Urteil des BFH vom 06.04.2011

Keine Anwendung des Halbabzugsverbots bei lediglich symbolischem Kaufpreis - Halbabzugsverbot bei geringen Veräußerungseinnahmen - Entgeltliche Veräußerung

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 6.4.2011, IX R 61/10
Keine Anwendung des Halbabzugsverbots bei lediglich symbolischem Kaufpreis -
Halbabzugsverbot bei geringen Veräußerungseinnahmen - Entgeltliche Veräußerung
Leitsätze
Halbeinkünfteverfahren und Halbabzugsverbot sind nicht anzuwenden, wenn objektiv wertlose
Anteile aus buchungstechnischen Gründen zu einem symbolischen Kaufpreis (z.B. von 1 EUR)
veräußert werden.
Tatbestand
1 I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind verheiratet und wurden in den Jahren
2002 und 2003 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger war mit einem
Kommanditanteil von 18,89 % (Stand 6. April 2001) Kommanditist der Energie KG. Die KG
wurde zum 31. Dezember 2000 formwechselnd in eine AG umgewandelt. Der Kläger
erhielt 566.700 Aktien zu je 1 EUR (566.700 EUR bzw. 1.108.368,86 DM) und war so mit
18,89 % am Grundkapital der AG beteiligt. In den Jahren 2001 und 2002 wurden bei der
AG keine Ausschüttungen vorgenommen. Am 11. Februar 2002 verkaufte der Kläger seine
Aktien zum Kaufpreis in Höhe von 1 EUR an einen fremden Dritten.
2 Der Veräußerungsverlust des Klägers betrug 2002 unstreitig insgesamt 1.198.833 EUR
(2.344.713,55 DM). Streitig blieb, ob der Veräußerungsverlust in Höhe von 1.198.833 EUR
in voller Höhe oder gemäß § 3c Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des
Streitjahres (EStG) nur zur Hälfte bei der Einkommensbesteuerung des Klägers für 2002 zu
berücksichtigen ist. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) stellte den
verbleibenden Verlustabzug zum 31. Dezember 2002 wie auch zum 31. Dezember 2003 im
letztgenannten Sinne fest. Insoweit blieben die Einsprüche ohne Erfolg.
3 Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben. Die Anschaffungskosten des Klägers
seien bei der Berechnung des Verlusts nach § 17 Abs. 1 EStG in voller Höhe zu
berücksichtigen. § 3c Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz EStG sei bei Aufgabe- und
Veräußerungsverlusten nicht anwendbar, wenn der Steuerpflichtige keinerlei durch seine
Beteiligung vermittelte Einnahmen erzielt habe, die nur zur Hälfte zu versteuern seien. Der
im Streitfall vereinbarte Veräußerungspreis in Höhe von 1 EUR sei einem
Veräußerungspreis von 0 EUR gleichzusetzen. Dieser Verkaufspreis sei nicht deshalb
vereinbart worden, weil die Aktien nach Einschätzung der Vertragsparteien exakt 1 EUR
wert gewesen wären --wirtschaftlich seien die Aktien vielmehr wertlos--, sondern weil ein
symbolischer Betrag für Zwecke der Buchführung und technischen Abwicklung des
Kaufvertrages benötigt werde. Im Übrigen setze auch die Finanzverwaltung in ständiger
Übung Beträge unter 1 EUR mit 0 EUR an.
4 Mit der hiergegen gerichteten Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts (§ 17
EStG und § 3c Abs. 2 EStG i.V.m. § 3 Nr. 40 EStG). Die zivilrechtlich wirksame
Vereinbarung von 1 EUR Kaufpreis sei auch der steuerrechtlichen Beurteilung zugrunde
zu legen.
5 Das FA beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
6 Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
7 Insbesondere seien auf Seiten der Kläger keine Einnahmen erzielt worden. Der
beurkundete Kaufpreis von 1 EUR sei real nicht geflossen. Sollte der Bundesfinanzhof
(BFH) eine andere Auffassung als das FG vertreten, so wäre in der Folge der Frage
nachzugehen, ob das Halbeinkünfteverfahren aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht
anzuwenden sei.
Entscheidungsgründe
8 II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung --FGO--). Halbeinkünfteverfahren und Halbabzugsverbot (§ 3 Nr.
40 Buchst. c, § 3c Abs. 2 EStG) sind im Streitfall nicht anzuwenden.
9 1. Gemäß § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. c EStG ist die Hälfte des Veräußerungspreises i.S.
von § 17 Abs. 2 EStG steuerfrei. Die hiermit in wirtschaftlichem Zusammenhang
stehenden Aufwendungen sind nur zur Hälfte abzuziehen; denn nach § 3c Abs. 2 Satz 1
EStG dürfen Betriebsvermögensminderungen, Betriebsausgaben, Veräußerungskosten
oder Werbungskosten, die mit den dem § 3 Nr. 40 EStG zugrunde liegenden
Betriebsvermögensmehrungen oder Einnahmen in wirtschaftlichem Zusammenhang
stehen, unabhängig davon, in welchem Veranlagungszeitraum die
Betriebsvermögensmehrungen oder Einnahmen anfallen, bei der Ermittlung der Einkünfte
nur zur Hälfte abgezogen werden. Entsprechendes gilt, wenn bei der Ermittlung der
Einkünfte der Wert des Betriebsvermögens oder des Anteils am Betriebsvermögen oder
die Anschaffungs- oder Herstellungskosten oder der an deren Stelle tretende Wert
mindernd zu berücksichtigen sind. Bei steuerfreien Einnahmen soll kein doppelter
steuerlicher Vorteil durch den zusätzlichen Abzug von unmittelbar mit diesen
zusammenhängenden Aufwendungen erzielt werden (BFH-Urteil vom 6. Juli 2005 XI R
61/04, BFHE 210, 332, BStBl II 2006, 163).
10 a) Fallen keine Betriebsvermögensmehrungen oder Einnahmen an, kommt eine hälftige
Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 40 EStG nicht in Betracht. Folgerichtig tritt die nach § 3c
Abs. 2 Satz 1 EStG maßgebende Bedingung dafür, entsprechende Aufwendungen nur zur
Hälfte zu berücksichtigen, nicht ein. Denn dieser Aufwand steht nicht --wie dies § 3c Abs.
2 Satz 1 EStG schon dem Wortlaut nach für die hälftige Kürzung verlangt-- in
wirtschaftlichem Zusammenhang mit lediglich zur Hälfte anzusetzenden Einnahmen.
Fließen keine Einnahmen zu, ist § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG nicht anzuwenden und der
Erwerbsaufwand in vollem Umfang abziehbar (BFH-Urteile vom 25. Juni 2009 IX R 42/08,
BFHE 225, 445, BStBl II 2010, 220; vom 14. Juli 2009 IX R 8/09, BFH/NV 2010, 399;
BFH-Beschluss vom 18. März 2010 IX B 227/09, BFHE 229, 177, BStBl II 2010, 627).
11 b) Keine Einnahmen erzielt, wer objektiv wertlose Anteile zu
einem symbolischen Kaufpreis (z.B. von 1 EUR) veräußert. Die Parteien des
Veräußerungsvertrags vereinbaren damit kein Entgelt für die Werthaltigkeit der
übertragenen Anteile, sondern wählen diese Gestaltung regelmäßig aus
buchungstechnischen Gründen.
12 Vom bloß symbolisch angesetzten Kaufpreis zu unterscheiden sind Fälle, in denen
Veräußerungseinnahmen erzielt werden, auch wenn diese von geringer Höhe sind und
der Veräußerer insgesamt einen Verlust erleidet. Hier sind Halbeinkünfteverfahren und
Halbabzugsverbot anzuwenden (vgl. das zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehene
Urteil IX R 40/10 des erkennenden Senats vom heutigen Tag, www.bundesfinanzhof.de).
Damit wird nicht etwa eine Geringfügigkeitsgrenze für die Anwendung des
Halbabzugsverbots eingeführt. Es geht nicht darum, ab welcher Höhe ein
Veräußerungspreis als für die Anwendung des Halbabzugsverbots erheblich zu erachten
wäre, sondern darum, ob ein einem Veräußerungspreis von 0 EUR gleichzusetzender
Kaufpreis für die Übernahme wertloser Anteile im Rechtsverkehr aus
buchungstechnischen Gründen lediglich symbolische Bedeutung zukommt.
13 Auch wenn einem Kaufpreis lediglich symbolische Funktion zukommt, liegt gleichwohl
eine entgeltliche Veräußerung i.S. von § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG vor; denn diese ist auch
dann anzunehmen, wenn objektiv wertlose Anteile ohne Gegenleistung zwischen
fremden Dritten übertragen werden (BFH-Urteile vom 18. August 1992 VIII R 13/90, BFHE
169, 90, BStBl II 1993, 34, sowie vom 1. August 1996 VIII R 4/92, BFH/NV 1997, 215;
Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 29. Aufl., § 17 Rz 96, 100, jeweils m.w.N.; Ebling in
Blümich, § 17 EStG Rz 131, m.w.N.; Gosch in Kirchhof, EStG, 10. Aufl., § 17 Rz 40; Eilers/
R. Schmidt in Herrmann/Heuer/Raupach, § 17 EStG Rz 80, m.w.N.).
14 2. Im Streitfall führt der symbolische Kaufpreis von 1 EUR nicht zu Einnahmen. Der
symbolische Kaufpreis von 1 EUR ist, wie das FG zutreffend entschieden hat, einem
Veräußerungspreis von 0 EUR gleich zu erachten.
15 Der Preis von 1 EUR wurde nach den gemäß § 118 Abs. 2 FGO den Senat bindenden
tatsächlichen Feststellungen des FG nicht als Entgelt für die Werthaltigkeit der
übertragenen Anteile vereinbart. Vielmehr waren die Anteile wertlos. Vor diesem
Hintergrund haben die Vertragsparteien die Gestaltung "Veräußerung für 1 EUR" aus
buchungstechnischen Gründen gewählt. Das FG hat auch keine Anhaltspunkte für eine
schenkweise Überlassung der Anteile festgestellt.