Urteil des BFH vom 04.03.2016

Offenbare Unrichtigkeit - manuelle Erfassung der Steuererklärung nach gescheiterter elektronischer Übermittlung (ELSTER)

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 4.3.2016, IX B 113/15
Offenbare Unrichtigkeit - manuelle Erfassung der Steuererklärung nach gescheiterter
elektronischer Übermittlung (ELSTER)
Tenor
Die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des
Finanzgerichts München, Außensenate Augsburg, vom 6. August 2015 15 K 35/14 wird als
unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Tatbestand
1 I. Das Finanzgericht (FG) hat festgestellt, dass die Einkommensteuererklärung 2008
der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) nicht als elektronische Datei an den
Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) übermittelt worden ist. Vielmehr
haben die Kläger die von ihrem Steuerberater nach der fehlgeschlagenen
elektronischen Übermittlung ausgedruckte komprimierte Steuererklärung
unterschrieben und in Papierform an das FA gesandt. Die Veranlagungsstelle des FA
hat sodann die Angaben aus dieser komprimierten Steuerklärung von Hand erfasst.
Dabei sind die in der komprimierten Steuererklärung enthaltenen Einkünfte aus
Vermietung und Verpachtung zwar von der Bearbeiterin abgehakt (Kennziffer 120),
dann jedoch nicht übernommen worden (Einkommensteuerbescheid vom
22. November 2010). Daraus hat das FG geschlossen, dass ein mechanischer Fehler
(Übertragungsfehler) beim Erlass des Steuerbescheids in Betracht kam und vorlag,
weil dem FA die elektronischen Erklärungsdaten bei der Veranlagung nicht vorlagen.
Gegen diese tatsächlichen Feststellungen des FG haben die Kläger keine
Verfahrensrügen erhoben. An sie wäre der Bundesfinanzhof (BFH) deshalb im
Revisionsverfahren ebenso gebunden wie an die tatsächliche Würdigung des FG
(§ 118 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), da sie zumindest möglich ist.
2 Mit nach § 129 der Abgabenordnung (AO) berichtigtem Bescheid erfasste das FA am
19. April 2011 die unstreitig von den Klägern erzielten und auch erklärten
Vermietungseinkünfte und änderte die Einkommensteuer entsprechend.
3 Die Kläger meinen, das FA sei zur Berichtigung nicht befugt gewesen. Ein Fehler bei
der Auslegung und Anwendung des Rechts könne nicht ausgeschlossen werden.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das FG hat im Wesentlichen ausgeführt, die
Sachbearbeiterin habe mit dem Haken bei Kennziffer 120 in der komprimierten
Steuerklärung unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht, dass die von den Klägern
erklärten Einkünfte der Besteuerung hätten zugrunde gelegt werden sollen. Ein
Rechtsanwendungsfehler sei danach auszuschließen. Deshalb sei die Berichtigung
nach § 129 AO gerechtfertigt. Auf die Verletzung von Dienstvorschriften könnten sich
die Kläger nicht mit Erfolg berufen; auch sei nicht zu fragen, ob der Fehler hätte
vermieden werden können.
Entscheidungsgründe
4 II. Die Beschwerde ist nicht begründet. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 115
Abs. 2 FGO) liegen nicht vor.
5 1. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Die hier
allein streitige Frage, ob im konkreten Fall bei der Veranlagung ein
Rechtsanwendungsfehler auszuschließen ist, hat das FG nach seiner freien, aus dem
Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden (§ 96
Abs. 1 Satz 1 FGO). Der BFH darf die tatsächliche Würdigung nur eingeschränkt
überprüfen. Im Rahmen der Revision kontrolliert der BFH insbesondere, ob die
Denkgesetze oder ob allgemeine Erfahrungssätze verletzt sind. Solche Fehler bei der
Tatsachenwürdigung führen nach ständiger Rechtsprechung des BFH jedoch
grundsätzlich nicht zur Zulassung der Revision, da es sich insofern grundsätzlich um
(schlichte) Fehler bei der Rechtsanwendung handelt, die vom numerus clausus der
Zulassungsgründe nicht erfasst werden. Nicht jeder Fehler bei der Rechtsanwendung
kann die Zulassung der Revision rechtfertigen, weil das Zulassungsverfahren sonst
die ihm zugedachte Filterwirkung nicht entfalten und nicht zur Entlastung des BFH
beitragen könnte.
6 Etwas anderes gilt, wenn der Rechtsfehler besonders schwerwiegend und deshalb
geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen. Anhaltspunkte
dafür liegen im Streitfall nicht vor. Ob darüber hinaus die Revision auch dann
zugelassen werden sollte, wenn ein Finanzgericht einen neuen allgemeinen
Erfahrungssatz aufgestellt hat, der im Interesse gleichmäßiger Rechtsanwendung
Gegenstand einer revisionsrechtlichen Prüfung sein kann (dazu Gräber/Ratschow,
Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 96 Rz 135 ff.), bedarf im Streitfall keiner
Entscheidung, denn das FG hat einen solchen allgemeinen Erfahrungssatz nicht
aufgestellt.
7 Da die Beurteilung der Streitfrage mithin allein von der tatsächlichen Würdigung der
Einzelfallumstände abhängt, hat die Rechtssache keine grundsätzliche, d.h. über den
Einzelfall hinausweisende, Bedeutung.
8 2. Die Revision ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
(§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Fall FGO) zuzulassen.
9 Zwar hat das FG Sachsen-Anhalt den Leitsatz aufgestellt, solange die Akten in
Papierform geführt würden, liege eine offenbare Unrichtigkeit i.S. von § 129 AO nicht
vor, wenn zur Feststellung eines eventuellen Erfassungsfehlers ein Abgleich des
Akteninhalts mit dem EDV-Speicher der Finanzverwaltung erforderlich werde (FG
Sachsen-Anhalt, Urteil vom 6. Mai 2010 5 K 98/08, Entscheidungen der
Finanzgerichte 2010, 1757). Die Kläger meinen, im Streitfall sei das FG von dieser
Entscheidung abgewichen, indem es zur Feststellung des Erfassungsfehlers
(sachverständige) Zeugen vernommen und den Inhalt des Datenspeichers der
Finanzverwaltung ermittelt habe.
10 Letzteres trifft zwar zu, betrifft aber zunächst nur die Frage, ob überhaupt ein
Erfassungsfehler in Betracht kommt. Das wäre nicht der Fall, wenn dem FA bei der
Veranlagung die Daten aus der Steuerklärung auch in elektronischer Form vorgelegen
hätten, so dass eine manuelle Erfassung nicht erforderlich gewesen wäre. Diese
Frage hat indes noch nichts mit dem Fehler selbst und seiner Ursache zu tun,
sondern betrifft nur die Umstände, unter denen die Veranlagung stattgefunden hat. Ob
der Fehler dann tatsächlich auf einem mechanischen Versehen beruht oder durch
einen die Berichtigung nach § 129 AO ausschließenden Denkprozess beeinflusst
gewesen sein kann, wird dadurch nicht präjudiziert.
11 Im Übrigen hat der BFH das zitierte Urteil des FG Sachsen-Anhalt zwar im Ergebnis
bestätigt. Er hat damit aber nicht den vom FG in seinem Leitsatz herausgestellten
Rechtsgrundsatz gebilligt, sondern lediglich ausgeführt, dass er an die tatsächliche
Würdigung des FG gebunden sei (vgl. BFH-Urteil vom 8. Dezember 2011 VI R 45/10,
BFH/NV 2012, 694).
12 Im Streitfall fehlt es bereits deshalb an einer Abweichung im Grundsätzlichen
(Divergenz), weil das FG keine Grundsätze aufgestellt, sondern lediglich die von ihm
festgestellten Umstände gewürdigt hat. Ob das FG Sachsen-Anhalt von der
Rechtsprechung des BFH abgewichen ist, könnte auch in einem Revisionsverfahren
nicht geklärt werden.
13 3. Ein Verfahrensmangel ist schon nicht hinreichend dargelegt. Es kann dahinstehen,
ob und in welchen Fällen das Gericht einen nach Schluss der mündlichen
Verhandlung eingegangenen nicht nachgelassenen Schriftsatz überhaupt
berücksichtigen muss. Soweit die Kläger inzident auch rügen, dass sie sich auf die
vom FG in der mündlichen Verhandlung erstmals erwähnte Rechtsprechung nicht
spontan hätten erklären können, hätten sie in der mündlichen Verhandlung die
Vertagung oder zumindest einen Schriftsatznachlass beantragen müssen. Im Übrigen
haben die Kläger auch nicht dargelegt, was die unterbliebene Sachverhaltsermittlung
ihres Erachtens hätte zu Tage fördern sollen und weshalb bei Berücksichtigung
dessen das Urteil anders hätte ausfallen können.
14 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.