Urteil des BFH vom 03.12.2015

Steuersatz bei Überlassung digitaler oder elektronischer Sprachwerke im Sinne des UrhG

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 3.12.2015, V R 43/13
Steuersatz bei Überlassung digitaler oder elektronischer Sprachwerke im Sinne des UrhG
Leitsätze
1. Digitale oder elektronische Sprachwerke (E-Books) sind keine Bücher i.S. von § 12 Abs.
2 Nr. 2 UStG i.V.m. Anlage 2 Nr. 49 Buchst. a zum UStG.
2. Die Einräumung, Übertragung und Wahrnehmung von Rechten, die sich aus dem UrhG
ergeben (§ 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. c UStG), erfassen nicht "elektronisch erbrachte
Dienstleistungen".
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 5.
September 2013 12 K 1800/12 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
1 I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, erbrachte im Streitjahr
(2011) Leistungen im Zusammenhang mit der Entwicklung und dem Vertrieb von
Bibliotheken in digitalisierter Form (virtuelle Bibliotheken). Ihr Ziel war es,
Bibliotheksnutzern Medien einer Bibliothek (z.B. Bücher) in digitalisierter Form
räumlich und zeitlich unabhängig über das Internet zur Verfügung zu stellen. Dazu ließ
sich die Klägerin Nutzungsrechte an geistig geschützten Werken einräumen. Diese
berechtigten sie, die Werke zu digitalisieren, sie auf ihrer technischen Plattform
(Servern) in handelsüblichen Formaten zu speichern und über das Internet zu
verbreiten.
2 Zum Kundenkreis der Klägerin gehörten im Streitjahr u.a. inländische Bibliotheken, die
ihr traditionelles Angebot um digitalisierte Inhalte erweitern wollten. Zu diesem Zweck
stellte die Klägerin den Bibliotheken die technische Einrichtung einer virtuellen
Bibliothek auf den von ihr betriebenen Servern entgeltlich zur Verfügung.
3 Der Umfang der den Bibliotheken bereitgestellten urheberrechtlich geschützten
digitalisierten (Sprach-)Werke richtete sich nach der konkreten --entgeltlichen--
Bestellung durch die jeweilige Bibliothek. Die Klägerin schaltete die bestellten
digitalisierten Inhalte im vereinbarten Umfang für die jeweilige Bibliothek frei (Erwerb
einer Lizenz). Der Lizenzerwerb berechtigte diese, die von ihr konkret bestellten
digitalisierten Werke ihren Nutzern zur digitalen (Online-)"Ausleihe" über das Internet
anzubieten. Auf der Grundlage allgemeiner Benutzungsbedingungen stellten die
Bibliotheken ihren Nutzern sodann die digitalisierten Inhalte über die virtuelle Bibliothek
zur Verfügung. Die Bedingungen wiesen darauf hin, dass die virtuelle Bibliothek ein
Service der jeweiligen Bibliothek gegenüber ihren Mitgliedern sei, die "digitale
Ausleihe" technisch und administrativ jedoch durch die Klägerin abgewickelt werde.
Die Bibliotheken erhoben für diesen Service gegenüber ihren Nutzern keine --über
etwaige allgemeine Nutzungsbeiträge hinausgehende-- Entgelte.
4 Die digitalisierten Werke befanden sich physisch auf den von der Klägerin betriebenen
Servern. Über diese wurde den Bibliotheksnutzern der Zugriff auf die für ihre
Bibliothek lizenzierten digitalisierten Inhalte u.a. über das Internet ermöglicht. Die
Klägerin stellte die "ausgeliehenen" digitalisierten Werke technisch unmittelbar dem
jeweiligen Nutzer zur Verfügung (Download der digitalisierten Inhalte auf ein
entsprechend geeignetes Endgerät --z.B. E-Book-Reader, Computer--).
5 In den monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen für 2011 unterwarf die Klägerin die
Umsätze aus der Bereitstellung der digitalisierten Inhalte aufgrund der Bestellungen
durch die Bibliotheken dem ermäßigten Steuersatz (7 %).
6 Im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung für den Prüfungszeitraum Januar
bis Juli 2011 ging der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) davon
aus, dass diese Umsätze dem Regelsteuersatz unterlägen und erließ entsprechend
geänderte Vorauszahlungsbescheide. Der gegen den geänderten
Vorauszahlungsbescheid für Juli 2011 eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg.
7 Nach Klageerhebung und Abgabe der Umsatzsteuer-Jahreserklärung 2011 erging am
21. Dezember 2012 der --die Prüfungsfeststellungen berücksichtigende--
Umsatzsteuer-Jahresbescheid für 2011, der gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung
(FGO) Gegenstand des Klageverfahrens wurde.
8 Die Klage blieb erfolglos. In seinem in Deutsches Steuerrecht/ Entscheidungsdienst
2014, 1188 veröffentlichten Urteil vertrat das Finanzgericht (FG) die Auffassung, die
Voraussetzungen für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 12 Abs. 2
Nr. 7 Buchst. c des Umsatzsteuergesetzes (UStG) lägen nicht vor. Den
Bibliotheksnutzern werde letztlich nur das Recht der bestimmungsgemäßen
Benutzung der digitalisierten Inhalte gestattet und kein Nutzungsrecht eingeräumt.
Eine solche Leistung unterläge dem Regelsteuersatz. Die Rolle der Bibliotheken
beschränke sich auf die Zurverfügungstellung einer Ausleihplattform
(Benutzeroberfläche) im Rahmen ihres Bibliotheksauftritts, die letztlich nur den
Kontakt ihrer Nutzer an die Klägerin vermittle.
9 Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts.
10 Entgegen der Auffassung des FG habe die Klägerin den Bibliotheken entgeltliche
Nutzungsrechte i.S. des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) an bestimmten
Sprachwerken eingeräumt. Das unterliege dem ermäßigten Steuersatz nach § 12
Abs. 2 Nr. 7 Buchst. c UStG.
11 Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des FG Baden-Württemberg vom 5. September 2013 12 K 1800/12 sowie
die Einspruchsentscheidung vom 23. April 2012 aufzuheben und die
Umsatzsteuerfestsetzung für 2011 dahingehend zu ändern, dass die Umsätze aus
der Bereitstellung der digitalisierten Inhalte aufgrund der Bestellungen durch die
Bibliotheken mit dem ermäßigten Steuersatz besteuert werden.
12 Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
13 Mit Beschluss vom 22. Januar 2015 hat der erkennende Senat das Ruhen des
Verfahrens bis zu den Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union
(EuGH) in den Rechtssachen C-479/13 und C-502/13 angeordnet. Dieser hat mit
Urteilen vom 5. März 2015 über die Sachen entschieden (s. EuGH-Urteile
Europäische Kommission gegen die Französische Republik vom 5. März 2015 C-
479/13, EU:C:2015:141, und Europäische Kommission gegen das Großherzogtum
Luxemburg C-502/13, EU:C:2015:143).
Entscheidungsgründe
14 II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 und Abs. 4
FGO). Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die Leistungen der
Klägerin nicht dem ermäßigten Steuersatz unterliegen.
15 1. Die Leistungen der Klägerin unterliegen nicht dem ermäßigten Steuersatz nach
§ 12 Abs. 2 Nr. 2 UStG i.V.m. Anlage 2 Nr. 49 Buchst. a UStG. Danach ermäßigt sich
die Steuer auf 7 % für die Vermietung der in der Anlage 2 bezeichneten Gegenstände.
Nach Nr. 49 dieser Anlage gehören hierzu auch "Bücher". Digitale (elektronische)
Sprachwerke (E-Books) sind aber keine Bücher.
16 a) Die Steuerermäßigung für die Vermietung von Büchern beruht unionsrechtlich auf
Art. 98 der Richtlinie des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame
Mehrwertsteuersystem 2006/112/EG (MwStSystRL). Danach können die
Mitgliedstaaten einen oder zwei ermäßigte Steuersätze anwenden (Abs. 1), allerdings
nur auf die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen der in Anhang III
genannten Kategorien (Abs. 2). Nach Anhang III Nr. 6 MwStSystRL können die
ermäßigten Steuersätze i.S. des Art. 98 MwStSystRL auf die Lieferung von Büchern
auf jeglichen physischen Trägern, einschließlich des Verleihs durch Büchereien,
angewandt werden. Die ermäßigten Steuersätze sind nicht anwendbar auf
elektronisch erbrachte Dienstleistungen (Abs. 2). Das Überlassen elektronischer
Bücher ist eine elektronisch erbrachte Dienstleistung i.S. des Art. 98 Abs. 2
Unterabs. 2 MwStSystRL. Zudem fehlt es an dem von Anhang III Nr. 6 MwStSystRL
vorausgesetzten physischen Träger. Die Mitgliedstaaten sind deshalb nicht
ermächtigt, einen ermäßigten Steuersatz auf die Lieferung von digitalen oder
elektronischen Büchern anzuwenden (EuGH-Urteile Europäische Kommission gegen
die Französische Republik, EU:C:2015:141, 1. Leitsatz, Rz 27 ff., 33, 34, und
Europäische Kommission gegen das Großherzogtum Luxemburg, EU:C:2015:143,
1. Leitsatz, Rz 35 ff., 40, 41).
17 b) Dementsprechend ist § 12 Abs. 2 Nr. 2 UStG i.V.m. Anlage 2 Nr. 49 Buchst. a
UStG richtlinienkonform einschränkend auszulegen. Das Tatbestandsmerkmal
"Bücher" setzt einen physischen Träger voraus, auf dem das Buch materialisiert ist;
digitale oder elektronische Sprachwerke fallen nicht unter die Steuerermäßigung. Die
Einschränkung des Begriffes "Bücher" auf Schriftwerke, die auf einem physischen
Träger materialisiert sind, ist mit dem Wortlaut der Norm vereinbar (vgl. zu den
Grenzen der richtlinienkonformen Auslegung EuGH-Urteil Association de médiation
sociale vom 15. Januar 2014 C-176/12, EU:C:2014:2, Rz 39, m.w.N.; Urteil des
Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 8. März 2012 V R 14/11, BFHE 237, 279, BStBl II
2012, 630, Rz 20). Bei der Einführung der Steuerermäßigung für "Bücher" waren nur
Bücher in Papierform, also solche auf einem physischen Träger, im Handel. Der
Wortlaut der Norm zwingt deshalb nicht dazu, aufgrund einer technischen
Entwicklung neue Erscheinungsformen von Schriftwerken unter diesen Begriff zu
fassen.
18 2. Die Leistungen der Klägerin unterliegen als elektronische Dienstleistungen auch
nicht der Steuerermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. c UStG. Wenn sich
danach die Steuer auf 7 % ermäßigt für die Einräumung, Übertragung und
Wahrnehmung von Rechten, die sich aus dem UrhG ergeben, so gilt dies nicht für
elektronisch erbrachte Dienstleistungen.
19 a) Unionsrechtlich beruht diese Vorschrift auf Art. 98 Abs. 2 i.V.m. Anhang III Nr. 9
MwStSystRL. Danach können die Mitgliedstaaten eine Steuersatzermäßigung auf
Dienstleistungen von Schriftstellern, Komponisten und ausübenden Künstlern sowie
diesen geschuldete urheberrechtliche Vergütungen anwenden. Nach Art. 98 Abs. 2
Unterabs. 2 MwStSysRL sind die ermäßigten Steuersätze wiederum nicht auf
elektronisch erbrachte Dienstleistungen anwendbar, wie sie von der Klägerin erbracht
wurden (vgl. EuGH-Urteile Europäische Kommission gegen die Französische
Republik, EU:C:2015:141, Rz 33, und Europäische Kommission gegen das
Großherzogtum Luxemburg, EU:C:2015:143, 1. Leitsatz, Rz 40, 61 f.).
Dementsprechend ist § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. c UStG einschränkend auszulegen.
Für den erkennenden Senat bestehen keine Zweifel an der zutreffenden Auslegung
des Art. 98 Abs. 2 Unterabs. 1 i.V.m. Anhang III Nr. 9 und Art. 98 Abs. 2 Unterabs. 2
MwStSystRL. Daher bedarf es nicht der Entscheidung des EuGH, ob Anhang III Nr. 9
MwStSystRL dahingehend auszulegen ist, dass diese Bestimmung
Nutzungsrechtseinräumungen in urheberrechtlichen Lizenzketten umfasst oder ob sie
der nationalen Steuerermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. c UStG für eine
urheberrechtliche Lizenzkette entgegensteht.
20 b) Eine in diesem Sinn einschränkende Auslegung ist im Rahmen des Wortlauts des
§ 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. c UStG möglich (zu den Grenzen richtlinienkonformer
Auslegung vgl. die Ausführungen zu II.1.b). Im Gegensatz zu § 12 Abs. 2 Nr. 8
Buchst. a UStG, der auf im Einzelnen genannte Vorschriften der Abgabenordnung
verweist und die Rechtsfolge der Steuersatzermäßigung mit deren Voraussetzungen
verknüpft (vgl. hierzu BFH-Urteil in BFHE 237, 279, BStBl II 2012, 630, Rz 20), nimmt
§ 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. c UStG allgemein Bezug auf Rechte, die sich aus dem
UrhG ergeben. Diese Norm lässt die Auslegung zu, dass sie nur solche Rechte des
UrhG umfasst, die im Rahmen des harmonisierten Unionsrechts
umsatzsteuerrechtlich überhaupt unter eine Ermäßigungsvorschrift fallen können.
Das ist aus den dargelegten Gründen bei den hier vorliegenden elektronisch
erbrachten Dienstleistungen nicht der Fall.
21 c) Der Senat weicht nicht von seiner bisherigen Rechtsprechung ab, in der er
offengelassen hat, ob § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. c UStG unionsrechtskonform
auszulegen ist (vgl. hierzu BFH-Urteile vom 16. August 2001 V R 42/99, BFHE 196,
335, unter II.1.b ee; vom 27. September 2001 V R 14/01, BFHE 196, 357, BStBl II
2002, 114, unter II.2.c; vom 17. Januar 2002 V R 13/01, BFH/NV 2002, 821, unter
II.2.c; vom 25. November 2004 V R 25, 26/04, BFHE 208, 479, BStBl II 2005, 419,
unter II.5.c; vom 25. November 2004 V R 33/04, BFH/NV 2005, 1152, unter II.6.; vom
25. November 2004 V R 4/04, BFHE 208, 470, BStBl II 2005, 415, unter II.A.4., und
vom 18. August 2005 V R 42/03, BFHE 211, 537, BStBl II 2006, 44, unter II.4.). Diese
Urteile bezogen sich auf die Rechtslage vor Inkrafttreten von Art. 98 Abs. 2
Unterabs. 2 MwStSystRL und der Vorgängervorschrift in Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie
2002/38/EG des Rates vom 7. Mai 2002 zur Änderung der Sechsten Richtlinie
77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern.
22 3. Auch für die von der Klägerin angeregte Einholung eines
Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der
Europäischen Union besteht keine Veranlassung (vgl. zu den Voraussetzungen
EuGH-Urteile Cilfit u.a. vom 6. Oktober 1982 283/81, EU:C:1982:335, Rz 21; Gaston
Schul vom 6. Dezember 2005 C-461/03, EU:C:2005:742, Rz 16, und Intermodal
Transports vom 15. September 2005 C-495/03, EU:C:2005:552, Rz 33). Für den
Senat bestehen keine Zweifel daran, dass die Klägerin durch die Einräumung von
Nutzungsrechten elektronische Dienstleistungen erbracht hat.
23 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.