Urteil des BFH vom 25.04.2013

Mittelvorsorgepflicht des Geschäftsführers im Falle der Aufgabe seines Amtes

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 25.4.2013, VII B 245/12
Mittelvorsorgepflicht des Geschäftsführers im Falle der Aufgabe seines Amtes
Tatbestand
1 I. Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) und sein Bruder waren als BGB-
Gesellschafter Eigentümer zweier Grundstücke, deren Verwertung sie einer GmbH & Co.
KG (KG) übertragen hatten. Kommanditisten der KG und Geschäftsführer der
Komplementärin (GmbH) waren beide Brüder.
2 Nach Veräußerung der neu geschaffenen Eigentumswohnungen im Jahre 2007 reichte
die KG am … September 2008 beim Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt -
-FA--) für die KG eine Gewerbesteuererklärung für 2007 mit einer Steuerschuld in Höhe
von 360.308 EUR ein.
3 Aufgrund einer Einzahlung des Antragstellers wies das Geschäftskonto der KG ab
15. September 2008 ein Guthaben in Höhe von 360.308 EUR aus.
4 Mit notariellen Verträgen vom … September 2008 veräußerten der Antragsteller und sein
Bruder ihre Anteile an der KG an Herrn B und traten ihre Geschäftsanteile an der
Komplementär-GmbH an diesen ab. Zeitgleich wurde B zum alleinigen Geschäftsführer
der GmbH bestellt, sowie die Umfirmierung und eine Verlegung des Sitzes der KG
beschlossen. Das Entgelt der Überlassung der KG-Anteile sollte in einer gesonderten
Erklärung festgesetzt werden, für die GmbH-Anteile war ein Gesamtkaufpreis in Höhe von
3.000 EUR zur Zahlung auf noch zu benennende Konten vereinbart.
5 Im Vertrag über den Verkauf der GmbH-Anteile verpflichtet sich B namens der GmbH, die
noch nicht festgesetzte, aber zu erwartende Gewerbesteuernachzahlung der KG in Höhe
von 360.308 EUR zu leisten. Für das Konto, das diesen Betrag auswies, wurde B
zugleich uneingeschränkte Kontovollmacht erteilt.
6 Mit notariellen Verträgen vom … September 2008 trat B die Kommandit- und GmbH-
Anteile an Herrn A ab, der gleichzeitig zum alleinigen Geschäftsführer bestellt wurde. Das
Entgelt für die Übertragung sollte außerhalb der notariellen Urkunden geregelt werden.
Auch in diesem Vertragswerk wurde auf die zu erwartende Gewerbesteuernachzahlung in
Höhe von 360.308 EUR hingewiesen. A hat durch seine Unterschrift bestätigt, diesen
Betrag von B erhalten zu haben.
7 Am … September 2008 setzte das FA die Gewerbesteuer entsprechend der eingereichten
Steuererklärung auf 360.308 EUR fest. Die KG entrichtete die Abgabenverbindlichkeit
nicht, Vollstreckungsmaßnahmen blieben erfolglos. Der Eigenantrag der KG auf
Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vom Februar 2009 wurde am … Oktober 2009
mangels Masse abgewiesen. Der Gutachter im Insolvenzantragsverfahren hatte noch
vorhandene Aktiva in Höhe von 2 EUR ermittelt, denen fällige Verbindlichkeiten in Höhe
von insgesamt … EUR (davon rückständige Abgabenverbindlichkeiten in Höhe von …
EUR) gegenüberstanden.
8 Gegenüber B und A hat das FA auf § 69 i.V.m. § 34 der Abgabenordnung (AO) gestützte
Haftungsbescheide über 360.308 EUR rückständige Gewerbesteuer 2007 der KG
erlassen.
9 Die ebenfalls auf § 69 i.V.m. § 34 AO gestützten Haftungsbescheide vom 1. September
2010 gegen den Antragsteller und seinen Bruder als ehemalige Mitgeschäftsführer der
Komplementär-GmbH wegen der rückständigen Gewerbesteuerschuld der KG in Höhe
von 360.308 EUR befinden sich noch im Einspruchsverfahren.
10 Den Antrag des Antragstellers auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) des angefochtenen
Haftungsbescheids lehnten sowohl das FA als auch das Finanzgericht (FG) ab.
11 Das FG hat die AdV mangels ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des
angefochtenen Haftungsbescheids abgelehnt. Der Antragsteller habe nicht vor der
Abtretung der GmbH-Anteile an B sowie der zeitgleichen Beendigung seines
Mitgeschäftsführeramtes am 17. September 2008 für die Entrichtung der Gewerbesteuer
2007 gesorgt. Der Antragsteller habe seine in die Zeit vor der Amtsaufgabe fallende
Pflicht, Mittelvorsorge für die bereits entstandenen, aber erst nach Beendigung seiner
Amtszeit fällig werdenden Steuern zu treffen, zumindest grob fahrlässig verletzt. Durch die
Einzahlung der 360.308 EUR auf das Geschäftskonto der KG hätten sie ihrer
Vorsorgepflicht nicht genügt, da die Geschäftsanteile an eine Person veräußert worden
seien, die von vorneherein im Verdacht gestanden habe, selbst "Firmenbestatter" zu sein
oder bereits im Zeitpunkt des Erwerbs sämtlicher GmbH-Anteile die Absicht zu haben, die
Anteile kurze Zeit später an einen "Firmenbestatter" weiterzuveräußern. Sie hätten vor der
Veräußerung der Gesellschaftsanteile durch zusätzliche Maßnahmen sicherstellen
müssen, dass der Fiskus die am 1. Januar 2008 bereits entstandene Gewerbesteuer 2007
im Zeitpunkt der Fälligkeit vollständig vereinnahmen werde (z.B. durch Bestellung einer
Bankbürgschaft zugunsten des Antragsgegners oder Hinterlegung des
streitgegenständlichen Betrages beim zuständigen Amtsgericht o.Ä.). Demgegenüber
habe sich der Antragsteller in keiner Weise die Einkommens- und Vermögensverhältnisse
des B nachweisen lassen, obwohl dieser ein Unternehmen übernehmen sollte, bei dem
nach dem Verkauf der vorhandenen Immobilien nur noch restliche Abwicklungsarbeiten
mit --im Vergleich zum Jahr 2007-- minimalen Gewinnerzielungschancen durchzuführen
gewesen seien. So habe von Anfang an die Gefahr bestanden, dass B die 360.308 EUR
vom Geschäftskonto der KG für unternehmensfremde Zwecke abheben werde (was ja
auch tatsächlich geschehen sei). Auch die übrigen Umstände des Anteilsverkaufs (z.B.
Verkauf nur wenige Wochen vor Eintritt der Fälligkeit einer hohen und in dieser Höhe für
die KG einmalig auftretenden Steuernachzahlung; absehbare Vermögenslosigkeit der KG
laut Insolvenzgutachten nach Erbringung dieser Steuerzahlung) sprächen dafür, dass es
sich bei diesem nicht um ein normales Verkehrsgeschäft gehandelt habe. Vielmehr
ergäben die weiteren Umstände des Falls --Weiterveräußerung der Gesellschaftsanteile
von B an A schon eine Woche nach Erwerb und sich aus dem Insolvenzgutachten
ergebende Ungereimtheiten in Bezug auf die Person des A bzw. seines Hintermannes
aus dem Ausland und die Durchführung des Vertrags B-A-- Anhaltspunkte für eine sog.
"Firmenbestattung".
12 Das FG hat die Beschwerde gegen den Beschluss wegen grundsätzlicher Bedeutung der
Rechtssache zugelassen (§ 128 Abs. 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung --FGO--). Der Beschluss ist in Entscheidungen der Finanzgerichte
2013, 2 veröffentlicht.
Entscheidungsgründe
13 II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
14 Nach der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und
Rechtslage ist der Senat der Auffassung, dass an der Rechtmäßigkeit des
Haftungsbescheids keine ernstlichen Zweifel bestehen, so dass das FG die AdV zu Recht
abgelehnt hat.
15 1. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise
aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen
Verwaltungsaktes bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Nach der
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs bestehen solche Zweifel, wenn bei summarischer
Prüfung des Bescheids neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen
gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die
Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung einer Rechtsfrage bewirken
(ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsbeschluss vom 23. April 2007 VII B 92/06, BFHE
217, 209, BStBl II 2009, 622, m.w.N.).
16 a) Im Streitfall begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass das FG von einer
schuldhaften Pflichtverletzung des Antragstellers und damit von seiner berechtigten
Haftungsinanspruchnahme als vormaligem Geschäftsführer nach §§ 69, 34 AO
ausgegangen ist. Grundsätzlich kommt als Haftungsschuldner i.S. von § 69 AO auch ein
zwischenzeitlich ausgeschiedener Geschäftsführer in Betracht, wenn er die ihm während
seiner Tätigkeit obliegende Erfüllung steuerlicher Pflichten der Gesellschaft schuldhaft
nicht erfüllt hat.
17 Das kann der Fall sein, wenn der gesetzliche Vertreter ungeachtet der erkennbar
entstehenden Steueransprüche für deren spätere Tilgung im Zeitpunkt der Fälligkeit keine
Sorge trifft. Dabei kann je nach den Umständen des Einzelfalls ein bestimmtes
pflichtmäßiges Verhalten auch schon vor der Entstehung der Steuerforderung geboten
sein, wenn die Entstehung absehbar war (ständige Rechtsprechung, Senatsurteil vom
11. März 2004 VII R 19/02, BFHE 205, 335, BStBl II 2004, 967, m.w.N.; Klein/Rüsken, AO,
11. Aufl., § 69 Rz 55, m.w.N.).
18 b) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das FG rechtsfehlerfrei erkannt, dass der
Antragsteller es nicht mit der Bereitstellung des zur Begleichung der von ihm selbst
erklärten Steuern erforderlichen Betrags auf dem Geschäftskonto der GmbH hätte
bewenden lassen dürfen, sondern zusätzliche Sicherungsvorkehrungen hätte ergreifen
müssen um zu gewährleisten, dass der Fiskus diesen Betrag im Zeitpunkt der Fälligkeit
der Steuern auch tatsächlich vollständig vereinnahmen werde.
19 Welche Anforderungen an die einem Geschäftsführer obliegende Pflichterfüllung zu
stellen sind, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Im Streitfall hat das FG --
sinngemäß dem FA folgend-- die besonderen Anforderungen an die Mittelvorsorgepflicht
des Antragstellers mit atypischen Umständen des Falls begründet, die den Verdacht einer
sog. Firmenbestattung nahelegten.
20 Angesichts des vom FG festgestellten Sachverhalts sieht der Senat sich nicht veranlasst
zu prüfen, welchen rechtlichen Gehalt der Begriff der Firmenbestattung umschreibt, unter
welchen Voraussetzungen also eine solche Rechtsfigur anzunehmen ist und welche
abgabenrechtlichen Rechtsfolgen sie gegebenenfalls zeitigt. Denn auch unabhängig
davon, ob die Vertragsparteien eine Firmenbestattung beabsichtigt haben, ist nach den --
vom Antragsteller nicht in Frage gestellten-- Feststellungen des FG nicht ernstlich
zweifelhaft, dass der Antragsteller seine Mittelvorsorgepflicht --zumindest-- in grob
fahrlässiger Weise verletzt hat, indem er den für die Zahlung der bereits entstandenen
Gewerbesteuer erforderlichen Betrag ungesichert dem Zugriff des B ausgesetzt hat. Das
FG hat zu Recht darauf abgestellt, dass der Antragsteller und sein Bruder ihre
Gesellschaftsanteile im ersten Jahr nach der erfolgreichen Abwicklung des
Unternehmens --Herstellung und Verkauf von Eigentumswohnungen auf ihrem eigenen
Grund und Boden-- übertragen haben. Die Besonderheit des Sachverhalts liegt einerseits
in der Kumulierung des Gewerbeertrags --und damit der einmaligen Entstehung einer
hohen Gewerbesteuerschuld-- im Vorjahr der Anteilsveräußerung und gleichzeitig der
nahezu vollständigen wirtschaftlichen Entwertung der Gesellschaftsanteile. Bei dieser
Sachlage mussten die Veräußerer vor Augen haben, dass die Schuldnerin der
Gewerbesteuer, die KG, mit Fälligkeit der Steuer insolvent wäre, wenn der dafür von
ihnen bereitgestellte Betrag --aus welchen Gründen auch immer (etwa wegen
Regressansprüchen aus den abgewickelten Verkäufen)-- nicht mehr vorhanden wäre. Ein
solches Risiko einzugehen war grob fahrlässig, unabhängig davon, ob sie aufgrund
vorangegangener geschäftlicher Beziehungen auf die Seriosität des Erwerbers vertrauen
konnten oder von der Absicht der kurzfristigen Weiterveräußerung an den mittellosen A
Kenntnis hatten. Demgegenüber hätte es --nicht zuletzt zur Vermeidung der eigenen
Haftung-- nahegelegen, den angemeldeten Steuerbetrag zurückzubehalten und nach
Festsetzung an das FA auszukehren.