Urteil des BFH vom 09.03.2016

Restschuldbefreiung bei Lottogewinn in Millionenhöhe?

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 9.3.2016, V B 82/15
Restschuldbefreiung bei Lottogewinn in Millionenhöhe?
Tenor
Die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des ...
Finanzgerichts vom .... wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Tatbestand
1 I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) betrieben einen Gewerbebetrieb. Wegen
wirtschaftlicher Schwierigkeiten wurde am … November 2011 das
Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet.
2 Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) meldete
Steuerforderungen von 42.710,76 EUR (Kläger) und 1.741,31 EUR (Klägerin) an. Das
Verfahren wurde am 12. September 2012 bzw. am 11. Dezember 2012 aufgehoben.
Während des dritten Jahres der Wohlverhaltensphase wandte sich der Kläger mit
Schreiben vom 22. August 2014 bzw. die Klägerin mit Schreiben vom 17. September
2014 an das FA und beantragten einen Steuererlass. Der Kläger erhalte eine
Altersrente von nur 1.166,38 EUR und die Klägerin von 192,96 EUR. Der
Insolvenzantrag belaste die Kläger wirtschaftlich und gesundheitlich schwer. Um das
Verfahren zu beenden, hätten sich die Kinder der Kläger bereitgefunden, einen Betrag
von 40.000 EUR den Gläubigern zur Verfügung zu stellen, der entsprechend der
Konkursquote auf die Gläubiger aufgeteilt werden könne. Nach Zahlung der auf das FA
entfallenden Beträge von 5.880 EUR (14,7 %) bzw. von 233,78 EUR (3,6 %) müsse
das FA als Gegenleistung erklären, dass sich die Steuerforderungen damit erledigt
hätten. Das FA nahm das Angebot an und erklärte am 22. bzw. 29. September 2014
den Erlass der restlichen Steuerschulden.
3 Nachdem das FA aufgrund einer Grunderwerbsteuermitteilung über den Kauf eines
Hauses in der Wohlverhaltensphase erfahren hatte, dass die Kläger im Juli 2014 einen
Lottogewinn über 1.010.057 EUR erhalten hatten, nahm es den gewährten Erlass am
15. Dezember 2014 nach § 130 Abs. 2 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO) zurück.
4 Mit Beschlüssen vom 23. Februar 2015 bzw. 16. März 2015 erteilte das Amtsgericht
den Klägern vorzeitig die Restschuldbefreiung.
5 Im Einspruchsverfahren machten die Kläger geltend, dass sie dem Insolvenzverwalter
von dem Lottogewinn Mitteilung gemacht hätten, dieser aber darauf hingewiesen hätte,
dass der Lottogewinn aus Juli 2014 nicht in die Insolvenzmasse des 2011 eröffneten
Insolvenzverfahrens gehöre. Die Kläger seien nicht verpflichtet gewesen, bei dem
freiwilligen Angebot den Lottogewinn zu erwähnen.
6 Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Der Erlass wegen persönlicher Unbilligkeit
sei durch unrichtige Angaben zur wirtschaftlichen Situation der Kläger i.S. des § 130
AO erschlichen worden. Unter anderem sei angegeben worden, die Kinder hätten den
freiwillig bereitgestellten Betrag angeboten "aus Sorge um den Gesundheitszustand der
Eltern", obwohl diese mit einem Schlage die Insolvenzforderungen hätten begleichen
können. Der Einwand der Kläger, dass der Lottogewinn nicht in die Insolvenzmasse
falle, sei zwar zutreffend, für die Frage der Rechtmäßigkeit der Erlassgewährung
jedoch unerheblich. Denn für den Billigkeitserlass des FA sei auch die
Realisierungsmöglichkeit der Restschuld maßgebend gewesen. Bei Kenntnis des
Lottogewinns hätte das FA zumindest die aus dem Lottogewinn resultierenden Erträge
beanspruchen können. Daher hätten die Kläger auch die Rechtspflicht gehabt, den
Lottogewinn im Erlassverfahren anzugeben.
Entscheidungsgründe
7 II. 1. Die Revision ist nicht wegen Verfahrensfehlern (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der
Finanzgerichtsordnung --FGO--) zuzulassen.
8 a) Verfahrensmängel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO sind Verstöße gegen das
Gerichtsverfahrensrecht, die das FG bei der Handhabung seines Verfahrens begeht
und die zur Folge haben, dass eine ordnungsgemäße Grundlage für die Entscheidung
im Urteil fehlt (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH--; vgl. BFH-
Beschluss vom 31. August 2015 VI B 14/15, juris). So kann ein Verfahrensfehler dann
vorliegen, wenn das FG gegen den Grundsatz der Gewährung des rechtlichen
Gehörs verstößt, weil es sich mit dem Kern des Vorbringens eines Beteiligten nicht
auseinandersetzt. Kein Verfahrensfehler, sondern allenfalls ein materiell-rechtlicher
Fehler, der nur unter den weiteren Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 oder 2
FGO zur Revisionszulassung führt, ist hingegen dann gegeben, wenn das Gericht
dem Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs genügt hat, weil es die
Ausführungen der Beteiligten bei der Urteilsfindung in Erwägung zieht und sich mit
dem entscheidungserheblichen Kern der Klagebegründung auseinandersetzt. Ob das
Gericht dann bei seiner Auseinandersetzung mit dem Klägervorbringen zu dem vom
Kläger gewünschten Ergebnis kommt, stellt eine Frage der richtigen
Rechtsanwendung und nicht eines Verfahrensfehlers dar (vgl. Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts vom 11. Juni 2008 2 BvR 2062/07, Deutsches
Verwaltungsblatt 2008, 1056).
9 b) So liegt es im Streitfall. Das FG hat das wesentliche Vorbringen des Klägers,
wonach der erhebliche Lottogewinn nicht zum Insolvenzvermögen nach § 35 der
Insolvenzordnung (InsO) gehört, weil er weder im Zeitpunkt der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens noch im Zeitraum bis zum Abschluss als Neuvermögen
angefallen ist, und er deshalb nicht verpflichtet sei, dem FA hiervon Mitteilung zu
machen, im Tatbestand ausführlich wiedergegeben und sich in seinen Gründen damit
auseinandergesetzt. Es hat ausgeführt, dass dieser Umstand zwar nicht bei der
Feststellung des Insolvenzvermögens, wohl aber bei der Frage der Gewährung eines
Billigkeitserlasses für den Erlass der restlichen Steuerschulden zu berücksichtigen
sei. Die Kläger haben somit nicht schlüssig einen Verfahrensfehler in Form der
Verletzung des rechtlichen Gehörs dargelegt.
10 2. Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1
FGO) zuzulassen, da die Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht
hinreichend dargelegt haben.
11 Die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache verlangt substantiierte Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit einer
hinreichend bestimmten --abstrakt beantwortbaren-- Rechtsfrage, die im konkreten
Streitfall voraussichtlich klärungsfähig ist, deren Beurteilung zweifelhaft oder
umstritten ist und das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen
Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt.
12 a) Die Kläger haben bereits keine abstrakte Rechtsfrage dargelegt, sondern eine
Sachverhaltsschilderung, verbunden mit einer Rechtsansicht, vorgetragen, wenn sie
zur Bezeichnung der zu klärenden Rechtsfrage ausführen:
13 "Die Finanzverwaltung muss bei der Frage der Rücknahme eines gewährten
Erlasses in der Wohlverhaltensperiode der Privatinsolvenz und bei Zufluss von
finanziellen Mitteln, die nicht zur Masse gezogen werden können, und ein
Zahlungsangebot in Aussicht gestellt wird, eine Überprüfung dahingehend vornehmen,
ob der kurzfristige Mittelzufluss höher oder niedriger ist, als die zu erwartenden
Einnahmen durch Pfändungen über den Treuhänder bis zum Ende der
Privatinsolvenz".
14 b) Auch fehlt im Streitfall die Darlegung, weshalb in diesem Sonderfall eine
Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung für die Allgemeinheit besteht.
15 c) Im Übrigen bedarf es keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, dass das FA bei
der Gewährung eines Billigkeitserlasses aus persönlichen Gründen nicht auf
bestimmte Erwägungen beschränkt ist, sondern allgemein berücksichtigen kann,
dass es nicht der Billigkeit entspricht, Steuerschulden zu erlassen, wenn ein
Steuerschuldner sich nicht --wie nach § 227 AO vorausgesetzt-- in einer
wirtschaftlichen Notlage befindet, sondern aufgrund eines beträchtlichen Lottogewinns
die Steuerschulden in einem Schlage hätte tilgen können und dass ein bereits
gewährter Erlass nach § 130 AO zurückgenommen werden kann, wenn im
Erlassantrag der Lottogewinn verheimlicht und wahrheitswidrig auf eine angeblich
wegen der Steuerschulden bestehende schwere Gesundheitsgefährdung
hingewiesen wurde.
16 Es erscheint auch insolvenzrechtlich nicht ausgeschlossen, dass eine
Restschuldbefreiung, mit der nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes dem
Schuldner ein lebenslänglicher "Schuldturm" erspart werden sollte, dann nicht mehr
erforderlich ist und mit den Grundsätzen der Billigkeit nicht mehr zu vereinbaren ist,
wenn dies wegen der durch überraschende Umstände völlig geänderten
Vermögensverhältnisse nicht mehr erforderlich erscheint. Der mit der Erteilung der
Restschuldbefreiung verbundene Eingriff in die Gläubigerrechte ist dann durch
sachliche Gründe nicht mehr zu rechtfertigen. Auch in § 295 InsO ist geregelt, dass
ein --wie beim Lottogewinn-- nicht erwirtschafteter Erbschaftanfall während der
Wohlverhaltensphase wegen des Risikos der Ausschlagung immerhin zur Hälfte an
die Gläubiger auszukehren ist. Denn --so die amtliche Begründung-- "in diesem Falle
wäre es unbillig, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu gewähren, ohne dass er
dieses Vermögen antasten muss" (BTDrucks 12/2443, S. 192).
17 3. Da bereits keine Gründe für die Zulassung der Revision schlüssig vorgetragen
sind, kann dahinstehen, ob der Beschwerde wegen des Erlasswiderrufes der
restlichen Steuerschulden bereits das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn feststeht,
dass eine Restschuldbefreiung erteilt ist und auch ein Widerruf der Befreiung (§ 303
InsO) ausgeschlossen ist.
18 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.