Urteil des BFH vom 25.11.2015

Beitrittsaufforderung an das BMF: Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nach § 6a GrEStG

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 25.11.2015, II R 62/14
Beitrittsaufforderung an das BMF: Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nach § 6a
GrEStG
Leitsätze
Das BMF wird aufgefordert, dem Revisionsverfahren beizutreten und zum Verhältnis von §
6a Sätze 3 und 4 GrEStG, nach deren Wortlaut § 6a GrEStG auf Umwandlungsvorgänge,
bei denen ein Rechtsträger untergeht oder neu entsteht (Verschmelzung, Aufspaltung,
Abspaltung oder Vermögensausgliederung zur Neugründung), nicht anwendbar ist, zu § 6a
Satz 1 GrEStG, der durch die Bezugnahme auf § 1 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 UmwG auch diese
Umwandlungsvorgänge in den Anwendungsbereich der Vorschrift einbezieht, sowie zum
möglichen Beihilfecharakter des § 6a GrEStG Stellung zu nehmen.
Tenor
Das Bundesministerium der Finanzen wird zum Beitritt aufgefordert.
Tatbestand
1 I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine aktiv tätige AG, ist an einer
Vielzahl von Gesellschaften als Alleingesellschafterin beteiligt. U.a. war sie
Alleingesellschafterin der B-GmbH, die in den Bezirken der Finanzämter B und C
gelegenen Grundbesitz hielt. Zwischen der Klägerin und der B-GmbH bestanden ein
Ergebnisabführungsvertrag sowie steuerliche Organschaften hinsichtlich
Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer und Umsatzsteuer. Die B-GmbH war ihrerseits
Alleingesellschafterin der E-GmbH.
2 Mit Verschmelzungsvertrag vom 1. August 2012 wurde die B-GmbH als übertragender
Rechtsträger gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Nr. 1 des Umwandlungsgesetzes
(UmwG) auf die Klägerin als übernehmender Rechtsträger verschmolzen. Die
Verschmelzung wurde am 24. September 2012 in das Handelsregister eingetragen.
Die Beteiligung der Klägerin an der B-GmbH hatte zu diesem Zeitpunkt bereits seit
mehr als fünf Jahren in Höhe von mindestens 95 % bestanden. Mit der Eintragung der
Verschmelzung in das Handelsregister ging das Vermögen der B-GmbH auf die
Klägerin über und erlosch die B-GmbH (§ 20 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 Satz 1 UmwG). Die
Klägerin war ab diesem Zeitpunkt Alleingesellschafterin der E-GmbH.
3 Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) sah in dem Übergang der
Grundstücke der B-GmbH auf die Klägerin einen nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 des
Grunderwerbsteuergesetzes in der im Jahr 2012 geltenden Fassung (GrEStG)
steuerbaren Erwerbsvorgang und stellte zuletzt durch Änderungsbescheid vom
13. August 2013 die Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer nach § 17
Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GrEStG der Klägerin gegenüber fest. Dabei versagte das FA die
Steuerbegünstigung nach § 6a GrEStG. Der Einspruch blieb erfolglos.
4 Das Finanzgericht (FG) gab der auf Gewährung der Steuerbefreiung nach § 6a
GrEStG gerichteten Klage statt. Die Entscheidung ist in Entscheidungen der
Finanzgerichte (EFG) 2015, 424 veröffentlicht.
5 Mit der Revision vertritt das FA unter Hinweis auf Tz. 5 Abs. 1 und Beispiel 1 der
Gleich lautenden Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom 19. Juni 2012
(BStBl I 2012, 662) die Ansicht, § 6a GrEStG sei nicht anwendbar, da der "Verbund"
der am Umwandlungsvorgang beteiligten Rechtsträger aufgrund der Verschmelzung
beendet worden sei.
6 Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
7 Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
8 II. Die Aufforderung zum Beitritt beruht auf § 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung.
Das vorliegende Revisionsverfahren betrifft die Auslegung des § 6a GrEStG und
damit eine auf Bundesrecht beruhende Abgabe und eine Rechtsstreitigkeit über
Bundesrecht. Die Auslegung des § 6a GrEStG weist Schwierigkeiten von solchem
Gewicht auf, dass dem Senat die Beitrittsaufforderung als sachgerecht erscheint. Das
betrifft die Anwendung der Vor- und Nachbehaltensfristen des § 6a Satz 4 GrEStG in
Verschmelzungsfällen sowie unionsrechtliche Fragestellungen.
9 1. Der durch die Verschmelzung bewirkte Übergang des Eigentums an den
Grundstücken der B-GmbH auf die Klägerin unterliegt nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG
der Grunderwerbsteuer. Es handelt sich um gesetzliche Eigentumswechsel, bei
denen kein den Anspruch auf Übereignung begründendes Rechtsgeschäft
vorausgegangen war und es auch keiner Auflassung bedurfte.
10 2. Im vorliegenden Verfahren ist zu entscheiden, ob für diese Rechtsvorgänge die
Steuer nach § 6a GrEStG nicht zu erheben ist.
11 a) Nach § 6a Satz 1 Halbsatz 1 GrEStG wird für einen nach § 1 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2a
oder 3 GrEStG steuerbaren Rechtsvorgang aufgrund einer Umwandlung i.S. des § 1
Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 UmwG die Steuer nicht erhoben. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UmwG betrifft
die Verschmelzung, § 1 Abs. 1 Nr. 2 UmwG die Aufspaltung, Abspaltung und
Ausgliederung und § 1 Abs. 1 Nr. 3 UmwG die Vermögensübertragung.
12 Die Nichterhebung der Steuer gemäß § 6a Satz 1 Halbsatz 1 GrEStG setzt nach dem
Wortlaut des § 6a Satz 3 GrEStG voraus, dass an dem Umwandlungsvorgang
ausschließlich ein herrschendes Unternehmen und ein oder mehrere von diesem
herrschenden Unternehmen abhängige Gesellschaften oder mehrere von einem
herrschenden Unternehmen abhängige Gesellschaften beteiligt sind. Abhängig in
diesem Sinne ist nach § 6a Satz 4 GrEStG eine Gesellschaft, an deren Kapital oder
Gesellschaftsvermögen das herrschende Unternehmen innerhalb von fünf Jahren vor
dem Rechtsvorgang und fünf Jahren nach dem Rechtsvorgang unmittelbar oder
mittelbar oder teils unmittelbar, teils mittelbar zu mindestens 95 % ununterbrochen
beteiligt ist.
13 b) Umwandlungsvorgänge, bei denen eine an dem Vorgang beteiligte Gesellschaft
erlischt oder neu entsteht, fallen nach dem Wortlaut des § 6a Sätze 3 und 4 GrEStG
nicht in den Anwendungsbereich des § 6a GrEStG, weil eine solche Gesellschaft die
in § 6a Satz 4 GrEStG bestimmten Voraussetzungen der Abhängigkeit nicht erfüllen
kann und somit entgegen den Anforderungen des § 6a Satz 3 GrEStG an dem
Umwandlungsvorgang auch (mindestens) eine Gesellschaft beteiligt ist, die nicht von
dem herrschenden Unternehmen "abhängig" ist.
14 Nach dem Wortlaut des § 6a Sätze 3 und 4 GrEStG sind somit sämtliche
Verschmelzungen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1, §§ 2 ff. UmwG), die Aufspaltung (§ 1 Abs. 1
Nr. 2, § 123 Abs. 1 UmwG), die Abspaltung und die Ausgliederung von Vermögen zur
Neugründung (§ 1 Abs. 1 Nr. 2, § 123 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2, §§ 124 ff. UmwG)
sowie die Vermögensübertragung (§ 1 Abs. 1 Nr. 3, §§ 174 ff. UmwG), wenn sie zur
Auflösung des übertragenden Rechtsträgers führt, nicht nach § 6a GrEStG
begünstigt. § 6a GrEStG hätte bei der wortlautgetreuen Auslegung und Anwendung
des § 6a Sätze 3 und 4 GrEStG demgemäß nur einen sehr eng begrenzten
Anwendungsbereich. Dem Grunde nach begünstigungsfähig wären im Wesentlichen
nur die Abspaltung und die Ausgliederung von Vermögen zur Aufnahme durch
Übertragung des abgespaltenen oder ausgegliederten Vermögensteils oder der
abgespaltenen oder ausgegliederten Vermögensteile jeweils als Gesamtheit auf einen
bestehenden oder mehrere bestehende Rechtsträger (§ 123 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1
UmwG).
15 c) Es stellt sich daher die Frage, ob der Gesetzgeber entgegen den Regelungen in
§ 6a Satz 1 Halbsatz 1 GrEStG den Anwendungsbereich dieser Vorschrift durch § 6a
Sätze 3 und 4 GrEStG derart weitgehend einschränken wollte und ob bei einem so
engen Anwendungsbereich der Steuerbegünstigung die vom Gesetzgeber mit der
Regelung verfolgten Ziele erreicht werden können. Nach dem Bericht des
Finanzausschusses des Deutschen Bundestags (BTDrucks 17/147, S. 10) sollten
Grundstücksübergänge u.a. im Rahmen von Umstrukturierungen bei
Umwandlungsvorgängen grunderwerbsteuerrechtlich begünstigt werden, wenn es
sich um einen Rechtsvorgang i.S. des § 1 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 UmwG handle. Der
Finanzausschuss führte weiter aus, die Begünstigungswirkung müsse den
Begünstigungsadressaten möglichst gleichmäßig zugutekommen. Sie dürfe nicht von
Zufälligkeiten abhängen und daher willkürlich eintreten, sondern müsse sich direkt aus
der der Begünstigungsnorm zugrunde liegenden Entlastungsentscheidung ableiten
lassen. Aus diesem Grunde würden zu einem Rechtsträgerwechsel am Grundstück
im Sinne des GrEStG führende Umwandlungsvorgänge zur Beseitigung von
Wachstumshemmnissen begünstigt. Die Erfassung aller derartigen Vorgänge diene
der gebotenen gleichmäßigen Wirkung der Begünstigung. Allerdings werde die
Begünstigung auf Konzernsachverhalte beschränkt, um sicherzustellen, dass die
Begünstigung zielgenau wirke und nicht zu einem ungewollten Mitnahmeeffekt führe.
Dem dienten die flankierenden Eingrenzungen durch die in § 6a Satz 4 GrEStG
normierte Vor- und Nachbehaltensfrist.
16 d) Die Finanzverwaltung stellt in den Erlassen in BStBl I 2012, 662 maßgeblich auf
das im Wortlaut des § 6a GrEStG nicht vorgesehene Merkmal des "Verbundes" ab,
der nach Tz. 2.1 Abs. 2 der Erlasse für den jeweiligen Umwandlungsvorgang zu
bestimmen ist und aus dem herrschenden Unternehmen und der oder den am
Umwandlungsvorgang beteiligten abhängigen Gesellschaft(en) sowie den dieses
Beteiligungsverhältnis vermittelnden abhängigen Gesellschaften besteht.
Umwandlungsvorgänge, durch die der Verbund begründet oder beendet wird, sind
nach Tz. 2.1 Abs. 3 Satz 1 der Erlasse nicht nach § 6a GrEStG begünstigt.
Demgemäß sind nach Tz. 2.1 Abs. 3 Sätze 2 und 3 der Erlasse Ausgliederungen
oder Abspaltungen zur Neugründung aus einem herrschenden Unternehmen sowie
die Verschmelzung der letzten am Umwandlungsvorgang beteiligten abhängigen
Gesellschaft auf das herrschende Unternehmen nicht begünstigt, da durch diese
Umwandlungsvorgänge der Verbund erst begründet oder beendet wird. Dies gilt nach
den in Tz. 2.1 der Erlasse enthaltenen Beispielen auch dann, wenn die
Muttergesellschaft, auf die die Tochtergesellschaft verschmolzen wird, zu mindestens
95 % an einer weiteren Gesellschaft beteiligt ist oder die Tochtergesellschaft ihrerseits
zu mindestens 95 % an einer Gesellschaft beteiligt war, die ihrerseits die
Anforderungen an eine abhängige Gesellschaft der Muttergesellschaft gemäß § 6
Satz 4 GrEStG erfüllt.
17 Begünstigt kann demgegenüber nach Tz. 5 Abs. 1 Satz 3 und Beispiel 1 zu Tz. 5 der
Erlasse die Verschmelzung einer Tochtergesellschaft auf eine andere sein.
Erforderlich ist dabei, dass bei beiden Tochtergesellschaften die Vorbehaltensfrist von
fünf Jahren (Tz. 4 der Erlasse) eingehalten war und die übernehmende abhängige
Gesellschaft fünf Jahre fortbesteht und an ihr die Mindestbeteiligung von 95 %
bestehen bleibt. Dass die übertragende Gesellschaft bei der Umwandlung erlischt und
somit nicht die Anforderungen des § 6a Satz 4 GrEStG an eine abhängige
Gesellschaft erfüllt, ist nach Tz. 5 Abs. 1 Satz 3 der Erlasse unschädlich. Bei dieser
Erlassregelung handelt es sich ersichtlich um eine durch die Finanzverwaltung
zugelassene Ausnahme vom Wortlaut des § 6a Sätze 3 und 4 GrEStG. Im Übrigen
soll hinsichtlich der Vorbehaltensfrist jede Veränderung der Art der Beteiligung (z.B.
vollständige oder teilweise Verkürzung oder Verlängerung der Beteiligungskette)
unschädlich sein. Voraussetzung ist nur, dass die erforderliche Mindestbeteiligung
des im Zeitpunkt der Verwirklichung des Erwerbsvorgangs durch Umwandlung
bestimmten herrschenden Unternehmens von 95 % erhalten bleibt (Tz. 4 letzter
Absatz der Erlasse). Es stellt sich die Frage, ob und aus welchen Gründen eine
Verkürzung oder Verlängerung der Beteiligungskette nicht auch für die
Nachbehaltensfrist unschädlich sein soll.
18 Weitere Ausnahmen vom Wortlaut des § 6a Sätze 3 und 4 GrEStG sehen die Erlasse
in BStBl I 2012, 662 nicht mehr vor. Die in Tz. 5 Abs. 1 der Gleich lautenden
Ländererlasse vom 1. Dezember 2010 (BStBl I 2010, 1321) enthaltene Regelung,
wonach die Nachbehaltensfrist bei der Verschmelzung auf das herrschende
Unternehmen ausnahmsweise nicht eingehalten werden muss, hat die
Finanzverwaltung in den Erlassen in BStBl I 2012, 662 nicht aufgenommen, ohne
dass dem eine Gesetzesänderung zugrunde liegt.
19 e) Zu der angesprochenen Problematik hat sich bisher noch keine einheitliche Ansicht
herausgebildet, und zwar weder in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung (vgl.
einerseits Urteil des FG München vom 23. Juli 2014 4 K 1304/13, EFG 2014, 1703,
rechtskräftig, und andererseits Urteil des FG Düsseldorf vom 7. Mai 2014
7 K 281/14 GE, EFG 2014, 1424, m. Anm. Fumi, Revision eingelegt, Az. des
Bundesfinanzhofs: II R 36/14) noch im Schrifttum (vgl. einerseits Hofmann,
Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 10. Aufl., § 6a Rz 17; Pahlke,
Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 5. Aufl., § 6a Rz 39; Schanko, Der Konzern
2013, 122, 124, und Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 2011, 152; andererseits
Viskorf in Boruttau, Grunderwerbsteuergesetz, 17. Aufl., § 6a Rz 93; Weilbach,
GrEStG, Stand 10. Juni 2015, § 6a Rz 36; Teiche, Betriebs-Berater --BB-- 2012,
2659, 2665 f.; Jorde/Trinkaus, Die Unternehmensbesteuerung 2012, 649, 654;
Behrens, Deutsches Steuerrecht 2012, 2149, 2050 ff.;
Wischott/Schönweiß/Graessner, Neue Wirtschafts-Briefe für Steuer- und
Wirtschaftsrecht 2013, 780, 790; Mensching/Tyarks, BB 2010, 87, 91;
Schaflitzl/Stadler, Der Betrieb 2010, 185, 188).
20 f) Das zum Beitritt aufgeforderte Bundesministerium der Finanzen (BMF) wird um
Stellungnahme gebeten, wie aus seiner Sicht unter Berücksichtigung der
verfassungsrechtlichen Anforderungen an Steuergesetze, die auch der
Finanzausschuss in BTDrucks 17/147, S. 10 angesprochen hat, der
Anwendungsbereich des § 6a GrEStG abzugrenzen ist.
21 3. In unionsrechtlicher Hinsicht wird zudem zu prüfen sein, ob es sich bei § 6a
GrEStG um eine neu eingeführte Beihilfe i.S. des Art. 107 Abs. 1 des Vertrags über
die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) handelt.
22 Das BMF wird daher gebeten mitzuteilen, ob ein beihilferechtliches
Genehmigungsverfahren durchgeführt wurde und welches Ergebnis dieses ggf. hatte,
oder andernfalls zu der Frage des Vorliegens einer Beihilfe Stellung zu nehmen.