Urteil des BFH vom 18.02.2015

Gutglaubensschutz beim Vorsteuerabzug - Vertrauensschutz bei innergemeinschaftlichen Lieferungen

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 18.2.2015, V S 19/14
Gutglaubensschutz beim Vorsteuerabzug - Vertrauensschutz bei innergemeinschaftlichen
Lieferungen
Tenor
Die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheides für 2007 vom 14. August 2013 wird in Höhe
eines Teilbetrages von 86.130,67 EUR und die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheides für
2008 vom 14. August 2013 wird in Höhe eines Teilbetrages von 708.850,16 EUR bis zum
rechtskräftigen Abschluss des Revisionsverfahrens V R 23/14 ohne Sicherheitsleistung
ausgesetzt.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragstellerin zu 2/3 und der Antragsgegner zu 1/3.
Tatbestand
1 I. Die Antragstellerin, Klägerin und Revisionsklägerin (Antragstellerin) --eine 1995
gegründete GmbH, deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer A ist-- handelte in
den Streitjahren 2007 und 2008 mit Kraftfahrzeugen.
2 Anlässlich einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung, die den Voranmeldungszeitraum 2007
und die Voranmeldungszeiträume Januar bis Juni 2008 umfasste, gelangte die Prüferin
ausweislich des Umsatzsteuer-Sonderprüfungsberichtes vom 29. Januar 2010 zu
folgenden Feststellungen:
3 Bisher als umsatzsteuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen an die Firma "…" (B) in
Spanien behandelte Umsätze seien steuerpflichtig, was zu Mehrsteuern in Höhe von
84.475,71 EUR im Jahr 2007 und 605.377,24 EUR in den Voranmeldungszeiträumen
Januar bis Juni 2008 führe. Nach den Feststellungen der Steuerfahndung X-Stadt seien
die betroffenen Fahrzeuge tatsächlich nicht nach Spanien verbracht, sondern im Inland
weiter vermarktet worden. Zudem seien Vorsteuerbeträge aus Rechnungen der D GmbH
(D) in Höhe von 86.130,67 EUR (2007) und 311.159,33 EUR (Januar bis Juni 2008) nicht
abziehbar, weil es sich bei dieser Firma um eine "Scheinfirma" gehandelt habe, die unter
ihrer Rechnungsanschrift keinen Sitz gehabt habe.
4 Im Rahmen einer weiteren, nunmehr die Voranmeldungszeiträume Juli bis Dezember
2008 umfassenden Umsatzsteuer-Sonderprüfung stellte die Prüferin fest, dass die
Antragstellerin in diesem Zeitraum Vorsteuerbeträge aus Rechnungen der D in Höhe von
397.690,83 EUR geltend gemacht hatte, die ebenfalls nicht abziehbar seien.
5 Das seinerseits zuständige Finanzamt … I (FA I) folgte in einem geänderten
Umsatzsteuerbescheid für 2007 vom 23. Februar 2010 den Feststellungen der
Umsatzsteuer-Sonderprüfungen. Am 2. März 2010 legte die Antragstellerin Einspruch
"gegen den Umsatzsteuerbescheid vom 23.2.2010" ein. Ein Einspruchsbescheid erging
nicht.
6 Am 29. Januar 2010 reichte die Antragstellerin die Umsatzsteuer-Jahreserklärung 2008
ein, ohne die Prüfungsfeststellungen zu berücksichtigen; am selben Tag erließ das FA I
für die Voranmeldungszeiträume Juni und Dezember 2008 Vorauszahlungsbescheide.
Hiergegen legte die Antragstellerin am 18. Februar 2010 Einspruch ein. Am 23. Februar
2010 stimmte das FA I der Umsatzsteuer-Jahreserklärung der Antragstellerin für 2008 zu,
erließ aber am 1. März 2010 einen Umsatzsteuer-Jahresbescheid 2008 unter
Berücksichtigung der Prüfungsfeststellungen. Diesen Bescheid behauptete die
Antragstellerin nicht erhalten zu haben. Am 19. November 2010 verwarf das FA I den
Einspruch gegen die Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide Juni und Dezember 2008
als unzulässig und wies den Einspruch gegen den Umsatzsteuer-Jahressteuerbescheid
2008 als unbegründet zurück. Am 21. Dezember 2010 erhob die Antragstellerin Klage
wegen Umsatzsteuer 2007 und 2008.
7 Mit Verfügung vom 22. März 2010 setzte das FA I die Vollziehung der
Umsatzsteuerbescheide 2007 und 2008 in Höhe von 170.606,38 EUR und in Höhe von
1.314.227,40 EUR bis einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung aus.
8 Zuständig für die Besteuerung der Antragstellerin ist seit April 2011 das Finanzamt Y-
Stadt (Antragsgegner, Beklagter und Revisionsbeklagter --FA--). Am 20. Juni 2012 erließ
das FA einen geänderten Umsatzsteuer-Jahresbescheid 2008 mit demselben Inhalt wie
der Bescheid vom 1. März 2010. Während des Klageverfahrens erließ das FA die
streitgegenständlichen Umsatzsteuerbescheide 2007 und 2008 vom 14. August 2013.
9 Das Finanzgericht (FG) sah die Klage sowohl für 2007 als auch für 2008 als zulässig an,
wies sie jedoch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte das FG aus, der
Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der D sei zu versagen, weil deren Rechnungen
nicht die nach § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes in der für das Streitjahr
geltenden Fassung (UStG) erforderliche zutreffende vollständige Anschrift des leistenden
Unternehmers enthalten hätten. Bei der in den Rechnungen angegebenen Anschrift habe
es sich um einen Briefkastensitz gehandelt, dessen Angabe die Voraussetzungen des
§ 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG nicht erfülle. Unter der betreffenden Anschrift, unter der die
D lediglich postalisch erreichbar gewesen sei, habe sich eine Beratungsstelle eines
Lohnsteuerhilfevereins und ein Buchhaltungsbüro, das die Post der D
entgegengenommen und für sie Buchhaltungsarbeiten erledigt habe, befunden. Eigene
geschäftliche Aktivitäten der D hätten dort nicht stattgefunden. Es könne letztlich
offenbleiben, ob ein Briefkastensitz als hinreichende Anschrift des leistenden
Unternehmers in Ausnahmefällen in Betracht kommen könne. Denn nach der
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) reiche die Angabe eines Briefkastensitzes
jedenfalls bei einer GmbH, die --wie hier die D-- im großen Umfang mit Fahrzeugen
handele, nicht aus. Hinzu komme, dass die D ab dem 1. Oktober 2007 zwei Büroräume,
eine Einbauküche, zwei Toiletten und Lagerfläche unter einer anderen Anschrift
angemietet habe, und einiges dafür spreche, dass sich dort auch die von der D
gehandelten Fahrzeuge befunden hätten.
10 Es komme auch nicht darauf an, ob die Antragstellerin auf die Richtigkeit der in den
Rechnungen der D angegebenen Anschrift habe vertrauen dürfen. Denn § 15 UStG sehe
den Schutz des guten Glaubens an die Erfüllung der Vorsteuerabzugsvoraussetzungen
nicht vor, weshalb Vertrauensschutzgesichtspunkte nicht bei der Steuerfestsetzung nach
den gesetzlichen Vorschriften des UStG, sondern ggf. nur im Rahmen einer
Billigkeitsmaßnahme gemäß § 163, § 227 der Abgabenordnung berücksichtigt werden
könnten. Der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) sei nicht
zu entnehmen, dass im Steuerfestsetzungsverfahren ein Vorsteuerabzug auch bei
Angabe eines Scheinsitzes des Leistenden in Betracht kommen könne. Das FG folgte
ausdrücklich nicht der vom FG Münster mit Beschluss vom 12. Dezember
2013 5 V 1934/13 U (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2014, 395) vertretenen
Ansicht, wonach die Angabe eines Scheinsitzes in der Rechnung dem Vorsteuerabzug
nicht entgegenstehe, wenn sich für den Leistungsempfänger nach den Gesamtumständen
im Vorfeld der Lieferung keine Zweifel an der in der Rechnung angegebenen Anschrift
hätten ergeben müssen.
11 Das FA I sei auch zu Recht davon ausgegangen, dass es sich bei den in den
Rechnungen an die B abgerechneten Umsätzen um steuerpflichtige Lieferungen
gehandelt habe. Die Antragstellerin habe die Voraussetzungen einer steuerfreien
innergemeinschaftlichen Lieferung nicht nachgewiesen. Die Angaben in den
Verbringenserklärungen "Das Fahrzeug wird am ... von mir in das Zielland Spanien
verbracht" seien insoweit nicht ausreichend, da der Bestimmungsort nicht genannt sei und
nicht ohne weiteres mit der Unternehmensanschrift der B gleichgesetzt werden könne.
Zwar könne sich die erforderliche Angabe des Bestimmungsorts im Einzelfall unter
Berücksichtigung aller Umstände aus der Rechnungsanschrift des Abnehmers ergeben.
Dies gelte jedoch im Grundsatz nur, wenn davon auszugehen sei, dass --was nicht
vorliege-- der Gegenstand der Lieferung auch zum Unternehmenssitz des Abnehmers
versendet oder befördert werde. An welchen Ort die streitgegenständlichen Fahrzeuge
tatsächlich verbracht worden seien, sei völlig unklar. Daher stehe auch nicht objektiv
zweifelsfrei fest, dass die Voraussetzungen der Steuerfreiheit erfüllt seien. Die
Lieferungen seien schließlich auch nicht nach § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG steuerfrei. Die
Frage des Gutglaubensschutzes stelle sich nur, wenn der Unternehmer seinen
Nachweispflichten nachgekommen sei. Vorliegend fehle es an einem belegmäßigen
Nachweis des Bestimmungsortes der streitigen Lieferungen.
12 Das FG hat die Revision gegen sein Urteil zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung zugelassen. Die Antragstellerin hat die Revision fristgerecht eingelegt
und begründet. Die Revision, über die noch nicht entschieden worden ist, wird im Senat
unter dem Aktenzeichen V R 23/14 geführt.
13 Im vorliegenden Verfahren begehrt die Antragstellerin die Aussetzung der Vollziehung
(AdV) der Umsatzsteuerbescheide 2007 und 2008. Zur Begründung trägt sie vor, selbst
wenn die Steuerforderung bestünde, wäre sie aus Billigkeitsgründen zu erlassen. Die
Vollziehung sei ohne Sicherheitsleistung auszusetzen, weil die Vorentscheidung
rechtsfehlerhaft sei und für sie, die Antragstellerin, ein günstiger Prozessausgang zu
erwarten sei. Zudem sei sie wirtschaftlich nicht in der Lage, Sicherheiten zu stellen.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide
seien nicht deshalb ausgeschlossen, weil das FG die Klage abgewiesen habe.
14 Das FA gehe unzutreffend davon aus, dass der EuGH mit Urteil Planzer Luxembourg, C-
73/06, EU:C:2007:397 entschieden habe, dass an eine Anschrift i.S. des § 14 Abs. 4
Satz 1 Nr. 1 UStG dieselben Anforderungen wie an einen "Sitz" im Sinne der Achten
Richtlinie 79/1072/EWG des Rates vom 6. Dezember 1979 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Verfahren zur Erstattung
der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige zu stellen seien. Eine
Anschrift erfordere nur die postalische Erreichbarkeit an der angegebenen Adresse. Die
Angabe der Anschrift i.S. des Art. 226 Nr. 5 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom
28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) diene
der Identifikation des Rechnungsausstellers. Es sei für einen
vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmer unzumutbar, wenn er zu prüfen hätte,
inwieweit an der Anschrift über die postalische Erreichbarkeit hinaus Aktivitäten des
leistenden Unternehmers stattfänden. Die D habe existiert, sei leistender Unternehmer i.S.
des § 2 UStG und unter der angegebenen Anschrift auch postalisch erreichbar gewesen.
Zudem seien dort die Buchhaltungsarbeiten der D vorgenommen und ihre
Steuererklärungen gefertigt worden. Die in der Rechnung angegebene Anschrift werde
nicht deshalb unzutreffend, weil ein Unternehmer unter weiteren Adressen erreichbar sei
oder betriebliche Aktivitäten entfalte.
15 Auf die Angabe des Zielorts in den Verbringungsnachweisen komme es nicht an, weil
sich dieser bereits aus den Ausgangsrechnungen ergebe, die Teile des Buch- und
Belegnachweises seien.
16 Die Steuerforderung sei jedenfalls aus Billigkeitsgründen zu erlassen, weil sie, die
Antragstellerin, durch Erklärungen der Finanzämter dazu bestimmt worden sei, sowohl
von der betreffenden Anschrift der D als auch davon auszugehen, dass die Angabe des
Ziellandes im Verbringungsnachweis unter den gegebenen Umständen ausreichend sei.
Durch den Vollzug von Bescheiden über Steuerforderungen, die im Billigkeitswege zu
erlassen seien, würde sie, die Antragstellerin, in ihren verfassungsmäßigen Rechten
verletzt.
17 Die Antragstellerin bringt zudem --unter Vorlage verschiedener Unterlagen-- vor, dass sie
keine Möglichkeit habe, einen Geldbetrag zu zahlen oder eine Bürgschaft zu stellen, und
über keine Vermögenswerte verfüge, die als Sicherheit dem FA oder einer Bank zur
Erlangung eines Kredites gestellt werden könnten. Es sei unverhältnismäßig und
verstoße gegen die Garantie effektiven Rechtsschutzes i.S. des Art. 19 Abs. 4 des
Grundgesetzes, dem Steuerpflichtigen die AdV eines angefochtenen Steuerbescheides
zu versagen, wenn seine wirtschaftlichen Verhältnisse die Leistung einer Sicherheit nicht
zuließen.
18 Die Antragstellerin beantragt,
die Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide 2007 und 2008 sowie Zinsen zur
Umsatzsteuer 2008 bis zur Zustellung einer das Revisionsverfahren V R 23/14
abschließenden Entscheidung auszusetzen.
19 Das FA beantragt,
den Antrag auf AdV der Umsatzsteuer 2008 abzulehnen, hilfsweise die AdV nur gegen
Sicherheitsleistung zu gewähren.
20 Das angefochtene Urteil der Vorinstanz, das der Rechtsprechung des EuGH und BFH
entspreche, enthalte keine Rechtsfehler. Ein Erlass der streitgegenständlichen
Umsatzsteuerschulden sei vorliegend nicht zu prüfen, weil diesbezüglich ein eigenes
Verfahren zu führen sei. Zudem bestünden für die Annahme eines Erlasses keine
Anhaltspunkte.
21 Es sei nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin keine Sicherheitsleistung erbringen könne
oder sie ihre Kreditlinie bereits ausgeschöpft habe. Die Vermögenslage der
Antragstellerin verschlechtere sich jährlich. Es sei daher zu befürchten, dass nach
Abschluss des Revisionsverfahrens die Steuerforderungen nicht mehr durchgesetzt
werden könnten.
Entscheidungsgründe
22 II. Der Antrag auf AdV der Umsatzsteuerbescheide für 2007 und 2008 ist teilweise
begründet.
23 1. Der Antrag ist zulässig.
24 a) Da die Antragstellerin gegen das Urteil des FG wirksam Revision eingelegt und
begründet hat, ist der BFH nach § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) als Gericht
der Hauptsache für den Antrag auf AdV zuständig (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom
26. Oktober 2011 I S 7/11, BFH/NV 2012, 583, Rz 8; vom 18. Juli 2012 X S 19/12,
BFH/NV 2012, 2008, Rz 12; vom 2. Juli 2014 XI S 8/14, nicht veröffentlicht --n.v.--, juris,
Rz 22).
25 b) Zudem hat das FA den erneuten Antrag auf AdV mit Verfügung vom 20. Mai 2014
abgelehnt und den hiergegen eingelegten Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom
8. Juli 2014 als unbegründet zurückgewiesen. Die Zugangsvoraussetzung des § 69
Abs. 4 Satz 1 FGO, die auch für Anträge auf AdV gilt, die --wie hier-- beim BFH als Gericht
der Hauptsache gestellt werden (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 18. August 1998
XI S 7/98, n.v.; vom 27. März 2000 III S 6/99, BFH/NV 2000, 1129, jeweils m.w.N.), liegt
damit vor.
26 2. Der Antrag ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auch begründet.
27 a) Nach § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO ist die Vollziehung eines angefochtenen
Verwaltungsakts ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der
Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel i.S. von
§ 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des
angefochtenen Bescheides neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen
gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der
Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung
entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (vgl. dazu z.B. BFH-Beschlüsse vom
11. Juli 2013 XI B 41/13, BFH/NV 2013, 1647, Rz 16; vom 2. Juli 2014 XI S 8/14, BFH/NV
2014, 1601, Rz 24, jeweils m.w.N.). Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im AdV-
Verfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus
dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (vgl. BFH-Beschlüsse vom
7. September 2011 I B 157/10, BFHE 235, 215, BStBl II 2012, 590, Rz 12; in BFH/NV
2013, 1647, Rz 16; in BFH/NV 2014, 1601, Rz 24, jeweils m.w.N.). Ist der angegriffene
Steuerbescheid --wie im Streitfall-- bereits Gegenstand eines anhängigen
Revisionsverfahrens, bestehen ernstliche Zweifel, wenn unter Berücksichtigung der
eingeschränkten Prüfungsmöglichkeiten des Revisionsgerichts ernstlich mit der
Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Steuerbescheides zu rechnen ist. Das
bedeutet, dass bei vermutlichem Durcherkennen des BFH auf die Erfolgsaussichten des
Revisionsverfahrens, bei voraussichtlicher Zurückverweisung auf die Erfolgsaussichten
des dann fortgesetzten Klageverfahrens abzustellen ist. Im Fall einer Zurückverweisung
bestehen ernstliche Zweifel allerdings auch dann, wenn sich aufgrund der bisherigen
Feststellungen des FG nicht absehen lässt, ob die Klage letztlich Erfolg haben wird (vgl.
z.B. BFH-Beschluss vom 19. März 2014 III S 22/13, BFH/NV 2014, 856, Rz 17, m.w.N.).
28 b) Nach diesen Maßgaben bestehen im Streitfall insoweit ernstliche Zweifel an der
Rechtmäßigkeit der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide, als das FA darin den
Vorsteuerabzug aus Rechnungen der D versagt hat.
29 aa) Die Angabe einer Anschrift, an der im Zeitpunkt der Rechnungsausstellung keinerlei
geschäftliche Aktivitäten stattfinden, reicht für eine zum Vorsteuerabzug berechtigende
Rechnung (grundsätzlich) nicht aus (vgl. BFH-Urteile vom 27. Juni 1996 V R 51/93, BFHE
181, 197, BStBl II 1996, 620; vom 19. April 2007 V R 48/04, BFHE 217, 194, BStBl II
2009, 315, unter II.C.1.a; vom 6. Dezember 2007 V R 61/05, BFHE 221, 55, BStBl II 2008,
695, unter II.3.c, und vom 30. April 2009 V R 15/07, BFHE 225, 254, BStBl II 2009, 744,
unter II.1.d; BFH-Beschluss vom 5. November 2009 V B 5/09, BFH/NV 2010, 478). Zwar
kann nach den Umständen des Einzelfalls auch die Angabe eines "Briefkastensitzes" mit
postalischer Erreichbarkeit als Anschrift, die die Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 Satz 1
Nr. 1 UStG erfüllt, genügen (vgl. dazu BFH-Urteil in BFHE 217, 194, BStBl II 2009, 315,
m.w.N.). Unter welchen besonderen Umständen die Angabe einer Anschrift mit nur
postalischer Erreichbarkeit als zutreffende Anschrift für eine zum Vorsteuerabzug
berechtigende Rechnung ausreichend sein könnte, ist höchstrichterlich aber insoweit
geklärt, als es jedenfalls bei einer GmbH, die --wie hier die D-- in großem Umfang mit Kfz
handelt, nicht ausreicht, wenn sich unter der in der Rechnung angegebenen Anschrift
keine eigenen Geschäftsräume, sondern lediglich eine nicht in Anspruch genommene
Telefonleitung und eine Briefempfangsstelle befinden (vgl. dazu BFH-Beschluss vom
14. März 2000 V B 187/99, BFH/NV 2000, 1252).
30 bb) Unentschiedenheit oder Unsicherheit besteht dagegen in der Beurteilung der
Rechtsfrage, ob mit Blick auf die Rechtsprechung des EuGH (vgl. z.B. Urteile Mahagében
und Dávid, C-80/11 und C-142/11, EU:C:2012:373; Maks Pen EOOD, C-18/13,
EU:C:2014:69) der Leistungsempfänger zum Abzug der Vorsteuerbeträge berechtigt ist,
wenn er auf die Angaben des Lieferanten vertraute und sich diese Angaben später als
falsch herausstellen (vgl. dazu auch BFH-Beschluss vom 16. April 2014 V B 48/13,
BFH/NV 2014, 1243, Rz 6). Insoweit könnte die Antragstellerin --obgleich § 15 UStG den
Schutz des guten Glaubens an die Erfüllung der Vorsteuerabzugsvoraussetzungen nicht
vorsieht und Vertrauensschutzgesichtspunkte deshalb grundsätzlich nicht bei der
Steuerfestsetzung, sondern im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme gemäß §§ 163, 227
AO berücksichtigt werden können (vgl. dazu z.B. BFH-Urteil vom 8. Juli 2009 XI R 51/07,
BFH/NV 2010, 256, m.w.N.; FG Köln, Urteil vom 12. März 2014 4 K 2374/10, EFG 2014,
1442, Revision eingelegt, Az. des BFH: XI R 22/14)-- zum Vorsteuerabzug berechtigt sein
(vgl. auch FG Münster in EFG 2014, 395, nach dem --entgegen der Vorentscheidung-- die
Angabe eines Scheinsitzes dem Vorsteuerabzug nicht entgegensteht, wenn sich für den
Leistungsempfänger keine Zweifel an der in der Rechnung angegebenen Anschrift hätten
ergeben müssen).
31 Nach Auffassung des Sächsischen FG (Beschluss vom 4. März 2014 4 V 297/13, juris)
bestehen Zweifel daran, ob der Vorsteuerabzug ausschließlich mit der Begründung
versagt werden kann, dass es sich bei der angegebenen Rechnungsanschrift um einen
sog. "Scheinsitz" handelt und damit die erforderliche "zutreffende" Anschrift des
leistenden Unternehmers in der Rechnung fehlt. Das FG Berlin-Brandenburg hält es für
ernstlich zweifelhaft, dass allein wegen einer (objektiv) fehlerhaften Anschrift im
Abrechnungsdokument der Vorsteuerabzug versagt werden kann (Beschluss vom 3. April
2014 7 V 7027/14, EFG 2014, 1445).
32 cc) Angesichts dieser ungeklärten Rechtslage ist die beantragte AdV zu gewähren, soweit
das FA den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der D in dem angefochtenen
Umsatzsteuerbescheid versagte. Ist --wie hier-- die Rechtslage nicht eindeutig, ist über
die zu klärenden Fragen grundsätzlich nicht im summarischen Beschlussverfahren zu
entscheiden; die Klärung muss vielmehr dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben
(vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 14. Oktober 2002 V B 60/02, BFH/NV 2003, 87, unter
II.3.; vom 25. November 2005 V B 75/05, BFHE 212, 176, BStBl II 2006, 484, unter II.3.b;
vom 13. März 2012 I B 111/11, BFHE 236, 501, BStBl II 2012, 611, Rz 22; vom
12. Dezember 2013 XI B 88/13, BFH/NV 2014, 550, Rz 26; vom 2. Juli 2014 XI S 8/14,
BFH/NV 2014, 1601, jeweils m.w.N.).
33 Insoweit ist bei summarischer Prüfung ein Erfolg der Antragstellerin im
Revisionsverfahren nicht auszuschließen.
34 c) Im Übrigen bestehen an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen
Umsatzsteuerbescheide keine ernstlichen Zweifel. Bei den in den Rechnungen an die B
abgerechneten Umsätzen hat es sich um steuerpflichtige Lieferungen gehandelt; die
Voraussetzungen der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen (§ 4 Nr. 1
Buchst. b, § 6a UStG) liegen nicht vor.
35 aa) Gemäß § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG sind die innergemeinschaftlichen Lieferungen (§ 6a)
steuerfrei. Eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung setzt gemäß § 6a Abs. 1
UStG u.a. voraus, dass der Unternehmer oder der Abnehmer den Gegenstand der
Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet hat. Dabei hat der
Unternehmer die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 und 2 UStG gemäß § 6a Abs. 3 UStG
i.V.m. §§ 17a ff. der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) beleg- und
buchmäßig nachzuweisen (BFH-Urteil vom 25. April 2013 V R 28/11, BFHE 242, 77,
BStBl II 2013, 656).
36 bb) Unionsrechtlich beruht die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung auf
Art. 131 und 138 MwStSystRL. Gemäß Art. 131 MwStSystRL wird auch die
Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung "unbeschadet sonstiger
Gemeinschaftsvorschriften und unter den Bedingungen angewandt, die die
Mitgliedstaaten zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung dieser
Befreiungen und zur Verhinderung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder
Missbrauch festlegen". Nach Art. 138 Abs. 1 MwStSystRL befreien die Mitgliedstaaten die
Lieferungen von Gegenständen, die durch den Verkäufer, den Erwerber oder für ihre
Rechnung nach Orten außerhalb ihres jeweiligen Gebiets, aber innerhalb der
Gemeinschaft versandt oder befördert werden, von der Steuer, wenn diese Lieferung an
einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person
bewirkt wird, der/die als solche/r in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beginns der
Versendung oder Beförderung der Gegenstände handelt. Die Antragstellerin hat die von
ihr für die Lieferung der Fahrzeuge beanspruchte Steuerfreiheit einer
innergemeinschaftlichen Lieferung nicht nachgewiesen.
37 cc) In den Fällen, in denen der Unternehmer oder der Abnehmer den Gegenstand der
Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert, soll der Unternehmer den
Nachweis hierüber gemäß § 17a Abs. 2 UStDV durch das Doppel einer Rechnung nach
§§ 14, 14a UStG (Nr. 1), durch einen handelsüblichen Beleg (Nr. 2), durch eine
Empfangsbestätigung des Abnehmers oder seines Beauftragten (Nr. 3) sowie in den
Fällen der Beförderung des Gegenstandes durch den Abnehmer, durch eine
Versicherung des Abnehmers oder seines Beauftragten, den Gegenstand der Lieferung in
das übrige Gemeinschaftsgebiet zu befördern (Nr. 4), führen.
38 dd) Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Zwar kann sich die gemäß § 17a
Abs. 2 Nr. 2, § 17c Abs. 2 Nr. 9 UStDV erforderliche Angabe des Bestimmungsorts --wie
die Antragstellerin sinngemäß vorbringt-- unter Berücksichtigung aller Umstände im
Einzelfall aus der Rechnungsanschrift des Abnehmers ergeben (vgl. dazu BFH-Urteile
vom 7. Dezember 2006 V R 52/03, BFHE 216, 367, BStBl II 2007, 420; vom 14. November
2012 XI R 17/12, BFHE 239, 516, BStBl II 2013, 407). Dies gilt jedoch im Grundsatz nur,
wenn davon auszugehen ist, dass der Gegenstand der Lieferung auch zum
Unternehmenssitz des Abnehmers versendet oder befördert wird (vgl. BFH-Urteile vom
17. Februar 2011 V R 28/10, BFHE 233, 331, Umsatzsteuer-Rundschau 2011, 779; in
BFHE 239, 516, BStBl II 2013, 407). Das ist hier nicht der Fall. Denn nach den
Feststellungen des FG ist der Verbleib der streitgegenständlichen Fahrzeuge "völlig
unklar".
39 ee) Die betreffenden Lieferungen sind auch nicht nach § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG steuerfrei.
Die Frage des Gutglaubensschutzes stellt sich --wovon das FG zutreffend ausgegangen
ist-- erst dann, wenn der Unternehmer seinen Nachweispflichten nachgekommen ist.
Maßgeblich ist hierfür die formelle Vollständigkeit, nicht aber die inhaltliche Richtigkeit der
Beleg- und Buchangaben, da § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG das Vertrauen auf unrichtige
Abnehmerangaben schützt (vgl. dazu BFH-Urteil vom 15. Februar 2012 XI R 42/10,
BFH/NV 2012, 1188, m.w.N.). Im Streitfall fehlt es an einem belegmäßigen Nachweis des
Bestimmungsorts, weil dieser --wie vorstehend unter II.2.d aa ausgeführt-- nicht ohne
weiteres mit der Unternehmensanschrift des B gleichgesetzt werden kann.
40 3. Die somit im Umfang des Tenors zu gewährende AdV ist nicht von einer
Sicherheitsleistung abhängig zu machen.
41 a) Die Anordnung einer Sicherheitsleistung im Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes dient der Vermeidung von Steuerausfällen. Solche Ausfälle können vor
allem dadurch entstehen, dass der Steuerpflichtige im Hauptsacheverfahren letztlich
unterliegt und zu diesem Zeitpunkt die Durchsetzung der Steuerforderung gefährdet oder
erschwert ist (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 29. November 2004 V B 78/04, BFHE 208,
93, BStBl II 2005, 535; vom 6. August 2007 VII B 108-109/06, BFH/NV 2007, 2358; vom
6. Februar 2013 XI B 125/12, BFHE 239, 390, BStBl II 2013, 983, jeweils m.w.N.). Eine
Gefährdung der umstrittenen Umsatzsteueransprüche ergibt sich vorliegend schon aus
dem unwidersprochenen Vorbringen des FA, wonach sich die Vermögenslage der
Antragstellerin jährlich verschlechtere. Zudem gibt die Antragstellerin selbst an, keine
Sicherheitsleistung erbringen zu können.
42 b) Das öffentliche Interesse an der Vermeidung von Steuerausfällen entfällt, wenn mit
Gewissheit oder großer Wahrscheinlichkeit ein für den Steuerpflichtigen günstiger
Prozessausgang zu erwarten ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 8. August 2011 XI B 39/11,
BFH/NV 2011, 2106; in BFHE 239, 390, BStBl II 2013, 983, jeweils m.w.N.). Das ist hier
nicht der Fall.
43 c) Die Anforderung einer Sicherheitsleistung darf jedoch --wie hier-- nicht erfolgen, wenn
sie mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen eine unbillige
Härte für ihn bedeuten würde, etwa weil der Steuerpflichtige im Rahmen zumutbarer
Anstrengungen nicht in der Lage ist, Sicherheit zu leisten (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom
26. Mai 1988 V B 26/86, BFH/NV 1989, 403; vom 28. Juni 1994 V B 18/94, BFH/NV 1995,
515; in BFHE 239, 390, BStBl II 2013, 983, jeweils m.w.N.). Lassen die wirtschaftlichen
Verhältnisse des Steuerpflichtigen eine Sicherheitsleistung nicht zu, darf deshalb der
Rechtsvorteil der Aussetzung bzw. der Aufhebung der Vollziehung bei ernstlichen
Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Steuerbescheides --auch bei fortlaufend veranlagten
und festgesetzten Steuern wie Lohn- und Umsatzsteuer-- grundsätzlich nicht versagt
werden (vgl. dazu Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22. September
2009 1 BvR 1305/09, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2010, 70, unter IV.1.b;
ferner BFH-Beschlüsse vom 19. Februar 2010 II B 122/09, BFH/NV 2010, 1144; in BFHE
239, 390, BStBl II 2013, 983, jeweils m.w.N.).
44 Im Hinblick darauf, dass die Antragstellerin nach eigenem glaubhaften und substantiiert
dargelegten Bekunden weder einen Geldbetrag zahlen noch eine Bürgschaft stellen kann
und über keine Vermögenswerte verfügt, die als Sicherheit gestellt werden könnten, wird
von der Anordnung einer Sicherheitsleistung abgesehen.
45 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1, § 143 Abs. 1 FGO.