Urteil des BFH vom 02.12.2015

Keine Organschaft mit Nichtunternehmer - Zahlungen zur Deckung der Betriebskosten als Entgelt

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 2.12.2015, V R 67/14
Keine Organschaft mit Nichtunternehmer - Zahlungen zur Deckung der Betriebskosten als
Entgelt
Leitsätze
Die Organschaft setzt nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG die Eingliederung in das Unternehmen
des Organträgers voraus.
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts des Saarlandes vom 18.
November 2014 1 K 1480/12 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
1 I. Streitig ist, ob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH,
steuerpflichtige Leistungen gegen Entgelt an die Beigeladene, die Alleingesellschafterin
der Klägerin, erbracht hat. Geschäftsführer der Klägerin war der stellvertretende
Geschäftsführer der Beigeladenen. Die Beigeladene ist eine Körperschaft des
öffentlichen Rechts, die gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 des Fünften Buches
Sozialgesetzbuch (SGB V) die vertragsärztliche Versorgung sicherzustellen hat. Dies
umfasst die Zurverfügungstellung von Notdiensten in Bereitschaftsdienstpraxen (BDP).
Die ärztliche Tätigkeit wird dabei durch Ärzte erbracht, die ihre Leistungen im eigenen
Namen und auf eigene Rechnung erbringen und abrechnen. Die Beigeladene ist
demgegenüber hoheitlich tätig.
2 Im Zusammenhang mit einer Umstrukturierung des Notdienstes aus arbeitsrechtlichen
und tarifvertraglichen Gründen gründete die Beigeladene die Klägerin.
Unternehmensgegenstand der Klägerin ist die Erfüllung von Aufgaben, die der
Beigeladenen nach dem SGB V obliegen. Die Klägerin war auf privatrechtlicher
Grundlage für die Beigeladene tätig.
3 Die Tätigkeit der Klägerin beschränkte sich dabei darauf, das nicht-ärztliche Personal
wie medizinische Fachangestellte und Arzthelfer einzustellen und der Beigeladenen
zum Einsatz in den BDP zu überlassen. Die Arbeiten des überlassenen Personals
betrafen die Abwicklung organisatorischer Aufgaben in den BDP wie auch
untergeordnete Heilbehandlungsmaßnahmen. Die Klägerin berechnete die
Aufwendungen für Löhne und Sozialversicherungsbeiträge des überlassenen
Personals an die Beigeladene weiter, die diese Kosten über ein Umlageverfahren
finanzierte.
4 Wegen fehlender Steuererklärungen erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt --FA--) für die Streitjahre 2008 und 2009 Schätzungsbescheide. Einspruch
und Klage zum Finanzgericht (FG) hatten keinen Erfolg. Nach dem in Entscheidungen
der Finanzgerichte (EFG) 2015, 683 veröffentlichten Urteil erbrachte die Klägerin an die
Beigeladene Leistungen gegen Entgelt, die mangels Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2
des Umsatzsteuergesetzes (UStG) auch steuerbar waren. Die Begründung einer
umsatzsteuerlichen Organschaft mit einem Nichtunternehmer als Organträger sei
nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG nicht möglich. Dies verstoße auch nicht gegen Art. 11 der
Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem vom
28. November 2006 (MwStSystRL). Die Leistungen der Klägerin seien auch nicht
steuerfrei.
5 Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision. Sie sei keine Unternehmerin.
Sie sei eine kostenumlegende wirtschaftliche Interessenvereinigung, die nur zum
Leistungsbezug der Kassenärztlichen Vereinigung gegründet worden sei und lediglich
deren Ressourcen verwalte. Sie erbringe nur untergeordnete Hilfstätigkeiten. Es
handele sich um sog. "in house"-Leistungen im Sinne der Richtlinie 2004/18/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung
der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und
Dienstleistungsaufträge (Richtlinie 2004/18/EG - Amtsblatt der Europäischen
Gemeinschaften 2004, L 134, S. 114). Sie handele nur gegen Kostenerstattung. Es
fehle an der Eignung, Überschüsse zu erzielen. Sie sei einzig zum Bezug von
Personalleistungen gegründet worden. Sie nehme nicht an Wertschöpfungen teil und
generiere keinen Mehrwert. Sie erbringe keine marktgängige Leistung. Sie werde nur
gegenüber ihrer Alleingesellschafterin tätig. Hilfsweise sei sie als Organgesellschaft
anzusehen. Soweit der Bundesfinanzhof (BFH) für die Organschaft eine
Unternehmereigenschaft von Organträger und Organgesellschaft verlange, sei dies mit
dem Unionsrecht nicht vereinbar. Ein Unternehmen des Organträgers müsse lediglich
als Rechtsfolge der Organschaft vorliegen. Die Regelung zur Organschaft diene nicht
der Missbrauchsbekämpfung. Die Nichtsteuerbarkeit aufgrund der Organschaft sei
systemimmanent. Die Neutralität sei nicht gewährleistet, wenn die eigene
Personalbeschaffung durch die Beigeladenen für diese steuerlich günstiger sei. Eine
richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts entsprechend den Vorgaben des
Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) sei möglich. Zumindest seien ihre
Leistungen nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL steuerfrei. Insoweit bestehe
kein Erfordernis, dass sich eine Personenmehrheit zusammenzuschließen habe.
Erfasst würden auch "Ein-Personenzusammenschlüsse". Würden
Kapitalgesellschaften mit lediglich einem Gesellschafter nicht erfasst, widerspräche
dies dem Grundsatz der Neutralität.
6 Die Klägerin beantragt,
das Urteil des FG und die Umsatzsteuerbescheide 2008 und 2009 vom 14. September
2010 i.d.F. der Einspruchsentscheidung vom 21. November 2012 aufzuheben.
7 Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
8 Die Klägerin sei Unternehmer. Auf eine Überschusserzielung komme es nicht an. Die
Voraussetzungen für eine Organschaft lägen nicht vor, da die Beigeladene nicht
Unternehmer sei. Die Leistungen seien auch nicht steuerfrei.
Entscheidungsgründe
9 II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2
der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Klägerin hat steuerbare Leistungen gegen
Entgelt erbracht. Auch unter Berücksichtigung der zum Unionsrecht ergangenen
EuGH-Rechtsprechung bildeten die Klägerin und die Beigeladene weder nach
nationalem Recht noch nach Unionsrecht eine Organschaft. Das FG hat daher zu
Recht entschieden, dass die Klägerin an die Beigeladene steuerbare Leistungen
ausgeführt hat. Die Leistungen sind auch nicht steuerfrei, sondern steuerpflichtig.
10 1. Die Klägerin hat steuerbare Leistungen gegen Entgelt i.S. von § 1 Abs. 1 Nr. 1
UStG als Unternehmer erbracht. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind
steuerbar auch die Leistungen, die gegen Gewährung von Aufwendungsersatz
erfolgen (BFH-Urteil vom 5. Dezember 2007 V R 60/05, BFHE 219, 455, BStBl II
2009, 486, unter II.1.a). Wie der EuGH im Urteil Saudaçor vom 29. Oktober 2015 C-
174/14 (EU:C:2015:733, Rz 36 ff. und 45 ff.) zudem entschieden hat, sind auch
"Zahlungen zur Deckung der Betriebskosten" Entgelt, steht eine Leistungserbringung
im öffentlichen Interesse der Steuerbarkeit nicht entgegen und kommt den
Bestimmungen der Richtlinie 2004/18/EG für die Mehrwertsteuer keine Bedeutung zu.
Hierin liegt kein Verstoß gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität, wie die
Klägerin meint. Denn bei einer Anstellung des Personals direkt bei der Beigeladenen
fehlt es an einem Umsatztatbestand nach § 1 UStG. Insoweit liegen nicht miteinander
vergleichbare Sachverhalte vor.
11 2. Die Klägerin erbrachte ihre Leistungen auch als Unternehmerin.
12 a) Die Klägerin war gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 und 3 UStG gewerblich, nachhaltig und
auch zur Einnahmeerzielung tätig. Auf eine Gewinnerzielungsabsicht kommt es nicht
an. Unerheblich ist auch, dass die Klägerin nur für die Beigeladene und damit nur für
ihre Gesellschafterin tätig war.
13 b) Als GmbH ist die Klägerin keine juristische Person des öffentlichen Rechts i.S. von
§ 2 Abs. 3 Satz 1 UStG. Sie kann auch nicht geltend machen, dass für sie gemäß
Art. 13 MwStSystRL als Einrichtung des öffentlichen Rechts das zugunsten der
öffentlichen Hand bestehende Privileg der Nichtbesteuerung anzuwenden sei.
14 aa) Nach Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 und 2 MwStSystRL gelten Staaten, Länder,
Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts nicht als
Steuerpflichtige, soweit sie die Tätigkeiten ausüben oder Umsätze bewirken, die ihnen
im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im Zusammenhang mit
diesen Tätigkeiten oder Umsätzen Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben
erheben. Falls sie solche Tätigkeiten ausüben oder Umsätze bewirken, gelten sie für
diese Tätigkeiten oder Umsätze jedoch als Steuerpflichtige, sofern eine Behandlung
als Nichtsteuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.
15 bb) Der EuGH hat es im Urteil Saudaçor (EU:C:2015:733) für möglich gehalten, dass
eine Aktiengesellschaft als Einrichtung des öffentlichen Rechts angesehen werden
kann, für die Art. 13 Abs. 1 MwStSystRL gilt. Dies erfordert aber auch nach der
Auffassung des EuGH, dass die Aktiengesellschaft "im Rahmen der öffentlichen
Gewalt handelt" (EuGH-Urteil Saudaçor, EU:2015:733, Rz 69). Hierfür müssen
Tätigkeiten vorliegen, die von den Einrichtungen des öffentlichen Rechts "im Rahmen
der ihnen eigenen rechtlichen Regelung ausgeübt werden. Nicht dazu gehören
Tätigkeiten, die sie unter den gleichen rechtlichen Bedingungen ausüben wie private
Wirtschaftsteilnehmer. Der EuGH hat auch klargestellt, dass der Gegenstand oder
der Zweck der Tätigkeit insoweit unerheblich sind und dass die Tatsache, dass die
Ausübung der in Rede stehenden Tätigkeit das Gebrauchmachen von hoheitlichen
Befugnissen umfasst, die Feststellung erlaubt, dass diese Tätigkeit einer öffentlich-
rechtlichen Regelung unterliegt" (EuGH-Urteil Saudaçor, EU:2015:733, Rz 70). Diese
Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn die hoheitlichen Befugnisse, über die eine
Aktiengesellschaft ggf. verfügt, kein Instrument sind, um die wirtschaftliche Tätigkeit
auszuüben (EuGH-Urteil Saudaçor, EU:2015:733, Rz 72).
16 cc) Im Streitfall kann der erkennende Senat offenlassen, ob und ggf. unter welchen
Voraussetzungen eine Aktiengesellschaft als Einrichtung des öffentlichen Rechts
anzusehen sein könnte. Denn selbst wenn die GmbH als derartige Einrichtung tätig
geworden wäre, übte sie ihre Tätigkeit auf privatrechtlicher, nicht aber auf öffentlich-
rechtlicher Grundlage aus. Letzteres macht auch die Klägerin nicht geltend.
17 3. Das FG hat eine zwischen der Klägerin und der Beigeladenen bestehende
Organschaft sowohl nach nationalem Recht als auch nach dem Unionsrecht
zutreffend verneint.
18 a) Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG wird die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit
nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der
tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das
Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist (Organschaft).
19 aa) In Bezug auf das Erfordernis einer Eingliederung in das Unternehmen des
Organträgers hat der BFH bereits entschieden, dass eine juristische Person des
öffentlichen Rechts Organträger sein kann, wenn und soweit sie unternehmerisch
tätig ist (BFH-Urteil vom 9. Oktober 2002 V R 64/99, BFHE 200, 119, BStBl II 2003,
375). Die Unternehmereigenschaft des Organträgers gehört danach entgegen der
Auffassung der Klägerin zu den Voraussetzungen, nicht aber zu den Rechtsfolgen der
Organschaft.
20 Nach dieser Rechtsprechung entspricht der Unternehmerbegriff des § 2 Abs. 2 Nr. 2
UStG dem des § 2 Abs. 1 UStG und dem Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit in
Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL. Ebenso wie bei § 15 Abs. 1 Satz 1 UStG handelt es sich
um den Tätigkeitsbereich, in dem der Unternehmer nachhaltig Leistungen gegen
Entgelt erbringt (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 9. Februar 2012 V R 40/10, BFHE 236, 258,
BStBl II 2012, 844, unter II.1.b zu § 15 Abs. 1 Satz 1 UStG). Hieran fehlt es z.B. bei
einer hoheitlichen Tätigkeit, bei der entweder keine entgeltlichen Leistungen erbracht
werden oder es aber zumindest an einem wettbewerbsrelevanten Verhalten fehlt (vgl.
z.B. BFH-Urteil vom 13. Februar 2014 V R 5/13, BFHE 245, 92, unter II.1.a, m.w.N.).
21 Dass der Unternehmensbegriff des § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG unter Berücksichtigung
des EuGH-Urteils VNLTO vom 12. Februar 2009 C-515/07 (EU:C:2009:88) ggf.
abweichend auszulegen sein könnte (vgl. BFH-Beschluss vom 16. Juni 2015
XI R 15/13, BFHE 250, 276, BStBl II 2015, 865) ist für die Auslegung von § 2 Abs. 1
und Abs. 2 Nr. 2 UStG sowie von § 15 Abs. 1 Satz 1 UStG ohne Bedeutung.
22 bb) Auf der Grundlage der bisherigen BFH-Rechtsprechung, an der der erkennende
Senat festhält, besteht im Streitfall keine Organschaft zwischen der Klägerin und der
Beigeladenen, da die Beigeladene nach den im Revisionsverfahren nicht
angegriffenen und für den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2
FGO) eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist, die keine unternehmerische
Tätigkeit i.S. von § 2 UStG (Art. 9 und 13 MwStSystRL) ausübte.
23 b) Eine weitergehende Organschaft als nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG ergibt sich auch
nicht aus dem Unionsrecht.
24 aa) Nach Art. 11 MwStSystRL kann jeder Mitgliedstaat in seinem Gebiet ansässige
Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle,
wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind,
zusammen als einen Steuerpflichtigen behandeln. Zudem können die Mitgliedstaaten
die erforderlichen Maßnahmen treffen, um Steuerhinterziehungen oder -umgehungen
durch die Anwendung dieser Bestimmung vorzubeugen.
25 bb) Der Steuerpflichtige kann sich gegenüber dem nationalen Recht zwar nicht auf
Art. 11 MwStSystRL berufen. Diese Bestimmung ist aber gleichwohl bei der
Auslegung des nationalen Rechts zu berücksichtigen.
26 (1) Wie der EuGH zu Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie des Rates
vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten
über die Umsatzsteuern 77/388/EWG bereits ausdrücklich entschieden hat, erfüllt
diese Bestimmung "nicht die Voraussetzungen, um unmittelbare Wirkung zu
entfalten", sondern hat nur "bedingten Charakter". Dies beruht darauf, dass die in
dieser Bestimmung vorgesehene enge Verbindung in finanzieller, wirtschaftlicher und
organisatorischer Hinsicht einer "Präzisierung auf nationaler Ebene" bedarf und die
"Anwendung nationaler Rechtsvorschriften voraussetzt, die den konkreten Umfang
dieser Verbindungen bestimmen" (EuGH-Urteil Larentia + Minerva und Marenave
Schiffahrt vom 16. Juli 2015 C-108/14, C-109/14, EU:C:2015:496, Rz 50 f.). Dies gilt
auch für Art. 11 MwStSystRL.
27 (2) Bei der Auslegung des nationalen Rechts ist zu berücksichtigen, dass die
Mitgliedstaaten, die die Ermächtigung nach Art. 11 MwStSystRL ausüben, die danach
vorgesehene Zusammenfassung zu einem Steuerpflichtigen grundsätzlich nicht von
weiteren als den dort genannten Voraussetzungen abhängig machen dürfen, so dass
Wirtschaftsteilnehmern keine weiteren Bedingungen für die Bildung einer
Mehrwertsteuergruppe aufgebürdet werden dürfen (EuGH-Urteil Larentia + Minerva
und Marenave Schiffahrt, EU:C:2015:496, Rz 36 und 38).
28 (3) Im Hinblick auf das Erfordernis einer Unternehmereigenschaft der an der
Zusammenfassung beteiligten Personen hat der EuGH in einem gegen Irland
gerichteten Vertragsverletzungsverfahren entschieden, dass "die Kommission nicht
dargetan [hat], dass die Ziele von Art. 11 der Mehrwertsteuerrichtlinie für eine
Auslegung sprechen, wonach nichtsteuerpflichtige Personen nicht in eine
Mehrwertsteuergruppe einbezogen werden können" (EuGH-Urteil Kommission/Irland
vom 9. April 2013 C-85/11, EU:C:2013:217, Rz 50). Der EuGH begründet dies damit,
dass diese Regelung bezweckt, "die Eigenschaft des Steuerpflichtigen nicht
systematisch an das Merkmal der rein rechtlichen Selbständigkeit zu knüpfen, und
zwar aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung oder um bestimmte Missbräuche
zu verhindern wie z.B. die Aufspaltung eines Unternehmens zwischen mehreren
Steuerpflichtigen, um in den Genuss einer Sonderregelung zu gelangen" (EuGH-Urteil
Kommission/Irland, EU:C:2013:217, Rz 47). Dabei geht der EuGH davon aus, dass
die "Möglichkeit für die Mitgliedstaaten, eine Gruppe von Personen, die eine oder
mehrere Personen umfasst, die unter Umständen einzeln nicht die Eigenschaft des
Steuerpflichtigen haben, als einen Steuerpflichtigen zu behandeln, diesen Zielen
jedoch offenkundig nicht zuwider[läuft]." Es könne nicht ausgeschlossen werden,
dass "die Anwesenheit von solchen Personen in einer Mehrwertsteuergruppe zu einer
Verwaltungsvereinfachung sowohl für diese Gruppe als auch für die Steuerverwaltung
beiträgt und die Verhinderung bestimmter Missbräuche ermöglicht, wobei die
Anwesenheit sogar unabdingbar für diese Zwecke sein kann, wenn sie allein die
engen Beziehungen herstellt, die auf finanzieller, wirtschaftlicher und
organisatorischer Ebene zwischen den diese Gruppe bildenden Personen bestehen
müssen, damit sie zusammen als ein Steuerpflichtiger behandelt werden" (EuGH-
Urteil Kommission/Irland, EU:C:2013:217, Rz 48).
29 Sollte die Einbeziehung von Nichtsteuerpflichtigen "zu Missbräuchen führen können",
seien die Mitgliedstaaten aber zur Schaffung von Sondermaßnahmen berechtigt
(EuGH-Urteil Kommission/Irland, EU:C:2013:217, Rz 49). Insoweit hat das nationale
Gericht zu prüfen, ob sich Voraussetzungen des nationalen Rechts, die sich nicht aus
Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL ergeben, deshalb mit dem Unionsrecht vereinbar sind,
weil es sich um eine für die Ziele der Verhinderung missbräuchlicher Praktiken oder
Verhaltensweisen und der Vermeidung von Steuerhinterziehung oder -umgehung
erforderliche und geeignete Maßnahme handelt (EuGH-Urteil Larentia + Minerva und
Marenave Schiffahrt, EU:C:2015:496, Rz 43).
30 cc) Für das sich aus dem nationalen Recht ergebende Erfordernis einer eigenen
Unternehmereigenschaft des Organträgers besteht danach eine hinreichende
Grundlage im Unionsrecht. Zwar geht diese Bedingung über die in Art. 11 Abs. 1
MwStSystRL ausdrücklich genannten Voraussetzungen hinaus. Das Erfordernis der
Unternehmereigenschaft des Organträgers ist aber im nationalen Kontext zur
Verhinderung missbräuchlicher Praktiken oder Verhaltensweisen erforderlich wie
auch geeignet.
31 (1) Die Feststellung einer missbräuchlichen Praxis erfordert zum einen, dass die
fraglichen Umsätze trotz formaler Anwendung der Bedingungen der einschlägigen
Bestimmungen der Richtlinie und des zu ihrer Umsetzung erlassenen nationalen
Rechts einen Steuervorteil ergeben, der dem mit diesen Bestimmungen verfolgten
Ziel zuwiderlaufen würde. Zum anderen muss auch aus einer Reihe objektiver
Anhaltspunkte ersichtlich sein, dass mit den fraglichen Umsätzen im Wesentlichen
ein Steuervorteil bezweckt wird (vgl. EuGH-Urteil Halifax vom 21. Februar 2006 C-
255/02, EU:C:2006:121, Leitsatz 2).
32 (2) Art. 11 MwStSystRL fasst mehrere Personen zu einem Steuerpflichtigen
zusammen, um "die Eigenschaft des Steuerpflichtigen nicht systematisch an das
Merkmal der rein rechtlichen Selbständigkeit zu knüpfen" (EuGH-Urteile Larentia +
Minerva und Marenave Schiffahrt, EU:C:2015:496, Rz 40, und Kommission/Irland,
EU:C:2013:217, Rz 47).
33 Das dient dazu, "bestimmte Missbräuche zu verhindern wie z.B. die Aufspaltung
eines Unternehmens zwischen mehreren Steuerpflichtigen, um in den Genuss einer
Sonderregelung zu gelangen" (EuGH-Urteile Larentia + Minerva und Marenave
Schiffahrt, EU:C:2015:496, Rz 40, und Kommission/Irland, EU:C:2013:217, Rz 47).
Ebenso wie die bloße Aufspaltung kann aber auch die Zusammenfassung zu einem
Steuerpflichtigen für sich genommen als missbräuchlich anzusehen sein, wenn die
Zusammenfassung nicht bloßen Vereinfachungscharakter hat, sondern dazu dient, "in
den Genuss einer Sonderregelung zu gelangen", die darin besteht, dass --wie bei den
Leistungen zwischen unterschiedlichen Betriebsabteilungen eines
Einheitsunternehmens-- Innenleistungen zwischen den organschaftlich
zusammengefassten Unternehmen nicht steuerbar sind (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2
und 3 UStG), so dass Innenleistungen für nichtunternehmerische Zwecke
nichtsteuerbar erbracht werden können und das Entstehen einer nach § 15 UStG
nicht abziehbaren Vorsteuer vermieden wird.
34 Die Unternehmereigenschaft des Organträgers verhindert das Entstehen derartiger
Vorteile. Aus diesem Grund verlangt das nationale Recht auch eine
Unternehmerstellung der Organgesellschaft, wie sich daraus ergibt, dass § 2 Abs. 2
Nr. 2 UStG eine Regelung zur Selbständigkeit gewerblicher oder beruflicher
Tätigkeiten ist.
35 Die Beschränkung der Organschaft auf Unternehmer bewirkt somit, dass die
Organschaft nicht entgegen ihrem Vereinfachungszweck als reines steuerrechtliches
Gestaltungsinstrument zur Vermeidung nichtabziehbarer Vorsteuerbeträge in
Anspruch genommen werden kann (vgl. hierzu z.B. Grune/Mönckedieck,
Umsatzsteuer-Rundschau 2012, 541; Heintzen, Deutsches Steuerrecht --DStR--
1999, 1799; Leonard, DStR 2010, 721).
36 (3) Zu berücksichtigen ist schließlich auch, dass keinerlei Umstände ersichtlich sind,
die es entsprechend dem Vereinfachungszweck von Art. 11 MwStSystRL
rechtfertigen könnten, einen Unternehmer und einen Nichtunternehmer für Zwecke
der Umsatzsteuer zu einer Person zusammenzufassen. Soweit der EuGH meint,
dass Nichtunternehmer zur Schaffung der Verbindungsvoraussetzungen in die
Zusammenfassung zu einem Steuerpflichtigen einzubeziehen seien, versteht dies der
erkennende Senat dahingehend, dass z.B. die finanzielle Eingliederung einer Enkel- in
eine Muttergesellschaft auch über eine nichtunternehmerisch tätige
Tochtergesellschaft erfolgen kann. Dabei ist die Tochtergesellschaft allerdings nicht in
den Organkreis einzubeziehen. Der Senat kann daher offenlassen, wie eine
wirtschaftliche Verbindung oder Eingliederung zwischen einem Unternehmer und
einem Nichtunternehmer begründet werden könnte.
37 4. Die Leistungen sind auch nicht nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL
steuerfrei. Diese Bestimmung setzt bereits nach ihrem Wortlaut einen
Zusammenschluss mehrerer Personen voraus und ist einer erweiternden Auslegung
nicht zugänglich. Demgegenüber erbringt die Klägerin ihre Leistungen nur an die
Beigeladene als ihren Alleingesellschafter.
38 Gegenteiliges ergibt sich entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht aus dem
EuGH-Urteil Stichting vom 15. Juni 1989 Rs. 348/87 (EU:C:1989:246). Denn der
EuGH hat in diesem Urteil die Steuerfreiheit als "Zusammenschluss" unter
ausdrücklicher Bezugnahme auf den Wortlaut des Befreiungstatbestandes abgelehnt.
Dass der EuGH sich dabei darauf bezog, dass eine Stiftung Leistungen für eine
andere Stiftung erbrachte, ohne dass die eine Stiftung Mitglied der anderen war
(EuGH-Urteil Stichting in EU:C:1989:246, Rz 14), reicht für die Begründung der
Steuerfreiheit nicht aus. Denn eine derartige Mitgliedschaft ist nur eine von mehreren
Bedingungen der Steuerfreiheit. Im Streitfall fehlt es dabei am Erfordernis eines
Zusammenschlusses und damit an einer anderen Voraussetzung der Steuerfreiheit
als im EuGH-Urteil Stichting in EU:C:1989:246.
39 Soweit sich die Klägerin schließlich auch hier auf den Grundsatz der steuerlichen
Neutralität beruft, berücksichtigt sie nicht hinreichend, dass dieser Grundsatz keine
Regel des Primärrechts der Union, sondern ein bloßer Auslegungsgrundsatz ist, der
es nicht erlaubt, den Anwendungsbereich einer eindeutigen Bestimmung der Richtlinie
auszuweiten (EuGH-Urteil Malburg vom 13. März 2014 C-204/13, EU:C:2014:147,
Rz 43).
40 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.