Urteil des BFH vom 03.12.2010

Steuersubjekt bei Betrieb gewerblicher Art - Unschädlichkeit der ungenauen Adressatenangabe auf dem Steuerbescheid - Verletzung des rechtlichen Gehörs bei kumulativer Urteilsbegründung

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 3.12.2010, V B 35/10
Steuersubjekt bei Betrieb gewerblicher Art - Unschädlichkeit der ungenauen Adressatenangabe
auf dem Steuerbescheid - Verletzung des rechtlichen Gehörs bei kumulativer Urteilsbegründung
Tatbestand
1 I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) --die Gemeinde G-- führte einen
Eigenbetrieb unter der Bezeichnung "Gemeindewerke G", die die Gemeinde mit Wasser,
Strom und Fernwärme versorgte und ein Hallenbad betrieb. Für die Streitjahre 1999 bis
2002 gaben die "Gemeindewerke G" sowie das …stadion unter derselben Steuernummer
vom Werkleiter unterzeichnete Umsatzsteuererklärungen ab. Der Beklagte und
Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) stimmte den Erklärungen zu und zahlte die
Erstattungsbeträge aus. Auch eine Außenprüfung wurde bei den "Gemeindewerken G"
durchgeführt, wobei die Prüfungsanordnungen an die "Gemeinde G, …stadion" bzw. an die
"Gemeindewerke G" adressiert waren.
2 Am 4. August 2006 gingen beim FA Umsatzsteuererklärungen 1999 bis 2002 der
Gemeinde G "Betrieb gewerblicher Art O" ein, unterzeichnet vom Bürgermeister, in der
weitere Steuererstattungen im Zusammenhang mit der Sanierung eines Bürgerzentrums
geltend gemacht wurden. Das FA lehnte eine Änderung der bisher ergangenen
Umsatzsteuerbescheide mit der Begründung ab, es gebe für Zwecke der
Umsatzbesteuerung lediglich ein Unternehmen, in dem sämtliche Betriebe gewerblicher
Art zu erfassen seien. Im Übrigen sei wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung bzw.
nach Aufhebung des Vorbehaltes der Nachprüfung eine Änderung nicht mehr möglich.
3 Das Finanzgericht (FG) wies die Klage, mit der die Klägerin geltend machte, durch die
gegenüber den "Gemeindewerken G" adressierten Steuerbescheide sei keine
Bindungswirkung für die klagende Gemeinde G eingetreten, ab. Lege man die Anträge der
Klägerin so aus, dass diese eine Änderung von Steuerfestsetzungen begehre, die sich
gegen die "Gemeindewerke G" und nicht gegen die Klägerin richteten, seien die Anträge
mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig, weil sie die Änderung von
Steuerfestsetzungen eines Dritten beträfen. Im Übrigen sei jedenfalls im Wege der
Auslegung davon auszugehen, dass sich die Bescheide auch gegen die Klägerin richteten.
Auch wenn die Umsatzsteuerbescheide an die "Gemeindewerke G" adressiert worden
seien, richteten sie sich gleichwohl an die klagende Gemeinde G, weil diese lediglich im
Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art zur Umsatzsteuer zu veranlagen sei. Der
Werkleiter sei auch zur Empfangnahme dieser Bescheide im Rahmen einer
Duldungsvollmacht der Klägerin befugt, weil die Gemeinde jahrelang geduldet habe, dass
der Werkleiter Umsatzsteuererklärungen abgegeben, die Bescheide gegen "sich" habe
gelten lassen und Zahlungen geleistet habe. Die beantragte Änderung der gegenüber der
Klägerin wirkenden Umsatzsteuerfestsetzungen sei nunmehr wegen
Festsetzungsverjährung bzw. nach Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung nicht mehr
möglich.
4 Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der auf Verfahrensfehler sowie auf grundsätzliche
Bedeutung der Rechtssache gerichteten Nichtzulassungsbeschwerde.
Entscheidungsgründe
5 II. Die Beschwerde ist unbegründet.
6 1. Die Abweisung der Klage durch das FG beruht nicht auf einem Verfahrensfehler (§ 115
Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Hierbei kann dahinstehen, ob es sich bei
der Annahme des FG, es handele sich um einen unzulässigen Änderungsantrag der
Klägerin der gegen die "Gemeindewerke" gerichteten Steuerbescheide und nicht um einen
zulässigen Antrag auf erstmalige Steuerfestsetzung der Klägerin, lediglich um einen dem
materiellen Recht zuzuordnenden Rechtsanwendungsfehler oder --wie die Klägerin meint--
um eine Sachverhaltsunterstellung handelt (vgl. hierzu Beschluss des Bundesfinanzhofs --
BFH-- vom 13. Juli 2007 VII B 105/07, BFH/NV 2007, 2300). Denn jedenfalls beruht das
Urteil nicht auf einer verfahrensfehlerhaften Feststellung, weil das FG sein Urteil auf eine
weitere selbständige Begründung gestützt hat, für die die Klägerin keinen hinreichenden
Zulassungsgrund geltend gemacht hat (vgl. BFH-Beschluss vom 7. April 2010 I B 108/09,
BFH/NV 2010, 1298). Wegen der Doppelbegründung kann das Urteil auch nicht auf einer
Verletzung des rechtlichen Gehörs beruhen, weil die Verletzung des rechtlichen Gehörs
lediglich hinsichtlich einer von zwei selbständig tragenden Begründungen geltend gemacht
wird.
7 2. Die von der Klägerin geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§
115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) in Bezug auf die zweite Begründung des FG liegt nicht vor. Sie
macht geltend, von grundsätzlicher Bedeutung sei die Rechtsfrage, ob ein an einen Betrieb
gewerblicher Art adressierter Umsatzsteuerbescheid im Wege der Auslegung als gegen
die betreffende Körperschaft gerichtet angesehen werden kann. Es sei verwirrend, wenn
bei einem Körperschaftsteuer- oder Gewerbesteuerbescheid der einzelne Betrieb
gewerblicher Art als Steuersubjekt angesehen würde, während ein Umsatzsteuerbescheid
gegen die Körperschaft zu richten sei.
8 Eine grundsätzliche Bedeutung ergibt sich hieraus nicht, denn es ist in der Rechtsprechung
des BFH geklärt, dass bei einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, die einen oder
mehrere Betriebe gewerblicher Art betreibt (§ 2 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes --UStG--
), ein Umsatzsteuerbescheid lediglich gegenüber der Körperschaft und nicht gegenüber
dem Betrieb gewerblicher Art ergehen kann, da allein die Körperschaft Träger von Rechten
und Pflichten sein kann (BFH-Urteil vom 18. August 1988 V R 194/83, BFHE 154, 274,
BStBl II 1988, 932). Da das Unternehmen des Unternehmers seine gesamte gewerbliche
und berufliche Tätigkeit umfasst (§ 2 Abs. 1 Satz 2 UStG), betreibt auch eine Körperschaft
des öffentlichen Rechts lediglich ein einheitliches Unternehmen, das sämtliche Umsätze
der Betriebe gewerblicher Art sowie ihre landwirtschaftlichen und fortwirtschaftlichen
Betriebe umfasst (BFH-Urteil vom 17. März 2010 XI R 17/08, BFHE 230, 466, Deutsches
Steuerrecht 2010, 2234). Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin ergibt sich kein
umsatzsteuerrechtlicher Klärungsbedarf deswegen, weil beim Körperschaftsteuer- und
Gewerbesteuerbescheid der einzelne Betrieb als Steuersubjekt erfasst werde. Denn auch
bei diesen Steuerarten ist ebenso wie bei der Umsatzsteuer einzig die als Rechtsträger in
Betracht kommende Körperschaft des öffentlichen Rechts und nicht der von ihr
unterhaltene Betrieb gewerblicher Art als Inhaltsadressat eines Steuerbescheides
anzusehen, auch wenn für jeden einzelnen Betrieb das Einkommen des Betriebs
gewerblicher Art gesondert zu erfassen und festzusetzen ist (BFH-Urteil vom 13. März 1974
I R 7/71, BFHE 112, 61, BStBl II 1974, 391; ebenso das Adressierungsbeispiel im
Anwendungserlass zur Abgabenordnung zu § 122 Tz. 2.8.2.).
9 3. Geklärt ist weiterhin, dass ein gegen einen Betrieb gewerblicher Art erlassener
Steuerbescheid grundsätzlich nichtig ist, sofern der Bescheid nicht im Wege der Auslegung
als gegen die Körperschaft gerichtet angesehen werden kann (BFH-Urteil vom 9. Juli 1996
VII R 136/95, BFH/NV 1997, 10). Eine ungenaue Adressatenangabe ist jedoch
unschädlich, wenn aus anderen Umständen erkennbar wird, an welche Person sich der
Bescheid seinem Inhalt nach richtet (vgl. BFH-Urteil vom 14. November 1986 III R 12/81,
BFHE 148, 212 BStBl II 1987, 178). Die Frage, ob --wie die Klägerin meint-- im Streitfall
das FG zu Unrecht den an den Betrieb gewerblicher Art gerichteten Umsatzsteuerbescheid
im Wege der Auslegung als an die Körperschaft gerichtet angesehen hat, ist jedoch von
den Umständen des Einzelfalles abhängig und einer allgemeinen Klärung nicht
zugänglich.