Urteil des BFH vom 19.11.2015

Kein Lohn durch Betriebshaftpflichtversicherung eines Krankenhauses

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 19.11.2015, VI R 47/14
Kein Lohn durch Betriebshaftpflichtversicherung eines Krankenhauses
Leitsätze
Die Mitversicherung angestellter Klinikärzte in der Betriebshaftpflichtversicherung eines
Krankenhauses nach § 102 Abs. 1 VVG ist kein Lohn, weil die Mitversicherung keine
Gegenleistung für die Beschäftigung ist.
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts
vom 25. Juni 2014 2 K 78/13 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
1 I. Streitig ist, ob die von einem Krankenhaus für die dort beschäftigten Klinikärzte
abgeschlossene Betriebshaftpflichtversicherung einen lohnsteuerrechtlich erheblichen
Vorteil bei den Klinikärzten begründet.
2 Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betrieb im streitigen Zeitraum 2007 bis
2009 ein Krankenhaus. Sie gehörte zum Gesundheitskonzern ... GmbH, einem
privaten Betreiber von Krankenhäusern und Gesundheitseinrichtungen. Die Klägerin
war in den Versicherungsschutz des Haftpflicht-Rahmenvertrags mit der ...
Versicherung vom 1. Januar 2006 einbezogen, der das mit dem Betrieb des
Krankenhauses für die Klägerin erwachsende Haftungsrisiko erfasste. Er erstreckte
sich nach § 102 Abs. 1 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) auch auf die
Haftung für die zur Vertretung der Klägerin befugten Personen sowie auf die Personen,
die in einem Dienstverhältnis zur Klägerin standen, nämlich insbesondere auf
medizinisches Fachpersonal und die angestellten Ärzte. Der dadurch gewährleistete
Versicherungsschutz für angestellte Ärzte beschränkte sich auf das aus dem
Anstellungsverhältnis erwachsende Haftungsrisiko. Beiträge für private, auf angestellte
Ärzte persönlich lautende Berufshaftpflichtversicherungen hatte die Klägerin nicht
übernommen.
3 Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) vertrat im Anschluss an eine
bei der Klägerin durchgeführte Lohnsteuer-Außenprüfung die Auffassung, dass die von
der Klägerin gezahlten Versicherungsbeiträge, soweit sie sich auf die angestellten
Ärzte erstreckten, einen geldwerten lohnsteuerlichen Vorteil darstellten. § 21 der
Berufsordnung (Satzung) der Ärztekammer Schleswig-Holstein (BO) verpflichte Ärzte,
eine Haftpflichtversicherung abzuschließen. Die Klägerin habe als Arbeitgeber mit den
Ärzten einen Dienstvertrag vereinbart, in dem sich die Klägerin verpflichtet habe, für die
Ärzte eine Haftpflichtversicherung gegen Schadenersatzansprüche Dritter
abzuschließen. Im jährlichen Versicherungsbeitrag in Höhe von 138.000 EUR seien
Anteile enthalten, die die Beiträge der angestellten Ärzte abdeckten. Die Übernahme
dieser Beiträge durch den Arbeitgeber führe zu Arbeitslohn; der auf die Ärzte
entfallende jährliche Vorteil sei auf 6.505 EUR zu schätzen. Dementsprechend erließ
das FA für die Jahre 2007 bis 2009 einen Haftungsbescheid über insgesamt
6.830,25 EUR Lohnsteuer zuzüglich Annexsteuern.
4 Im erfolglos durchgeführten Einspruchsverfahren machte die Klägerin insbesondere
geltend, dass nach § 30 Nr. 6 des Heilberufekammergesetzes (HBKG) vom
29. Februar 1996 (Gesetz- und Verordnungsblatt Schleswig-Holstein 1996, 248) die
Kammermitglieder nur zu einer ausreichenden Berufshaftpflichtversicherung
verpflichtet seien, soweit nicht zur Deckung der Schäden Vorsorge durch eine
Betriebshaftpflichtversicherung getroffen sei. Die Klägerin habe eine solche
Betriebshaftpflichtversicherung abgeschlossen, so dass darüber hinaus für die
angestellten Ärzte keine gesetzliche Verpflichtung bestünde, eine eigene
Berufshaftpflichtversicherung abzuschließen.
5 Die Klage war aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2014, 1620
veröffentlichten Gründen erfolgreich. Die Mitversicherung der angestellten Klinikärzte in
der Betriebshaftpflichtversicherung der Klägerin sei für die Ärzte mangels eigener
gesetzlicher Pflicht zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung kein geldwerter
Vorteil.
6 Das FA rügt mit der Revision die Verletzung materiellen Rechts (§ 19 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes --EStG--).
7 Es beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts (FG) vom 25. Juni
2014 2 K 78/13 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
8 Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
9 II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zutreffend entschieden, dass die
Mitversicherung der angestellten Klinikärzte in der Betriebshaftpflichtversicherung der
Klägerin für die angestellten Ärzte mangels eigener gesetzlicher Pflicht zum
Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung kein geldwerter Vorteil war.
10 1. Zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 EStG --neben Gehältern und Löhnen-- auch andere Bezüge und Vorteile, die
"für" eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden,
unabhängig davon, ob ein Rechtsanspruch auf sie besteht und ob es sich um
laufende oder um einmalige Bezüge handelt (§ 19 Abs. 1 Satz 2 EStG). Diese Bezüge
oder Vorteile gelten dann als für eine Beschäftigung gewährt, wenn sie durch das
individuelle Dienstverhältnis veranlasst sind, ohne dass ihnen eine Gegenleistung für
eine konkrete (einzelne) Dienstleistung des Arbeitnehmers zugrunde liegen muss.
Eine Veranlassung durch das individuelle Dienstverhältnis ist vielmehr zu bejahen,
wenn die Einnahmen dem Empfänger mit Rücksicht auf das Dienstverhältnis
zufließen und sich als Ertrag der nichtselbständigen Arbeit darstellen, wenn sich die
Leistung des Arbeitgebers also im weitesten Sinne als Gegenleistung für das
Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweist
(ständige Senatsrechtsprechung, vgl. zuletzt Urteil vom 7. Mai 2014 VI R 73/12,
BFHE 245, 230, BStBl II 2014, 904).
11 a) Vorteile, die sich bei objektiver Würdigung aller Umstände nicht als Entlohnung,
sondern lediglich als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler
Zielsetzungen erweisen, sind dagegen nicht als Arbeitslohn anzusehen. Vorteile
besitzen danach keinen Arbeitslohncharakter, wenn sie im ganz überwiegend
eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers gewährt werden. Das ist der Fall, wenn
sich aus den Begleitumständen wie Anlass, Art und Höhe des Vorteils, Auswahl der
Begünstigten, freie oder nur gebundene Verfügbarkeit, Freiwilligkeit oder Zwang zur
Annahme des Vorteils und seiner besonderen Geeignetheit für den jeweils verfolgten
betrieblichen Zweck ergibt, dass diese Zielsetzung ganz im Vordergrund steht und ein
damit einhergehendes eigenes Interesse des Arbeitnehmers, den betreffenden Vorteil
zu erlangen, vernachlässigt werden kann (ständige Rechtsprechung, zuletzt
Senatsurteil vom 14. November 2013 VI R 36/12, BFHE 243, 520, BStBl II 2014, 278).
12 b) Durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasste, zu Lohn führende
Zuwendungen erbringt der Arbeitgeber gegenüber seinen Arbeitnehmern erst recht
nicht, wenn er ausschließlich gegenüber Dritten tätig wird, nur ihnen gegenüber eigene
Verpflichtungen eingeht und eigene Ansprüche erwirbt, die keinen unmittelbaren
Zusammenhang zu seinen Arbeitnehmern und den mit ihnen begründeten
Dienstverhältnissen aufweisen. Daraus für die Arbeitnehmer folgende etwaige
Annehmlichkeiten sind bloße Reflexwirkungen einer originär ausschließlich
eigenbetrieblichen Betätigung des Arbeitgebers, mit der er andere betriebsfunktionale
Zielsetzungen als die Entlohnung seiner Arbeitnehmer verfolgt. Dementsprechend
entstehen keine durch das Dienstverhältnis veranlassten geldwerten Vorteile, die "für"
eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden. Dies gilt
insbesondere in den Fällen, in denen solche, einen vermeintlichen Vorteil
begründenden Reflexwirkungen zwingend aus gesetzlichen Regelungen folgen, ohne
dass der Arbeitgeber andere rechtliche Möglichkeiten hat, die von ihm angestrebte
betriebsfunktionale Zielsetzung zu erreichen.
13 2. Nach Maßgabe dieser vorgenannten Rechtsgrundsätze hat die Klägerin mit dem
Abschluss ihrer eigenen Betriebshaftpflichtversicherung ihren angestellten Ärzten
keinen lohnsteuerrechtlich erheblichen Vorteil zugewandt.
14 a) Das FG hat Bestand, Inhalt und Zweckbestimmung der durch ein Landesgesetz
geregelten Anforderungen an den Versicherungsschutz von Ärzten in Schleswig-
Holstein, nämlich die §§ 29, 30 HBKG, festgestellt. Es hat diese als gesetzliche
Ausnahmeregelungen verstanden, nach denen für die angestellten Ärzte gerade keine
eigene Verpflichtung zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung bestehe,
soweit sie in einem Krankenhaus nichtselbständig tätig und in der
Betriebshaftpflichtversicherung des Krankenhauses mitversichert seien. Daran ist der
Senat gemäß § 155 FGO i.V.m. § 560 der Zivilprozessordnung wie an tatsächliche
Feststellungen des FG gebunden. Denn es handelt sich um die Auslegung von
Landesrecht, auf dessen Verletzung die Revision nicht gestützt werden kann (§ 118
Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Einwände des FA gegen die Auslegung der §§ 29, 30 HBKG
durch das FG sind daher unbeachtlich (ständige Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs, Senatsurteile vom 9. Juni 1989 VI R 154/86, BFHE 157, 530,
BStBl II 1990, 121; VI R 27/88, BFHE 157, 535, BStBl II 1990, 123, 125; jeweils
m.w.N.). Nichts anderes gilt für den Einwand des FA, dass das FG § 23 BO und die
dazu ergangene Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts Hamm unzutreffend
ausgelegt habe. Danach steht fest, dass die bei der Klägerin angestellten Ärzte nicht
verpflichtet waren, eine Berufshaftpflichtversicherung abzuschließen.
15 b) Der von der Klägerin erworbene Versicherungsschutz zur Deckung des mit dem
Betrieb ihres Krankenhauses erwachsenden Haftungsrisikos diente ihrem eigenen
Versicherungsschutz. Die Klägerin wandte damit ihren Arbeitnehmern nichts zu; die
Einbeziehung der Arbeitnehmer in die Versicherung folgt allein aus der gesetzlichen
Regelung des § 102 Abs. 1 VVG. Danach erstreckt sich die für ein Unternehmen
bestehende Versicherung auf die Haftpflicht der zur Vertretung des Unternehmens
befugten Personen sowie der Personen, die in einem Dienstverhältnis zu dem
Unternehmen stehen. Soweit die angestellten Ärzte der Klägerin angesichts dieser
Rechtslage und in Verbindung mit § 30 Nr. 6 HBKG keinen eigenen
Haftpflichtversicherungsschutz mehr erwerben mussten, sind dies bloße
Reflexwirkungen der originär eigenbetrieblichen Betätigung der Klägerin als
Arbeitgeber. Diese bestand darin, dass die Klägerin gegen mögliche
Haftpflichtansprüche aus Schadensfällen, die ihr im Zusammenhang mit ihrer eigenen
unternehmerischen Tätigkeit entstehen können, als Versicherungsnehmerin eine
eigene Betriebshaftpflichtversicherung i.S. des § 102 Abs. 1 VVG abzuschließen
hatte. Soweit die Betriebshaftpflichtversicherung nach § 102 Abs. 1 Satz 2 VVG als
für fremde Rechnung i.S. der §§ 43 ff. VVG genommen gilt und sich dadurch auch auf
die Haftpflicht der in einem Dienstverhältnis zu dem Unternehmen stehenden
Personen erstreckt, ist der damit gegebenenfalls bestehende Versicherungsschutz
lediglich Folge der insoweit zwingenden gesetzlichen Regelung für die
Betriebshaftpflichtversicherung, ohne dass der Arbeitgeber damit etwas "für" die
Beschäftigung gewährt. Im versicherungsrechtlichen Sinne mag die
Betriebshaftpflichtversicherung dadurch zwar als aufgespaltete Versicherung gelten,
nämlich als Eigenversicherung zu Gunsten des Versicherungsnehmers und als
davon zu unterscheidende Fremdversicherung zu Gunsten des Versicherten (Koch
in: Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl. 2013, § 102 Rz 7, mit Hinweis auf das Urteil des
Bundesgerichtshofs vom 14. Dezember 1967 II ZR 169/65, BGHZ 49, 130). In
lohnsteuerrechtlicher Hinsicht wendet aber der Arbeitgeber damit den Arbeitnehmern
nichts zu. Denn insoweit fehlt es im Sinne der ständigen Rechtsprechung des
erkennenden Senats an einer Leistung des Arbeitgebers, die sich im weitesten Sinne
als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des
Arbeitnehmers erweisen könnte (z.B. Senatsurteil in BFHE 245, 230, BStBl II 2014,
904).
16 Dem entspricht der versicherungsrechtliche Regelungszweck. Denn Bedeutung und
Zweck der Erweiterung des Versicherungsschutzes werden insbesondere darin
gesehen, dem Versicherungsnehmer einen möglichst umfassenden
Versicherungsschutz für alle bei ihm beschäftigten Personen zu gewähren, weil nur
dann erreicht werden kann, die Haftpflichtrisiken aus der unternehmerischen Tätigkeit
weitgehend auf den Versicherer abzuwälzen (Langheid/Wandt/Littbarski, Münchener
Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, Bd. 2, § 102 Rz 70 f.). Im Weiteren
wird aus versicherungsrechtlicher Sicht auch zutreffend darauf hingewiesen, dass
Arbeitnehmer nach den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadenausgleichs
gegenüber dem Unternehmer häufig nicht oder nur beschränkt haften und im Falle
ihrer Inanspruchnahme durch Dritte wegen Schäden aus ihrer beruflichen Tätigkeit
Freistellung vom Unternehmer verlangen können. Die Ausdehnung des
Versicherungsschutzes auf die gesetzliche Haftpflicht von Betriebsangehörigen hilft
somit, Spannungen zwischen den Mitarbeitern und dem Versicherungsnehmer
(Arbeitgeber) zu vermeiden, die bei ihrer unmittelbaren Inanspruchnahme durch den
geschädigten Dritten entstehen können, und dient so letztlich dem Unternehmenswohl
(Koch in: Bruck/Möller, a.a.O., § 102 Rz 3 ff.). Regelungszweck des § 102 Abs. 1
VVG ist damit zuvörderst nicht die Zuwendung lohnsteuerrechtlicher Vorteile, sondern
die Absicherung unternehmerischer Betätigung durch entsprechende
versicherungsrechtliche Regelungen.
17 c) Das FG hat schließlich auch zutreffend entschieden, dass der Streitfall nicht mit
den Fällen vergleichbar ist, in denen der Arbeitgeber eigene Beiträge der
Arbeitnehmer zu deren von ihnen selbst abzuschließenden Versicherungen
übernimmt, wie dies der Senat etwa zur Übernahme der Beiträge zur
Berufshaftpflichtversicherung eines angestellten Rechtsanwalts durch den
Arbeitgeber entschieden hat. In solchen Fällen liegt eine Zuwendung des Arbeitgebers
vor, die zu Arbeitslohn führt (vgl. dazu im einzelnen Senatsurteil vom 26. Juli 2007
VI R 64/06, BFHE 218, 370, BStBl II 2007, 892; Senatsbeschlüsse vom 6. Mai 2009
VI B 4/09, BFH/NV 2009, 1431; vom 28. März 2011 VI B 31/11, BFH/NV 2011, 1322).
18 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.