Urteil des BFH vom 02.12.2015

Organschaft und Eingliederungsvoraussetzungen - kein ermäßigter Steuersatz für Speisenversorgung in einem Pflegeheim - Billigkeitserlass - Vertrauensschutz

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 2.12.2015, V R 15/14
Organschaft und Eingliederungsvoraussetzungen - kein ermäßigter Steuersatz für
Speisenversorgung in einem Pflegeheim - Billigkeitserlass - Vertrauensschutz
Leitsätze
1. Eine juristische Person ist i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG finanziell eingegliedert, wenn der
Organträger über eine eigene Mehrheitsbeteiligung verfügt.
2. Für die organisatorische Eingliederung muss der Organträger im Regelfall mit der
juristischen Person über deren Geschäftsführung personell verflochten sein.
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 12. Februar
2013 15 K 4005/11 U,AO wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
1 I. Streitig ist, ob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, als
Organgesellschaft nichtsteuerbare Leistungen an die A-GmbH & Co. KG (A-KG) als
Organträger erbracht hat.
2 Gesellschafter der Klägerin waren in den Streitjahren D und ihre Tochter B mit einer
Beteiligung von jeweils 50 %. D und B hatten eine Stimmbindungsvereinbarung
geschlossen, in der sich beide verpflichteten, ihr Stimmrecht als Gesellschafter nur
einheitlich auszuüben, wobei B ihr Stimmverhalten an der Stimmabgabe durch D
auszurichten hatte. Alleinige Geschäftsführerin der Klägerin war B.
3 D war darüber hinaus alleinige Kommanditistin der A-KG und Alleingesellschafterin
der V-GmbH, die Komplementärin der A-KG war. D war zudem bis zum 23. Oktober
2007 einzige Geschäftsführerin der V-GmbH. Seitdem ist B weitere
einzelvertretungsbefugte Geschäftsführerin der V-GmbH. Die A-KG betrieb ein sog.
Seniorenzentrum als Wohn- und Pflegeheim. Sie sah die von ihr erbrachten
Pflegeleistungen gemäß § 4 Nr. 16 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) als steuerfrei
an.
4 Die Klägerin erbrachte in den Streitjahren 2003 bis 2008 auf der Grundlage eines im
Juni 1998 abgeschlossenen Vertrags entgeltliche Leistungen im Bereich der
Speisenversorgung an die A-KG, die die KG in der von ihr betriebenen
Altenhilfeeinrichtung verwendete. Nach dem Vertrag hatte die Klägerin "die komplette
Verpflegung von zur Zeit 334 Bewohnern mit Speisen und Getränken nach
Anweisung und in Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern des Auftraggebers" zu
übernehmen. Die KG teilte der Klägerin "die Anzahl der täglich zu liefernden Portionen
und ggf. die vom behandelnden Arzt vorgegebenen Ernährungskriterien der einzelnen
Bewohner mit". Die Verpflegung war in einem "Tablettsystem" zusammenzustellen
und auf Transportwagen zu laden, die vom Hol- und Bringdienst der A-KG auf die
Wohnbereiche des Seniorenzentrums gebracht und später wieder abgeholt wurden.
Weitere Leistungen erbrachte die Klägerin aufgrund eines gleichfalls im Juni 1998
abgeschlossenen "Wäscherei-Full-Servicevertrags" und eines "Hausreinigungs-Full-
Servicevertrags". Darüber hinaus war die Klägerin bei der Bewirtschaftung eines
Kiosks, einer Cafeteria und in der Personalkantine für die A-KG gegen Entgelt tätig.
5 Die Klägerin ging in ihren Umsatzsteuerjahreserklärungen 2003 bis 2007 und in den
Umsatzsteuervoranmeldungen 2008 davon aus, dass sie steuerpflichtige Leistungen
erbracht habe, die dem ermäßigten Steuersatz unterliegen.
6 Im Anschluss an eine Außenprüfung und an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung war
der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) demgegenüber der
Auffassung, dass der Regelsteuersatz anzuwenden sei und erließ am 6. Juli 2009
nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) geänderte
Umsatzsteuerjahresbescheide 2003 bis 2007 sowie einen erstmaligen
Umsatzsteuerjahresbescheid 2008. Einem Antrag auf abweichende
Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen gab das FA nicht statt.
7 Einspruch und Klage zum Finanzgericht (FG) hatten keinen Erfolg. Nach dem in
Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2014, 1344 veröffentlichten Urteil des FG
liegt eine Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG, die die Klägerin erstmals nach der
Sonderprüfung im Einspruchsverfahren geltend gemacht hatte, nicht vor. Auf die
daher steuerpflichtigen Leistungen sei der Regelsteuersatz anzuwenden. Die Klägerin
habe auch keinen Anspruch auf eine abweichende Steuerfestsetzung aus
Billigkeitsgründen.
8 Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie die Verletzung materiellen
Rechts geltend macht. Im Hinblick auf die zwischen den Beteiligten streitige Frage der
Organschaft und die hierfür zu berücksichtigende Bedeutung des Unionsrechts (Art. 4
Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977
zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die
Umsatzsteuern --Richtlinie 77/388/EWG-- und ab dem Streitjahr 2007 Art. 11 der
Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem
vom 28. November 2006 --MwStSystRL--) hat der Senat mit Beschluss vom 30. Juli
2014 das Ruhen des Verfahrens bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofs der
Europäischen Union (EuGH) in der verbundenen Rechtssache Larentia + Minerva C-
108/14 und Marenave Schifffahrt C-109/14 --EU:C:2015:496-- (Vorlagebeschlüsse
des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 11. Dezember 2013 XI R 17/11, BFHE 244, 79,
BStBl II 2014, 417, und vom 11. Dezember 2013 XI R 38/12, BFHE 244, 94, BStBl II
2014, 428) angeordnet.
9
Mit Urteil Larentia + Minerva und Marenave Schiffahrt vom 16. Juli 2015
(EU:C:2015:496) hat der EuGH in dieser verbundenen Rechtssache zur Auslegung
der unionsrechtlichen Grundlagen der Organschaft wie folgt entschieden:
"2. Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388 in der durch die
Richtlinie 2006/69 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er einer
nationalen Regelung entgegensteht, die die in dieser Bestimmung vorgesehene
Möglichkeit, eine Gruppe von Personen zu bilden, die als ein
Mehrwertsteuerpflichtiger behandelt werden können, allein den Einheiten
vorbehält, die juristische Personen sind und mit dem Organträger dieser Gruppe
durch ein Unterordnungsverhältnis verbunden sind, es sei denn, dass diese
beiden Anforderungen Maßnahmen darstellen, die für die Erreichung der Ziele
der Verhinderung missbräuchlicher Praktiken oder Verhaltensweisen und der
Vermeidung von Steuerhinterziehung oder -umgehung erforderlich und geeignet
sind, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat.
3. Bei Art. 4 Abs. 4 der Sechsten Richtlinie 77/388 in der durch die Richtlinie
2006/69 geänderten Fassung kann nicht davon ausgegangen werden, dass er
unmittelbare Wirkung hat, so dass Steuerpflichtige dessen Inanspruchnahme
gegenüber ihrem Mitgliedstaat geltend machen könnten, falls dessen
Rechtsvorschriften nicht mit dieser Bestimmung vereinbar wären und nicht in mit
ihr zu vereinbarender Weise ausgelegt werden könnten."
10 Die Klägerin macht hierzu geltend, dass unionsrechtliche Erfordernisse bei der
Auslegung des nationalen Rechts trotz der fehlenden Berufbarkeit zu berücksichtigen
seien. Die Gefahr eines Rechtsmissbrauchs oder die Möglichkeit einer
Steuerhinterziehung sprächen nicht gegen eine Rückkehr zur früheren
Rechtsprechung, nach der eine mittelbare finanzielle Eingliederung über gemeinsame
Gesellschafter möglich war. Rechtsmissbrauch und Steuerhinterziehung seien
zudem für die bisherige BFH-Rechtsprechung zur Organschaft ohne Bedeutung
gewesen. Die finanzielle Eingliederung sei erst aufgrund einer geänderten Beurteilung
durch die Rechtsprechung des BFH entfallen. Eine Beherrschung der Klägerin durch
die A-KG ergebe sich aus der beiden Gesellschaften übergeordneten Struktur. Die A-
KG habe der Klägerin Anweisungen für die tägliche Arbeit erteilt. Die Klägerin sei in
den Räumlichkeiten der A-KG tätig geworden. Bei der Klägerin habe es sich um die
Ausgliederung eines zuvor von der A-KG selbst wahrgenommenen Arbeitsbereichs
gehandelt. Gleichwohl habe die A-KG bei der Klägerin durchregieren können. Die
nach dem Unionsrecht enge Verbindung liege vor. Zu ihren Gunsten sei zumindest
eine Übergangsregelung der Finanzverwaltung anzuwenden. Auch in Bezug auf die
Frage des anwendbaren Steuersatzes sei ihr Vertrauensschutz zu gewähren.
11 Die Klägerin beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Umsatzsteuerbescheide 2003 bis 2008 vom
6. Juli 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. Oktober 2011
dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer nach Maßgabe der im
Einspruchsverfahren eingereichten geänderten Umsatzsteuererklärungen festgesetzt
wird,
hilfsweise, das FA unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 31. August 2012
und der Einspruchsentscheidung vom 2. Oktober 2012 zu verpflichten, die
Umsatzsteuerbescheide vom 6. Juli 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung
vom 25. Oktober 2011 aus Billigkeitsgründen entsprechend der im
Einspruchsverfahren eingereichten Umsatzsteuererklärungen festzusetzen.
12 Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
13 Bei dem sich aus dem nationalen Recht ergebenden Erfordernis der Eingliederung
handele es sich um eine geeignete und erforderliche Maßnahme zur Verhinderung
missbräuchlicher Praktiken oder Verhaltensweisen und zur Vermeidung von
Steuerhinterziehung oder -umgehung. Das Erfordernis der Überordnung diene auch
der Rechtssicherheit. Das nationale Recht verstoße daher nicht gegen das
Unionsrecht. Zudem knüpfe das nationale Recht zur Organschaft nicht an den
Unternehmerbegriff des § 2 Abs. 1 UStG, sondern an das Merkmal der
Selbständigkeit an. Damit habe der nationale Gesetzgeber eine andere
Regelungstechnik gewählt als der Richtliniengeber, der am Begriff des
Steuerpflichtigen ansetze. Aufgrund des Verlustes der Selbständigkeit gingen die
steuerlichen Verpflichtungen wie etwa die Abgabe von Steuererklärungen auf den
Organträger über. Im Hinblick auf diesen Übergang komme dem Gebot der
Rechtssicherheit große Bedeutung zu. Ohne Über- und Unterordnung entstünden
Abgrenzungsschwierigkeiten, die zu einer Verschleierung der für den Organkreis
verantwortlichen Person führen könnten. Es drohe die Gefahr der Steuerhinterziehung
und -umgehung. Zudem fehle es auch an einer organisatorischen Eingliederung.
Alleinige Geschäftsführerin der Klägerin sei B gewesen, während D bis zum Oktober
2007 alleinige Geschäftsführerin bei der Komplementär-GmbH der A-KG gewesen
sei. Es seien keine Standardspeisen abgegeben worden.
14 Das Bundesministerium der Finanzen ist dem Verfahren gemäß § 122 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) beigetreten und macht geltend, dass hinsichtlich der
Beschränkung auf juristische Personen keine Möglichkeit bestehe, das nationale
Recht unionsrechtskonform auszulegen. Am Erfordernis des
Unterordnungsverhältnisses sei festzuhalten. Das Erfordernis der
Mehrheitsbeteiligung entspreche den unionsrechtlichen Vorgaben. Das Gebot der
Rechtssicherheit sei zu beachten. Zu berücksichtigen sei auch die
Entstehungsgeschichte von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG.
Entscheidungsgründe
15 II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2
FGO). Auch unter Berücksichtigung der zum Unionsrecht ergangenen EuGH-
Rechtsprechung gehört die Klägerin mangels finanzieller und organisatorischer
Eingliederung weder nach nationalem Recht noch nach Unionsrecht einer mit der A-
KG bestehenden Organschaft an, so dass das FG zu Recht entschieden hat, dass
die Klägerin Leistungen erbracht hat, die dem Regelsteuersatz unterliegen. Es ist
auch kein Billigkeitserlass zu gewähren.
16 1. Die Klägerin ist nicht finanziell in das Unternehmen der A-KG eingegliedert.
17 a) Die finanzielle Eingliederung setzt nach nationalem Recht eine eigene
Mehrheitsbeteiligung des Organträgers an einer juristischen Person voraus.
18 aa) Die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit wird nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG
nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der
tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das
Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist (Organschaft). Die Organschaft dient
der Verwaltungsvereinfachung (vgl. BTDrucks V/48, § 2, BTDrucks IV/1590, S. 36,
zum gesetzlichen Festhalten an der vorkonstitutionellen Organschaft des UStG 1934,
RStBl 1934, 1549 ff.; zum Vereinfachungszweck vgl. Stadie in Rau/Dürrwächter,
Umsatzsteuergesetz, § 2 Rz 784, und zum Unionsrecht EuGH-Urteil Larentia +
Minerva, EU:C:2015:496, Rz 41) und führt zu einer Zusammenfassung zu einem
Unternehmen beim Organträger. Der Organträger ist entsprechend dem
Vereinfachungszweck Steuerschuldner auch für die aufgrund der Organschaft
unselbständig tätige Person. Die Rechtsfolgen der Organschaft treten von Gesetzes
wegen ein. Hinsichtlich der Voraussetzungen der Organschaft ist nicht danach zu
differenzieren, ob ein Steuerschuldner --hier die Klägerin-- oder der Steuergläubiger
Rechtsfolgen aus der Organschaft zu seinen Gunsten ableitet.
19 bb) Da sich die mit der Organschaft verbundene Verlagerung der Steuerschuld auf
den Organträger finanziell belastend auswirken kann, müssen die Voraussetzungen
der Organschaft rechtssicher bestimmbar sein (BFH-Urteil vom 22. April 2010
V R 9/09, BFHE 229, 433, BStBl II 2011, 597, unter II.3.b bb(1), m.w.N. zur
Rechtsprechung von EuGH und BFH). Dementsprechend erfordert die finanzielle
Eingliederung eine Mehrheitsbeteiligung des Organträgers an der juristischen Person
(BFH-Urteile vom 22. November 2001 V R 50/00, BFHE 197, 319, BStBl II 2002, 167,
unter II.1.a; vom 19. Mai 2005 V R 31/03, BFHE 210, 167, BStBl II 2005, 671, unter
II.2.a dd; vom 30. April 2009 V R 3/08, BFHE 226, 144, BFHE II 2013, 873, unter
II.2.b aa; vom 22. April 2010 V R 9/09, BFHE 229, 433, BStBl II 2011, 597, unter II.2.;
vom 1. Dezember 2010 XI R 43/08, BFHE 232, 550, BStBl II 2011, 600, unter II.2.,
und vom 7. Juli 2011 V R 53/10, BFHE 234, 548, BStBl II 2013, 218, unter II.2.a).
20 cc) Der Organträger muss zudem über eine eigene Mehrheitsbeteiligung an der
juristischen Person verfügen. Diese kann sich entweder aus einer unmittelbaren
Beteiligung oder mittelbar aus einer über eine Tochtergesellschaft gehaltenen
Beteiligung ergeben. Demgegenüber ist bei einer Beteiligung mehrerer Gesellschafter
an zwei Schwestergesellschaften nicht rechtssicher bestimmbar, unter welchen
Voraussetzungen der Beteiligungsbesitz der Gesellschafter zusammengerechnet
werden kann, um eine finanzielle Eingliederung der einen in die andere
Schwestergesellschaft zu begründen (BFH-Urteil in BFHE 229, 433, BStBl II 2011,
597, unter II.3.b bb (2)). Darüber hinaus ist die finanzielle Eingliederung einer GmbH in
eine Personengesellschaft nach dem BFH-Urteil des XI. Senats in BFHE 232, 550,
BStBl II 2011, 600, Leitsatz 1 auch dann zu verneinen, wenn nur ein Gesellschafter
über die Stimmenmehrheit an den beiden Schwestergesellschaften verfügt.
21 dd) Der erkennende Senat hält an dieser Rechtsprechung zur rechtssicheren wie
auch einfachen Bestimmung der Voraussetzungen der Organschaft fest:
22 (1) Das nationale Recht sieht weder einen Antrag noch ein besonderes Verfahren zur
Feststellung der Voraussetzungen der Organschaft vor. Da es dementsprechend an
einem Grundlagenbescheid fehlt, ist es entgegen der Auffassung der Klägerin nicht
möglich, für die Organschaft anstelle einer eigenen Mehrheitsbeteiligung auf das
unbestimmte wie auch unpräzise Merkmal einer lediglich engen finanziellen
Verbindung zwischen mehreren Personen abzustellen. Eine derartige Verbindung
ermöglicht es nicht, die Person rechtssicher zu bestimmen, die die steuerrechtlichen
Verpflichtungen für den Organkreis als Organträger und damit als einzige
Steuerschuldnerin zu erfüllen hat. So könnte z.B. ohne Erfordernis einer eigenen
Mehrheitsbeteiligung auch eine mittelbare finanzielle Eingliederung zwischen zwei
Schwesterkapitalgesellschaften bestehen, bei der dann mangels eines besonderen
Feststellungsverfahrens die Person des Organträgers und die der Organgesellschaft
nicht bestimmt werden könnte.
23 Ebenso ist es im Grundsatz im Verhältnis einer Kapitalgesellschaft zu ihrer
Schwesterpersonengesellschaft. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der
erkennende Senat § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG aus Gründen der Rechtsformneutralität
erweiternd auch auf einzelne eingegliederte Personengesellschaften anwendet. Zu
den Voraussetzungen hierfür verweist der Senat zur Vermeidung von
Wiederholungen auf sein Urteil vom 2. Dezember 2015 V R 25/13 (zur amtlichen
Veröffentlichung bestimmt, unter II.2.c).
24 (2) Bei der Auslegung der Eingliederungsvoraussetzungen ist auch der mit der
Organschaft verfolgte Vereinfachungszweck zu berücksichtigen. Dieser erfordert,
dass die Organschaft auch für den Organträger als Steuerschuldner für die
organschaftlich zusammengefassten Unternehmen einfach anzuwenden ist. Ohne
Antrags- und ohne Feststellungsverfahren muss es dem Organträger daher aufgrund
der Eingliederung möglich sein, die --nach § 370 AO strafbewährte-- Verantwortung
für die Umsatztätigkeit der mit ihm verbundenen juristischen Person zu übernehmen.
Dies setzt in Form der Eingliederung i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2
UStG Durchgriffsmöglichkeiten voraus, aufgrund derer der Organträger --ähnlich
wie bei unselbständigen Betriebsabteilungen im Unternehmen einer Person-- die für
die Abgabe von Steueranmeldungen und Steuererklärungen notwendigen
Informationsansprüche wie auch die zur Erfüllung von Steueransprüchen
notwendigen Ausgleichsansprüche (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 8. August 2013
V R 18/13, BFHE 242, 433, unter II.3.a) gegen die Organgesellschaft durchsetzen
kann (vgl. auch Stadie in Rau/Dürrwächter, a.a.O., § 2 Anm. 913).
25 b) Im Streitfall ist die Klägerin nach nationalem Recht nicht Organgesellschaft der A-
KG. Die finanzielle Eingliederung der Klägerin in die A-KG scheitert bereits daran,
dass die A-KG keine eigene Mehrheitsbeteiligung an der Klägerin in ihrem
Gesamthandsvermögen hielt, sondern nur über ihre Gesellschafterin D mit der
Klägerin verbunden war. Ohne eigene Mehrheitsbeteiligung ist die Person des
Organträgers im Verhältnis zwischen der Klägerin, einer GmbH, und ihrer Schwester-
KG nicht eindeutig bestimmbar. Es bestehen keine rechtsverbindlichen Regelungen
zur Zusammenrechnung eines mehreren Gesellschaftern zustehenden
Anteilsbesitzes. Dies gilt auch für den Fall einer familiären Verbundenheit mehrerer
Gesellschafter. Der von D mit ihrer Tochter getroffenen Stimmbindungsvereinbarung
kommt keine Bedeutung zu, da diese nicht in der Satzung der Klägerin vereinbart war.
Der Senat verweist auch insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf sein Urteil
vom 2. Dezember 2015 V R 25/13, unter II.1.c cc (1).
26 Mangels eigener Mehrheitsbeteiligung standen der A-KG somit keine eigenen
Durchgriffsrechte zu. Ihr, wie auch der für sie organschaftlich handelnden
Komplementär-GmbH, war es nicht möglich, die Verantwortung dafür zu
übernehmen, dass die A-KG Umsätze der Klägerin gegenüber Dritten
ordnungsgemäß versteuert, oder dafür verantwortlich zu sein, dass derartige
Umsätze nicht vorliegen.
27 c) Das Unionsrecht führt nicht zu einer gegenüber der bisherigen BFH-
Rechtsprechung geänderten Beurteilung.
28 aa) Nach Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG steht es jedem
Mitgliedstaat frei, im Inland ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber
durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng
miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen zu behandeln.
Diese Regelung dient der "Verwaltungsvereinfachung" und der "Verhinderung
bestimmter Missbräuche (EuGH-Urteil Larentia + Minerva und Marenave Schifffahrt,
EU:C:2015:496, Rz 40).
29 bb) Der Steuerpflichtige kann sich gegenüber dem nationalen Recht nicht auf Art. 4
Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG berufen.
30 (1) Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG erfüllt "nicht die
Voraussetzungen, um unmittelbare Wirkung zu entfalten", sondern hat nur "bedingten
Charakter". Dies beruht darauf, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene enge
Verbindung in finanzieller, wirtschaftlicher und organisatorischer Hinsicht einer
"Präzisierung auf nationaler Ebene" bedarf und die "Anwendung nationaler
Rechtsvorschriften voraussetzt, die den konkreten Umfang dieser Verbindungen
bestimmen" (EuGH-Urteil Larentia + Minerva und Marenave Schiffahrt,
EU:C:2015:496, Rz 50 f.).
31 (2) Entscheiden sich Mitgliedstaaten auf der Grundlage von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2
der Richtlinie 77/388/EWG dafür, Regelungen zur Zusammenfassung zu einem
Steuerpflichtigen zu schaffen, haben sie bei der Ausübung der ihnen zustehenden
Präzisierungsbefugnis die hierfür unionsrechtlich bestehenden Anforderungen zu
berücksichtigen.
32 (a) Die Mitgliedstaaten haben zu beachten, dass sie die nach Art. 4 Abs. 4
Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG mögliche Zusammenfassung zu einem
Steuerpflichtigen nicht von weiteren als den in dieser Bestimmung genannten
Bedingungen abhängig machen dürfen (EuGH-Urteil Larentia + Minerva und
Marenave Schiffahrt, EU:C:2015:496, Rz 38) und dass das Unionsrecht die Regelung
zur Mehrwertsteuergruppe nicht allein den Einheiten vorbehält, die sich in einem
Verhältnis der Unterordnung zum Organträger befinden (EuGH-Urteil Larentia +
Minerva und Marenave Schiffahrt, EU:C:2015:496, Rz 44). Auf eine Unterordnung
darf nur ausnahmsweise abgestellt werden, etwa wenn diese Bedingung "in einem
bestimmten nationalen Kontext" zur "Verhinderung missbräuchlicher Praktiken oder
Verhaltensweisen" erforderlich und geeignet ist (EuGH-Urteil Larentia + Minerva und
Marenave Schiffahrt, EU:C:2015:496, Rz 45). Hierüber hat das nationale Gericht zu
entscheiden (EuGH-Urteil Larentia + Minerva und Marenave Schiffahrt,
EU:C:2015:496, Rz 46).
33 (b) Die auf der Grundlage von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG
getroffenen Regelungen haben --wie stets-- den Grundsatz der Rechtssicherheit zu
beachten. Danach müssen "die Vorschriften des Unionsrechts eindeutig sein" und
ihre Anwendung muss für die Betroffenen vorhersehbar sein, "wobei dieses Gebot der
Rechtssicherheit in besonderem Maß gilt, wenn es sich um Vorschriften handelt, die
finanzielle Konsequenzen haben können, denn die Betroffenen müssen in der Lage
sein, den Umfang der ihnen durch diese Vorschriften auferlegten Verpflichtungen
genau zu erkennen". Zudem "müssen die Rechtsnormen der Mitgliedstaaten auf den
vom Unionsrecht erfassten Gebieten eindeutig formuliert sein, so dass den
betroffenen Personen die klare und genaue Kenntnis ihrer Rechte und Pflichten
ermöglicht wird, und die innerstaatlichen Gerichte in die Lage versetzt werden, deren
Einhaltung sicherzustellen" (EuGH-Urteil Tomoiaga vom 9. Juli 2015 C-144/14,
EU:C:2015:452, Rz 35, m.w.N. zur EuGH-Rechtsprechung). Bei der Organschaft als
Zusammenfassung zu einem Steuerpflichtigen beim Organträger handelt es sich
aufgrund der damit verbundenen Verlagerung der Steuerschuld von der
Organgesellschaft auf den Organträger "um Vorschriften ..., die finanzielle
Konsequenzen haben können".
34 cc) Für das sich aus dem nationalen Recht ergebende Erfordernis einer Eingliederung
mit Durchgriffsrechten i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG besteht eine hinreichende
Grundlage im Unionsrecht.
35 (1) Obwohl sich die Voraussetzung eines Antrags nicht aus Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2
der Richtlinie 77/388/EWG ergibt, der die Bedingungen für die Zusammenfassung zu
einem Steuerpflichtigen abschließend aufzählt (s. oben II.1.c bb(2)(a)), haben einzelne
Mitgliedstaaten diese Zusammenfassung antragsabhängig ausgestaltet (vgl. z.B. zu
dem in der Republik Irland für die Gruppenbesteuerung bestehenden
Antragserfordernis EuGH-Urteil Kommission/Irland vom 9. April 2013 C-85/11,
EU:C:2013:217, Rz 8), ohne dass der EuGH dies beanstandet (vgl. EuGH-Urteil
Kommission/Irland, EU:C:2013:217; vgl. auch Stadie in Rau/Dürrwächter, a.a.O., § 2,
Anm. 816).
36 Der erkennende Senat versteht dies dahingehend, dass das Erfordernis einer
rechtssicheren Präzisierung von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG
Sonderbedingungen wie ein von der Richtlinie nicht vorgesehenes Antragserfordernis
rechtfertigt, bei dem es sich um ein bloßes Verfahrenserfordernis oder auch um ein
materiell-rechtliches Wahlrecht handeln kann. Im Kontext des nationalen Rechts, in
dem es an einem besonderen Verfahren und einem Grundlagenbescheid zur
Feststellung der Organschaft und damit an einer für alle am Organkreis Beteiligten
verbindlichen Festlegung, ob eine Organschaft besteht und wer Steuerschuldner für
diese ist, fehlt, kann nur anhand des Merkmals der Eingliederung die Person
bestimmt werden, die die Verantwortung dafür zu tragen hat, dass die Umsätze des
im Organkreis zusammengefassten Unternehmens ordnungsgemäß versteuert
werden (s. oben II.1.a bb). Daher können die Mitgliedstaaten das Erfordernis der
Rechtssicherheit auch bei der ihnen obliegenden Präzisierung (s. oben II.1.c bb(1))
des "konkreten Umfangs" der erforderlichen Verbindungen berücksichtigen. Dies
rechtfertigt ein Abstellen auf eine Eingliederung mit Durchgriffsrechten, da sich
hieraus die Organschaft als Zusammenfassung zu einem Steuerpflichtigen beim
Organträger rechtssicher ergibt (s. oben II.1.a dd). Damit wird dem
Vereinfachungszweck der Zusammenfassung Rechnung getragen, da
Beurteilungsschwierigkeiten, die sich auf der Grundlage einer bloßen engen
Verbindung, aus der sich aufgrund ihrer Präzisierungsbedürftigkeit keine verbindlichen
Voraussetzungen ergeben, entfallen.
37 Der Senat berücksichtigt dabei auch, dass die Finanzverwaltung berechtigt ist, das
Bestehen einer z.B. zunächst rechtsfehlerhaft unerkannt gebliebenen Organschaft mit
Wirkung für die Vergangenheit geltend zu machen. Unterschiedliche Anforderungen
an die Organschaft, die sich danach richten, ob der Steuerpflichtige --zur Vermeidung
nicht abziehbarer Vorsteuerbeträge wie im Streitfall-- oder die Finanzverwaltung aus
Insolvenz- oder Vollstreckungsgründen ein Interesse am Bestehen der Organschaft
hat, sind weder mit dem nationalen Recht noch mit dem Unionsrecht zu vereinbaren.
38 (2) Dient die Zusammenfassung zu einem Steuerpflichtigen trotz rechtlicher
Selbständigkeit dazu, "Missbräuche zu verhindern wie z.B. die Aufspaltung eines
Unternehmens zwischen mehreren Steuerpflichtigen, um in den Genuss einer
Sonderregelung zu gelangen" (EuGH-Urteile Larentia + Minerva und Marenave
Schiffahrt, EU:C:2015:496, Rz 40, und Kommission/Irland, EU:C:2013:217, Rz 47),
können die Mitgliedstaaten bei Ausübung der ihnen unionsrechtlich zur
Missbrauchsbekämpfung zustehenden Regelungsbefugnis (s. oben II.1.c bb(2)(a))
berücksichtigen, dass die Zusammenfassung zu nichtsteuerbaren Leistungen
zwischen den zusammengefassten Personen führt. Durch diese Nichtsteuerbarkeit
von Innenleistungen könnte es bei einem fehlenden Recht zum Vorsteuerabzug des
Leistungsempfängers nach § 15 Abs. 2 UStG (Art. 17 Abs. 2 und 3 der Richtlinie
77/388/EWG) zu einer Umgehung des insoweit bestehenden Abzugsverbots
kommen (zu den sich aus einer Organschaft insoweit ergebenden
"Gestaltungswirkungen" vgl. z.B. Grune/Mönckedieck, Umsatzsteuer-Rundschau
2012, 541; Heintzen, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1999, 1799; Leonard, DStR
2010, 721). Die Gestaltungswirkung, die auch von der Klägerin mit der Organschaft
erstrebt wird, besteht darin, den --ohne Organschaft-- eintretenden Nachteil einer
Steuerentstehung ohne Recht auf Vorsteuerabzug zu vermeiden. Diese Folge ist mit
dem Vereinfachungszweck der Zusammenfassung zu einem Steuerpflichtigen nicht
zu vereinbaren und rechtfertigt eine Beschränkung der Organschaft auf die Fälle, in
denen die organschaftlichen Unternehmensteile aufgrund einer Eingliederung ebenso
eng wie Betriebsabteilungen eines Einheitsunternehmens miteinander verbunden
sind. Die Eingliederung bewirkt somit, dass derartige Vorteile nur den Organschaften
zugutekommen, deren Unternehmen ähnlich eng wie bei einem rechtlichen
Einheitsunternehmen miteinander verbunden sind.
39 dd) Durch den Übergang von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG zu
dem ab 2007 geltenden Art. 11 MwStSystRL ist es nicht zu inhaltlichen Änderungen
des Unionsrechts gekommen (EuGH-Urteil Larentia + Minerva und Marenave
Schiffahrt, EU:C:2015:496, Rz 36 und 42).
40 ee) Die hiergegen gerichteten Einwendungen der Klägerin greifen nicht durch. Der
erkennende Senat hat bereits in der Vergangenheit maßgeblich auf das Erfordernis
der Rechtssicherheit abgestellt (BFH-Urteil in BFHE 229, 433, BStBl II 2011, 597).
Hiermit nicht vereinbar ist es, für die Organschaft auf die Entstehungsgeschichte der
miteinander verbundenen Unternehmen abzustellen.
41 2. Bis zum Oktober 2007 fehlte es zudem an der erforderlichen organisatorischen
Eingliederung.
42 a) Nach der Rechtsprechung des BFH setzt die organisatorische Eingliederung
voraus, dass der Organträger die mit der finanziellen Eingliederung verbundene
Möglichkeit der Beherrschung der Tochtergesellschaft in der laufenden
Geschäftsführung wahrnimmt, wobei er die Organgesellschaft durch die Art und
Weise der Geschäftsführung beherrschen muss. Hiervon ist z.B. dann auszugehen,
wenn bei zwei GmbHs eine Personenidentität in den Geschäftsführungsorganen
besteht. Sind für die Organ-GmbH z.B. mehrere einzelvertretungsberechtigte
Geschäftsführer bestellt, reicht es aus, dass zumindest einer von ihnen auch
Geschäftsführer der Organträger-GmbH ist, der Organträger über ein umfassendes
Weisungsrecht gegenüber der Geschäftsführung der Organ-GmbH verfügt und zur
Bestellung und Abberufung aller Geschäftsführer der Organ-GmbH berechtigt ist.
Nicht ausreichend ist demgegenüber, dass eine vom Organträger abweichende
Willensbildung in der Organgesellschaft ausgeschlossen ist (BFH-Urteil in BFHE 242,
433, unter II.2.b und 3.).
43 Soweit der Senat hierfür in einem Einzelfall auf eine "institutionell abgesicherte
unmittelbare Eingriffsmöglichkeit in den Kernbereich der laufenden Geschäftsführung"
(BFH-Urteil vom 3. April 2008 V R 76/05, BFHE 221, 443, BStBl II 2008, 905, unter
II.4.) abgestellt hat, folgt hieraus nichts anderes, als dass im Regelfall eine personelle
Verflechtung über die Geschäftsführung der juristischen Person als
Organgesellschaft bestehen muss. Nicht ausreichend sind Weisungsrechte,
Berichtspflichten (BFH-Urteil in BFHE 221, 443, BStBl II 2008, 905, unter II.4.) oder
ein Zustimmungsvorbehalt zugunsten der Gesellschafterversammlung oder
zugunsten des Mehrheitsgesellschafters (BFH-Urteil in BFHE 234, 548, BStBl II 2013,
218, unter II.3.a cc).
44 b) Gegen diese Anforderungen bestehen auch unter Berücksichtigung des EuGH-
Urteils Larentia + Minerva und Marenave Schiffahrt (EU:C:2015, 496) keine
Bedenken in unionsrechtlicher Hinsicht. Auch das Erfordernis einer in
organisatorischer Hinsicht bestehenden Durchgriffsmöglichkeit dient insbesondere
der rechtssicheren Bestimmung der Eingliederungsvoraussetzungen, der
Verwaltungsvereinfachung und der Missbrauchsverhinderung (vgl. oben II.1.c cc).
45 c) Damit fehlt es bis zum Oktober 2007 auch an einer organisatorischen
Eingliederung der Klägerin in die A-KG. Denn bis dahin bestand eine organisatorische
Trennung zwischen der Klägerin, deren einzige Geschäftsführerin B war, und der A-
KG, die organschaftlich durch ihre Komplementär-GmbH vertreten wurde, bei der D
einzige Geschäftsführerin war. Zu der im Sinne des BFH-Urteils in BFHE 242, 433,
unter II.2.b und 3. erforderlichen organisatorischen Verflechtung über das
Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan der Klägerin kam es erst dadurch, dass
die Geschäftsführerin der Klägerin auch zur Geschäftsführerin bei der Komplementär-
GmbH der A-AG bestellt wurde.
46 3. Die mangels Organschaft steuerbaren Leistungen der Klägerin unterliegen nicht
dem ermäßigten Steuersatz.
47 Das FG hat insoweit zutreffend entschieden, dass es für die Anwendung der
Steuersatzermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG an der dort vorausgesetzten
Lieferung von in der Anlage bezeichneten Gegenständen fehlt und sich hierfür zu
Recht auf die BFH-Rechtsprechung bezogen, nach der die in einer Großküche eines
Altenwohnheims und Pflegeheims zur Verpflegung der Bewohner zubereiteten
Speisen keine "Standardspeisen" als Ergebnis einfacher und standardisierter
Zubereitungsvorgänge nach Art eines Imbissstandes sind, so dass deren Abgabe zu
festen Zeitpunkten in Warmhaltebehältern keine Lieferung, sondern eine dem
Regelsteuersatz unterliegende sonstige Leistung ist (BFH-Urteil vom 12. Oktober
2011 V R 66/09, BFHE 235, 525, BStBl II 2013, 250). Ebenso wie in diesem Fall hat
auch die Klägerin entgeltliche Leistungen zur Versorgung der in einem Heim
vollstationär untergebrachten Personen mit Speisen und Getränken erbracht, wobei
Speiseplanvorgaben einzuhalten waren. Es ist auch im Streitfall davon auszugehen,
dass sich die Tätigkeit bei der Speisenversorgung nicht auf die Abgabe von
Standardspeisen als Ergebnis einfacher und standardisierter Zubereitungen nach Art
eines z.B. Imbissstandes beschränkte.
48 4. Dem Erlass der Änderungsbescheide steht auch nicht § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3
AO entgegen.
49 Nach dieser Vorschrift darf bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids
nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass sich die
Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofs des Bundes geändert hat, die bei der
bisherigen Steuerfestsetzung von der Finanzbehörde angewandt worden ist.
50 a) Die Anwendung dieser Vorschrift scheitert bereits daran, dass die Klägerin das
Bestehen einer Organschaft erstmals im Einspruchsverfahren und damit nach Erlass
der hier streitigen Steuerbescheide geltend gemacht hat. Damit lag den
Steuerbescheiden vor Erlass der angefochtenen Änderungsbescheide keine BFH-
Rechtsprechung zur Organschaft zugrunde, so dass die Rechtsauffassung vor der
Rechtsprechungsänderung durch das BFH-Urteil in BFHE 229, 433, BStBl II 2011,
597 ohne Bedeutung war.
51 b) In Bezug auf die Frage der Abgrenzung von Lieferungen und sonstigen Leistungen
bei der Abgabe von Speisen ergibt sich für die Klägerin ein Anspruch auf
Vertrauensschutz auch nicht daraus, dass der erkennende Senat mit seinem Urteil in
BFHE 235, 525, BStBl II 2013, 250 die Rechtsprechung "fortentwickelt" hat. Denn
unabhängig hiervon hatte sich der BFH vor diesem Urteil zur Frage der
Speisenversorgung in Altenwohnheimen und Pflegeheimen nicht unmittelbar
geäußert.
52 5. Das FG hat den von der Klägerin geltend gemachten Erlass aus Billigkeitsgründen
zutreffend abgelehnt.
53 a) Nach § 163 Satz 1 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne
die Steuer erhöhende Besteuerungsgrundlagen unberücksichtigt bleiben, wenn die
Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls aus sachlichen oder aus
persönlichen Gründen unbillig wäre.
54 Die nach § 163 AO zu treffende Billigkeitsentscheidung ist eine
Ermessensentscheidung der Finanzbehörde i.S. des § 5 AO, die grundsätzlich nur
eingeschränkter gerichtlicher Nachprüfung unterliegt (§ 102, § 121 FGO). Sie kann im
finanzgerichtlichen Verfahren nur dahin geprüft werden, ob der Verwaltungsakt oder
die Ablehnung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen
des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der
Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde (ständige
Rechtsprechung, vgl. Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten
Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BStBl II 1972, 603;
BFH-Urteile vom 26. Oktober 1994 X R 104/92, BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297; vom
10. Oktober 2001 XI R 52/00, BFHE 196, 572, BStBl II 2002, 201; vom 7. Oktober
2010 V R 17/09, BFH/NV 2011, 865; vom 6. September 2011 VIII R 55/10, BFH/NV
2012, 269).
55 b) Die Festsetzung einer Steuer ist aus sachlichen Gründen unbillig, wenn sie zwar
dem Wortlaut des Gesetzes entspricht, aber den Wertungen des Gesetzes
zuwiderläuft (vgl. BFH-Urteile vom 11. Juli 1996 V R 18/95, BFHE 180, 524, BStBl II
1997, 259; vom 18. Dezember 2007 VI R 13/05, BFH/NV 2008, 794; in BFH/NV 2011,
865). Das setzt voraus, dass der Gesetzgeber die Grundlagen für die
Steuerfestsetzung anders als tatsächlich geschehen geregelt hätte, wenn er die zu
beurteilende Frage als regelungsbedürftig erkannt hätte (vgl. BFH-Beschluss vom
12. September 2007 X B 18/03, BFH/NV 2008, 102, m.w.N.).
56 c) Rechtsfehlerfrei hat das FG erkannt, dass das FA die Voraussetzungen einer
sachlichen oder persönlichen Unbilligkeit zutreffend verneint hat. Insoweit ist zu
berücksichtigen, dass für einen über § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO hinausgehenden
Vertrauensschutz im Fall einer Änderung der Rechtsprechung im Allgemeinen keine
Notwendigkeit besteht, wenn sich der Steuerpflichtige die vom BFH aufgegebene
Rechtsprechung erst in einem Einspruchsverfahren zu eigen macht. Zudem hat das
FG zutreffend berücksichtigt, dass Verwaltungsanweisungen, zu denen auch dort
getroffene Übergangsregelungen gehören, nicht wie Gesetze auslegungsfähig sind,
sondern im Allgemeinen entsprechend dem Verständnis der Finanzverwaltung
anzuwenden sind (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 13. Januar 2011 V R 43/09, BFHE 233,
58, BStBl II 2011, 610, zur "Vertretbarkeit" der von einer Finanzbehörde
vorgenommenen Auslegung einer von der Finanzverwaltung getroffenen
Übergangsregelung). Im Hinblick auf die Vermögenssituation der Klägerin konnte das
FG auch persönliche Billigkeitsgründe verneinen.
57 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.