Urteil des BFH vom 19.01.2017

Kein Abzug von Aufwendungen für Kfz-Motorschaden eines Behinderten als außergewöhnliche Belastung

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 19.1.2017, VI R 60/14
ECLI:DE:BFH:2017:B.190117.VIR60.14.0
Kein Abzug von Aufwendungen für Kfz-Motorschaden eines Behinderten als außergewöhnliche Belastung
Tenor
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 17. Juli 2014 10 K 323/13 wird als
unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Tatbestand
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I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Ehegatten und wurden im Streitjahr (2012) zur Einkommensteuer
zusammen veranlagt. Der Kläger ist behindert. Der Grad der Behinderung betrug zunächst 50 und erhöhte sich ab
April 2012 auf 80. Zusätzlich enthält der Schwerbehindertenausweis die Merkzeichen "G" und "aG"
(außergewöhnliche Gehbehinderung). Der Kläger erzielte im Streitjahr Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit gemäß
§ 19 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
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Im Streitjahr fuhr der Kläger einen X ..., den er auch für die insgesamt 144 Fahrten zu der von seiner Wohnung fünf
Kilometer entfernt liegenden Arbeitsstätte nutzte. Am Freitag, den 27. April 2012, hatte das Fahrzeug bei einem
Kilometerstand von 76 453 während einer privat veranlassten Fahrt einen Motorschaden. Der Schaden wurde 2012
für insgesamt 10.737,58 EUR repariert. Die Herstellerfirma X erstattete dem Kläger dabei im Kulanzwege insgesamt
4.125,22 EUR der Reparaturaufwendungen.
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Die ihm verbliebenen Aufwendungen in Höhe von 6.612,36 EUR machten die Kläger in ihrer
Einkommensteuererklärung zunächst als Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger
Arbeit geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte die Aufwendungen nicht.
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Nach Erhebung der Klage erließ das FA aus anderen Gründen einen geänderten Einkommensteuerbescheid für das
Streitjahr. Streitig blieb jedoch, ob die Aufwendungen für den Motorschaden steuermindernd als außergewöhnliche
Belastungen zu berücksichtigen sind.
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2015, 132 veröffentlichten
Gründen ab.
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Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
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Sie beantragen sinngemäß, das Urteil des Niedersächsischen FG vom 17. Juli 2014 10 K 323/13 aufzuheben und
den Einkommensteuerbescheid für 2012 vom 31. März 2014 dahingehend zu ändern, dass weitere Aufwendungen
in Höhe von 6.612,36 EUR als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden.
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Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält einstimmig die Revision
für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet
worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126
Abs. 2 FGO). Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Aufwendungen für die Reparatur des Motorschadens keine
außergewöhnlichen Belastungen i.S. des § 33 Abs. 1 EStG sind.
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1. Außergewöhnliche Belastungen gemäß § 33 Abs. 1, Abs. 3 EStG sind anzunehmen, wenn dem Steuerpflichtigen
zwangsläufig größere Aufwendungen erwachsen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher
Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands. Diese Aufwendungen sind,
soweit sie die zumutbare Belastung übersteigen, auf Antrag vom Gesamtbetrag der Einkünfte abzuziehen.
Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen
oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind
und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).
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a) Nach ständiger Rechtsprechung können außergewöhnlich gehbehinderte (Merkzeichen aG) Steuerpflichtige neben
den Pauschbeträgen für Behinderte auch die Kfz-Aufwendungen für Privatfahrten in angemessenem Rahmen als
außergewöhnliche Belastung geltend machen. Angemessen i.S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG sind Aufwendungen
für Fahrten bis zu 15 000 km im Jahr und nur bis zur Höhe der Kilometerpauschbeträge, die in den
Einkommensteuer-Richtlinien und Lohnsteuer-Richtlinien für den Abzug von Kfz-Kosten als Werbungskosten oder
Betriebsausgaben festgelegt sind (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 22. Oktober 1996 III R 203/94, BFHE
182, 44, BStBl II 1997, 384; vom 13. Dezember 2001 III R 40/99, BFHE 197, 462, BStBl II 2002, 224; vom
18. Dezember 2003 III R 31/03, BFHE 205, 74, BStBl II 2004, 453, und vom 21.&bbsp;Februar 2008 III R 105/06,
BFH/NV 2008, 1141; Senatsbeschluss vom 26. Oktober 2010 VI B 52/10, BFH/NV 2011, 253, m.w.N.; vgl. auch
H 33.1 bis 33.4 des Einkommensteuer-Handbuchs 2012, Fahrtkosten behinderter Menschen). Damit sind sämtliche
Mehraufwendungen eines Behinderten für Fahrten, die der allgemeinen Lebensführung einschließlich Freizeit- und
Erholungszwecken dienen, abgegolten (BFH-Urteil vom 24. August 2004 VIII R 59/01, BFHE 207, 237, BStBl II
2010, 1048, und BFH-Beschluss vom 21. Mai 2004 III B 171/03, BFH/NV 2004, 1404).
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Etwaige Reparaturkosten für das Fahrzeug eines Behinderten sind demnach bereits mit diesem zusätzlichen
Pauschbetrag im Rahmen der angemessenen Aufwendungen abgegolten.
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b) Hiernach sind Reparaturkosten für das Fahrzeug eines Behinderten nicht zusätzlich neben den
Kilometerpauschbeträgen abziehbar. Sie sind vielmehr in den Kilometerpauschbeträgen enthalten. Zwar hat die
Rechtsprechung in "krassen Ausnahmefällen" (BFH-Urteil vom 13. Dezember 2001 III R 6/99, BFHE 197, 455, BStBl
II 2002, 198) einen höheren Abzug erwogen. Derartige außergewöhnliche Umstände hat die Rechtsprechung in
Betracht gezogen, wenn der Behinderte wegen der Art seiner Behinderung auf ein besonderes Fahrzeug
angewiesen ist, für das überdurchschnittlich hohe Aufwendungen erforderlich sind, oder er sein Kfz in
außergewöhnlich geringem Umfang nutzt und deshalb pro gefahrenem Kilometer relativ hohe Aufwendungen zu
tragen hat (BFH-Urteile in BFHE 182, 44, BStBl II 1997, 384; vom 14. Oktober 1997 III R 95/96, BFH/NV 1998,
1072; in BFHE 205, 74, BStBl II 2004, 453; in BFHE 197, 462, BStBl II 2002, 224). In einer älteren Entscheidung
hat der BFH auch Unfallkosten als i.S. von § 33 EStG berücksichtigungsfähig angesehen, wenn die Unfallfahrt an
sich angemessen war (BFH-Urteil vom 15. November 1991 III R 30/88, BFHE 166, 159, BStBl II 1992, 179; s.a.
BFH-Beschluss vom 24. April 2006 III B 164/05, BFH/NV 2006, 1468). Reparaturkosten auch größerer Art sind
jedoch grundsätzlich nicht so außergewöhnlich, dass sie eine abweichende Schätzung der angemessenen
behinderungsbedingten Kfz-Kosten für private Fahrten erfordern.
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Überdies haben sich, worauf bereits das BFH-Urteil in BFHE 205, 74, BStBl II 2004, 453 hingewiesen hat, die
gesellschaftlichen Verhältnisse seit Begründung der Rechtsprechung zum Abzug von Kfz-Aufwendungen im
Senatsurteil vom 17. Dezember 1965 VI 297/65 U (BFHE 84, 574, BStBl III 1966, 208) gewandelt. Während im
Jahr 1965 nur 9 267 000 PKW angemeldet waren, waren dies zum 1. Januar 2016 45,1 Mio. (Quelle: Kraftfahrt-
Bundesamt). Mittlerweile halten demnach die meisten Einkommensbezieher, auch die weniger verdienenden, ein
privates Kfz und tragen die Aufwendungen dafür aus versteuertem Einkommen. Da bei außergewöhnlich
Gehbehinderten sämtliche Kfz-Kosten bis zu einer Fahrleistung von 15 000 km, soweit sie nicht Werbungskosten
oder Betriebsausgaben darstellen, als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen sind, werden bei diesem
Personenkreis Fahrtaufwendungen steuermindernd berücksichtigt, die Nichtbehinderten ebenfalls entstehen, ohne
sich aber steuerlich auszuwirken. Angesichts dessen ist überdies nicht ersichtlich, dass im Streitfall die als
außergewöhnliche Belastung berücksichtigten Kfz-Kosten den an sich nur anzuerkennenden behinderungsbedingten
Mehraufwand des Klägers nicht zutreffend erfassen. Ein krasser Ausnahmefall im Sinne der vorgenannten
Rechtsprechung liegt bei Reparaturaufwendungen als Folge eines verschleißbedingten Motorschadens nicht vor.
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2. Der Senat hält die Verfahrensrügen für nicht durchgreifend und sieht gemäß § 126 Abs. 6 FGO von einer
Begründung ab.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.