Urteil des BFH vom 06.07.2016

Inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 6.7.2016 II R 5/15 - Einheitlicher Erwerbsgegenstand im Grunderwerbsteuerrecht

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 6.7.2016, II R 4/15
Inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 6.7.2016 II R 5/15 - Einheitlicher Erwerbsgegenstand im Grunderwerbsteuerrecht
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 9. Dezember 2014 4 K 1324/12
aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht Rheinland-Pfalz zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.
Tatbestand
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I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) und ihr Ehemann beabsichtigten, ein Grundstück der Stadtwerke-AG
(AG) zu kaufen.
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Entsprechend den Vorgaben der AG konnten die Eheleute das Grundstück zunächst nur reservieren und mussten vor
Abschluss des Kaufvertrags einen Bauvorschlag erstellen lassen, der neben dem Bebauungsplan auch den
Anforderungen eines Gestaltungshandbuchs entsprach. Nachdem dies geschehen war und die von der AG
eingesetzte Lenkungsgruppe den Bauvorschlag genehmigt hatte, wurde der Kaufvertrag am 20. Mai 2009
geschlossen. Der Kaufpreis für das Grundstück betrug insgesamt 165.000 EUR.
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Die Eheleute verpflichteten sich im Kaufvertrag, unverzüglich nach Besitzübergang und Erteilung der
Baugenehmigung bzw. Freigabe des Bauvorhabens auf dem Grundstück mit der Errichtung der Bauwerke und
Nebenanlagen entsprechend den von der Lenkungsgruppe genehmigten und mit Prüfvermerk versehenen Plänen
nebst Flächenberechnungen zu beginnen und diese innerhalb von 24 Monaten in einem Zuge bezugsfertig zu
erstellen. Eine Verpflichtung, ein bestimmtes Unternehmen mit der Errichtung des Gebäudes zu beauftragen, enthielt
der Kaufvertrag nicht.
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Am 22. Juni 2009 schlossen die Eheleute mit der von ihnen ausgewählten Baufirma einen Bauerrichtungsvertrag zu
einem Festpreis von 298.075 EUR ab. Der Vertrag war von der Baufirma bereits am 30. April 2009 ausgefertigt und
unterschrieben worden.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) nahm an, dass das Grundstück nach den Grundsätzen
über den einheitlichen Erwerbsgegenstand in bebautem Zustand Gegenstand des Erwerbsvorgangs gewesen sei,
und bezog die Bauerrichtungskosten anteilig in die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer mit ein. Das FA
setzte demgemäß mit Bescheid vom 22. Juli 2009 gegen die Klägerin Grunderwerbsteuer in Höhe von 8.103 EUR
fest.
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Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, die Entscheidungsfreiheit der Eheleute
hinsichtlich der Fortführung des bereits projektierten Bauvorhabens sei beim Abschluss des Kaufvertrags aufgrund
rechtlicher und faktischer Zwänge stark eingeschränkt gewesen. Der AG sei die rechtliche und tatsächliche Kontrolle
hinsichtlich der baulichen Ausgestaltung verblieben. Obwohl die AG zivilrechtlich nicht zur Herstellung des Gebäudes
verpflichtet gewesen sei, sei die Bebauung noch in ihrer Sphäre erfolgt. Sie habe die Herstellungsverpflichtung im
Rahmen des umfangreichen Vertragsgefüges auf die Eheleute "delegiert". Unerheblich sei auch, dass die Eheleute
den Architekten und das Bauunternehmen ausgewählt hätten.
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Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 8 Abs. 1 und § 9 Abs. 1 Nr. 1 des
Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG). Das FG habe zu Unrecht bereits eine vermeintliche Kontrolle tatsächlicher
und rechtlicher Art der AG bezüglich der Herstellung des Gebäudes im Grundstückskaufvertrag genügen lassen, um
die Baukosten in die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer einzubeziehen. Es habe verkannt, dass
ausschließlich die Eheleute als Erwerber vertraglich eine Bauverpflichtung übernommen hätten.
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Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Grunderwerbsteuerbescheid vom 22. Juli 2009 in
Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. Februar 2012 dahingehend zu ändern, dass die Grunderwerbsteuer auf
2.887 EUR herabgesetzt wird.
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Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der
Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung --FGO--).
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1. Das FG hat auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen (§ 118 Abs. 2 FGO) zu Unrecht
entschieden, dass die anteiligen Bauerrichtungskosten in die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer
einzubeziehen sind. Die vom Erwerber eines Grundstücks zivilrechtlich übernommene Verpflichtung, das Grundstück
zu bebauen und dabei bestimmte gestalterische Vorgaben des Grundstücksveräußerers einzuhalten, genügt nicht
für die Annahme eines einheitlichen Erwerbsgegenstands "bebautes Grundstück". Die auf der Veräußererseite
handelnden Personen müssen zur Veränderung des körperlichen Zustands des Grundstücks verpflichtet sein.
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a) Der Gegenstand des Erwerbsvorgangs, nach dem sich gemäß § 8 Abs. 1 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG die als
Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer anzusetzende Gegenleistung richtet, wird zunächst durch das den
Steuertatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG erfüllende zivilrechtliche Verpflichtungsgeschäft bestimmt. Ergibt sich
jedoch aus weiteren Vereinbarungen, die mit diesem Rechtsgeschäft in einem rechtlichen oder zumindest objektiv
sachlichen Zusammenhang stehen, dass der Erwerber das beim Abschluss des Kaufvertrags unbebaute
Grundstück in bebautem Zustand erhält, bezieht sich der grunderwerbsteuerrechtliche Erwerbsvorgang auf diesen
einheitlichen Erwerbsgegenstand (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom
3. März 2015 II R 9/14, BFHE 249, 323, BStBl II 2015, 660, Rz 11, m.w.N.).
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aa) Auf der Veräußererseite können auch mehrere Personen als Vertragspartner auftreten, so dass sich die
Ansprüche des Erwerbers auf Übereignung des Grundstücks und auf Errichtung des Gebäudes zivilrechtlich gegen
verschiedene Personen richten. Entscheidend ist insoweit, dass (auch) der den Grundstücksübereignungsanspruch
begründende Vertrag in ein Vertragsgeflecht miteinbezogen ist, das unter Berücksichtigung aller Umstände darauf
gerichtet ist, dem Erwerber als einheitlichen Erwerbsgegenstand das Grundstück in bebautem Zustand zu
verschaffen. Dies ist regelmäßig anzunehmen, wenn die auf der Veräußererseite auftretenden Personen entweder
personell, wirtschaftlich oder gesellschaftsrechtlich eng verbunden sind oder aufgrund von (nicht notwendigerweise
vertraglichen) Abreden auf den Abschluss sowohl des Grundstückskaufvertrags als auch der Verträge, die der
Bebauung des Grundstücks dienen, hinwirken (vgl. BFH-Urteil vom 26. Februar 2014 II R 54/12, BFH/NV 2014,
1403, Rz 11, m.w.N.).
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Anhaltspunkte für Abreden der Veräußererseite können z.B. ein gemeinsamer Vermarktungsprospekt oder ein
gemeinsamer Internetauftritt des Grundstücksveräußerers und des Bauunternehmens bzw. der für sie handelnden
Personen sein. Eine Abrede kann auch anzunehmen sein, wenn der Grundstücksveräußerer dem Erwerber
Bauunternehmen benennt, die bereits Interesse an der Bebauung des zu veräußernden Grundstücks oder bei einem
größeren Baugebiet der zu veräußernden Grundstücke bekundet haben und/oder den baurechtlichen Vorschriften
entsprechende Haustypen für das Grundstück anbieten können. Nicht ausreichend ist insoweit der allgemeine
Hinweis auf in der näheren Umgebung tätige Bauunternehmer, die noch nicht mit der möglichen Bebauung der zur
Veräußerung bestimmten Grundstücke befasst waren. Eine Abrede auf der Veräußererseite muss für den Erwerber
nicht erkennbar sein. Es ist ausreichend, wenn sie anhand äußerer Merkmale objektiv festgestellt werden kann (vgl.
BFH-Urteil in BFH/NV 2014, 1403, Rz 13, m.w.N.). Ob eine Abrede auf der Veräußererseite vorliegt, ist nach den
Umständen des Einzelfalls zu ermitteln. Die Feststellungslast (objektive Beweislast) für die Tatsachen, die die
Einbeziehung der Bauerrichtungskosten in die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer rechtfertigen, trägt
das Finanzamt.
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bb) Ein beim Abschluss des Kaufvertrags unbebautes Grundstück kann nur dann in bebautem Zustand Gegenstand
des Erwerbsvorgangs sein, wenn der Veräußerer oder ein zur Veräußererseite gehörender Dritter zivilrechtlich zur
Gebäudeerrichtung verpflichtet ist (vgl. BFH-Urteile vom 16. Januar 2002 II R 16/00, BFHE 197, 308, BStBl II 2002,
431, unter II.1.a; vom 27. Oktober 2004 II R 12/03, BFHE 208, 51, BStBl II 2005, 220, unter II.1.a; vom
27. November 2013 II R 56/12, BFHE 243, 415, BStBl II 2014, 534, Rz 12, und in BFHE 249, 323, BStBl II 2015,
660, Rz 15, jeweils m.w.N.).
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Eine im Grundstückskaufvertrag übernommene zivilrechtliche Bauverpflichtung des Erwerbers gegenüber dem
Veräußerer ist für die Annahme einer Herstellungspflicht auf der Veräußererseite nicht ausreichend. Hierbei handelt
es sich lediglich um eine eigennützige Leistung des Erwerbers, die keine Gegenleistung für den Erwerb des
Grundstücks darstellt (vgl. BFH-Urteil in BFHE 197, 308, BStBl II 2002, 431, unter II.2.a, m.w.N.). Ein "Delegieren"
einer dem Veräußerer obliegenden Herstellungspflicht auf den Erwerber mit der Folge, dass die Herstellung des
Gebäudes der Sphäre des Veräußerers zuzurechnen ist, kann in der Übernahme einer Bauverpflichtung durch den
Erwerber nicht gesehen werden. Bei einem gegenseitigen Vertrag kann sich der jeweilige Vertragspartner zur
Erfüllung der ihm obliegenden Verbindlichkeiten dritter Personen bedienen. Er kann jedoch die ihm obliegenden
Verbindlichkeiten nicht auf seinen Vertragspartner "delegieren", dem gegenüber er die Erfüllung der Verbindlichkeit
schuldet (Rechtsgedanke des § 278 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, vgl. Palandt/Grüneberg, Bürgerliches
Gesetzbuch, 75. Aufl., § 278 Rz 7). Der Erwerber ist insoweit nicht der "verlängerte Arm" der Veräußererseite.
Allein die Bindung des Erwerbers an eine bestimmte bauliche Gestaltung ("Wie" der Bebauung) reicht für sich
genommen ebenfalls nicht aus, wenn diese nicht gegenüber der zur Gebäudeerrichtung verpflichteten
Veräußererseite besteht (vgl. BFH-Urteil in BFHE 197, 308, BStBl II 2002, 431, unter II.1.a). Auch ein Eigeninteresse
der Veräußererseite daran, dass die Bebauung des erworbenen Grundstücks zeitnah und in der gestalterisch durch
sie vorgegebenen Weise (etwa durch ein in den Grundstückskaufvertrag einbezogenes Gestaltungshandbuch)
erfolgt, führt nicht zu einer der Veräußererseite zuzurechnenden zivilrechtlichen Herstellungspflicht.
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cc) Fehlt es an einer Herstellungsverpflichtung der Veräußererseite, unterliegt eine etwaige vom Erwerber
geschuldete Vergütung für Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem vom Erwerber selbst herzustellenden
Gebäude, die Lieferung beweglicher Gegenstände (z.B. Baumaterialien) oder die Bereitstellung von
Planungsunterlagen nicht der Grunderwerbsteuer. Dies gilt auch dann, wenn die Veräußererseite das Grundstück
sowie die sonstigen Dienst- und Sachleistungen einheitlich angeboten hatte.
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b) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist das FG auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen zu Unrecht
davon ausgegangen, dass die Klägerin das Grundstück anteilig im bebauten Zustand erworben habe und die
Bauerrichtungskosten anteilig in die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer einzubeziehen seien. Nach den
Feststellungen des FG war die AG zivilrechtlich nicht zur Herstellung des Gebäudes verpflichtet. Dass die von den
Eheleuten ausgewählte Baufirma beim Abschluss des Grundstückskaufvertrags zur Veräußererseite gehört habe,
geht aus den Feststellungen nicht hervor. Die Vorentscheidung war daher aufzuheben.
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2. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat --ausgehend von seiner Rechtsauffassung, dass die zivilrechtliche
Herstellungsverpflichtung des Veräußerers auf den Grundstückserwerber "delegiert" werden könne-- keine
Feststellungen dazu getroffen, ob die Baufirma beim Abschluss des Grundstückskaufvertrags zur Veräußererseite
gehörte. Dies wird es im zweiten Rechtszug nachzuholen haben. Die Beteiligten sind dabei gemäß § 76 Abs. 1
Satz 2 und 3 FGO heranzuziehen. Kommt das FG zu dem Ergebnis, dass die Baufirma im maßgebenden Zeitpunkt
zur Veräußererseite gehörte, ist Gegenstand des Erwerbs der Klägerin das anteilige, bebaute Grundstück; denn die
Baufirma hatte den Eheleuten die Bebauung des Grundstücks bereits vor Abschluss des Kaufvertrags durch
Unterzeichnung des Bauerrichtungsvertrags zu einem feststehenden Preis angeboten. Dementsprechend sind die
anteiligen Bauerrichtungskosten Teil der Gegenleistung, die der Bemessung der Grunderwerbsteuer zugrunde zu
legen ist. Die Klage ist dann abzuweisen. Andernfalls ist der Klage stattzugeben. Die dem FA obliegende
Feststellungslast (objektive Beweislast) ist zu beachten.
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3. Die Übertragung der Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2
FGO.