Urteil des BFH vom 15.04.2015

Vorsteuerabzug aus der Rechnung des Insolvenzverwalters

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 15.4.2015, V R 44/14
Vorsteuerabzug aus der Rechnung des Insolvenzverwalters
Leitsätze
Dient ein Insolvenzverfahren sowohl der Befriedigung von Verbindlichkeiten des --zum
Vorsteuerabzug berechtigten-- Unternehmens wie auch der Befriedigung von
Privatverbindlichkeiten des Unternehmers, ist der Unternehmer aus der Leistung des
Insolvenzverwalters grundsätzlich im Verhältnis der unternehmerischen zu den privaten
Verbindlichkeiten, die im Insolvenzverfahren jeweils als Insolvenzforderungen geltend gemacht
werden, zum anteiligen Vorsteuerabzug berechtigt.
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 23. Juli
2014 2 K 698/14 aufgehoben.
Die Sache wird an das Sächsische Finanzgericht zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.
Tatbestand
1 I. Das zuständige Insolvenzgericht bestellte mit Beschluss vom 27. Mai 2008 den Kläger
und Revisionskläger (Kläger) zum Insolvenzverwalter in dem Insolvenzverfahren der
Frau H, die als Unternehmerin Umsätze mit Recht auf Vorsteuerabzug ausgeführt hatte.
Frau H beendete ihre unternehmerische Tätigkeit noch vor der Insolvenzeröffnung. Der
Kläger übernahm Abwicklungstätigkeiten und erklärte gegenüber dem Beklagten und
Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) eine Insolvenzanfechtung und traf eine
Anfechtungsvereinbarung. Aus Verwertungsmaßnahmen erzielte der Kläger Einnahmen in
Höhe von 38.121,77 EUR.
2 Der Kläger erteilte für seine Tätigkeit als Insolvenzverwalter eine Rechnung vom 10. April
2013 mit einem gesonderten Steuerausweis über 2.713,84 EUR. Mit der
Umsatzsteuerjahreserklärung 2013 vom 24. Juni 2013 machte der Kläger für die Masse
den Vorsteuerabzug und damit eine sich hieraus ergebende Vergütung in gleicher Höhe
geltend. Demgegenüber setzte das FA für das Streitjahr 2013 nur eine Vergütung von
1.859,80 EUR fest. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
3 Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte
(EFG) 2015, 169 veröffentlichten Urteil überwiegend statt. Der Anspruch auf
Vorsteuerabzug bestehe insoweit, als ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang
zwischen der Eingangsleistung und der wirtschaftlichen Tätigkeit bestehe. In Bezug auf die
wirtschaftliche Tätigkeit seien nicht nur die angemeldeten Insolvenzforderungen von
229.653,80 EUR, sondern auch die Einnahmen aus der Verwertung in Höhe von
38.121,77 EUR und damit ein Gesamtbetrag von 267.775,57 EUR zu berücksichtigen. Der
Anteil, der auf die Verwaltung privater Schulden und Zahlungen entfalle, belaufe sich auf
22.360,19 EUR und damit auf nur 8,35 %. In Bezug auf den geltend gemachten
Vorsteuerbetrag von 2.713,84 EUR sei der Vorsteuerabzug daher in Höhe von
2.487,23 EUR anzuerkennen.
4 Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision. Seine Tätigkeit als
Insolvenzverwalter sei insgesamt der unternehmerischen Tätigkeit der Schuldnerin
zuzuordnen. Er habe entsprechend seinem gesetzlichen Auftrag im Rahmen der
Unternehmensabwicklung das Vermögen der Schuldnerin verwertet und den Erlös verteilt.
Die Gemeinschuldnerin habe über kein privates Vermögen verfügt. Die Schulden hätten
ausschließlich den unternehmerischen Bereich betroffen. Eine Vorsteueraufteilung sei
daher nicht vorzunehmen. Selbst wenn diese erforderlich wäre, sei davon auszugehen,
dass die Schuldnerin nur über betriebliche Verbindlichkeiten verfügt habe. In Bezug auf die
wieder aufgelebten Verbindlichkeiten aus der Insolvenzanfechtung sei bereits fraglich, ob
Einkommensteuerschulden, die auf gewerblichen Einkünften beruhen, nicht als
unternehmerische Schuld anzusehen seien.
5 Der Kläger beantragt,
das Urteil des FG und die Einspruchsentscheidung vom 16. April 2014 aufzuheben und die
Umsatzsteuer 2013 unter Abänderung des Umsatzsteuerbescheides 2013 vom 23. August
2013 auf ./. 2.713,84 EUR herabzusetzen.
6 Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
7 Das Insolvenzverfahren diene nach § 1 der Insolvenzordnung (InsO) dazu, die Gläubiger
gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der
Erlös verteilt werde. Die Leistung des Insolvenzverwalters habe sich auch auf den
nichtunternehmerischen Bereich des Schuldners bezogen.
Entscheidungsgründe
8 II. Die Revision des Klägers ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die
Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung --FGO--). Wie das FG zutreffend entschieden hat, ist eine
Vorsteueraufteilung vorzunehmen. Entgegen dem Urteil des FG hat diese aber
ausschließlich auf der Grundlage der im Insolvenzverfahren angemeldeten
Insolvenzforderungen zu erfolgen. Hierzu sind weitere Feststellungen erforderlich.
9 1. Der Unternehmer und damit im Streitfall der Gemeinschuldner ist nach § 15 des
Umsatzsteuergesetzes (UStG) zum Vorsteuerabzug berechtigt, soweit er
Eingangsleistungen für Zwecke seines Unternehmens und damit für seine wirtschaftliche
Tätigkeit bezieht.
10 a) Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG kann der Unternehmer die gesetzlich geschuldete
Steuer für Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen
ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen. Ausgeschlossen ist der Vorsteuerabzug
nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG für Leistungen, die der Unternehmer für steuerfreie
Umsätze verwendet. Diese Vorschriften beruhen unionsrechtlich auf Art. 168 Buchst. a
der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem
(MwStSystRL). Danach ist der Steuerpflichtige, der "Gegenstände und Dienstleistungen
für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet", zum Vorsteuerabzug berechtigt.
Hierfür muss ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen Eingangs- und
Ausgangsleistung bestehen. Bei richtlinienkonformer Auslegung setzt § 15 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 UStG somit voraus, dass der Unternehmer Leistungen für sein Unternehmen (§ 2
Abs. 1 UStG, Art. 9 MwStSystRL) und damit für seine wirtschaftlichen Tätigkeiten zur
Erbringung entgeltlicher Leistungen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG, Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c
MwStSystRL) zu verwenden beabsichtigt. Die Ausgangsleistungen des Unternehmers
müssen zudem steuerpflichtig oder in § 15 Abs. 3 UStG (Art. 169 MwStSystRL) benannt
sein (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom
9. Februar 2012 V R 40/10, BFHE 236, 258, BStBl II 2012, 844, Rz 19 f., m.w.N. zur
Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union --EuGH--).
11 b) Beabsichtigt der Unternehmer eine von ihm bezogene Leistung zugleich für seine
wirtschaftliche und seine nichtwirtschaftliche Tätigkeit zu verwenden, kann er den
Vorsteuerabzug grundsätzlich nur insoweit in Anspruch nehmen, als die Aufwendungen
hierfür seiner wirtschaftlichen Tätigkeit zuzurechnen sind. Beabsichtigt der Unternehmer
daher eine teilweise Verwendung für eine nichtwirtschaftliche Tätigkeit, ist er insoweit
nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt. Bei der dann erforderlichen Vorsteueraufteilung für
Leistungsbezüge, die einer wirtschaftlichen und einer nichtwirtschaftlichen Tätigkeit des
Unternehmers dienen, ist § 15 Abs. 4 UStG analog anzuwenden (ständige
Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 236, 258, BStBl II 2012, 844, Rz 25).
12 2. Dient ein Insolvenzverfahren sowohl der Befriedigung von Verbindlichkeiten des --zum
Vorsteuerabzug berechtigten-- Unternehmers wie auch der Befriedigung von
Privatverbindlichkeiten des Unternehmers, ist der Unternehmer aus der Leistung des
Insolvenzverwalters nur im Verhältnis der unternehmerischen zu den privaten
Verbindlichkeiten, die im Insolvenzverfahren jeweils als Insolvenzforderungen geltend
gemacht werden, zum anteiligen Vorsteuerabzug berechtigt.
13 a) Nach § 15 Abs. 4 Satz 1 bis 3 UStG ist, wenn der Unternehmer eine von ihm in
Anspruch genommene sonstige Leistung nur zum Teil zur Ausführung von Umsätzen
verwendet, die den Vorsteuerabzug ausschließen, der Teil der jeweiligen
Vorsteuerbeträge nicht abziehbar, der den zum Ausschluss vom Vorsteuerabzug
führenden Umsätzen wirtschaftlich zuzurechnen ist. Der Unternehmer kann die nicht
abziehbaren Teilbeträge im Wege einer sachgerechten Schätzung ermitteln. Eine
Ermittlung des nicht abziehbaren Teils der Vorsteuerbeträge nach dem Verhältnis der
Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, zu den Umsätzen, die zum
Vorsteuerabzug berechtigen, ist nur zulässig, wenn keine andere wirtschaftliche
Zurechnung möglich ist.
14 b) Die Leistungen des Insolvenzverwalters stehen im direkten und unmittelbaren
Zusammenhang mit den im Insolvenzverfahren angemeldeten Insolvenzforderungen.
15 aa) Der für ein Insolvenzverfahren (§ 1 InsO) bestellte Insolvenzverwalter erbringt seine
Leistung aufgrund staatlicher Bestellung (§ 27 InsO) an den Gemeinschuldner, über
dessen Vermögen das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren eröffnet. Das
Insolvenzverfahren bezieht sich dabei auf das gesamte Vermögen des Schuldners,
dessen Verwertung zu einer gemeinschaftlichen Befriedigung der Schuldner führen soll
(§ 1 InsO). Handelt es sich bei dem Gemeinschuldner, wie im Streitfall, um eine natürliche
Person, die als Unternehmer tätig war, kann das Insolvenzverfahren daher gleichermaßen
der Befriedigung unternehmerischer wie auch privater Verbindlichkeiten dienen.
16 bb) Die Leistung, die der Insolvenzverwalter gegen Entgelt an den Gemeinschuldner
erbringt, ist eine einheitliche Leistung, die gleichermaßen durch die Verwaltung,
Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse des Gemeinschuldners (vgl. § 55 Abs. 1
Nr. 1 InsO) der Befriedigung der Insolvenzgläubiger dient. Die Einheitlichkeit dieser
Leistung ergibt sich dabei zum einen aus der für den Insolvenzverwalter fehlenden
Möglichkeit, seine Tätigkeit auf einzelne Aufgabenbereiche zu beschränken (vgl. z.B. zur
Einheitlichkeit der Leistung eines Vermögensverwalters EuGH-Urteil Deutsche Bank vom
19. Juli 2012 C-44/11, ECLI:EU:C:2012:484, BStBl II 2012, 945, Umsatzsteuer-
Rundschau 2012, 667, Rz 20 ff., und BFH-Urteil vom 11. Oktober 2012 V R 9/10, BFHE
238, 570, BStBl II 2014, 279, Rz 21 f.). Zum anderen spricht für die Einheitlichkeit auch die
Vergütung, die der Insolvenzverwalter für seine insgesamt ausgeübte Tätigkeit erhält
(§§ 63 ff. InsO i.V.m. §§ 1 ff. der Insolvenzrechtlichen Vergütungsordnung --InsVV--). Dass
einzelne Tätigkeiten des Insolvenzverwalters zu besonderen Zu- und Abschlägen nach
§ 3 InsVV führen können, begründet nicht das Vorliegen umsatzsteuerrechtlich
selbständiger Leistungen.
17 cc) Bezieht sich die einheitliche Leistung des Insolvenzverwalters auf die Gesamtheit der
im Insolvenzverfahren angemeldeten Forderungen der Insolvenzgläubiger, besteht der für
den Vorsteuerabzug maßgebliche direkte und unmittelbare Zusammenhang zu der
Gesamtheit dieser Insolvenzforderungen. Eine Berücksichtigung einzelner
Verwertungshandlungen des Insolvenzverwalters kommt demgegenüber nicht in Betracht.
18 c) Bezieht der --zum Vorsteuerabzug berechtigte-- Unternehmer, der eine natürliche
Person ist, als Gemeinschuldner die Leistung des Insolvenzverwalters sowohl für die
Befriedigung seiner unternehmerischen Verbindlichkeiten wie auch für die Befriedigung
seiner Privatverbindlichkeiten, ist eine Vorsteueraufteilung entsprechend § 15 Abs. 4
UStG vorzunehmen (s. oben II.1.b).
19 Die wirtschaftliche Zurechnung i.S. von § 15 Abs. 4 Satz 1 UStG, die unionsrechtlich auf
Art. 173 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. c MwStSystRL beruht (BFH-Urteil vom 7. Mai 2014
V R 1/10, BFHE 245, 416, Rz 19), erfordert dabei eine Vorsteueraufteilung nach dem
Verhältnis der unternehmerisch begründeten Verbindlichkeiten zu den
Privatverbindlichkeiten, wobei jeweils auf die im Insolvenzverfahren angemeldeten
Insolvenzforderungen abzustellen ist.
20 Ob und unter welchen Voraussetzungen der Unternehmer durch eine andersartige
sachgerechte Schätzung nach § 15 Abs. 4 Satz 2 UStG aufteilen kann, ist im Streitfall
ebenso wenig zu entscheiden wie über die Frage, ob es im Fall einer
Unternehmensfortführung durch den Insolvenzverwalter zu einer Vorsteueraufteilung nach
Maßgabe der fortgesetzten unternehmerischen Tätigkeit unter Vernachlässigung --einer
nur teilweisen unternehmerischen Begründung-- von Insolvenzforderungen kommen
könnte.
21 3. Auf die Vorlagefragen des XI. Senats des BFH in seinen Beschlüssen vom
11. Dezember 2013 XI R 17/11 (BFHE 244, 79, BStBl II 2014, 417) und XI R 38/12 (BFHE
244, 94, BStBl II 2014, 428, Az. des EuGH: C-108/14 und C-109/14) kommt es nicht an, da
diese Rechtssachen die Besonderheiten der Vorsteueraufteilung bei
Holdinggesellschaften betreffen.
22 4. Nach diesen Maßstäben ist das Urteil des FG aufzuheben, da es die sich aus dem
Begriff der wirtschaftlichen Zurechnung i.S. von § 15 Abs. 4 Satz 1 UStG ergebenden
Aufteilungsgrundsätze nicht hinreichend berücksichtigt hat. Auf die Frage der Bindung an
eine bestimmte Schätzungsmethode kommt es daher nicht an.
23 5. Die Sache ist nicht spruchreif.
24 Im zweiten Rechtsgang sind nähere Feststellungen zum unternehmerischen oder privaten
Charakter der im Insolvenzverfahren angemeldeten Insolvenzforderungen zu treffen, wie
sie sich aus dem vom FG in Bezug genommenen Schlussbericht des Klägers über das
Insolvenzverfahren vom 7. August 2012 ergeben. Dabei ist für die im Verfahren
angemeldeten Insolvenzforderungen einzeln zu entscheiden, ob diese dem
unternehmerischen oder privaten Bereich zuzuordnen sind. Bei dieser Abgrenzung kann
sich das FG daran orientieren, ob Kosten zur Abwehr zu Unrecht geltend gemachter
Insolvenzforderungen zum Vorsteuerabzug berechtigen würden.
25 Der vom Kläger vorrangig geltend gemachte Anspruch auf vollen Vorsteuerabzug --ohne
Vorsteueraufteilung-- besteht nur, wenn alle im Insolvenzverfahren angemeldeten
Forderungen dem Unternehmensbereich der Frau H zuzuordnen wären.
26 6. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.