Urteil des BFH vom 30.06.2011

Stadtrundfahrten unterliegen dem ermäßigten Steuersatz - Aufteilung eines einheitlichen Entgelts auf mehrere selbständige Leistungen - Bandansage während einer Stadtrundfahrt als Nebenleistung - Nichtigkeit eines Verwaltungsakts

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 30.6.2011, V R 44/10
Stadtrundfahrten unterliegen dem ermäßigten Steuersatz - Aufteilung eines einheitlichen
Entgelts auf mehrere selbständige Leistungen - Bandansage während einer Stadtrundfahrt als
Nebenleistung - Nichtigkeit eines Verwaltungsakts
Leitsätze
1. Die Steuerermäßigung des § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG für die Beförderung von Personen im
genehmigten Linienverkehr ist auch dann gegeben, wenn die Beförderung --wie bei
Stadtrundfahrten-- dem Freizeit- oder Tourismusverkehr dient.
2. Wurde dem Betreiber von Stadtrundfahrten von der zuständigen Verwaltungsbehörde eine
straßenverkehrsrechtliche Genehmigung als Linienverkehr nach den §§ 42 oder 43 PersBefG
erteilt, ist diese auch von den Finanzbehörden zu beachten, solange sie nicht nichtig ist.
3. Umfasst das Beförderungsentgelt für eine Stadtrundfahrt auch Entgelte für die Teilnahme an
Führungen zu Sehenswürdigkeiten, handelt es sich um zwei selbständige Leistungen, von
denen nur die Beförderung dem ermäßigten Steuersatz unterliegt. Der auf die Führungen mit
dem Regelsteuersatz zu besteuernde Anteil ist ggf. im Schätzungswege zu ermitteln.
Tatbestand
1 I. Streitig ist, ob die von der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) ausgeführten
Stadtrundfahrten im Streitjahr 2007 dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterliegen.
2 Die Klägerin nimmt für Touristen mit Kraftomnibussen Stadtrundfahrten in X und
Umgebung vor. Sie bedient vier Linien.
3 Die Linie 1 führt vom Ausgangspunkt über 22 Haltestellen zurück. Die Fahrgäste können
an den Haltestellen ein- und aussteigen und ggf. einen späteren Bus zur Weiterfahrt
nutzen. Der Fahrgast erhält über Bandansage Informationen zu den Sehenswürdigkeiten,
die an der Fahrstrecke gelegen sind. Die Klägerin erhob im Streitjahr 2007 für die
Gesamtfahrt auf der Linie 1 ein Entgelt von 18 EUR, das auch zur Teilnahme an
Führungen berechtigt. Das Angebot, an geführten Besichtigungen teilzunehmen, nahmen
nur ca. 14 % der Fahrgäste wahr. Abendfahrten in der Zeit von 18:00 Uhr bis 22:00 Uhr,
die ohne Führungen angeboten werden, kosteten 12 EUR.
4 Der Linienverkehr der Linie 1 ist durch das Regierungspräsidium mit Bescheid vom 14.
Juli 2006 nach § 42 des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) genehmigt worden. Die
Genehmigung legt die Haltestellen, die Abfahrzeiten und das Entgelt (für die Gesamtfahrt
18 EUR, für eine Teilstrecke 3 EUR) fest.
5 Die Genehmigungen der Linien 2 bis 4 (vom 9. November 2001 und am 17. Januar 2005
für die Linie 2, sowie vom 5. April 2001 für die Linien 3 und 4) beruhen auf § 43 PBefG.
Sie bestimmen zwar die Linienführung, enthalten aber keine Vorschriften zu
Beförderungsentgelten oder einen Fahrplan. Im Laufe des Jahres 2008 wurden vom
Regierungspräsidium für diese Linien neue Genehmigungen auf der Grundlage des § 42
PBefG erteilt und neben der Fahrstrecke auch Abfahrzeiten und Entgelte vorgeschrieben.
Die von der Klägerin im Jahre 2007 erhobenen Entgelte entsprechen der Höhe nach den
in der Genehmigung im Jahr 2008 erwähnten Entgelten.
6 In ihren monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen für 2007 erklärte die Klägerin die
Umsätze aus den Stadtrundfahrten mit dem ermäßigten Steuersatz. Im Anschluss an eine
Umsatzsteuersonderprüfung vertrat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --
FA--) die Auffassung, die streitigen Umsätze unterlägen der Regelbesteuerung und erließ
entsprechend geänderte Vorauszahlungsbescheide. Während des Einspruchsverfahrens,
am 23. Juni 2009, erging der Umsatzsteuerjahresbescheid für 2007, der in der Fassung
der Einspruchsentscheidung vom 28. September 2009 von Beförderungsentgelten in
Höhe von 3.288.834 EUR ausgeht und die Umsatzsteuer nach dem Regelsteuersatz von
19 % auf 399.300 EUR festsetzt.
7 Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit der Begründung statt, die Klägerin habe eine
einheitlich als Personenbeförderung zu beurteilende Leistung erbracht, die nach § 12
Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes 2005 (UStG) dem ermäßigten
Umsatzsteuersatz von 7 % unterliege. Auf den Zweck der Beförderung komme es für den
Begriff der Personenbeförderung nicht an. Zu Unrecht sei das FA der Auffassung, die
Leistung der Klägerin sei keine "Personenbeförderung mit Kraftfahrzeugen im
genehmigten Linienverkehr", sondern eine Leistung eigener Art, bei der es dem Kunden
auf eine Kombination aus Führungen, Museumseintritten und Beförderung ankomme,
ohne dass den einzelnen Aspekten dieser Leistung eine selbständige Bedeutung oder
gar der Beförderung die Hauptbedeutung zukomme; denn in dem Entgelt, das die
Klägerin im Streitjahr für die Beförderung erhoben habe, sei kein Eintrittsgeld für Museen
oder etwaiges Entgelt für die Teilnahme an Führungen enthalten; die Klägerin habe nur
Fahrpreise in der Höhe verlangt, wie sie in den (für die Linie 1 im Streitjahr und für die
Linien 2 bis 4 im Jahr 2008 erteilten) Genehmigungen als Linienverkehr festgelegt seien.
Der Kunde bezahle also im Wesentlichen für die Beförderung. Dass er durch die
Vorbeifahrt an Sehenswürdigkeiten, erläuternde Bandansagen und die Möglichkeit, an
Führungen teilzunehmen, Vergnügen empfinde, mache die Beförderungsfahrt nicht zu
einer anderen Leistung, da ihr Zweck unerheblich sei.
8 Mit der Revision macht das FA geltend, die Umsätze der Klägerin unterlägen dem
Regelsteuersatz, weil die durchgeführten Stadtrundfahrten keine Personenbeförderung im
Linienverkehr, sondern eine sonstige Leistung eigener Art darstellten. Dies ergebe sich
aus den Feststellungen des FG, wonach die Teilnehmer der Stadtrundfahrten
überwiegend Touristen waren, während der Fahrt Bandansagen zu den
Sehenswürdigkeiten erfolgten und die Teilnahme an Führungen im Entgelt enthalten sei.
Für die Leistung der Klägerin sei das gemeinsame "Sightseeing" prägend. Es fehle
zudem an der weiteren Voraussetzung einer Beförderung im Linienverkehr, weil es sich
bei den Teilnehmern der Stadtrundfahrt nicht um einen unbestimmten Teilnehmerkreis
gemäß § 42 PBefG gehandelt habe. Zwar sei der Klägerin für die Stadtrundfahrten
tatsächlich eine Genehmigung für die Beförderung von Personen mit Kraftfahrzeugen im
Linienverkehr erteilt worden. Dies sei jedoch unerheblich, da es gemäß § 38 der
Abgabenordnung (AO) nur auf die tatsächlichen Gegebenheiten ankomme. Die
Genehmigung sei zudem nach § 44 Abs. 2 Nr.4 des Verwaltungsverfahrensgesetzes
(VwVfG) nichtig, weil die Genehmigung keine Aussage zu den Bandansagen während
der Fahrt enthielten, diese deshalb nicht genehmigt seien und sich hierdurch der
Charakter der Fahrten verändert habe. Auch handele es sich nach verwaltungsrechtlicher
Rechtsprechung bei Stadtrundfahrten nicht um Linienverkehr i.S. des § 42 PBefG,
sondern um Ausflugsverkehr und damit um Gelegenheitsverkehr i.S. des § 48 PBefG. Ein
nichtiger Verwaltungsakt binde die Finanzverwaltung nicht. Die Einbeziehung eines
Freizeit- und Tourismusverkehrs bei Stadtrundfahrten widerspreche auch dem
historischen Normzweck, aus sozialen Gründen die Fahrpreise günstig zu halten. Von der
Begünstigung seien Verkehrsmittel, die --wie die Bergbahnen-- touristischen Zwecken
dienten, jedenfalls bis zum Streitjahr 2007 ausgenommen worden. Auch die
Einbeziehung der Bergbahnen in die Begünstigung ab dem 1. Januar 2008 sei nach der
Gesetzesbegründung "aus sozialen Gründen" erfolgt.
9 Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die
Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.
10 Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
11 Sie ist der Auffassung, sie habe eine Beförderungsleistung erbracht, denn auch die
Durchführung von Stadtrundfahrten sei eine der Raumüberwindung dienende Tätigkeit.
Diese zum Beförderungsgesetz a.F. entwickelte Definition (Beförderung als
Raumüberwindung) gelte auch für das UStG fort. Der Zweck der Fahrt sei unerheblich.
Zwar habe der Gesetzgeber in § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG a.F. die Bergbahnen und
Aufstiegshilfen (Sesselbahnen und Skilifte) von der Begünstigung ausgenommen, diesen
Ausnahmetatbestand jedoch zum 1. Januar 2008 aufgehoben. Auch bei der Besteuerung
von Personen mit Schiffen sei schon vor 2008 anerkannt, dass auch die Schifffahrten im
Freizeit- und Tourismusverkehr unter den Begünstigungstatbestand fielen (FG München,
Urteil vom 19. Oktober 2005 3 K 3912/02, Entscheidungen der Finanzgerichte 2006,
456). Auch wenn der historische Wille des Gesetzgebers auf eine Begünstigung des
Nahverkehrs aus sozialen Gründen ausgerichtet gewesen sei, habe dies im
Gesetzeswortlaut keinen Ausdruck gefunden. § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG wolle vielmehr
jegliche Beförderung im Nahverkehr begünstigen, denn auch der Verkehr mit Taxen sei
begünstigt. Ebenso sei der Linienverkehr zu Flughäfen, Museen oder Spielbanken
begünstigt. Das PBefG klassifiziere eine Verkehrsleistung nicht nach dem Benutzerkreis,
sondern nach den Merkmalen der Verkehrsleistung.
12 Entgegen der Rechtsauffassung des FA liege auch keine mit dem Regelsteuersatz zu
besteuernde sonstige Leistung eigener Art vor, da die Beförderung der Leistung das
Gepräge gebe, bei der die sonstigen Bestandteile das Schicksal der Beförderung teilten
oder zumindest selbständig neben die Beförderung träten. Nach der maßgeblichen Sicht
des Durchschnittsverbrauchers seien die während der Stadtrundfahrt erfolgten
Bandansagen und auch die Führungen zu den Sehenswürdigkeiten als unselbständige
Nebenleistungen zur Beförderungsleistung zu beurteilen, die lediglich von 14 % der
Gäste genutzt würden. Wäre von selbständigen Nebenleistungen auszugehen, müssten
diese im Schätzungswege aufgeteilt werden. Die Steuerbegünstigung entfalle auch nicht,
weil die Genehmigung nach dem PBefG nichtig sei. Es handele sich hierbei um einen
Grundlagenbescheid einer Verwaltungsbehörde i.S. des § 171 Abs. 10 AO. Zudem
handele es sich --wie § 43 PBefG zeige-- auch materiell-rechtlich um Linienverkehr.
Entscheidungsgründe
13 II. Die Revision des FA führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§
126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Der Beurteilung als
Beförderungsleistung steht nicht entgegen, dass die Beförderung touristischen Zwecken
dient. Umfassten die Leistungen der Klägerin zusätzlich zur Beförderung auch die
Berechtigung zur Teilnahme an entgeltlichen Führungen, liegen zwei selbständige
Leistungen vor, von denen nur die Beförderungsleistung dem ermäßigten Steuersatz nach
§ 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG unterliegt. Die Feststellungen des FG erlauben insoweit keine
abschließende Entscheidung.
14 1. Gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG ermäßigt sich die Steuer auf sieben Prozent u.a. "für
die Beförderungen von Personen ... im genehmigten Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen,
im Kraftdroschkenverkehr ...
a) innerhalb einer Gemeinde oder
b) wenn die Beförderungsstrecke nicht mehr als fünfzig Kilometer beträgt".
15 Die Regelung beruht auf Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 i.V.m. Anhang H Kategorie
Nr. 5 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie
77/388/EWG). Danach sind die Mitgliedstaaten ermächtigt, einen ermäßigten Steuersatz
auf die "Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks" anzuwenden. Art. 12
Abs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG gibt den Mitgliedstaaten lediglich einen Rahmen vor,
den diese nicht überschreiten dürfen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der
Europäischen Union (EuGH) ist auch eine selektive Anwendung der Ermächtigung zur
Einführung eines ermäßigten Steuersatzes erlaubt (EuGH-Urteil vom 8. Mai 2003 C-
384/01, Kommission/Frankreich, Slg. 2003, I-4395 Rdnr. 27; vom 6. Mai 2010 C-94/09,
Kommission/Frankreich, BFH/NV 2010, 1401 Rdnr. 29), wenn die nationale Regelung
insoweit --wie hier mit der Beschränkung der Ermäßigung auf kurze Strecken der
Personenbeförderung-- den in der Richtlinie vorgegebenen Rahmen nicht überschreitet.
16 a) Die Klägerin hat Leistungen durch Personenbeförderung ausgeführt, weil sie Personen
mit Kraftfahrzeugen als Beförderungsmittel fortbewegt hat (vgl. z.B. Urteil des
Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 1. August 1998 V R 58/94, BFHE 181, 208, BStBl II 1997,
160, m.w.N. zum Begriff Beförderungsleistungen).
17 b) § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG erlaubt die Ermäßigung für die Beförderung von Personen "im
genehmigten Linienverkehr". Für die Auslegung der Vorschrift ist deshalb die
verkehrsrechtliche Bedeutung dieser Begriffe maßgebend (BFH-Urteil vom 26. August
1976 V R 55/73, BFHE 120, 419, BStBl II 1977, 105).
18 Nach § 2 PBefG ist genehmigungspflichtig "die Beförderung von Personen mit
Kraftfahrzeugen im Linienverkehr (§ 42 und § 43 PBefG)". Nach § 42 PBefG ist
Linienverkehr "eine zwischen bestimmten Ausgangs- und Endpunkten eingerichtete
regelmäßige Verkehrsverbindung, auf der Fahrgäste an bestimmten Haltestellen ein- und
aussteigen können". Er setzt nicht voraus, dass ein Fahrplan mit bestimmten Abfahrts-
und Ankunftszeiten besteht oder Zwischenhaltestellen eingerichtet sind. Nach § 43 PBefG
gilt als Linienverkehr "unabhängig davon, wer den Ablauf der Fahrten bestimmt, auch der
Verkehr, der unter Ausschluß anderer Fahrgäste der regelmäßigen Beförderung von
1. Berufstätigen zwischen Wohnung und Arbeitsstelle (Berufsverkehr),
2. Schülern zwischen Wohnung und Lehranstalt (Schülerfahrten),
3. Personen zum Besuch von Märkten (Marktfahrten),
4. Theaterbesuchern
dient. Die Regelmäßigkeit wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Ablauf der
Fahrten wechselnden Bedürfnissen der Beteiligten angepaßt wird".
19 aa) § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG setzt nach dem Wortlaut lediglich voraus, dass es sich um
eine Personenbeförderung im genehmigten Linienverkehr handelt und die
Beförderungsstrecke entweder innerhalb einer Gemeinde erfolgt oder eine bestimmte
Strecke nicht überschreitet. Die Regelung ergibt keinen Anhaltspunkt für die Auffassung
des FA, die Ermäßigung diene allein sozialen Zwecken und schließe daher
Beförderungen im Freizeit- und Tourismusverkehr aus. Aus der Beschränkung auf
Fahrten innerhalb einer Gemeinde und Beförderungsstrecken unter 50 km (Buchst. a und
Buchst. b), ergibt sich lediglich, dass nur der bezeichnete Nahverkehr begünstigt sein soll
(vgl. z.B. BFH-Urteil vom 19. Juli 2007 V R 68/05, BFHE 219, 224, BStBl II 2008, 208;
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Februar 1992 1 BvL 29/87, BVerfGE
85, 238); eine weitere Einschränkung in Bezug auf den "genehmigten Linienverkehr"
ergibt sich weder daraus noch --wie das FA meint-- aus der "Systematik" der in § 12 Abs.
2 UStG genannten Ermäßigungen. Insoweit genügt der Hinweis, dass die Regelung
Beförderungen im genehmigten Linienverkehr nach § 43 Nrn. 3 und 4 PBefG --
Personenbeförderungen, die "Vergnügungsziele" (z.B. Theater- oder Marktbesuche)--
zum Gegenstand haben, nicht ausschließt. Unerheblich ist daher auch, ob es sich um
eine "Rundfahrt" handelt, bei der Anfangspunkt und Endpunkt der Fahrstrecke
zusammenfallen (vgl. bereits BFH-Urteil vom 14. Dezember 1951 II 176/51 U, BFHE 56,
52, BStBl III 1952, 22).
20 bb) Auch aus dem Unionsrecht, das uneingeschränkt die Ermäßigung für (jede)
"Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks" erlaubt, ergibt sich kein
Anhaltspunkt für einen Ausschluss von "Beförderungen, die zu touristischen oder
Vergnügungszwecken" angeboten werden.
21 c) Nach den Feststellungen des FG hat die Klägerin für die streitigen
Personenbeförderungen auch Linienverkehrsgenehmigungen nach § 42 und § 43 des
PBefG erhalten.
22 Ohne Erfolg macht das FA geltend, die Genehmigungen seien rechtswidrig, weil die
Voraussetzungen für die Genehmigung nach §§ 42 und 43 PBefG nicht vorgelegen
hätten. Die materielle Bindungswirkung einer Genehmigung als Linienverkehr erstreckt
sich nicht nur auf den Unternehmer, dem die Genehmigung erteilt worden ist, sondern
auch auf andere Behörden. Dies folgt nach der übereinstimmenden Rechtsprechung aller
obersten Bundesgerichte aus dem Grundsatz der Tatbestandswirkung von
Verwaltungsakten, wonach, wenn eine Behörde durch Verwaltungsakt zu einer
verbindlichen Regelung oder Qualifikation gelangt, dieser Verwaltungsakt
Tatbestandswirkung entfaltet, solange er nicht offensichtlich rechtswidrig und daher
nichtig ist. Auch Gerichte, die nicht selbst mit der Kontrolle der betreffenden Genehmigung
im Rahmen von Klagen und Anträgen befasst sind, sind als Teil des staatlichen
Kompetenzgefüges an den Inhalt einer bestandskräftigen, formell wirksamen
Genehmigung gebunden (z.B. BFH-Urteil vom 17. Juni 2010 VI R 18/08, BFHE 230, 67,
BStBl II 2010, 1072; vom 21. Januar 2010 VI R 52/08, BFHE 228, 295, BStBl II 2010, 703;
vom 14. November 2001 X R 24/00, BFHE 197, 301, BStBl II 2002, 514; zur Bindung
einer verkehrsrechtlichen Genehmigung für andere Behörden z.B. Beschluss des
Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15. Januar 2008 11 CE 08.3037, juris).
23 d) Entgegen der Rechtsauffassung des FA sind die erteilten Genehmigungen nicht
nichtig.
24 aa) Insoweit fehlt es schon daran, dass die Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes nach § 44
Abs. 1 VwVfG (wie im Übrigen auch nach § 125 Abs. 1 AO) voraussetzt, dass er an einem
besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in
Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Ein Verwaltungsakt ist jedoch nicht
allein deswegen nichtig, weil er der gesetzlichen Grundlage entbehrt oder weil die in
Betracht kommenden Rechtsvorschriften --auch diejenigen des formellen Rechts
(Verfahrensrechts)-- unrichtig angewendet worden sind (z.B. Senatsurteil vom 16.
September 2010 V R 57/09, BFHE 230, 504, BStBl II 2011, 151).
25 bb) Schon der zutreffende Hinweis des FA, dass die Beurteilung der Stadtrundfahrten in
der verwaltungsrechtlichen Rechtsprechung umstritten ist und es unterschiedliche
Auffassungen zur Frage gibt, ob Stadtrundfahrten mit jederzeitiger Zustiegsmöglichkeit
wegen des gemeinsamen touristischen Zwecks Linienverkehr sind (ablehnend
Oberverwaltungsgericht --OVG-- Hamburg, Beschluss vom 20. September 2004 1 Bs
303/04, Deutsches Verwaltungsblatt 2005, 260; zustimmend OVG Münster, Beschluss
vom 24. Mai 2007 13 B 577/07, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht-
Rechtsprechungsreport 2007, 561: Linienverkehr "sui generis"), belegt, dass, selbst wenn
die Genehmigungen im Streitfall nicht hätten erteilt werden dürfen, jedenfalls kein
besonders schwerwiegender und offensichtlicher Fehler vorliegt.
26 2. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, weil die tatsächlichen
Feststellungen des FG widersprüchlich sind.
27 a) Nach den Feststellungen im Tatbestand des FG enthält das Entgelt von 18 EUR auch
die Berechtigung zur Teilnahme an Führungen, während "Abendfahrten, die ohne
Führungen angeboten wurden", 12 EUR kosteten. Dies könnte die Annahme nahelegen,
dass die Klägerin zusätzlich zur Beförderung Führungen im Wert von 6 EUR anbietet.
Andererseits geht das FG im Urteil davon aus, dass das von der Klägerin erhobene
Entgelt dem Betrag entspreche, den die Genehmigungsbehörde für die betreffende
Beförderung festgelegt hat. Aus einem bei den Akten befindlichen Bescheid vom 14. Juli
2006 ergibt sich, dass die Genehmigung für die Linie 1 in der Anlage 2 hierzu die
Haltestellen und die Fahrzeiten genau (Fahrzeiten von 9:30 Uhr bis zuletzt 18:30 Uhr)
bezeichnet, das Beförderungsentgelt mit 18 EUR für die Gesamtstrecke und 3 EUR für die
Einzelfahrt angibt. Weiter ist dort unter "Bedingungen und Anlagen" bestimmt, dass "der
Fahrplan und die Beförderungsentgelte, denen die Genehmigungsbehörde zugestimmt
hat, genau einzuhalten" sind. Dies könnte die Annahme nahelegen, dass es sich bei den
erwähnten Führungen um solche handelt, an denen jedermann kostenlos teilnehmen
kann, und der Feststellung des FG insoweit eine irreführende Werbeaussage der Klägerin
zugrunde liegen könnte. Zweifelhaft ist jedoch, ob es sich bei der bei den Akten
befindlichen Genehmigungsurkunde vom 14. Juli 2006 um den vom FG in Bezug
genommenen Genehmigungsbescheid handelt, denn die Zahl der Haltestellen stimmt
nicht mit der vom FG genannten Zahl von 22 überein. Auch ist darin nicht von
genehmigten Abendfahrten "von 18.00 bis 22.00 Uhr zum Fahrpreis von 12 EUR" die
Rede. Vergleichbares gilt für die im Streitjahr überdies noch nicht geltenden
Genehmigungen für die Linien 2 bis 4. Zum Inhalt der im Streitjahr geltenden
Genehmigungen für die Linien 2 bis 4 hat das FG lediglich festgestellt, es handele sich
um Genehmigungen nach § 43 PBefG.
28 Die Sache geht daher an das FG zurück, das den Inhalt der Genehmigungen und weiter
feststellen muss, ob es sich bei den "angebotenen" Führungen um solche handelt, die für
jedermann kostenlos sind.
29 b) Das FG wird bei seiner Entscheidung Folgendes zu berücksichtigen haben:
30 Nach der Rechtsprechung des EuGH, der sich der BFH angeschlossen hat, gelten für die
Frage, unter welchen Bedingungen mehrere zusammenhängende Leistungen als eine
Gesamtleistung zu behandeln sind, folgende Grundsätze (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 25.
Juni 2009 V R 25/07, BFHE 226, 407, BStBl II 2010, 239; vom 2. März 2011 XI R 25/09,
BStBl II 2011, 737, m.w.N. zur Rechtsprechung des EuGH):
31 Jeder Umsatz ist in der Regel als eigenständige, selbständige Leistung zu betrachten;
allerdings darf eine wirtschaftlich einheitliche Dienstleistung im Interesse eines
funktionierenden Mehrwertsteuersystems nicht künstlich aufgespalten werden. Deshalb
sind die charakteristischen Merkmale des fraglichen Umsatzes zu ermitteln, um
festzustellen, ob der Unternehmer dem Leistungsempfänger mehrere selbständige
Leistungen oder eine einheitliche Leistung erbringt, wobei auf die Sicht des
Durchschnittsverbrauchers abzustellen ist.
32 Eine einheitliche Leistung liegt danach insbesondere dann vor, wenn ein oder mehrere
Teile die Hauptleistung, ein oder mehrere andere Teile dagegen Nebenleistungen sind,
die das steuerrechtliche Schicksal der Hauptleistung teilen. Eine Leistung ist als
Nebenleistung zu einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie für den Leistungsempfänger
keinen eigenen Zweck erfüllt, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des
Leistenden unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen. Das Gleiche gilt, wenn
der Unternehmer für den Leistungsempfänger zwei oder mehr Handlungen vornimmt oder
Elemente liefert, die so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv eine einzige
untrennbare wirtschaftliche Leistung bilden, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre.
33 aa) Das FG geht bei seiner Entscheidung im Ergebnis zu Recht davon aus, dass die
Bandansagen, mit denen die Passagiere während der Beförderung auf
Sehenswürdigkeiten hingewiesen werden, eine Nebenleistung zur Beförderung
darstellen. Ziel, Dauer und Umstände der Personenbeförderung sind Anlass und Grund
für die Wahl des Kunden für die betreffende Beförderungsstrecke mit touristisch
interessanten Haltepunkten. Die Informationen während der Fahrt beeinflussen jedoch
nicht die Art der Personenbeförderung, sondern nur die Umstände, unter denen sie
durchgeführt wird und lassen sich von der Beförderung nicht trennen. Sie dient für den
Fahrgast aus der Sicht eines Durchschnittsbetrachters nur dazu, die Beförderung auf der
Linie, die an Sehenswürdigkeiten vorbeiführt oder an Sehenswürdigkeiten hält, unter
optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen.
34 bb) Umfasste das Beförderungsentgelt auch Entgelte für die Teilnahme an Führungen,
handelt es sich um zwei selbständige Leistungen, von denen nur die Beförderung dem
ermäßigten Steuersatz unterliegt. Die Voraussetzungen für die Annahme einer
einheitlichen Leistung liegen nicht vor, denn weder stellt die beliebige Teilnahme eines
Fahrgastes an Führungen vor einer oder im Anschluss an eine Beförderung ein Mittel dar,
um die Beförderungsleistung selbst unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu
nehmen, noch sind beide Leistungen so miteinander verbunden, dass deren Aufspaltung
wirklichkeitsfremd wäre. Denn wie sich aus den Feststellungen des FG ergibt, nehmen
nur 14 % der Fahrgäste an den Führungen teil. Ohne Bedeutung ist, dass der Fahrgast
nach einem Zwischenaufenthalt mit einer Führung mit derselben Fahrkarte von der
Klägerin auf der betreffenden Linie weiter befördert wird. Umsatzsteuerrechtlich liegt eine
einheitliche Leistung nicht allein deshalb vor, weil Leistungen aufgrund einer einzigen
Vertragsgrundlage erbracht werden. Zu Beförderungsleistungen hat der Senat bereits im
Urteil vom 31. Mai 2007 V R 18/05 (BFHE 217, 88, BStBl II 2008, 206) entschieden, dass
die Beförderung eines Fahrgastes von dessen Wohnung zum Bestimmungsort und zurück
durch denselben Taxiunternehmer umsatzsteuerrechtlich keine einheitliche (einzige)
Beförderungsleistung mit einer Gesamtbeförderungsstrecke, sondern auch dann in zwei
getrennte Beförderungsleistungen aufzuteilen ist, wenn das Taxi nach Durchführung der
Hinfahrt zum Bestimmungsort nicht auf den Kunden wartet, sondern der Kunde später --
sei es aufgrund vorheriger Vereinbarung über den Abholzeitpunkt oder aufgrund erneuter
telefonischer Bestellung-- erneut mit einem Taxi am Bestimmungsort abgeholt und zum
Ausgangsort zurückbefördert wird. Nichts anderes gilt für den vorliegenden Sachverhalt,
wenn der Kunde aufgrund einer die gesamte Strecke umfassenden Fahrkarte nach einer
Unterbrechung weiterfährt. Bei einem einheitlichen Entgelt für zwei selbständige
Leistungen ist dieses nach der einfachst möglichen Berechnungs- oder
Bewertungsmethode aufzuteilen (z.B. EuGH-Urteil vom 25. Februar 1999 C-349/96, CPP,
Slg. 1999, I-973 Rdnr. 31). Insoweit kann z.B. der Unterschied zwischen Tag- und
Abendfahrten oder der Umstand von Bedeutung sein, ob die Klägerin entgeltliche
Führungen auch isoliert von der Beförderung angeboten hat.