Urteil des BFH vom 19.07.2016

Vorfälligkeitsgebühr für Feststellungs- und Messbescheide nach Mindeststreitwert zu berechnen

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 19.7.2016, IV E 2/16
Vorfälligkeitsgebühr für Feststellungs- und Messbescheide nach Mindeststreitwert zu berechnen
Tenor
Auf die Erinnerung gegen die Kostenrechnung des Bundesfinanzhofs --Geschäftsstelle des IV. Senats-- vom 14. Januar
2016 IV R 51/15 (KostL 34/16) wird die Verfahrensgebühr mit 187.780 EUR angesetzt.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Tatbestand
1
I. Die Klägerin, Revisionsklägerin, Kostenschuldnerin und Erinnerungsführerin (Klägerin) ist eine GmbH & Co. KG, deren
Vermögen aus einer Immobilie bestand. Im Jahr 2005 hatte die damals einzige Kommanditistin (eine GmbH) ihre
Anteile an der Klägerin veräußert. Über die Höhe des Veräußerungsgewinns besteht zwischen der Klägerin und dem
Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt) Streit. Im Jahr 2007 veräußerte die Klägerin die Immobilie. Auch über
die Höhe des dabei entstandenen Gewinns besteht Streit. Die gegen die Gewinnfeststellungsbescheide sowie die
Gewerbesteuermessbescheide für die Streitjahre 2005 und 2007 erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG)
abgewiesen. Gegen das Urteil hat die Klägerin die vom FG zugelassene Revision eingelegt; sie ist unter dem
Az. IV R 51/15 beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängig.
2
Mit Kostenrechnung vom 14. Januar 2016 IV R 51/15 (KostL 34/16) forderte die Geschäftsstelle des IV. Senats des
BFH gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 des Gerichtskostengesetzes (GKG) eine Verfahrensgebühr in Höhe von
357.880 EUR an. Diese wurde auf der Grundlage eines vorläufigen Streitwerts von 19.386.693 EUR nach Nr. 6120
des Kostenverzeichnisses zu § 3 Abs. 2 GKG ermittelt.
3
Hiergegen hat die Klägerin mit am 19. Januar 2016 eingegangenem Schriftsatz Erinnerung eingelegt. Zur
Begründung trägt sie vor, im Jahr 2005 sei streitig, ob der Veräußerungsgewinn der Kommanditistin um ... EUR
herabzusetzen sei. Die Kommanditistin sei zwischenzeitlich auf eine andere GmbH verschmolzen worden, welche
ihrerseits liquidiert und im Juli 2008 im Handelsregister gelöscht worden sei. Es stehe damit fest, dass
Körperschaftsteuer auf den Gewinn nicht festzusetzen sei. Ein geldwertes Interesse bestehe insoweit nur bezüglich
der Gewerbesteuer. Allenfalls sei für die Gewinnfeststellung unter Berücksichtigung des BFH-Beschlusses vom
26. September 2011 VIII E 2/11 ein Streitwert von 1 % des streitigen Gewinns anzusetzen. Der Streitwert in Bezug
auf den streitigen Gewerbesteuermessbetrag 2005 betrage ... EUR. Hilfsweise werde für das Jahr 2007 die
Berücksichtigung von Ergänzungsbilanzverlusten in Höhe von ... EUR geltend gemacht. Der Streitwert für diesen
Hilfsantrag sei in Bezug auf die Gewinnfeststellung mit 25 % der Verluste zu bemessen. Gewerbesteuerlich sei
insoweit nach § 52 Abs. 2 GKG ein Streitwert von 5.000 EUR anzusetzen.
4
Bereits mit Schreiben vom 29. Dezember 2015 hatte die Klägerin Erinnerung gegen eine Kostenrechnung des FG
erhoben. Das FG war zunächst von einem Streitwert in Höhe von 19.386.693 EUR ausgegangen. Die Erinnerung
hatte insoweit Erfolg, als das FG nun folgende Streitwertberechnung für zutreffend hielt:
5
Gewinnfeststellung 2005
... EUR
Gewinnfeststellung 2007
... EUR
Gewerbesteuermessbetrag 2005
... EUR
Gewerbesteuermessbetrag 2007
... EUR
Streitwert
9.901.716,37 EUR
6
Die Klägerin beantragt deshalb nunmehr auch im hiesigen Verfahren, der Kostenrechnung einen Streitwert von
9.901.716,37 EUR zugrunde zu legen.
7
Der Kostenbeamte des BFH hat der Erinnerung nicht abgeholfen. Nach der Rechtsprechung des BFH sei der
Streitwert eines Verfahrens wegen Gewinnfeststellung auch dann typisiert mit einem Satz von 25 % des streitigen
Gewinns anzusetzen, wenn die tatsächlich festgesetzte Einkommensteuer des Gesellschafters nachweislich Null EUR
betrage. Ausnahmen davon seien nur gemacht worden, wenn aus dem Gewinnfeststellungsverfahren selbst
erkennbar sei, dass sich einkommensteuerliche Auswirkungen nicht ergeben (z.B. BFH-Urteil vom 12. März 1970
IV 4/64, BFHE 99, 11, BStBl II 1970, 547). Hier gehe es aber um einen außerhalb des Feststellungsverfahrens
liegenden Umstand. Das FG habe den Streitwert deshalb ursprünglich richtig ermittelt, so dass dieser Wert auch für
die vorläufige Verfahrensgebühr hätte zugrunde gelegt werden dürfen.
8
Die Vertreterin der Staatskasse hält die Übernahme des ursprünglich vom FG ermittelten Streitwerts ebenfalls weiter
für zutreffend. Nach dem BFH-Beschluss vom 29. November 2012 IV E 7/12 sei der Streitwert eines
Gewinnfeststellungsverfahrens auch bei Kenntnis fehlender Auswirkung auf die Einkommensteuer nach einem
pauschalen Prozentsatz des streitigen Gewinns zu ermitteln. Die geänderte Streitwertberechnung des FG sei für den
BFH nicht bindend, weil nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 GKG Kosten für jede Instanz gesondert angesetzt
würden.
9
Im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung des Verfahrens hat der Einzelrichter das Verfahren nach Anhörung der
Beteiligten mit Beschluss vom 4. Juli 2016 gemäß § 66 Abs. 6 Satz 2 GKG auf den Senat übertragen.
Entscheidungsgründe
10
II. Die Erinnerung ist begründet. Die Kostenrechnung für die nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 GKG fällige
Verfahrensgebühr ist auf der Grundlage eines Streitwerts von 9.901.716,37 EUR zu erteilen.
11
1. Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 GKG wird in Prozessverfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit die
Verfahrensgebühr mit Einreichung der Klage-, Antrags- oder Rechtsmittelschrift fällig. Der maßgebende Wert für die
Ermittlung der Gebühr ergibt sich im Finanzprozess nach Aufhebung des früheren § 63 Abs. 1 Satz 4 GKG a.F.
durch Art. 7 Nr. 8 des Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 sowie zur Änderung
sonstiger Vorschriften vom 8. Juli 2014 (BGBl I 2014, 890) nicht mehr einheitlich aus dem Mindeststreitwert nach
§ 52 Abs. 4 Nr. 1 GKG und im Hinblick auf § 63 Abs. 1 Satz 3 GKG auch nicht aus einem vorläufig festgesetzten
Wert gemäß § 63 Abs. 1 GKG, sondern aus dem von § 52 Abs. 5 GKG bestimmten Wert. Nach dieser Vorschrift ist,
da im Zeitpunkt der Erhebung der Gebühr nach § 6 GKG keine Wertfestsetzung vorliegt, entweder bei Streitfällen
über bestimmte Geldleistungen oder auf bestimmte Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte der nach § 52
Abs. 3 und Abs. 4 Nr. 1 GKG maßgebende Wert, soweit er sich unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten
ergibt, oder in allen anderen Fällen der Mindestwert nach § 52 Abs. 4 Nr. 1 GKG anzusetzen. Damit verbleibt es im
Ergebnis für Streitfälle, die nicht unter § 52 Abs. 3 GKG zu subsumieren sind, bei der schon vor Aufhebung des § 63
Abs. 1 Satz 4 GKG a.F. geltenden Rechtslage, wonach sich die Gebühr aus dem Mindeststreitwert ergibt. Eine
Bindung an den vom FG zugrunde gelegten Streitwert besteht nicht.
12
2. Bei Anfechtungsklagen wegen einer gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellung bemisst der BFH in
ständiger Rechtsprechung den Streitwert des Verfahrens nach § 52 Abs. 1 GKG und nicht nach § 52 Abs. 3 GKG
(z.B. BFH-Urteil vom 22. April 2015 IV R 13/12, BFHE 250, 295, BStBl II 2015, 989; BFH-Beschlüsse vom
29. November 2012 IV E 7/12, und vom 29. Februar 2012 IV E 1/12). Denn der Gewinnfeststellungsbescheid
bezieht sich nicht unmittelbar auf eine bezifferte Geldleistung, sondern ist nur Grundlage für solche Bescheide
(Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Vorbemerkungen zu §§ 135 bis 149 FGO Rz 118;
Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., vor § 135 Rz 135; anderer Ansicht FG des Landes Sachsen-
Anhalt, Beschluss vom 15. September 2015 3 KO 962/15, unter B.III.1.b bb (1)(b)(cc)). Gleiches gilt für einen
Gewerbesteuermessbescheid. Ist der nach § 52 Abs. 1 GKG zu bestimmende Streitwert noch nicht festgesetzt,
kommt als Wert für die vorläufige Verfahrensgebühr nach § 52 Abs. 5 GKG nur der Mindestwert von 1.500 EUR
gemäß § 52 Abs. 4 Nr. 1 GKG in Betracht (gleicher Ansicht wohl Just, Deutsches Steuerrecht 2014, 2481, 2482).
13
3. Im Streitfall, in dem nur über Gewinnfeststellungsbescheide und Gewerbesteuermessbescheide gestritten wird,
wäre danach für jeden selbständigen Streitgegenstand der Mindestwert anzusetzen. Da die Klägerin mit ihrem
Antrag weit über diesem Wert geblieben ist, ist dem mit der Erinnerung gestellten Antrag in vollem Umfang
stattzugeben.
14
Auf der Grundlage des danach maßgebenden Streitwerts von 9.901.716 EUR beträgt eine Gebühr nach Anlage 2
zu § 34 Abs. 1 Satz 3 GKG 37.556 EUR. Nach Nr. 6120 des Kostenverzeichnisses zu § 3 Abs. 2 GKG sind durch
das Verfahren im Allgemeinen 5,0 Gebühren entstanden, so dass Kosten von 187.780 EUR fällig geworden sind.
15
4. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei (§ 66 Abs. 8 GKG).