Urteil des BFH vom 18.02.2016

Kindergeldanspruch: Meldung als Arbeitsuchender

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 18.2.2016, V R 22/15
Kindergeldanspruch: Meldung als Arbeitsuchender
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom
28. August 2014 10 K 10159/10 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Tatbestand
1 I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Mutter der im April 1990 geborenen
Tochter B. B befand sich seit Sommer 2006 in einer Berufsausbildung, die sie im
Januar 2010 erfolgreich abschloss. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie bereits eine Zusage
für eine Arbeitsstelle ab 1. April 2010. Nach den von den Beteiligten nicht angegriffenen
Feststellungen des Finanzgerichts (FG) meldete sich B spätestens Anfang Februar
2010 und nochmals am 15. März 2010 zum Zweck des Erhalts des
Kindergeldanspruchs für die Zeit bis 1. April 2010 bei der zuständigen Arbeitsagentur
arbeitslos. Auf dem Vordruck der Arbeitsagentur hatte B in der Rubrik
"Ich suche einen ... Arbeitsplatz ... Ausbildungsplatz ... nur Beratung, keine
Stellensuche"
keine der aufgeführten Möglichkeiten angekreuzt. Angegeben ist jedoch, dass
Arbeitslosigkeit vom 1. Februar bis 31. März 2010 besteht. Die Arbeitsagentur
verweigerte die Registrierung als arbeitsuchend, weil sich B der Arbeitsvermittlung
wegen ihres am 1. April 2010 beginnenden Beschäftigungsverhältnisses nicht zur
Verfügung stellte.
2 Die Beklagte und Revisionsklägerin (die Familienkasse) hob mit Bescheid vom
14. Dezember 2009 die Festsetzung von Kindergeld mit Ablauf des Monats Januar
2010 wegen der künftigen Beendigung der Schulausbildung von B auf und lehnte mit
Bescheid vom 15. April 2010 die erneute Festsetzung von Kindergeld für B mit der
Begründung ab, B werde bei der zuständigen Arbeitsvermittlung nicht als
arbeitsuchendes Kind geführt.
3 Die Klage, mit der die Klägerin geltend machte, dass die Familienkasse sie darauf
hingewiesen habe, dass sie wegen der bereits bestehenden Zusage zum 1. April 2010
ohnehin keine sinnvollen Bewerbungstermine wahrnehmen könne, hatte nach
erfolglosem Einspruchsverfahren Erfolg. Zur Begründung seines Urteils führte das FG
aus, als arbeitsuchend bei einer Agentur für Arbeit sei gemeldet, wer gegenüber der
zuständigen Agentur für Arbeit persönlich die Tatsache einer künftigen oder
gegenwärtigen Arbeitslosigkeit anzeige. Dabei genüge, dass die Tatsache der
Arbeitslosigkeit nicht ausdrücklich, aber sinngemäß zum Ausdruck gebracht werde.
Nicht erheblich sei, ob die Agentur für Arbeit die Arbeitslosmeldung zutreffend erfasst
und umgesetzt habe.
4 Hiergegen richtet sich die Revision der Familienkasse, mit der sie Verletzung
materiellen Rechts (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes --EStG--)
geltend macht. Mit der ab 1. Januar 2003 geltenden Neuregelung des § 32 Abs. 4
Satz 1 Nr. 1 EStG habe der Gesetzgeber nicht auf das Merkmal der
Beschäftigungssuche, sondern nur auf die Prüfung der Eigenbemühungen und der
Verfügbarkeit verzichten wollen. Die bloße Anzeige der Beschäftigungslosigkeit reiche
zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG nicht aus, wenn
in der Anzeige nicht auch zum Ausdruck komme, dass die Bemühungen um eine
Arbeitsvermittlung gewollt seien.
5 Die Familienkasse beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
6 Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
7 Als arbeitsuchend i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG sei gemeldet, wer gegenüber
der zuständigen Agentur für Arbeit persönlich die Tatsache einer künftigen oder
gegenwärtigen Arbeitslosigkeit anzeige. Diese Voraussetzung sei erfüllt.
Weitergehende Anforderungen stelle § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG nicht.
Entscheidungsgründe
8 II. Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung --FGO--).
9 1. Gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG in der
im Streitjahr (2010) geltenden Fassung, wird ein Kind, das das 18. Lebensjahr
vollendet hat, beim Kindergeld berücksichtigt, wenn es noch nicht das 21. Lebensjahr
vollendet hat, nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht und bei einer Agentur für
Arbeit im Inland als Arbeitsuchender gemeldet ist.
10 a) Seit der Neufassung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG durch Art. 8 Nr. 5 des
Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember
2002 (BGBl I 2002, 4621, BStBl I 2003, 3) genügt die Meldung als Arbeitsuchender bei
einer Agentur für Arbeit.
11 b) Gemäß § 32 Abs. 4 EStG in der bis 31. Dezember 2002 geltenden Fassung
wurde ein Kind, das das 18. Lebensjahr, aber noch nicht das 21. Lebensjahr
vollendet hat, berücksichtigt, wenn es arbeitslos i.S. des Dritten Buches
Sozialgesetzbuch (SGB III) war. Gemäß § 119 SGB III in der bis 31. März 2012
geltenden Fassung vom 23. Dezember 2003 war ein Arbeitnehmer arbeitslos, der
• nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit),
• sich bemüht, seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Eigenbemühungen) und
• den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht
(Verfügbarkeit).
Diese Voraussetzungen waren vom Kindergeldberechtigten nachzuweisen.
12 c) Nach der ab 1. Januar 2003 geltenden Neuregelung müssen die sozialrechtlichen
Merkmale der Arbeitslosigkeit i.S. des § 119 Abs. 1 SGB III, wie Eigenbemühungen
und Verfügbarkeit, nicht mehr nachgewiesen werden (Urteile des Bundesfinanzhofs --
BFH-- vom 26. Juli 2012 VI R 98/10, BFHE 238, 126, BStBl II 2013, 443, Rz 10; vom
19. Juni 2008 III R 68/05, BFHE 222, 349, BStBl II 2009, 1008). Vielmehr unterstellt
das Gesetz typisierend, dass die Voraussetzungen der §§ 118 ff. SGB III vorliegen.
Dabei kommt der Registrierung des arbeitsuchenden Kindes bzw. der daran
anknüpfenden Bescheinigung keine echte Tatbestandswirkung für den
Kindergeldanspruch zu. Entscheidend ist vielmehr, ob sich das Kind im konkreten Fall
tatsächlich bei der Arbeitsvermittlung als arbeitsuchend gemeldet hat (BFH-Urteile in
BFHE 238, 126, BStBl II 2013, 443, Rz 10; vom 25. September 2008 III R 91/07,
BFHE 223, 354, BStBl II 2010, 47, Rz 16).
13 d) Das ist vorliegend der Fall. Als Arbeitsuchender gemeldet ist, wer gegenüber der
zuständigen Agentur für Arbeit oder der Arbeitsgemeinschaft für die Grundsicherung
Arbeitsuchender persönlich die Tatsache einer künftigen oder gegenwärtigen
Arbeitslosigkeit anzeigt (BFH-Urteile vom 18. Juni 2015 VI R 10/14, BFHE 250,
145, BStBl II 2015, 940, und in BFHE 238, 126, BStBl II 2013, 443). Die im Streitjahr
geltende typisierende Unterstellung des Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 118
ff. SGB III durch das Gesetz umfasst auch das Zurverfügungstehen für
Vermittlungsbemühungen der Arbeitsagentur. Der Nachweis, dass tatsächlich eine
Arbeit gesucht wird, ist danach nicht erforderlich. Nach den den Senat bindenden
Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) hat B ihre Arbeitslosigkeit vom 1. Februar
bis 31. März 2010 der Agentur für Arbeit mitgeteilt. Das genügt für eine Meldung als
arbeitsuchend i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG.
14 2. Der Senat entscheidet gemäß § 90 Abs. 2 FGO mit Einverständnis der Beteiligten
durch Urteil ohne mündliche Verhandlung.
15 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.