Urteil des BFH vom 12.03.2014

Unwirksame Ausschlussfrist zur Bezeichnung des Klagebegehrens

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 12.3.2014, III B 65/13
Unwirksame Ausschlussfrist zur Bezeichnung des Klagebegehrens
Tatbestand
1 I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind Eheleute. Der Kläger ist Wirtschaftsprüfer
und Steuerberater. Die Kläger wandten sich mit Einspruch und Klage gegen die
Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2005 bis 2008, wobei der Kläger als
Bevollmächtigter der Klägerin auftrat. In der am 5. Oktober 2012 beim Finanzgericht (FG)
eingegangenen Klage bezogen sich die Kläger auf die Einspruchsentscheidung zu den
Einkommensteuerbescheiden 2005 bis 2008. Auf Anforderung der Geschäftsstelle des FG
übermittelte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) am 9. Oktober
2012 die Einspruchsentscheidung vom 6. September 2012, welche die Einkommensteuer
für die Jahre 2005 bis 2008 betrifft. Darin finden sich Ausführungen zu einer doppelten
Haushaltsführung der Klägerin, zu einer Ansparabschreibung nach § 7g des
Einkommensteuergesetzes in der für die Streitjahre geltenden Fassung (EStG) sowie zu
dem Streitpunkt "Büroraumkosten". Durch die Rechtsbehelfsentscheidung wurde die
Steuer für die Jahre 2005 und 2006 jeweils heraufgesetzt und der Einspruch gegen die
Festsetzungen für die Jahre 2007 und 2008 mangels Beschwer als unzulässig verworfen.
2 Der Berichterstatter des FG setzte den Klägern unter dem Datum des 26. November 2012
eine Frist gemäß § 65 Abs. 1 und Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur
Bezeichnung des Klagebegehrens. In der Verfügung wurde auf den Ausschlusscharakter
der bis zum 15. Februar 2013 laufenden Frist hingewiesen. Am letzten Tag beantragten die
Kläger eine Fristverlängerung um mindestens drei Monate. Dem Schreiben war ein
ärztliches Attest beigefügt, in welchem dem Kläger die Arbeitsunfähigkeit bescheinigt wird.
Gleichwohl erließ der Berichterstatter am 18. Februar 2013 einen Gerichtsbescheid, durch
den die Klage abgewiesen werden sollte. Dagegen wandten sich die Kläger mit einem
Antrag auf mündliche Verhandlung. Das FG wies die Klage durch Urteil vom 18. April 2013
ab, weil die Kläger die Ausschlussfrist nach § 65 Abs. 1 und 2 FGO versäumt hätten. Aus
dem vorgelegten ärztlichen Attest habe sich kein Grund für eine Verlängerung der
Ausschlussfrist ergeben.
3 Mit Schreiben vom 31. Mai 2013 legten die Kläger "Beschwerde/ Berufung" gegen das
Urteil des FG ein. Zur Begründung trugen sie vor, das angegriffene Urteil berücksichtige
nicht die geltend gemachte Erkrankung des Klägers. Das FG hätte das Klagebegehren,
das aus dem Schreiben vom 8. Oktober 2012 und aus dem Verfahren über den Antrag auf
Aussetzung der Vollziehung bekannt sei, unter Rückgriff auf die Steuerakten ermitteln
können.
Entscheidungsgründe
4 II. Das als "Beschwerde/Berufung" bezeichnete und als Nichtzulassungsbeschwerde
auszulegende Rechtsmittel ist begründet. Die Beschwerde führt zur Aufhebung des
angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG gemäß
§ 116 Abs. 6 FGO.
5 1. Nach ständiger Rechtsprechung stellt es einen Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2
Nr. 3 FGO dar, wenn über eine zulässige Klage nicht zur Sache, sondern durch
Prozessurteil entschieden wird (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom
17. November 2003 XI B 213/01, BFH/NV 2004, 514, m.w.N.). Wird eine Ausschlussfrist
nach § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO zur Bezeichnung des Klagebegehrens als sog.
Musserfordernis einer --zulässigen-- Klage (vgl. § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO) zu Unrecht oder
nicht wirksam gesetzt, so führt die unterbliebene Berücksichtigung des weiteren
Klagevorbringens und die Abweisung der Klage als unzulässig wegen unzutreffender
Anwendung des § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO zu einer Verletzung des Anspruchs auf
rechtliches Gehör (BFH-Beschluss in BFH/NV 2004, 514).
6 2. Ein derartiger Verfahrensmangel liegt hier vor.
7 a) Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO ist für eine Anfechtungsklage neben der Angabe des
Klägers, des Beklagten und des angefochtenen Verwaltungsakts sowie der Entscheidung
über den außergerichtlichen Rechtsbehelf zusätzlich die Bezeichnung des Gegenstands
des Klagebegehrens erforderlich. Genügt die Klageschrift nicht diesen Erfordernissen, so
hat der Vorsitzende oder der Berichterstatter den Kläger zur Ergänzung innerhalb einer
bestimmten Frist aufzufordern (§ 65 Abs. 2 Satz 1 FGO). Er kann ihm für die Ergänzung
eine Frist mit ausschließender Wirkung setzen, wenn es an einem der in § 65 Abs. 1 Satz 1
FGO genannten Erfordernisse fehlt (§ 65 Abs. 2 Satz 2 FGO). Entspricht die eingereichte
Klage den in § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO genannten Erfordernissen, ist eine gleichwohl
verfügte Ausschlussfrist hinfällig (BFH-Beschlüsse vom 17. Oktober 1996 V B 75/96,
BFH/NV 1997, 415, und vom 22. Januar 2003 VIII B 63/02, BFH/NV 2003, 790).
8 b) Bei der Auslegung einer Klage sind sämtliche dem FG erkennbaren Umstände
tatsächlicher und rechtlicher Art zu berücksichtigen (BFH-Urteile vom 14. Juni 2000
X R 18/99, BFH/NV 2001, 170, und vom 11. Februar 2003 VII R 18/02, BFHE 201, 409,
BStBl II 2003, 606). Zu den Umständen, die bei der Auslegung der Klageschrift zu
berücksichtigen sind, gehört insbesondere auch der Inhalt der in der Klageschrift
bezeichneten Einspruchsentscheidung (BFH-Beschluss in BFH/NV 2003, 790).
9 c) Im Streitfall war der Inhalt der Einspruchsentscheidung zu dem Zeitpunkt, als der
Berichterstatter die Ausschlussfrist setzte, bekannt. Aus ihr geht hervor, dass zwischen den
Klägern und dem FA drei Punkte streitig waren, und zwar die Anerkennung einer doppelten
Haushaltsführung, einer Ansparabschreibung nach § 7g EStG sowie von Büroraumkosten.
Die Streitpunkte sind für die Jahre 2005 und 2006, in denen eine Beschwer der Kläger
vorliegt, von Bedeutung. Das Klagebegehren ist unverwechselbar von anderen möglichen
Streitpunkten abgegrenzt. Dies reicht für eine Bezeichnung des Klagebegehrens aus. Nicht
von Bedeutung ist, dass die Rechtsbehelfsentscheidung nicht von den Klägern, sondern
vom FA übermittelt wurde (BFH-Beschluss in BFH/NV 2003, 790).