Urteil des BFH vom 11.07.2016

Kein Ermessen bei Inanspruchnahme des Arbeitnehmers für nicht einbehaltene und abgeführte Lohnsteuer durch Einkommensteueränderungsbescheid

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 11.7.2016, VI B 14/16
Kein Ermessen bei Inanspruchnahme des Arbeitnehmers für nicht einbehaltene und abgeführte Lohnsteuer durch
Einkommensteueränderungsbescheid
Tenor
Die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg
vom 3. Dezember 2015 13 K 13312/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Gründe
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Die Beschwerde ist --bei erheblichen Bedenken gegen ihre Zulässigkeit-- jedenfalls unbegründet und daher
zurückzuweisen.
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1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung --FGO--) zuzulassen. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2
Nr. 1 FGO, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das Interesse der Allgemeinheit an
der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Dabei muss die Rechtsfrage klärungsbedürftig
und in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig sein (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsbeschluss
vom 24. Mai 2012 VI B 120/11, BFH/NV 2012, 1438, m.w.N.).
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a) Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) haben mit ihrer Beschwerde keine grundsätzlich bedeutsame
Rechtsfrage aufgeworfen.
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Sie halten die Rechtsfrage für grundsätzlich bedeutsam, ob § 42d des Einkommensteuergesetzes (EStG)
Auswirkungen auf das Veranlagungsverfahren hat und die Finanzbehörde nach Änderung eines
Einkommensteuerbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) die Vorschrift des § 42d EStG
beachten und ein Ermessen bei der Auswahl des Schuldners der Lohnsteuer ausüben muss.
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b) Dieser Frage kommt keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu. Denn es ist --worauf
der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) zu Recht hinweist-- durch die Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs (BFH) geklärt, dass die Inanspruchnahme des Arbeitnehmers für nicht einbehaltene und
abgeführte Lohnsteuer durch einen Einkommensteueränderungsbescheid keine Ermessensentscheidung ist
(Senatsurteil vom 17. Mai 1985 VI R 137/82, BFHE 144, 217, BStBl II 1985, 660). Insoweit geht der Verweis der
Kläger auf § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG ins Leere. Liegen deshalb die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 173
Abs. 1 Nr. 1 AO vor, weil die Finanzbehörde --wie im Streitfall-- nachträglich erfahren hat, dass der bisherigen
Steuerfestsetzung beispielsweise ein zu niedriger Arbeitslohn zugrunde gelegt wurde, ist die Finanzbehörde zum
Erlass eines entsprechenden Änderungsbescheids verpflichtet.
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Der beschließende Senat hat in seinem Urteil in BFHE 144, 217, BStBl II 1985, 660 explizit ausgeführt, dass die
von der Rechtsprechung zur Inanspruchnahme des Arbeitgebers entwickelten Ermessenskriterien auf die
Inanspruchnahme des Arbeitnehmers durch Einkommensteuerbescheid nicht anwendbar sind. Der Senat hat weiter
ausgeführt, dass der Arbeitnehmer sich nicht auf § 42d Abs. 3 Satz 2 EStG berufen kann. Denn nach dieser
Vorschrift kann das Betriebsstätten-FA die Steuerschuld oder die Haftungsschuld nach pflichtgemäßem Ermessen
gegenüber jedem der Gesamtschuldner geltend machen. Auch im vorliegenden Fall hat jedoch nicht etwa das
Betriebsstätten-FA (§ 41a Abs. 1 EStG) vom Kläger durch Lohnsteuernachforderungsbescheid zu Unrecht nicht
einbehaltene Lohnsteuerbeträge nachgefordert, sondern das für die Veranlagung des Klägers zuständige Wohnsitz-
FA hat durch Einkommensteueränderungsbescheide bisher im Lohnsteuerabzugsverfahren nicht berücksichtigte
Lohnteile in die Veranlagung einbezogen. § 42d Abs. 3 Satz 2 EStG ist daher nicht einschlägig (Senatsurteil in BFHE
144, 217, BStBl II 1985, 660).
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Selbst wenn eine Inanspruchnahme des Arbeitnehmers im Lohnsteuerabzugsverfahren nach § 42d Abs. 3 Satz 4
EStG ausgeschlossen ist, kann der Arbeitnehmer im Veranlagungsverfahren gleichwohl uneingeschränkt in Anspruch
genommen werden (Senatsurteil vom 13. Januar 2011 VI R 62/09, BFH/NV 2011, 751).
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c) Soweit sich die Kläger nach Art einer Revisionsbegründung gegen die (vermeintlich) fehlerhafte Rechtsanwendung
durch das Finanzgericht (FG) wenden, kann diese Rüge nicht zur Zulassung der Revision führen. Denn die Rüge der
falschen Rechtsanwendung und tatsächlichen Würdigung des Streitfalls durch das FG rechtfertigt die Zulassung der
Revision grundsätzlich nicht (BFH-Beschluss vom 10. Mai 2012 X B 71/11, BFH/NV 2012, 1461).
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2. Aus den gleichen Gründen ist die Revision nicht gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO zuzulassen, da es
sich bei dem Erfordernis einer Revisionsentscheidung zur Rechtsfortbildung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO)
um einen Unterfall des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung handelt (vgl. BFH-Beschluss vom
22. August 2011 III B 192/10, BFH/NV 2011, 2043).
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3. Schließlich kommt eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO nicht in Betracht.
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Die Kläger haben den Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erst nach Ablauf der
Begründungsfrist und damit verspätet geltend gemacht. Im Übrigen ergibt sich aus ihrem Vorbringen auch keine
Divergenz. Denn eine solche ist gegeben, wenn das FG mit einem das angegriffene Urteil tragenden und
entscheidungserheblichen Rechtssatz von einem ebensolchen Rechtssatz einer anderen Gerichtsentscheidung
abgewichen ist. Die Kläger berufen sich jedoch auf eine Revisionszulassung zur Sicherung einer einheitlichen
Verwaltungspraxis, da der ehemalige Arbeitgeber des Klägers in einem vergleichbaren Fall die
Steuernachforderungen übernommen habe, was im Widerspruch zu der Rechtsauffassung des FA stehe.
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4. Von einer Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 116 Abs. 5 Satz 2
Halbsatz 2 FGO ab.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.