Urteil des BFH vom 19.11.2015

Kein Lohn durch eigene Berufshaftpflichtversicherung einer Rechtsanwalts-GmbH

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 19.11.2015, VI R 74/14
Kein Lohn durch eigene Berufshaftpflichtversicherung einer Rechtsanwalts-GmbH
Leitsätze
Die eigene Berufshaftpflichtversicherung einer Rechtsanwalts-GmbH nach § 59j BRAO führt
nicht zu Lohn bei den angestellten Anwälten. Die Rechtsanwalts-GmbH wendet dadurch
weder Geld noch einen geldwerten Vorteil in Form des Versicherungsschutzes zu.
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 4.
November 2014 2 K 95/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
1 I. Streitig ist, ob Beitragszahlungen einer Rechtsanwalts-GmbH zu deren eigener
Berufshaftpflichtversicherung als Arbeitslohn ihrer angestellten Rechtsanwälte zu
behandeln sind.
2 Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Rechtsanwaltsgesellschaft in
der Rechtsform einer GmbH; sie berät insbesondere bei grenzüberschreitenden
Sachverhalten mit internationalem Bezug. Ausschließlich die Klägerin tritt gegenüber
Mandanten als Vertragspartei auf, schließt die Mandatsverträge und ist in der
Prozessvollmacht genannt. Den zur Geschäftsführung der Klägerin berechtigten
Personen ist arbeitsvertraglich eine eigene anwaltliche Tätigkeit untersagt.
3 Die Klägerin schloss als alleinige Versicherungsnehmerin eine eigene
Berufshaftpflichtversicherung ab. Die Versicherungssummen beliefen sich zunächst
entsprechend den gesetzlichen Vorgaben des § 59j Abs. 2 der
Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) zur Mindestversicherungssumme einer
Rechtsanwalts-GmbH auf 2,5 Mio. EUR je Versicherungsfall und einer Höchstleistung
von 10 Mio. EUR je Versicherungsjahr. Diese Versicherungssummen wurden zum
1. Januar 2009 auf 10 bzw. 20 Mio. EUR erhöht und eine bisher zusätzlich bestehende
Exzedentenversicherung mit der allgemeinen Haftpflichtversicherung
zusammengelegt. Versichert war das Risiko der weltweiten Tätigkeit der Klägerin als
selbständig zugelassene Rechtsanwalts-GmbH. Die Versicherung umfasste Schäden,
die durch die Klägerin selbst oder durch eine Person verursacht wurden, für die sie
nach § 278 oder § 831 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) einzustehen hatte. Die
Höhe der Versicherungsprämien war an Anzahl, Funktion und zeitlichem Umfang der
Tätigkeit der von der Klägerin beschäftigten Rechtsanwälte unter Berücksichtigung
deren Stellung als Geschäftsführer, Prokurist oder einfacher angestellter Anwalt
ausgerichtet. Der Versicherungsschein nannte die einzelnen Rechtsanwälte unter der
Rubrik "Versichertes Risiko und Beitragsberechnung" namentlich mit einem anhand
dieser Kriterien ermittelten, auf sie rechnerisch entfallenden Versicherungsbeitrag. Die
Summe dieser Beiträge entsprach der von der Klägerin zu zahlenden Gesamtprämie.
Jeder angestellte Anwalt der Klägerin unterhielt zudem die nach § 51 BRAO für die
Zulassung als Rechtsanwalt notwendige persönliche Berufshaftpflichtversicherung mit
den Mindestversicherungssummen des § 51 Abs. 4 BRAO. Die Klägerin hatte die
Versicherungsbeiträge für diese persönlichen Berufshaftpflichtversicherungen
übernommen und vollständig der Lohnsteuer unterworfen. Die Beiträge für ihre eigene
Haftpflichtversicherung hatte die Klägerin allerdings nicht lohnversteuert.
4 Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) vertrat im Anschluss an eine
bei der Klägerin durchgeführte Lohnsteuer-Außenprüfung die Auffassung, dass nicht
nur die übernommenen und lohnversteuerten Beiträge für die persönliche
Haftpflichtversicherung eines jeden einzelnen angestellten Anwalts, sondern auch die
Beiträge der Klägerin zu ihrer eigenen Haftpflichtversicherung als Rechtsanwalts-
GmbH der Lohnsteuer zumindest im Umfang einer "Grunddeckung" zu unterwerfen
seien. Dementsprechend erließ das FA einen Haftungsbescheid über Lohnsteuer nebst
Annexsteuern über insgesamt 34.419,20 EUR, ermittelt nach den Beiträgen, die für die
Mindestversicherungssummen einer Rechtsanwalts-GmbH galten.
5 Das Finanzgericht (FG) hat der dagegen erhobenen Klage aus den in Entscheidungen
der Finanzgerichte (EFG) 2015, 393 veröffentlichten Gründen entsprochen. Der
Haftungstatbestand sei schon nicht erfüllt, weil es sich bei den von der Klägerin
gezahlten Versicherungsbeiträgen für ihre eigene Berufshaftpflichtversicherung nicht
um steuerpflichtigen Arbeitslohn handele. Im Streitfall bestehe ein ganz überwiegend
eigenbetriebliches Interesse der Klägerin an der Zahlung der Beiträge für ihre eigene
Haftpflichtversicherung. Ein nicht unerhebliches Interesse ihrer Arbeitnehmer, welches
das Interesse der Klägerin überlagere, liege nicht vor.
6 Das FA rügt mit der Revision die Verletzung materiellen Rechts.
7 Es beantragt,
die Klage unter Aufhebung des Urteils des FG Hamburg vom 4. November
2014 2 K 95/14 abzuweisen.
8 Die Klägerin beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
9 II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zutreffend entschieden, dass die
Klägerin durch den Abschluss ihrer eigenen Berufshaftpflichtversicherung ihren
Arbeitnehmern keinen lohnsteuerrechtlich erheblichen Vorteil zugewandt hatte.
10 1. Zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) --neben Gehältern und Löhnen-- auch
andere Bezüge und Vorteile, die "für" eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten
Dienst gewährt werden, unabhängig davon, ob ein Rechtsanspruch auf sie besteht
und ob es sich um laufende oder um einmalige Bezüge handelt (§ 19 Abs. 1 Satz 2
EStG). Diese Bezüge oder Vorteile gelten dann als für eine Beschäftigung gewährt,
wenn sie durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasst sind, ohne dass ihnen
eine Gegenleistung für eine konkrete (einzelne) Dienstleistung des Arbeitnehmers
zugrunde liegen muss. Eine Veranlassung durch das individuelle Dienstverhältnis ist
vielmehr zu bejahen, wenn die Einnahmen dem Empfänger mit Rücksicht auf das
Dienstverhältnis zufließen und sich als Ertrag der nichtselbständigen Arbeit darstellen,
wenn sich die Leistung des Arbeitgebers also im weitesten Sinne als Gegenleistung
für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweist
(ständige Senatsrechtsprechung, vgl. zuletzt Urteil vom 7. Mai 2014 VI R 73/12,
BFHE 245, 230, BStBl II 2014, 904).
11 a) Vorteile, die sich bei objektiver Würdigung aller Umstände nicht als Entlohnung,
sondern lediglich als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler
Zielsetzungen erweisen, sind dagegen nicht als Arbeitslohn anzusehen. Vorteile
besitzen danach keinen Arbeitslohncharakter, wenn sie im ganz überwiegend
eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers gewährt werden. Das ist der Fall, wenn
sich aus den Begleitumständen wie Anlass, Art und Höhe des Vorteils, Auswahl der
Begünstigten, freie oder nur gebundene Verfügbarkeit, Freiwilligkeit oder Zwang zur
Annahme des Vorteils und seiner besonderen Geeignetheit für den jeweils verfolgten
betrieblichen Zweck ergibt, dass diese Zielsetzung ganz im Vordergrund steht und ein
damit einhergehendes eigenes Interesse des Arbeitnehmers, den betreffenden Vorteil
zu erlangen, vernachlässigt werden kann (ständige Rechtsprechung, zuletzt
Senatsurteil vom 14. November 2013 VI R 36/12, BFHE 243, 520, BStBl II 2014, 278).
12 b) Durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasste, zu Lohn führende
Zuwendungen erbringt der Arbeitgeber gegenüber seinen Arbeitnehmern erst recht
nicht, wenn er ausschließlich gegenüber Dritten tätig wird, nur ihnen gegenüber eigene
Verpflichtungen eingeht und eigene Ansprüche erwirbt, die keinen unmittelbaren
Zusammenhang zu seinen Arbeitnehmern und den mit ihnen begründeten
Dienstverhältnissen aufweisen. Daraus für die Arbeitnehmer folgende etwaige
Annehmlichkeiten sind bloße Reflexwirkungen einer originär ausschließlich
eigenbetrieblichen Betätigung des Arbeitgebers, mit der er andere betriebsfunktionale
Zielsetzungen als die Entlohnung seiner Arbeitnehmer verfolgt.
13 2. Nach Maßgabe dieser vorgenannten Rechtsgrundsätze führte der Erwerb eines
eigenen Haftpflichtversicherungsschutzes i.S. des § 59j BRAO durch die Klägerin als
Arbeitgeberin zu keinem lohnsteuerrechtlich erheblichen Vorteil bei ihren
Arbeitnehmern.
14 a) Der von der Klägerin erworbene Versicherungsschutz zur Deckung der sich aus
ihrer Berufstätigkeit ergebenden Haftpflichtgefahren für Vermögensschäden i.S. der
§§ 59j, 51 Abs. 1 Satz 1 BRAO diente ihrem eigenen Versicherungsschutz. Denn
nach den Feststellungen des FG war damit das Risiko der weltweiten Tätigkeit der
Klägerin als selbständig zugelassene Rechtsanwalts-GmbH versichert; die
Versicherung umfasste Schäden, die durch die Klägerin selbst oder durch eine
Person verursacht wurden, für die sie nach § 278 oder § 831 BGB einzustehen hatte.
Diese Berufshaftpflichtversicherung ist gesetzlich vorgeschrieben und notwendige
Voraussetzung für die gewerbliche rechtsberatende Tätigkeit der Klägerin selbst als
Rechtsanwaltsgesellschaft (§ 59c Abs. 1, § 59j Abs. 1 BRAO), die nach § 13 Abs. 2
des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung den
Mandanten gegenüber mit ihrem Gesellschaftsvermögen haftet. Angesichts dessen
erfasst diese Versicherung keine Haftpflichtansprüche, die sich gegen die bei der
Klägerin nichtselbständig tätigen Rechtsanwälte selbst richten; deshalb versicherte
die Klägerin durch den Abschluss der Berufshaftpflichtversicherung ihre eigene
Berufstätigkeit und wandte ihren Arbeitnehmern dadurch weder Geld noch einen
geldwerten Vorteil in Form des Versicherungsschutzes zu.
15 b) Nichts anderes folgt entgegen der Auffassung der Revision aus § 51 Abs. 1 BRAO.
Denn danach ist zwar der angestellte Rechtsanwalt ebenso wie der selbständig tätige
Rechtsanwalt verpflichtet, eine Berufshaftpflichtversicherung zur Deckung der sich
aus seiner Berufstätigkeit ergebenden Haftpflichtgefahren für Vermögensschäden
abzuschließen. Diese Verpflichtung wird aber nicht dadurch erfüllt, dass der
Arbeitgeber seine eigene Berufshaftpflichtversicherung nach § 59j BRAO abschließt.
Die Haftpflichtversicherung nach § 59j BRAO lässt die Versicherungspflicht nach § 51
Abs. 1 BRAO nicht entfallen. Denn die Berufshaftpflichtversicherung der angestellten
Rechtsanwälte nach § 51 Abs. 1 BRAO besteht unabhängig davon und selbständig
neben der Berufshaftpflichtversicherung i.S. des § 59j BRAO (Grams, Anwaltsblatt
2001, 233, 295; Beck Online-Kommentar BORA/Römermann, BRAO § 59j Rz 5,
Rz 2; Henssler/Prütting, BRAO, 4. Aufl. 2014, § 59j Rz 1).
16 aa) Dementsprechend wandte die Klägerin dadurch, dass sie die Aufwendungen ihrer
angestellten Rechtsanwälte für deren eigene Berufshaftpflichtversicherung nach § 51
Abs. 1 BRAO übernahm, ihren Arbeitnehmern zwar lohnsteuerrechtlich erhebliche
Vorteile zu. Aber diese Vorteile unterwarf die Klägerin --was zwischen den Beteiligten
nicht streitig ist-- der Lohnsteuer. Dies entspricht der Senatsrechtsprechung, nach der
die Übernahme der Beiträge zur Berufshaftpflichtversicherung eines angestellten
Rechtsanwalts durch den Arbeitgeber zu Arbeitslohn führt, weil der angestellte
Rechtsanwalt nach § 51 BRAO zum Abschluss der Versicherung verpflichtet ist (vgl.
dazu im Einzelnen Senatsurteil vom 26. Juli 2007 VI R 64/06, BFHE 218, 370, BStBl II
2007, 892; Senatsbeschlüsse vom 6. Mai 2009 VI B 4/09, BFH/NV 2009, 1431; vom
28. März 2011 VI B 31/11, BFH/NV 2011, 1322).
17 bb) Ein lohnsteuerrechtlich erheblicher Vorteil folgt auch nicht daraus, dass die für die
Klägerin nichtselbständig tätigen Rechtsanwälte ihre eigene Haftpflichtversicherung
nach § 51 BRAO mit den Mindestversicherungssummen abschlossen. Denn damit
haben die angestellten Rechtsanwälte den Anforderungen und Verpflichtungen aus
§ 51 BRAO entsprochen. Die davon abweichende Höhe des
Mindestversicherungsschutzes bei deren Arbeitgeberin, der Klägerin selbst,
begründet keinen solchen Vorteil. Er lässt sich entgegen der Revision insbesondere
auch nicht daraus entnehmen, dass im Fall einer als GbR tätigen
Rechtsanwaltssozietät mit entsprechender internationaler Beratungstätigkeit ein
vergleichbarer Versicherungsschutz nur zu erheblich höheren
Versicherungsbeiträgen zu erhalten wäre. Denn zutreffend hat dazu schon das FG
ausgeführt, dass das FA damit ungleichartige Sachverhalte miteinander vergleiche,
weil den höheren Versicherungsbeiträgen eines angestellten Briefkopfanwalts einer
Sozietät auch der eigene Versicherungsschutz wegen persönlicher Haftungsrisiken
als Sozius gegenüberstünde.
18 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.