelinge.
Entscheidungsgründe
4 II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der vom Kläger aufgeworfenen Frage kommt keine
grundsätzliche Bedeutung zu.
5 1. Einer Rechtsfrage kommt grundsätzliche Bedeutung zu, wenn sie klärungsfähig ist. Das
ist sie, wenn ihre Beantwortung zu Zweifeln Anlass gibt, so dass mehrere Lösungen
vertretbar sind (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 28). An der zu
fordernden Klärungsbedürftigkeit fehlt es jedoch, wenn sich die Beantwortung der
Rechtsfrage ohne Weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergibt
oder die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG in seiner
Entscheidung getan hat, wenn die Rechtslage also eindeutig ist (ständige
Rechtsprechung, vgl. Senatsbeschluss vom 18. Juli 2013 VII B 174/12, BFH/NV 2013,
1765, m.w.N.). Darüber hinaus ist eine Rechtsfrage auch dann nicht klärungsbedürftig,
wenn sie durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) hinreichend geklärt ist
und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar oder vorgetragen sind, die eine erneute
Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH geboten erscheinen lassen
(BFH-Beschluss vom 4. Mai 1999 IX B 38/99, BFHE 188, 395, BStBl II 1999, 587).
6 2. Nach diesen Grundsätzen fehlt im Streitfall jedenfalls die erforderliche
Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage. Auf Grundlage der bisherigen
Rechtsprechung des BVerfG und des BFH steht dem Kläger kein Anspruch auf Erstattung
oder Vergütung der auf den gestohlenen Zigaretten lastenden Tabaksteuer zu. Ein
solcher Entlastungsanspruch ist weder dem geltenden TabakStG noch dem allgemeinen
Steuerrecht (z.B. § 227 der Abgabenordnung) zu entnehmen. Entgegen der Auffassung
der Beschwerde lässt sich der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auch nicht
unmittelbar Art. 12 Abs. 1 GG entnehmen.
7 a) Aus dem Umstand, dass die Tabaksteuer als besondere Verbrauchsteuer grundsätzlich
auf Abwälzung der Steuerlast auf den Endverbraucher --als den eigentlichen
Belastungsträger-- angelegt ist, ergibt sich in Fällen von Diebstahl versteuerter
Tabakwaren bei Herstellern und Händlern weder eine sachliche Unbilligkeit der
Tabaksteuererhebung noch ein verfassungswidriger Eingriff in geschützte
Rechtspositionen des vom Diebstahl wirtschaftlich Betroffenen.
8 Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist das Merkmal der Abwälzbarkeit erfüllt, wenn
zumindest die Möglichkeit einer kalkulatorischen Überwälzung in dem Sinne besteht,
dass der Steuerpflichtige den von ihm gezahlten Betrag in die Kalkulation seiner
Selbstkosten einsetzen und hiernach die zur Aufrechterhaltung der Wirtschaftlichkeit
seines Unternehmens geeigneten Maßnahmen --Preiserhöhung, Umsatzsteigerung oder
Senkung der sonstigen Kosten-- treffen kann (BVerfG-Beschluss vom 1. April
1971 1 BvL 22/67, BVerfGE 31, 8, 20). Die rechtliche Gewähr, dass er den von ihm
entrichteten Betrag immer von demjenigen erhält, der nach der Konzeption des
Gesetzgebers letztlich die Steuer tragen soll, muss dem Schuldner nicht geboten werden;
vielmehr reicht es aus, wenn die Steuer auf eine Überwälzung der Steuerlast vom
Steuerschuldner auf den Steuerträger angelegt ist, auch wenn die Überwälzung nicht in
jedem Einzelfall gelingt. Bei gewerblichen Verbrauchern, die verbrauchsteuerpflichtige
Waren in der Produktion oder zur Erbringung von Dienstleistungen verwenden, ist nicht
erforderlich, dass die Verbrauchsteuerbelastung durch erhöhte Warenpreise oder
Dienstleistungsentgelte weitergegeben werden kann (BVerfG-Urteil vom 20. April
2004 1 BvR 905/00, 1 BvR 1748/99, BVerfGE 110, 274).
9 Der BFH ist dieser Rechtsprechung gefolgt (Urteile vom 17. Dezember 2013 VII R 8/12,
BFHE 244, 184, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern --ZfZ-- 2014, 171; vom 26. Juni
1984 VII R 60/83, BFHE 141, 369, ZfZ 1984, 336; vom 15. April 1987 VII R 108/82,
BFH/NV 1988, 132; vom 27. Juni 1973 II R 179/71, BFHE 110, 213, BStBl II 1973, 807,
und vom 25. September 1953 V 69/53 S, BFHE 58, 109, BStBl III 1953, 332). Bei einer
infolge eines Forderungsausfalls misslungenen Überwälzung der Steuerlast im Handel
mit versteuertem Mineralöl hat der beschließende Senat geurteilt, dass dieser Umstand
eine Steuerentlastung nicht rechtfertige. Die Überwälzung der Steuer vollziehe sich
außerhalb des steuerlich geregelten Bereichs. Sie erfolge in der Form, dass der
Gegenwert der beim Übergang in den freien Verkehr erhobenen Steuer kalkulatorisch in
den Preis der Ware eingehe und beim Weiterverkauf als Preisbestandteil weitergegeben
werde. Damit sei das Risiko der Abwälzung der Steuer als Preisbestandteil aus dem
steuerrechtlichen Bereich ausgeschieden und in den Bereich des allgemeinen
kaufmännischen Risikos einbezogen worden (Senatsurteil vom 17. Dezember 1974
VII R 56/72, BFHE 115, 2, BStBl II 1975, 462).
10 b) Diese Rechtsprechung lässt sich auf den Streitfall übertragen. Ob ein
Tabakwarenhändler den Kaufpreis und damit den Gegenwert der von ihm gehandelten
Tabakwaren nicht realisieren kann, weil sein Abnehmer zahlungsunfähig ist, oder ob die
Durchsetzung des Kaufpreises aufgrund eines Diebstahls scheitert, ist für das
steuerrechtliche Ergebnis ohne Belang. In beiden Fällen misslingt dem mit der
Tabaksteuer zunächst belasteten Unternehmer die Abwälzung der Steuer. Diese Folge
hat der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Tabaksteuerrechts jedoch bewusst in
Kauf genommen. Dies gilt auch für einen Diebstahl von Tabakwaren aus einem
Steuerlager. In diesem Fall wird der Inhaber des Steuerlagers Steuerschuldner und hat
die durch die Entfernung der Ware aus dem Steuerlager entstandene Steuer zu
entrichten. Im Wege einer Typisierung und im Interesse einer möglichst einfachen
Besteuerungspraxis wird auch in diesen Fällen der Unternehmer mit der Steuer belastet,
obwohl ihm eine Abwälzung der Steuerlast misslingt (Peters, Das Verbrauchsteuerrecht,
Rz 353; Jatzke, Die steuerlichen Folgen bei Diebstahl von unter Steueraussetzung
stehenden verbrauchsteuerpflichtigen Waren, ZfZ 1997, 408, 409 und Jahr, Zur
Neufassung des Tabaksteuergesetzes, ZfZ 1939, 141, 144). Ein Entlastungsanspruch
wird auch in den Fällen verweigert, in denen versteuerte verbrauchsteuerpflichtige Waren
im Handel unbrauchbar oder --z.B. durch einen Brand-- vernichtet werden. In all diesen
Fällen wird das Risiko der Nichtabwälzbarkeit der Steuerlast im jeweiligen Einzelfall dem
Hersteller oder Händler zugewiesen, ohne dass dieser Umstand den Charakter der
Tabaksteuer als besondere Verbrauchsteuer in Frage stellen könnte. Denn die
grundsätzliche Möglichkeit einer Überwälzung der Steuer bleibt bestehen. Dabei ist zu
berücksichtigen, dass Warenverluste durch Diebstähle bei der allgemeinen
Preiskalkulation berücksichtigt werden können. Nach der Rechtsprechung des BVerfG
lassen sich die wirtschaftlichen Belastungen auch durch eine Senkung der sonstigen
Kosten oder durch Umsatzsteigerungen vermindern.
11 3. Auch der Einwand des Klägers, die Verweigerung der Steuerentlastung greife in den
von Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Bereich beruflicher Betätigung ein, kann der
Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist eine
steuerliche Vorschrift nur dann an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen, wenn sie eine
berufsregelnde Tendenz deutlich erkennen lässt (BVerfG-Beschluss vom 30. Oktober
1961 1 BvR 833/59, BVerfGE 13, 181, 186). Bei allgemeinen Steuergesetzen wie dem
TabakStG fehlt es in der Regel an dieser Voraussetzung, es sei denn, ihre Fiskalfunktion
schlüge in eine reine Verwaltungsfunktion mit Verbotscharakter um, d.h. sie wirkten
erdrosselnd (Senatsurteil in BFHE 141, 369, ZfZ 1984, 336, m.w.N.). Denn das geschützte
Freiheitsrecht darf nur so weit beschränkt werden, dass dem Grundrechtsträger ein
Kernbestand des Erfolgs eigener Betätigung im wirtschaftlichen Bereich in Gestalt der
grundsätzlichen Privatnützlichkeit des Erworbenen und der grundsätzlichen
Verfügungsbefugnis über die geschaffenen vermögenswerten Rechtspositionen erhalten
bleibt (BVerfG-Beschluss vom 25. September 1992 2 BvL 5/91, 2 BvL 8/91, 2 BvL 14/91,
BVerfGE 87, 153, 169). Dass die Erhebung der Tabaksteuer eine erdrosselnde Wirkung
entfaltet, macht die Beschwerde jedoch nicht geltend. Vielmehr behauptet der Kläger,
dass sich das Fehlen eines Entlastungsanspruchs in Fällen des Diebstahls auf die
unternehmerische Betätigung eines Tabakwarenhändlers erdrosselnd auswirke. Im Kern
seines Vorbringens macht er geltend, das TabakStG sei in verfassungswidriger Weise
unvollständig, weil es in Bezug auf entwendete Tabakwaren zumindest eine § 60
EnergieStG vergleichbare Regelung enthalten müsse. Eine hinreichende
Anspruchsgrundlage kann diesem Vorbringen, das auf die Verfassungswidrigkeit der
gesetzlichen Regelungen abzielt, jedoch nicht entnommen werden. Es ist darüber hinaus
nicht ersichtlich, dass ein im Gesetz nicht geregelter Entlastungsanspruch auf eine
unmittelbare Anwendung des Art. 12 Abs. 1 GG gestützt werden könnte, der ein Freiheits-
und Abwehrrecht gewährleistet.
12 Im Übrigen legt die Beschwerde die erdrosselnde Wirkung der Tabaksteuerbelastung
nicht hinreichend und schlüssig dar. Allein der Hinweis auf die Höhe der Tabaksteuer und
die im Tabakwarenhandel üblichen Gewinnspannen reicht hierzu nicht aus. Dass allein
aufgrund der Verweigerung eines Entlastungsanspruchs in Fällen einzelner Diebstähle
den in Deutschland tätigen Tabakwarenhändlern der Kernbestand ihres wirtschaftlichen
Erfolges mit der Folge genommen wird, dass die steuerrechtlichen Folgen in ihren
wirtschaftlichen Auswirkungen einem Verbot der beruflichen Betätigung gleichkäme, lässt
sich den Ausführungen nicht entnehmen.
13 4. Soweit sich der Kläger auf die Regelung des § 60 EnergieStG beruft, erfordert Art. 3
Abs. 1 GG keine Gleichbehandlung, weil der in § 60 EnergieStG normierte
Entlastungsanspruch bei Forderungsausfällen den besonderen Umständen des
Mineralölhandels Rechnung trägt. Wie der Senat bereits entschieden hat, lässt sich diese
Regelung nicht auf andere Verbrauchsteuern übertragen (Senatsurteil in BFHE 244, 184,
ZfZ 2014, 171). Auch ist zu berücksichtigen, dass allein der Systemgedanke der
Verbrauchsbesteuerung den Gesetzgeber nicht dazu zwingt, alle Verbrauchsteuern nach
einem System auszurichten und inhaltlich gleich auszugestalten. Abweichungen vom
inneren System der Verbrauchsbesteuerung, das idealiter eine Gleichbehandlung aller
Steuerpflichtigen fordert, müssen aufgrund sachgerechter Erwägungen möglich sein
(Senatsurteile vom 1. Dezember 1998 VII R 21/97, BFHE 187, 177, ZfZ 1999, 133, und
vom 27. August 1996 VII R 14/95, BFHE 181, 243, 250, ZfZ 1997, 128).
14 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.