Urteil des BFH vom 09.02.2015

Unterbrechung des Finanzgerichtsprozesses des auf Duldung der Zwangsvollstreckung Inanspruchgenommenen infolge der Eröffnung eines "Bankruptcy-Verfahrens" gegen den Steuerschuldner sowie hinreichende Bezeichnung des angefochtenen Urteils gemäß § 116 Abs.

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 9.2.2015, VII B 104/13
Unterbrechung des Finanzgerichtsprozesses des auf Duldung der Zwangsvollstreckung
Inanspruchgenommenen infolge der Eröffnung eines "Bankruptcy-Verfahrens" gegen den
Steuerschuldner sowie hinreichende Bezeichnung des angefochtenen Urteils gemäß § 116
Abs. 2 Satz 2 FGO
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des
Finanzgerichts Köln vom 13. März 2013 10 K 2692/12 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht Köln zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.
Tatbestand
1 I. Die Beschwerde wendet sich gegen ein Urteil, mit dem die Klage der Klägerin und
Beschwerdeführerin (Klägerin) gegen einen Duldungsbescheid abgewiesen worden ist.
2 Das Finanzgericht (FG) hat geurteilt, der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt
--FA--) habe zu Recht die Klägerin wegen der Steuerschulden ihres Lebensgefährten in
Anspruch genommen. Die Übertragung von Bezugsrechten seiner Lebensversicherungen
sei im Streitfall gemäß § 4 Abs. 1 des Anfechtungsgesetzes (AnfG) anfechtbar gewesen.
3 Die Klägerin meint, die Streitsache habe grundsätzliche Bedeutung. Außerdem beruhe das
Urteil auf einem Verfahrensfehler, weil es zu einem Zeitpunkt ergangen sei, in dem das
Verfahren gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 AnfG kraft Gesetzes unterbrochen gewesen sei. Das
Court Office at … Court habe ausweislich der "Bankruptcy Order" vom 19. Dezember 2012
aufgrund eines Eigenantrags des Lebensgefährten der Klägerin ein Insolvenzverfahren
nach englischem Recht über dessen Vermögen eröffnet, das erst im Dezember 2013 --
nach Ergehen des finanzgerichtlichen Urteils aufgrund der mündlichen Verhandlung in der
Sitzung vom 13. März 2013-- beendet worden sei.
4 Das FA hält die Nichtzulassungsbeschwerde für unzulässig.
Entscheidungsgründe
5 II. Die Sache wird wegen eines Verfahrensfehlers an das FG zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (§ 116 Abs. 6 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 3
der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
6 1. Die Beschwerde ist --anders als das FA meint-- nicht unzulässig, weil in ihr das
angefochtene Urteil nicht mit dem richtigen Aktenzeichen bezeichnet wurde.
7 Gemäß § 116 Abs. 2 Satz 2 FGO muss die Beschwerde das angefochtene Urteil
bezeichnen. Dies erfordert konkrete Angaben, die es ermöglichen, die angefochtene
gerichtliche Entscheidung ohne jeden Zweifel zu identifizieren. Zu fordern ist daher
grundsätzlich die Angabe des FG, des Entscheidungsdatums sowie des Aktenzeichens.
Ausreichend ist, wenn sich diese Angaben aus einer der Beschwerdeschrift beigefügten
Abschrift der angefochtenen Entscheidung entnehmen lassen (Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 9. August 1991 1 BvR 630/91, Neue
Juristische Wochenschrift --NJW-- 1991, 3140; Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH--
vom 19. Januar 2005 VII B 217/04, BFH/NV 2005, 1107). Wenn aufgrund der sonstigen
erkennbaren Umstände für Gericht und Prozessgegner deutlich wird, welche
Entscheidung angefochten werden soll, schadet hiernach nicht nur eine unvollständige,
sondern auch eine fehlerhafte Bezeichnung nicht. Dies gilt insbesondere für den Fall,
dass der Rechtsmittelführer in der Beschwerdeschrift auf die beigefügte Kopie der
angefochtenen Entscheidung verweist (vgl. BVerfG-Beschluss in NJW 1991, 3140).
8 Im Streitfall hat die Klägerin innerhalb der Frist für die Einlegung des Rechtsmittels (§ 116
Abs. 2 Satz 1 FGO) den Verfahrensgegenstand insofern benannt, als sie FG, Klägerin und
FA, Art der Entscheidung ("Urteil") und Entscheidungsdatum zutreffend benannt sowie
das angegriffene Urteil in Telefax-Kopie beigefügt hat. Die Beschwerdeschrift enthält mit
dem Satz "Eine Abschrift des Urteils ist beigefügt." auch eine ausdrückliche Bezugnahme
auf das in Kopie beiliegende Urteil. Bei der Angabe des unzutreffenden Aktenzeichens,
das ein im Vorjahr geführtes Beschlussverfahren betraf, handelt es sich um ein
offensichtliches Versehen im Sinne eines Verschreibens o.Ä., das unter den genannten
Umständen keine Zweifel daran begründen konnte, dass die Beschwerde das kurz zuvor
ergangene FG-Urteil --und nicht den Beschluss eines Verfahrens über Aussetzung der
Vollziehung aus dem Vorjahr-- zum Gegenstand hat.
9 2. Die Sache ist zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen,
weil während der Dauer der Unterbrechung des Ausgangsverfahrens eine mündliche
Verhandlung nicht hätte durchgeführt und ein Urteil nicht hätte ergehen dürfen. Auf die
(fehlende) Kenntnis des FG von den die Unterbrechung hervorrufenden Umständen
kommt es dabei nicht an.
10 Wie bereits mit Senatsentscheidung vom 29. März 1994 VII R 120/92 (BFHE 174, 295,
BStBl II 1995, 225) entschieden, wird mit Eröffnung des Konkursverfahrens über das
Vermögen des Schuldners das Verfahren über den Anfechtungsanspruch auch dann
gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 AnfG (§ 13 Abs. 2 Satz 1 AnfG a.F.) unterbrochen, wenn die
Finanzbehörde ihre Rechte nach dem AnfG durch Duldungsbescheid nach § 191 Abs. 1
der Abgabenordnung geltend gemacht hat. Dies gilt auch für die Eröffnung eines
Insolvenzverfahrens bzw. eines entsprechenden Verfahrens in einem anderen Staat der
Europäischen Union, wie hier des "Bankruptcy-Verfahrens" in England und Wales, auf
das die Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über
Insolvenzverfahren --EuInsVO-- (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 160/1)
anwendbar ist. Gemäß Art. 15 EuInsVO gilt für die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf
einen anhängigen Rechtsstreit über einen Gegenstand oder ein Recht der Masse
ausschließlich das Recht des Mitgliedsstaats, in dem der Rechtsstreit anhängig ist, hier
also § 17 Abs. 1 Satz 1 AnfG. Entsprechend regelt auch § 352 Abs. 1 Satz 1 der
Insolvenzordnung (InsO), dass ein Rechtsstreit, der zur Zeit der Eröffnung eines
ausländischen Insolvenzverfahrens anhängig ist und die Insolvenzmasse betrifft,
unterbrochen wird.
11 Das Gericht darf in einem unterbrochenen Verfahren keine Prozesshandlungen
vornehmen. Ein dennoch erlassenes Urteil ist ohne rechtliche Wirkung. Der
Anfechtungsgegner kann in diesem Fall die Unwirksamkeit des Urteils --ggf. auch
während der Unterbrechung des Verfahrens und vor Abschluss des Konkursverfahrens--
im Wege der Nichtzulassungsbeschwerde oder Revision geltend machen (vgl. bereits
Senatsentscheidung in BFHE 174, 295, BStBl II 1995, 225); es ist klarstellend
aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG
zurückzuverweisen.
12 Dies gilt auch im vorliegenden Verfahren. Es ist unstreitig und ergibt sich auch aus den
vorgelegten Unterlagen, dass über den Duldungsbescheid verhandelt und entschieden
wurde, während über das Vermögen des Lebensgefährten der Klägerin ein
Insolvenzverfahren nach englischem Recht durchgeführt wurde. Nach den dargestellten
Grundsätzen war das Verfahren über den Anfechtungsanspruch gemäß § 17 Abs. 1
Satz 1 AnfG i.V.m. Art. 15 EuInsVO und § 352 Abs. 1 Satz 1 InsO mit Eröffnung des
Konkursverfahrens über das Vermögen des Lebensgefährten der Klägerin unterbrochen.
Das dennoch ergangene Urteil ist klarstellend aufzuheben und die Sache zur
anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
13 3. Dem FG wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen
(§ 143 Abs. 2 FGO).