Urteil des BFH vom 04.08.2015

Beschwerde gegen Ladungsverfügung - Beweiserhebung im Verfahren nach § 79 Abs. 3 FGO - Anordnung der Beweisaufnahme durch Beweisbeschluss

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 4.8.2015, IX B 95/15
Beschwerde gegen Ladungsverfügung - Beweiserhebung im Verfahren nach § 79 Abs. 3
FGO - Anordnung der Beweisaufnahme durch Beweisbeschluss
Tenor
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird die Ladungsverfügung des
Berichterstatters des 3. Senats des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 30. Juni 2015 3
K 3189/13 hinsichtlich der Ladung des Zeugen D aufgehoben.
Über die Kosten des Beschwerdeverfahrens ist in der Entscheidung des Finanzgerichts
über die Hauptsache zu entscheiden.
Tatbestand
1 I. Mit Verfügung vom 30. Juni 2015 lud der Berichterstatter im Klageverfahren
3 K 3189/13 vor dem Finanzgericht Berlin-Brandenburg (FG) die Beteiligten für den
10. August 2015 zu einem Erörterungstermin; ferner lud er den Beschwerdeführer als
Zeugen zu diesem Termin. Hierfür stützte der Berichterstatter sich auf § 79 Abs. 3 der
Finanzgerichtsordnung (FGO); er gab in der Zeugenladung das Beweisthema an, hat
aber bisher keinen Beweisbeschluss gefasst. Der Terminstag fällt in die vom 16. Juli
bis zum 28. August 2015 laufenden Sommerferien der Bundesländer Berlin und
Brandenburg. Es handelt sich um den ersten Versuch einer Ladung im laufenden
Klageverfahren. Die Ladung wurde dem Beschwerdeführer am 6. Juli 2015 zugestellt.
2 Zugleich mit dem Beschwerdeführer lud der Berichterstatter noch eine weitere Zeugin.
Am 6. Juli 2015 verfügte er die Ladung eines zusätzlichen Zeugen, von dem sich aber
später herausstellte, dass er wegen der Verbüßung einer Strafhaft nicht zum
Erörterungstermin erscheinen kann. Am 21. Juli 2015 verfügte der Berichterstatter die
Ladung eines vierten Zeugen.
3 Mit seinem am 17. Juli 2015 beim FG eingegangenen Schriftsatz zeigte der
Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers an, dass er als Zeugenbeistand
beauftragt sei. Der Prozessbevollmächtigte wies darauf hin, dass er selbst am
10. August 2015 urlaubsbedingt verhindert sein werde, und bat aus diesem Grund um
Aufhebung der Zeugenladung. Ferner bat er um Mitteilung des Prozessstoffs, um im
Hinblick auf eine strafrechtliche Verfolgung des Beschwerdeführers den Umfang
eines etwaigen Auskunftsverweigerungsrechts überprüfen zu können.
4 Mit Schreiben vom 21. Juli 2015 lehnte der Berichterstatter des FG den Antrag auf
Aufhebung der Zeugenladung ab. Für den Fall der Verhinderung des präferierten
Zeugenbeistands sei es dem Beschwerdeführer zuzumuten, sich einen anderen
Zeugenbeistand zu suchen. Es sei nicht ersichtlich, dass ein angemessener Beistand
während der Vernehmung nicht auch durch einen anderen Rechtsanwalt erfolgen
könne. Für das Gericht sei es schwierig genug, einen Termin zu finden, an dem
keiner der Beteiligten, ihrer Vertreter und der Zeugen verhindert sei; eine darüber
hinausgehende Rücksichtnahme auf die Termine von präferierten Zeugenbeiständen
würde eine Terminsfindung nahezu unmöglich machen. Um eine Gegenüberstellung
zu ermöglichen, solle die persönliche Anhörung des Klägers und die Vernehmung des
Beschwerdeführers im selben Termin stattfinden.
5 Ferner wies der Berichterstatter darauf hin, dass der Beschwerdeführer zu den
Geschäftsbeziehungen zwischen einer GmbH, deren Geschäftsführer er gewesen
sei, und dem Kläger gehört werden solle.
6 Am 23. Juli 2015 hat der Beschwerdeführer gegen die Ablehnung der Aufhebung der
Zeugenladung beim FG Beschwerde eingelegt. Im Hinblick auf seine Tätigkeit als
Geschäftsführer der GmbH seien noch zwei strafrechtliche Ermittlungsverfahren bei
der Staatsanwaltschaft anhängig. Zwei weitere Ermittlungsverfahren seien zwar
gemäß § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung eingestellt worden; eine
Wiederaufnahme der Ermittlungen sei aber nicht ausgeschlossen. Aus diesen
Ermittlungsverfahren folge ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht in Bezug
auf den Gegenstand der beabsichtigten Vernehmung. Sein Zeugenbeistand sei --als
Strafverteidiger in den genannten Verfahren-- umfassend in den Sachverhalt
eingearbeitet; nur auf dieser Grundlage könne eine sachgerechte Beratung erfolgen.
Dem Verweis des FG auf die Möglichkeit der Beauftragung eines anderen
Zeugenbeistands werde daher widersprochen.
7 Der Berichterstatter des FG hat am 23. Juli 2015 beschlossen, der Beschwerde nicht
abzuhelfen. Er hielt die Beschwerde entgegen dem Wortlaut des § 128 Abs. 2 FGO
für zulässig, da der dortige Ausschluss der Anfechtbarkeit
entscheidungsvorbereitender Maßnahmen nur für die Beteiligten, nicht aber für
Drittbetroffene gelten könne. Es sei einem Zeugen nicht zuzumuten, zunächst nicht
zu erscheinen, und eine rechtliche Überprüfung erst im Ordnungsgeldverfahren
vornehmen zu lassen.
8 Die Beschwerde sei jedoch nicht begründet. Wegen der notwendigen
Gegenüberstellung des Beschwerdeführers und des Klägers würde eine Aufhebung
der Zeugenladung zwingend zur Verlegung des Erörterungstermins führen. Die
Beratung hinsichtlich des Auskunftsverweigerungsrechts sei nicht so komplex, als
dass sich nicht ein anderer Rechtsanwalt mit zumutbarem Aufwand einarbeiten
könne, selbst wenn dieser bisher nicht in der Sache tätig gewesen sei. Der Wunsch
des Zeugen auf den Beistand seines bisherigen Strafverteidigers müsse daher im
Interesse der Abwendung einer Verfahrensverzögerung zurückstehen. Dabei sei
auch zu bedenken, dass eine etwaige Verhinderung des präferierten Zeugenbeistands
auch bei allen künftigen Terminen immer wieder zur Verlegung führen müsste.
Manche Strafverteidiger hätten einen recht vollen Terminkalender, so dass hier ggf.
eine langfristige Verschiebung drohe.
9 Während des Beschwerdeverfahrens hat der Beschwerdeführer noch darauf
hingewiesen, dass die ihn betreffenden Ermittlungsverfahren so umfangreich seien,
dass bereits 15 Bände Hauptakten angefallen seien. Ein Zeugenbeistand, der bisher
nicht mit diesen Verfahren befasst gewesen sei, könne ihn daher nicht angemessen
beraten.
10 Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäß,
die Ladungsverfügung des Berichterstatters des 3. Senats des FG Berlin-
Brandenburg vom 30. Juni 2015 3 K 3189/13 hinsichtlich der Ladung des
Beschwerdeführers aufzuheben.
11 Die Beschwerdeschrift ist am 24. Juli 2015, die finanzgerichtlichen Akten am 30. Juli
2015 beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen.
Entscheidungsgründe
12 II. 1. Die Beschwerde ist zulässig.
13 Zwar bestimmt § 128 Abs. 2 FGO ausdrücklich, dass u.a. prozessleitende
Verfügungen --zu denen auch Ladungen gehören (Bergkemper in
Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 128 FGO Rz 82, m.w.N.)-- nicht mit der
Beschwerde angefochten werden können.
14 Aus den vom FG zutreffend angeführten Gründen ist der Anwendungsbereich dieser
Vorschrift jedoch im vorliegenden Fall teleologisch zu reduzieren. In den
Gesetzesmaterialien ist die Erweiterung des Katalogs des § 128 Abs. 2 FGO durch
das Zweite Gesetz zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze
damit begründet worden, dass bei einer fehlerhaften Entscheidung in den Fällen des
§ 128 Abs. 2 FGO ein Verfahrensmangel vorliege, der zur Revisionszulassung und
zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führe (Gesetzentwurf der Bundesregierung
vom 11. September 2000, BTDrucks 14/4061, 11 f.). Die Möglichkeit zur Anfechtung
der in der Hauptsache ergehenden Entscheidung wegen eines Verfahrensmangels
steht aber nur den Verfahrensbeteiligten zu, zu denen ein Zeuge nicht gehört. Der
Zeuge hat daher die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Möglichkeit einer rechtlichen
Überprüfung nicht. Es ist ihm auch nicht zuzumuten, zunächst die Festsetzung eines
Ordnungsgeldes (§ 82 FGO i.V.m. § 380 der Zivilprozessordnung --ZPO--)
abzuwarten und etwaige Entschuldigungsgründe im Beschwerdeverfahren gegen die
Ordnungsgeldfestsetzung vorzutragen. Insoweit können die Wertungen der
gefestigten Rechtsprechung übertragen werden, die ein Abwarten von Sanktionen des
Straf- oder Ordnungswidrigkeitenrechts vor der Erlangung von Rechtsschutz für
unzumutbar halten (vgl. hierzu Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom
14. November 1989 1 BvR 1276/84, 14/85, BVerfGE 81, 70, unter B.II.1., m.w.N.).
15 2. Die Beschwerde ist auch begründet.
16 a) Dies gilt schon deshalb, weil der Berichterstatter für die Ladung des
Beschwerdeführers als Zeugen nicht zuständig war.
17 Die Voraussetzungen des § 79 Abs. 3 FGO --eine andere Vorschrift, aus der die
Zuständigkeit des Berichterstatters für die Zeugenladung folgen könnte, ist nicht
ersichtlich-- sind im Streitfall nicht erfüllt. Nach der genannten Vorschrift darf der
Berichterstatter einzelne Beweise nur insoweit erheben, als dies zur Vereinfachung
der Verhandlung vor dem Gericht sachdienlich und von vornherein anzunehmen ist,
dass das Gericht das Beweisergebnis auch ohne unmittelbaren Eindruck von dem
Verlauf der Beweisaufnahme sachgemäß zu würdigen vermag.
18 Der Berichterstatter selbst hat nicht begründet, weshalb er seine Kompetenz nach
§ 79 Abs. 3 FGO für eröffnet hält. Aber auch nach Aktenlage sind die
Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht gegeben. Nach einhelliger Auffassung in der
Literatur --BFH-Rechtsprechung zur Auslegung dieser Vorschrift liegt noch nicht vor--
handelt es sich bei § 79 Abs. 3 FGO um einen Ausnahmetatbestand, der vor allem für
die Beweiserhebung durch Augenscheinseinnahme und Urkundenvorlage geeignet
sei. Die Vernehmung eines Zeugen komme hingegen nur in Betracht, wenn von
vornherein keine Zweifel an dessen Glaubwürdigkeit bestehen und zu erwarten sei,
dass sich der Rechtsstreit vor dem Berichterstatter erledige (zum Ganzen Thürmer in
HHSp, § 79 FGO Rz 107; Fu in Schwarz/Pahlke, FGO § 79 Rz 22; Stalbold in
Beermann/Gosch, FGO § 79 Rz 33). Vor allem aber ist es nach der Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts zur Parallelvorschrift des § 87 Abs. 3 der
Verwaltungsgerichtsordnung (s. Beschluss vom 15. August 1997 4 B 130/97, Neue
Zeitschrift für Verwaltungsrecht - Rechtsprechung-Report 1998, 524) unzulässig, die
Beweiserhebung vollständig in das Verfahren nach § 79 Abs. 3 FGO zu verlagern.
19 Der Berichterstatter des FG hat ausdrücklich ausgeführt, der Beschwerdeführer solle
dem Kläger gegenübergestellt werden, da die genannten Personen widerstreitende
Interessen verfolgen würden. Hieraus folgt, dass der Berichterstatter vorläufig Zweifel
an der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers hegt. In einem solchen Fall ist jedoch
der unmittelbare Eindruck des zuständigen Spruchkörpers --im Streitfall: des mit drei
Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern besetzten Vollsenats-- vom Verlauf
der Beweisaufnahme für die Beweiswürdigung von entscheidender Bedeutung.
Zudem hat der Berichterstatter die Beweiswürdigung nach Aktenlage vollständig in
das Verfahren nach § 79 Abs. 3 FGO verlagert. Angesichts der Ladung von vier
Zeugen und den umfassenden Beweisthemen --welche den Streitstoff des
Klageverfahrens vollständig erschöpfen-- ist nicht ersichtlich, welche weitere
Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat noch stattfinden soll.
20 b) Hinzu kommt, dass die vom Berichterstatter angestellten Erwägungen hinsichtlich
der Schwierigkeiten der Terminfindung nach Aktenlage nicht nachvollzogen werden
können.
21 Bei der Ladungsverfügung vom 30. Juni 2015 handelte es sich --nach einem sechs
Tage zuvor erteilten rechtlichen Hinweis-- um das erste Tätigwerden des FG in dem
seit Juli 2013 anhängigen Klageverfahren. Die Akten enthalten keinen Anhaltspunkt
dafür, dass die Terminfindung im Streitfall besonders schwierig sein könnte;
insbesondere ist bei keinem Verfahrensbeteiligten oder Zeugen bisher eine
Prozessverschleppungsabsicht zutage getreten. Die Mutmaßung des
Berichterstatters, wegen des vollen Terminkalenders "mancher Strafverteidiger"
drohe auch bei künftigen Terminen eine langfristige Terminverschiebung, ist rein
spekulativ und mit Blick auf den Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers
auch nicht durch konkrete Vorkommnisse, die sich den Akten entnehmen ließen,
begründet. Bei dem vorliegend zu beurteilenden Antrag des Beschwerdeführers
handelte es sich vielmehr um den ersten Terminverlegungsantrag im gesamten
Verfahren; das Vorbringen des Beschwerdeführers enthält auch keinen Anhaltspunkt
dafür, dass sein Zeugenbeistand dauerhaft verhindert sein werde. Nach dem
Eindruck, der sich dem beschließenden Senat nach Aktenlage aufdrängt, beruhen die
Schwierigkeiten, den auf den 10. August 2015 festgesetzten Termin einzuhalten, wohl
eher auf dem Umstand, dass der Berichterstatter --ohne den Versuch einer
vorherigen Abstimmung mit den wichtigsten zu ladenden Personen zu unternehmen--
einen Termin inmitten der Sommerferien der Bundesländer Berlin und Brandenburg
anberaumt hat und zudem erst zugleich mit der Ladung damit begonnen hat, die
Anschriften der vier Zeugen und des Klägers zu ermitteln, so dass die Ladungen die
Zeugen teilweise mit Verzögerung erreicht haben.
22 c) Schließlich fehlt es derzeit noch an dem gemäß § 358 ZPO i.V.m. § 82 FGO
erforderlichen Beweisbeschluss.
23 Nach dieser Vorschrift ist eine Beweisaufnahme immer dann durch einen
Beweisbeschluss anzuordnen, wenn sie ein besonderes Verfahren erfordert. An
einem solchen "besonderen Verfahren" fehlt es zwar, wenn die Beweisaufnahme in
der mündlichen Verhandlung stattfinden soll (BFH-Beschluss vom 11. September
2013 XI B 111/12, BFH/NV 2013, 1944, Rz 7). Anders ist dies aber, wenn --wie hier--
ein zusätzlicher Termin für die Beweisaufnahme erforderlich wird (ausdrücklich zu
§ 79 Abs. 3 FGO Stalbold in Beermann/Gosch, FGO § 79 Rz 32).
24 3. Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen. Bei einem erfolgreichen
Beschwerdeverfahren handelt es sich um ein unselbständiges Zwischenverfahren,
das von der Kostenentscheidung bei endgültigem Abschluss des noch vor dem FG
anhängigen Klageverfahrens mit umfasst ist (BFH-Beschlüsse vom 17. Februar 2004
IV B 209/03, BFH/NV 2004, 966, unter 3., und vom 8. Januar 2013 X B 203/12,
BFH/NV 2013, 511, unter II.2.).