Urteil des BFH vom 01.03.2016

Verfahrensfehler - Hinweispflicht - Sachaufklärungspflicht - Unsubstantiierter Beweisantrag

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 1.3.2016, V B 44/15
Verfahrensfehler - Hinweispflicht - Sachaufklärungspflicht - Unsubstantiierter Beweisantrag
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des
Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 12. Februar 2015 4 K 10015/11 wird als
unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Gründe
1 Die Beschwerde der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist unbegründet.
2 1. Verfahrensfehler des Finanzgerichts --FG-- (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der
Finanzgerichtsordnung --FGO--) durch Verletzung der richterlichen Hinweispflicht
liegen nicht vor.
3 Nach § 76 Abs. 2 FGO hat der Vorsitzende darauf hinzuwirken, dass Formfehler
beseitigt, sachdienliche Anträge gestellt, unklare Anträge erläutert, ungenügende
tatsächliche Angaben ergänzt, ferner alle für die Feststellung und Beurteilung des
Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden. Diese Hinweispflichten
verpflichten das FG, Schutz und Hilfestellungen für die Beteiligten zu geben, deren
Eigenverantwortlichkeit dadurch aber nicht eingeschränkt oder beseitigt wird. Liegt die
rechtliche Bedeutung bestimmter Tatsachen und die daraus folgende Erforderlichkeit,
diese Tatsachen bei Gericht vorzubringen und zu substantiieren, auf der Hand, so
stellt ein unterlassener Hinweis jedenfalls dann keine gegen § 76 Abs. 2 FGO
verstoßende Pflichtverletzung dar, wenn die Klägerin steuerlich beraten und im
Prozess entsprechend vertreten war (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschluss des
Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 7. Oktober 2015 VI B 49/15, BFH/NV 2016, 38,
m.w.N.).
4 a) Soweit die Klägerin geltend macht, das FG habe sie darauf hinweisen müssen,
dass es die --das Beweisthema der Zeugenvernehmung nicht betreffenden--
Äußerungen des Zeugen C zu den Auswirkungen von Lagerzeiten auf die
Verwertbarkeit von Alttextilien in den Urteilsgründen berücksichtigen werde und ihr
Gelegenheit geben müssen, daraufhin entsprechend vorzutragen, liegt darin keine
Verletzung der richterlichen Hinweispflicht.
5 aa) Dass die Lagerzeit der Textilien für die Berücksichtigung des von der Klägerin
geltend gemachten Abschlags wegen Qualitätsverlustes eine Rolle spielte, folgt
bereits daraus, dass sie vom FG durch die Aufklärungsverfügung vom 27. Juni 2014
u.a. aufgefordert wurde, "ergänzend darzulegen, ... wie und wo die Ware gelagert
wurde (im Freien, in einer Halle, Lagerfläche, Lagerzeiten) ...". Darüber hinaus hatte
der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) auf Seite 3 des
Schriftsatzes vom 6. Dezember 2013 nicht nur ausgeführt, dass die Klägerin keinerlei
Nachweise über den Lagerbestand geführt habe, sondern auch eine übermäßig lange
Einlagerung der Altkleider als nicht glaubhaft erachtet, da die Klägerin an die
Sortieranstalt wöchentlich Ausgangsrechnungen unter Angabe der Nummern der
jeweiligen Wiegenoten erstellt habe. Die Sichtung der Ausgangsrechnungen ergebe,
dass kontinuierlich Sammelware bei dem Sortierbetrieb abgeliefert wurde. Es sei
daher nicht ersichtlich, dass die Abnahme nicht zeitgemäß erfolgte und die Klägerin
deshalb Sammelware für längere Zeit eingelagert habe. Da sich bereits aus der
Prozessgeschichte ergibt, dass die Lagerdauer thematisiert wurde und offensichtlich
für die Entscheidung der Klage von Bedeutung war, bedurfte es insoweit keines
besonderen Hinweises des FG an die steuerlich beratene Klägerin.
6 bb) Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang rügt, das FG habe sich bei der
Vernehmung des Zeugen C nicht an das im Beweisbeschluss formulierte Thema
"Hintergrund und Durchführung des Beratervertrages" gehalten, begründet dieser
Einwand keinen zur Zulassung der Revision führenden Verfahrensfehler.
7 Nach § 359 Nr. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) enthält der Beweisbeschluss "die
Bezeichnung der streitigen Tatsachen, über die der Beweis zu erheben ist". Die
Angabe des Beweisthemas bezweckt --vor allem für Beweisaufnahmen vor dem
beauftragten oder ersuchten Richter-- diese, aber auch die Beteiligten und die
Personalbeweismittel (Zeugen und Sachverständige) darüber zu informieren, über
welche vom Gericht für entscheidungserheblich gehaltenen Tatsachen Beweis
erhoben werden soll. Eine inhaltliche Beschränkung auf bestimmte Fragen, wie sie
der Klägerin vorschwebt, ergibt sich daraus jedoch nicht. Auch ist der
Beweisbeschluss für das Gericht u.a. deswegen nicht bindend, weil im
finanzgerichtlichen Verfahren das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen ermittelt
(§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO); im Beweistermin kann die Beweiserhebung auch ohne
ausdrückliche Änderung des Beweisbeschlusses und ohne Zustimmung der
Beteiligten über das beschlossene Beweisthema hinaus geändert oder ergänzt
werden, wenn dies sachdienlich erscheint (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH--
vom 22. Juni 2006 V B 155/05, BFH/NV 2006, 2093, m.w.N.).
8 So liegen die Verhältnisse im Streitfall, da der Zeuge über umfassende
Branchenkenntnisse verfügte und damit sachkundig war; wie sich der Anlage zum
Protokoll entnehmen lässt, hatte der Zeuge C die nunmehr von der Klägerin
beanstandete Aussage auf ihre Nachfrage getätigt. Zudem ergibt sich weder aus dem
Sitzungsprotokoll noch aus dem Schriftsatz vom 23. Februar 2015, in dem die
Klägerin umfassend zum Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung genommen hatte,
dass diese insoweit Einwendungen erhoben hätte.
9 b) Ein Verfahrensfehler liegt auch nicht insoweit vor, als die Klägerin rügt, es habe
eines Hinweises bedurft, um das für die Hinzuschätzungen nicht
streitgegenständliche Jahr 2004 als Vergleichsjahr berücksichtigen zu können. Diese
Rüge verkennt nicht nur, dass die Klage ausweislich des Rubrums die Jahre 2002 bis
2004 betrifft, sondern auch, dass Streitgegenstand einer Anfechtungsklage im
steuergerichtlichen Verfahren die Rechtmäßigkeit des angefochtenen
Verwaltungsakts im Ganzen ist (vgl. zuletzt BFH-Beschluss vom 19. November 2013
XI B 9/13, BFH/NV 2014, 373) und nicht etwa --wie die Klägerin offensichtlich meint--
einzelne Besteuerungsgrundlagen oder Begründungen (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom
17. März 2008 V B 112/07, juris; BFH-Urteil vom 1. Dezember 2010 XI R 46/08,
BFHE 232, 232, BFH/NV 2011, 712). Das FG wäre daher nicht daran gehindert,
innerhalb des vom FA festgesetzten Steuerbetrags einzelne Besteuerungsgrundlagen
(hier: Hinzuschätzungen der steuerpflichtigen Umsätze für 2004) in tatsächlicher oder
rechtlicher Hinsicht für den Steuerpflichtigen ungünstiger zu beurteilen, als dies in
dem angefochtenen Steuerbescheid geschehen ist (vgl. BFH-Beschluss vom
23. April 2008 V B 159/07, BFH/NV 2008, 1347).
10 c) Soweit die Klägerin vorbringt, das FG gehe zu Unrecht davon aus, dass sich eine
Lagerungsbedürftigkeit der Alttextilien aus dem Schreiben der S vom 3. Juli 2007
nicht nachvollziehbar ergebe, wendet sie sich gegen die Beweiswürdigung durch das
FG und ersetzt diese durch ihre eigene. Mit ihrem Vortrag bezeichnet die Klägerin
keinen Verfahrensmangel, sondern erhebt lediglich sachlich-rechtliche Einwände
gegen die Richtigkeit des angegriffenen Urteils. Dies kann selbst dann nicht zur
Zulassung der Revision führen, wenn die fehlerhafte Beweiswürdigung auf einem
Verstoß gegen allgemeine Grundsätze der Beweiswürdigung beruht und deshalb
einer zugelassenen Revision möglicherweise zum Erfolg verhelfen könnte (vgl. BFH-
Beschluss vom 22. Juni 2006 V B 155/05, BFH/NV 2006, 2093).
11 2. Das FG hat nicht dadurch gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO)
verstoßen, dass es den Beweisanträgen der Klägerin nicht gefolgt ist.
12 Die Sachaufklärungspflicht erfordert, dass das FG Tatsachen und Beweismitteln
nachgeht, die sich ihm in Anbetracht der Umstände des Einzelfalles hätten
aufdrängen müssen. Es darf substantiierte Beweisanträge, die den
entscheidungserheblichen Sachverhalt betreffen, grundsätzlich weder ablehnen noch
übergehen. Da die Sachaufklärungspflicht dazu dient, die Spruchreife der Klage
herbeizuführen, hat das Gericht jedoch nur das aufzuklären, was aus seiner
(materiell-rechtlichen) Sicht entscheidungserheblich ist (BFH-Beschluss vom
23. September 2009 IV B 133/08, BFH/NV 2010, 52, m.w.N.). Dabei entspricht es
ständiger Rechtsprechung, dass das FG unsubstantiierten Beweisanträgen nicht
nachgehen muss; ein Beweisantrag ist unsubstantiiert, wenn er nicht angibt, welche
konkrete Tatsache durch welches Beweismittel nachgewiesen werden soll (Herbert in
Gräber, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 76 Rz 29, m.w.N.).
13 a) Nach diesen Grundsätzen hat das FG die Vernehmung des Zeugen L "für die
dargestellten Abläufe und Vorgehensweisen bei Sammlungen, Transportfahrten,
Einlagerungen und Entsorgungen" zu Recht abgelehnt. Mit ihrem Beweisangebot
bezieht sich die Klägerin auf den gesamten Vortrag im Schriftsatz vom 30. September
2013 (S. 2 bis 5). Damit hat die Klägerin nicht, wie § 373 ZPO dies erfordert, die
konkreten Tatsachen bezeichnet, über welche die Vernehmung des Zeugen
stattfinden soll. Denn sie hat mit ihrer weitreichenden und umfassenden Formulierung
keine entscheidungserheblichen Tatsachen in das Wissen des von ihr benannten
Zeugen gestellt (vgl. BFH-Beschluss vom 29. Juni 2015 V B 57/14, juris). Hinzu
kommt, dass die Klägerin in dem o.g. Schriftsatz auch Behauptungen aufgestellt hat
(beispielsweise Verfahrensweise bei zugekaufter Ware), zu denen der Zeuge aus
eigener Wahrnehmung nichts wissen konnte.
14 b) Ein Verfahrensfehler des FG liegt auch nicht insoweit vor, als es das
Beweisangebot, "der dargelegten Kostentragung bei Entsorgungen" durch
Vernehmung eines instruierten Vertreters der Firma M abgelehnt hat.
15 aa) Einer Beweisaufnahme bedarf es u.a. dann nicht, wenn die in Frage stehende
Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann (BFH-
Beschlüsse vom 6. Dezember 2012 I B 8/12, BFH/NV 2013, 703, sowie vom
18. Februar 2013 XI B 117/11, BFH/NV 2013, 918). Dies war vorliegend der Fall, da
das Gericht dem Vortrag der Geschäftsführerin in der mündlichen Verhandlung,
wonach die Lieferanten die Kosten der Entsorgung zu tragen hatten, gefolgt ist und
seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat.
16 bb) Im Hinblick auf die Ausführungen der Klägerin auf Seite 3 ihres Schriftsatzes vom
30. September 2013 durfte das FG den Beweisantrag der Klägerin auch in diesem
Sinne verstehen. Soweit sie nunmehr im Rahmen der Beschwerde vorbringt, ihr
Beweisangebot habe sich nicht darauf bezogen, dass die Firma M oder sonstige
Lieferanten die Kosten der Entsorgung zu tragen hatten, sondern darauf, dass durch
den Beweis der von der Firma M getragenen Entsorgungskosten ein entsprechender
Müllanteil aus dem Warenbestand feststellbar gewesen wäre, wird damit kein
Verfahrensfehler des FG dargelegt.
17 c) Zu Unrecht rügt die Klägerin, das FG habe einen Verfahrensfehler begangen,
indem es --entgegen ihrem Beweisantrag-- kein Sachverständigengutachten für die
Behauptung eingeholt habe, dass die Lagerung teilweise feuchter Textilien die fünf- bis
zehnfache Menge um sich herum verdirbt und damit zu einer Ausschussmenge von
ca. 15 % führt.
18 aa) Während das FG die von den Verfahrensbeteiligten angebotenen Beweise
grundsätzlich erheben muss, steht die Zuziehung eines Sachverständigen im
pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Hat es die nötige Sachkunde selbst, braucht
es einen Sachverständigen nicht hinzuziehen (BFH-Beschluss vom 7. Januar 2015
I B 42/13, BFH/NV 2015, 1093). Das dem Tatsachengericht bei der Bestimmung von
Art und Zahl einzuholende Sachverständigengutachten nach § 82 FGO i.V.m. §§ 404,
412 ZPO zustehende Ermessen wird nur dann verfahrensfehlerhaft ausgeübt, wenn
das Gericht von der Einholung gutachterlicher Stellungnahme absieht, obwohl sich
ihm die Notwendigkeit dieser zusätzlichen Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen
(BFH-Beschluss in BFH/NV 2015, 1093, m.w.N.).
19 bb) Vor diesem Hintergrund war die Ablehnung eines Sachverständigenbeweises im
Streitfall frei von Ermessensfehlern. Das FG hat die behaupteten Auswirkungen von
nassen Textilien auf umliegende Ware als wahr unterstellt (S. 26 des FG-Urteils), dies
aber zu Recht für nicht entscheidungserheblich gehalten. Denn die Klägerin hatte
weder die Lagerungsbedürftigkeit der zugekauften noch der eingesammelten Textilien
nachvollziehbar dargelegt und quantifizierbar nachgewiesen. Darüber hinaus ist das
FG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass
eine Beeinträchtigung der umliegenden Alttextilien bei nur kurzfristigen Lagerungen
nicht eintritt. Trotz der Aufklärungsverfügung des FG vom 27. Juni 2014 und den
Ausführungen des FA im Schriftsatz vom 6. Dezember 2013 (vgl. Ausführungen unter
1.a aa) hatte die Klägerin keine konkreten Umstände für darüber hinausgehende
Lagerzeiten plausibel dargelegt.
20 3. Die Beschwerde ist auch insoweit unbegründet, als die Klägerin eine Zulassung der
Revision wegen eines offensichtlichen Rechtsanwendungsfehlers von erheblichem
Gewicht i.S. einer willkürlichen oder greifbar gesetzeswidrigen Entscheidung (§ 115
Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO) begehrt.
21 a) Die Klägerin rügt insoweit, das FG habe nach dem vorliegenden Prozessstoff von
einer Einlagerung gewisser Warenmengen unter Witterungseinfluss ausgehen
müssen, gleichwohl aber keinen Abschlag für während der Einlagerung unbrauchbar
gewordene Ware vorgenommen.
22 b) Mit diesem Vorbringen wendet sich die Klägerin gegen die Beweiswürdigung des
FG, das auf S. 24 seines Urteils gerade nicht von der Lagerungsbedürftigkeit der
zugekauften und gesammelten Textilien ausgegangen ist. Die Grundsätze der
Tatsachen- und Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich dem materiellen Recht
zugeordnet und deshalb der Prüfung des BFH im Rahmen eines mit der
Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemachten Verfahrensmangels i.S. des § 115
Abs. 2 Nr. 3 FGO entzogen (vgl. BFH-Beschluss vom 28. September 2001
V B 77/00, BFH/NV 2002, 359, m.w.N.).
23 4. Von der Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung wird gemäß
§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.
24 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.