Urteil des BFH vom 10.12.2015
Regelmäßige Arbeitsstätte in der Probezeit oder bei befristeter Beschäftigung
BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 10.12.2015, VI R 7/15
Regelmäßige Arbeitsstätte in der Probezeit oder bei befristeter Beschäftigung
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Finanzgerichts des Landes Sachsen-Anhalt
vom 16. Dezember 2014 4 K 226/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
1 I. Streitig ist, ob Aufwendungen für Fahrten zum Tätigkeitsort als Fahrten zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte oder nach Dienstreisegrundsätzen (einschließlich
Verpflegungsmehraufwendungen) zu berücksichtigen sind, insbesondere, ob der
Tätigkeitsort eine regelmäßige Arbeitsstätte darstellt.
2 Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) machte in seiner Einkommensteuererklärung
für das Streitjahr (2012) u.a. Fahrtkosten in Höhe von 1.320 EUR als "Reisekosten bei
Auswärtstätigkeit" (200 Tage x 22 km x 0,30 EUR = 1.320 EUR) sowie
Verpflegungsmehraufwendungen für 200 Tage mit mindestens acht Stunden
Abwesenheit in Höhe von 1.200 EUR als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus
nichtselbständiger Arbeit geltend. Er gab an, dass er aufgrund seines befristeten
Arbeitsvertrags über keine regelmäßige Arbeitsstätte verfüge und somit die Fahrten
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nach Reisekostengrundsätzen anzusetzen
seien. Das Gleiche gelte für die Verpflegungsmehraufwendungen.
3 Der Kläger hatte zum … Februar 2012 einen (zunächst) auf ein Jahr befristeten
Arbeitsvertrag als Großgerätefahrer in einem Bergwerk abgeschlossen. Die
Beschäftigung begann mit einer Probezeit von sechs Monaten, innerhalb der das
Arbeitsverhältnis mit einer Frist von einem Monat zum Monatsende gekündigt werden
konnte. Vereinbarungen hinsichtlich eines Zeitpunkts, zu dem eine eventuelle
Verlängerung des Arbeitsvertrags auszusprechen sei, wurden nicht getroffen. Mit
Schreiben des Arbeitgebers vom … November 2012 war die Befristung bis zum
31. Januar 2014 verlängert worden, mit Schreiben vom … November 2013 sodann bis
zum 31. Juli 2014.
4 Im Einkommensteuerbescheid berücksichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte
(das Finanzamt --FA--) die geltend gemachten Fahrtkosten lediglich mit der
Entfernungspauschale und setzte insoweit Werbungskosten in Höhe von 660 EUR
(200 Tage x 11 km x 0,30 EUR) an. Verpflegungsmehraufwendungen berücksichtigte
das FA nicht. In den Erläuterungen des Bescheides vertrat es die Ansicht, dass der
Kläger über eine regelmäßige Arbeitsstätte verfüge.
5 Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit den
in Entscheidungen der Finanzgerichte 2015, 805 veröffentlichten Gründen ab.
6 Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
7 Er beantragt,
das Urteil des FG Sachsen-Anhalt vom 16. Dezember 2014 4 K 226/14 sowie die
Einspruchsentscheidung vom 30. Januar 2014 aufzuheben und den
Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2012 vom 3. Juli 2013 dahingehend
abzuändern, dass weitere Werbungskosten für Fahrten zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte in Höhe von 660 EUR und Verpflegungsmehraufwendungen in Höhe von
372 EUR bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zum Abzug gebracht
werden.
8 Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
9 II. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der
Senat hält die Revision einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung
nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten
Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Revision des Klägers ist als unbegründet
zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat zu Recht entschieden, dass
Aufwendungen des Klägers für Fahrten zwischen seiner Wohnung und seinem
Arbeitsplatz nur im Rahmen der Entfernungspauschale als Werbungskosten bei den
Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit berücksichtigt werden können und
Mehraufwendungen für Verpflegung nicht einkünftemindernd anzusetzen sind.
10 1. Beruflich veranlasste Fahrtkosten sind Erwerbsaufwendungen und gemäß § 9
Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) grundsätzlich in Höhe des
dafür tatsächlich entstandenen Aufwands als Werbungskosten zu berücksichtigen.
Erwerbsaufwendungen in diesem Sinne sind auch die Kosten des Arbeitnehmers für
seine Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte. Allerdings dürfen
diese Kosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG in der im Streitjahr geltenden
Fassung nur nach Maßgabe einer Entfernungspauschale als Werbungskosten in
Abzug gebracht werden.
11 a) Eine regelmäßige Arbeitsstätte i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG kann nur eine
ortsfeste, dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers sein, der der
Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nicht nur gelegentlich, sondern mit einer
gewissen Nachhaltigkeit, d.h. fortdauernd und immer wieder (dauerhaft) aufsucht.
Regelmäßig handelt es sich dabei um den Betrieb des Arbeitgebers oder einen
Zweigbetrieb, nicht aber um die Tätigkeitsstätte in einer betrieblichen Einrichtung des
Kunden des Arbeitgebers (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom 20. März
2014 VI R 74/13, BFHE 245, 56, BStBl II 2014, 854, m.w.N.). Es entspricht darüber
hinaus ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, dass ein größeres, räumlich
geschlossenes Gebiet als regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4
EStG (und damit beim Verpflegungsmehraufwand als Tätigkeitsmittelpunkt i.S. des
§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG) in Betracht kommt, wenn es sich um ein
zusammenhängendes Gelände des Arbeitgebers handelt, auf dem der Arbeitnehmer
auf Dauer und mit einer gewissen Nachhaltigkeit tätig wird (z.B. Senatsurteile vom
5. August 2004 VI R 40/03, BFHE 207, 225, BStBl II 2004, 1074; vom 10. April 2002
VI R 154/00, BFHE 198, 559, BStBl II 2002, 779). Unter diesen Voraussetzungen
kann auch ein Werksgelände, ein Waldgebiet oder --wie vorliegend zu Recht
unstreitig-- ein Bergwerk eine großräumige (regelmäßige) Arbeitsstätte oder einen
Tätigkeitsmittelpunkt darstellen (Senatsurteile vom 18. Juni 2009 VI R 61/06, BFHE
226, 59, BStBl II 2010, 564, und vom 10. März 2015 VI R 87/13, BFH/NV 2015, 1084,
jeweils m.w.N.).
12 b) Ist der Arbeitnehmer nicht an einer solchen dauerhaften betrieblichen Einrichtung
tätig, liegt regelmäßig eine Auswärtstätigkeit vor, weil der Arbeitnehmer entweder
vorübergehend von seiner Wohnung und dem ortsgebundenen Mittelpunkt seiner
dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit entfernt tätig wird oder weil er schon über
keinen dauerhaft angelegten ortsgebundenen Bezugspunkt für seine berufliche
Tätigkeit verfügt, sondern nur an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten oder auf
einem Fahrzeug eingesetzt wird (z.B. Senatsurteile vom 26. Februar 2014 VI R 54/13,
BFH/NV 2014, 1199, und VI R 68/12, BFH/NV 2014, 1029, jeweils m.w.N.). Folge
einer solchen Auswärtstätigkeit ist, dass die Kosten für beruflich veranlasste Fahrten
gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG uneingeschränkt zum Abzug zuzulassen sind. Denn
ein Arbeitnehmer, der auswärts tätig ist, hat typischerweise nicht die Möglichkeit,
seine Wegekosten gering zu halten (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom
10. April 2014 VI R 11/13, BFHE 245, 218, BStBl II 2014, 804, m.w.N.).
13 2. Nach diesen Grundsätzen hat das FG zu Recht darauf erkannt, dass der Kläger im
Streitjahr nicht auswärts, sondern in einer dauerhaften betrieblichen Einrichtung
seines Arbeitgebers und damit in einer regelmäßigen Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1
Satz 3 Nr. 4 EStG tätig war. Denn der Kläger hat diese Einrichtung während seines
Arbeitsverhältnisses nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen
Nachhaltigkeit, d.h. fortdauernd und immer wieder (dauerhaft) aufgesucht. Der
Umstand, dass der Kläger seine Tätigkeit dort nur zunächst auf ein Jahr befristet
ausgeübt hat und zudem die ersten sechs Monate seines
Beschäftigungsverhältnisses mit einer Probezeit belegt waren, steht der
Dauerhaftigkeit der Zuordnung zu dem Betriebssitz des Arbeitgebers nicht entgegen.
Denn ein in einer dauerhaften, ortsfesten betrieblichen Einrichtung seines
Arbeitgebers tätiger Arbeitnehmer ist nicht allein deshalb auswärts tätig, weil er eine
Probezeit vereinbart hat, unbedingt versetzungsbereit oder befristet beschäftigt ist
(Senatsurteil vom 6. November 2014 VI R 21/14, BFHE 247, 427, BStBl II 2015, 338).
Der Einwand des Klägers, in solchen Fällen fehle es an der für eine regelmäßige
Arbeitsstätte erforderlichen "Planungssicherheit", trifft zwar in der Sache zu, vermag
die Tätigkeit aber nicht aus dem Regeltypus einer "Innendiensttätigkeit" (Leistungsort
im Betrieb oder einer Betriebsstätte des Arbeitgebers) herauszulösen.
14 Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass er die Vorhersehbarkeit wechselnder
Tätigkeitsstätten und die "Möglichkeit", Wegekosten zu mindern, nicht zu
Tatbestandsmerkmalen der in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG geregelten
Entfernungspauschale erhoben hat. Der Umstand, dass sich der Arbeitnehmer in
unterschiedlicher Weise auf die immer gleichen Wege einstellen und so auf eine
Minderung der Wegekosten etwa durch die Bildung von Fahrgemeinschaften, die
Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und gegebenenfalls sogar durch die
entsprechende Wohnsitznahme hinwirken kann, beschreibt lediglich generalisierend
und typisierend den Regelfall, nach der sich die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4
EStG als sachgerechte und folgerichtige Ausnahme vom objektiven Nettoprinzip
erweist. Individuelle Zufälligkeiten und Besonderheiten in der tatsächlichen
Ausgestaltung eines Arbeitsverhältnisses bleiben hierbei unberücksichtigt
(Senatsurteil in BFHE 247, 427, BStBl II 2015, 338). Sie vermögen insbesondere nicht
eine typische betriebsbezogene Innendiensttätigkeit zu einer vorübergehenden
Tätigkeit außerhalb einer regelmäßigen Arbeitsstätte (oder der Wohnung) zu wandeln.
Demnach sind die streitigen Wegekosten lediglich im Rahmen der
Entfernungspauschale und Mehraufwendungen für Verpflegung gemäß § 9 Abs. 5
Satz 1 EStG i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Sätze 1 und 2 EStG nicht als
Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen.
15 3. Aus den Senatsentscheidungen vom 8. August 2013 VI R 72/12 (BFHE 242, 358,
BStBl II 2014, 68) und VI R 27/12 (BFH/NV 2014, 308) sowie vom 24. September
2013 VI R 51/12 (BFHE 243, 215, BStBl II 2014, 342) ergibt sich nichts anderes. Zwar
hat der Senat dort entschieden, dass ein Arbeitnehmer, der für ein oder zwei Jahre
(wiederholt) befristet seiner Berufstätigkeit an einer anderen betrieblichen Einrichtung
seines Arbeitgebers nachgeht, und ein Beamter, der von seinem Arbeitgeber für drei
Jahre an eine andere als seine bisherige Tätigkeitsstätte abgeordnet oder versetzt
wird, an den neuen Tätigkeitsorten keine regelmäßigen Arbeitsstätten begründen. Für
den Tatbestand einer regelmäßigen Arbeitsstätte bei einem befristeten oder
Probearbeitsverhältnis lassen sich hieraus jedoch keine Erkenntnisse gewinnen.
Insbesondere rechtfertigen diese Entscheidungen den Schluss des Klägers nicht,
dass bei (bis zu drei Jahren) befristeten Arbeitsverhältnissen oder in der Probezeit
stets keine regelmäßige Arbeitsstätte i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG vorliege.
Denn in den Verfahren VI R 27, 51 und 72/12 stand in Streit, ob der Arbeitnehmer
lediglich --unter Beibehaltung seiner bisherigen regelmäßigen Arbeitsstätte--
"vorübergehend" in einer anderen betrieblichen Einrichtung seines Arbeitgebers tätig
wurde oder von Anbeginn dauerhaft an den neuen Beschäftigungsort entsandt worden
ist und dort eine (neue) regelmäßige Arbeitsstätte begründet hat. Ein solcher
Sachverhalt liegt jedoch im Streitfall ersichtlich nicht vor.
16 4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.