Urteil des BFH vom 23.06.2016

Zum Begriff des Besitzes einer Rechnung i.S. des § 15 Abs. 1 UStG und des Art. 178 Buchst. a MwStSystRL

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 23.6.2016, V B 90/15
Zum Begriff des Besitzes einer Rechnung i.S. des § 15 Abs. 1 UStG und des Art. 178 Buchst. a MwStSystRL
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 27. August
2015 6 K 2892/12 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Gründe
1
Die Beschwerde ist unbegründet.
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1. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam i.S. des § 115 Abs. 2
Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), ob für den "Besitz" i.S. von § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 des
Umsatzsteuergesetzes (UStG) die Entgegennahme von Rechnungen durch einen Empfangsvertreter gemäß § 130
des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ausreicht oder ob sachenrechtlicher Besitz nach §§ 854 ff. BGB vorliegen
muss. Die Frage ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung, weil sie in einem Revisionsverfahren nicht geklärt werden
könnte (vgl. hierzu z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 8. September 2015 V B 5/15, BFH/NV 2016, 7,
Rz 3).
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a) Soweit § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG für die Berechtigung zum Vorsteuerabzug den Besitz einer Rechnung
voraussetzt, beruht die Regelung auf Art. 178 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November
2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL). Danach muss der Steuerpflichtige, um das
Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu können, eine gemäß den Art. 220 bis 236 sowie 238, 239 und 240
MwStSystRL ausgestellte Rechnung besitzen. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen
Union (EuGH) verlangen die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts und der Gleichheitssatz, dass Begriffe
einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich
auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist --wie Art. 178 Buchst. a MwStSystRL--, in der Regel in der gesamten
Union eine autonome und einheitliche Auslegung finden müssen, die unter Berücksichtigung des
Regelungszusammenhangs und des mit der betreffenden Regelung verfolgten Zweckes zu ermitteln ist (z.B. EuGH-
Urteil Zita Modes vom 27. November 2003 C-497/01, EU:C:2003:644, Rz 34, mit Nachweisen aus der
Rechtsprechung des EuGH). Für den Begriff des Besitzes i.S. des Art. 178 Buchst. a MwStSystRL und damit auch für
den des § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG ist deshalb die von der Klägerin aufgeworfene bürgerlich-rechtliche
Fragestellung nicht entscheidungserheblich.
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b) Zudem hat das Finanzgericht (FG) die Würdigung, dass der Rechnungsempfang durch den Zeugen A der Klägerin
zuzurechnen ist, nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung
vorgenommen. Es ist zu diesem Ergebnis gelangt, weil der Zeuge A mit Kenntnis und Einverständnis der Klägerin als
ihr Bevollmächtigter tätig geworden ist. Diese Würdigung hat das FG u.a. darauf gestützt, dass der Zeuge A die
Bauleitung i.S. einer Geschäftsbesorgung von der Klägerin übernommen habe. Dabei habe er die Baustelle in Besitz
genommen, Aufträge an Subunternehmer vergeben, Abnahmeerklärungen gegenüber Subunternehmern erklärt und
die Stadtsparkasse veranlasst, die Subunternehmer zu bezahlen. Das sei der Klägerin bekannt gewesen und sie habe
es für und gegen sich gelten lassen. Auch seien die vom Zeugen A an die Klägerin gestellten Rechnungen bezahlt
worden. Die Tatsachen- und Beweiswürdigung des FG ist für den Senat bindend (§ 118 Abs. 2 FGO), weil sie weder
gegen Denkgesetze noch gegen allgemeine Erfahrungssätze verstößt und zumindest möglich ist (BFH-Urteil vom
16. Februar 2016 IX R 28/15, Rz 12).
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.