Urteil des BFH vom 25.11.2015

Beitrittsaufforderung an das BMF: Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nach § 6a GrEStG

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 25.11.2015, II R 36/14
Beitrittsaufforderung an das BMF: Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nach § 6a
GrEStG
Tenor
Das Bundesministerium der Finanzen wird aufgefordert, dem Verfahren beizutreten.
Tatbestand
1 I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, ist aufgrund
Ausgliederungsvertrag vom 27. Juni 2012 durch Ausgliederung zur Neugründung
gemäß § 123 Abs. 3 Nr. 2 des Umwandlungsgesetzes (UmwG) aus der … GmbH, die
später als S-GmbH firmierte, hervorgegangen und wurde am 31. August 2012 in das
Handelsregister eingetragen. Alleinige Gesellschafterin der Klägerin wurde die S-
GmbH. Zu dem auf die Klägerin ausgegliederten Vermögen gehörten mehrere
Grundstücke.
2 Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) setzte gegen die Klägerin
durch zuletzt ergangenen Änderungsbescheid vom 21. Oktober 2013
Grunderwerbsteuer in Höhe von 22.325 EUR fest. Bemessungsgrundlage waren die
für die Grundstücke der Klägerin festgestellten Grundbesitzwerte von insgesamt
446.500 EUR. Der Einspruch, mit dem die Klägerin die Steuervergünstigung nach § 6a
des Grunderwerbsteuergesetzes in der hier maßgeblichen Fassung (GrEStG) geltend
machte, hatte keinen Erfolg.
3 Das Finanzgericht (FG) sah die Voraussetzungen des § 6a GrEStG als erfüllt an und
gab der auf Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheids gerichteten Klage statt. Zwar
sei für die erst aufgrund der Ausgliederung entstandene Klägerin die Vorbehaltensfrist
des § 6a Satz 4 GrEStG nicht gewahrt. Bei einer Ausgliederung zur Neugründung sei
aber die in § 6a Satz 4 GrEStG normierte Vorbehaltensfrist wegen ihrer auf
Missbrauchsverhinderung gerichteten Zielsetzung einschränkend auszulegen. Bei
einer konzerninternen Ausgliederung zur Neugründung sei ein Missbrauch objektiv
ausgeschlossen, weil durch den Umwandlungsvorgang keine Grundstücke aus dem
Konzernverbund gelöst würden. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der
Finanzgerichte (EFG) 2014, 1424 veröffentlicht.
4 Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 6a GrEStG. § 6a Satz 4 GrEStG sei
schon aufgrund seines Lenkungscharakters keiner teleologischen Reduktion
zugänglich. Da diese Vorschrift ausschließlich auf die zeitliche Dauer der Beteiligung
des herrschenden Unternehmens an der abhängigen Gesellschaft abstelle, komme es
auf den Verbleib des Grundstücks im Konzern nicht an.
5 Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
6 Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
7 II. Die Aufforderung zum Beitritt beruht auf § 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung.
Das vorliegende Revisionsverfahren betrifft die Auslegung des § 6a GrEStG und
damit eine auf Bundesrecht beruhende Abgabe und eine Rechtsstreitigkeit über
Bundesrecht. Die Auslegung des § 6a GrEStG weist Schwierigkeiten von solchem
Gewicht auf, dass dem Senat die Beitrittsaufforderung als sachgerecht erscheint. Das
betrifft die Anwendung der Vor- und Nachbehaltensfristen des § 6a Satz 4 GrEStG im
Fall der Ausgliederung zur Neugründung sowie unionsrechtliche Fragestellungen.
8 1. Der Übergang des Eigentums an inländischen Grundstücken unterliegt, wenn kein
den Anspruch auf Übereignung begründendes Rechtsgeschäft vorausgegangen ist
und es auch keiner Auflassung bedarf, gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 GrEStG der
Grunderwerbsteuer. Diese Voraussetzungen erfüllt eine Ausgliederung zur
Neugründung, wenn zum ausgegliederten Vermögen ein inländisches Grundstück
gehört und das Eigentum an diesem Grundstück kraft Gesetzes auf den
übernehmenden Rechtsträger übergeht. Im Streitfall waren hiernach die
Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG erfüllt, weil das Eigentum an den zum
ausgegliederten Vermögen gehörenden Grundstücken mit der Eintragung der
Ausgliederung in das Register des Sitzes der S-GmbH als des übertragenden
Rechtsträgers nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 UmwG auf den übernehmenden Rechtsträger
übergegangen ist.
9 2. Im vorliegenden Verfahren ist zu entscheiden, ob für diese Rechtsvorgänge die
Steuer nach § 6a GrEStG nicht zu erheben ist.
10 a) Nach § 6a Satz 1 Halbsatz 1 GrEStG wird für einen nach § 1 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2a
oder 3 GrEStG steuerbaren Rechtsvorgang aufgrund einer Umwandlung i.S. des § 1
Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 UmwG die Steuer nicht erhoben. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UmwG betrifft
die Verschmelzung, § 1 Abs. 1 Nr. 2 UmwG die Aufspaltung, Abspaltung und
Ausgliederung und § 1 Abs. 1 Nr. 3 UmwG die Vermögensübertragung.
11 Die Nichterhebung der Steuer gemäß § 6a Satz 1 Halbsatz 1 GrEStG setzt nach dem
Wortlaut des § 6a Satz 3 GrEStG voraus, dass an dem Umwandlungsvorgang
ausschließlich ein herrschendes Unternehmen und ein oder mehrere von diesem
herrschenden Unternehmen abhängige Gesellschaften oder mehrere von einem
herrschenden Unternehmen abhängige Gesellschaften beteiligt sind. Abhängig in
diesem Sinne ist nach § 6a Satz 4 GrEStG eine Gesellschaft, an deren Kapital oder
Gesellschaftsvermögen das herrschende Unternehmen innerhalb von fünf Jahren vor
dem Rechtsvorgang und fünf Jahren nach dem Rechtsvorgang unmittelbar oder
mittelbar oder teils unmittelbar, teils mittelbar zu mindestens 95 % ununterbrochen
beteiligt ist.
12 b) Umwandlungsvorgänge, bei denen eine an dem Vorgang beteiligte Gesellschaft
erlischt oder neu entsteht, fallen nach dem Wortlaut des § 6a Sätze 3 und 4 GrEStG
nicht in den Anwendungsbereich des § 6a GrEStG, weil eine solche Gesellschaft die
in § 6a Satz 4 GrEStG bestimmten Voraussetzungen der Abhängigkeit nicht erfüllen
kann und somit entgegen den Anforderungen des § 6a Satz 3 GrEStG an dem
Umwandlungsvorgang auch (mindestens) eine Gesellschaft beteiligt ist, die nicht von
dem herrschenden Unternehmen "abhängig" ist.
13 Nach dem Wortlaut des § 6a Sätze 3 und 4 GrEStG sind somit sämtliche
Verschmelzungen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1, §§ 2 ff. UmwG), die Aufspaltung (§ 1 Abs. 1
Nr. 2, § 123 Abs. 1 UmwG), die Abspaltung und die Ausgliederung von Vermögen zur
Neugründung (§ 1 Abs. 1 Nr. 2, § 123 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2, §§ 124 ff. UmwG)
sowie die Vermögensübertragung (§ 1 Abs. 1 Nr. 3, §§ 174 ff. UmwG), wenn sie zur
Auflösung des übertragenden Rechtsträgers führt, nicht nach § 6a GrEStG
begünstigt. § 6a GrEStG hätte bei der wortlautgetreuen Auslegung und Anwendung
des § 6a Sätze 3 und 4 GrEStG demgemäß nur einen sehr eng begrenzten
Anwendungsbereich. Dem Grunde nach begünstigungsfähig wären im Wesentlichen
nur die Abspaltung und die Ausgliederung von Vermögen zur Aufnahme durch
Übertragung des abgespaltenen oder ausgegliederten Vermögensteils oder der
abgespaltenen oder ausgegliederten Vermögensteile jeweils als Gesamtheit auf einen
bestehenden oder mehrere bestehende Rechtsträger (§ 123 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1
UmwG).
14 c) Es stellt sich daher die Frage, ob der Gesetzgeber entgegen den Regelungen in
§ 6a Satz 1 Halbsatz 1 GrEStG den Anwendungsbereich dieser Vorschrift durch § 6a
Sätze 3 und 4 GrEStG derart weitgehend einschränken wollte und ob bei einem so
engen Anwendungsbereich der Steuerbegünstigung die vom Gesetzgeber mit der
Regelung verfolgten Ziele erreicht werden können. Nach dem Bericht des
Finanzausschusses des Deutschen Bundestags (BTDrucks 17/147, S. 10) sollten
Grundstücksübergänge u.a. im Rahmen von Umstrukturierungen bei
Umwandlungsvorgängen grunderwerbsteuerrechtlich begünstigt werden, wenn es
sich um einen Rechtsvorgang i.S. des § 1 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 UmwG handle. Der
Finanzausschuss führte weiter aus, die Begünstigungswirkung müsse den
Begünstigungsadressaten möglichst gleichmäßig zugutekommen. Sie dürfe nicht von
Zufälligkeiten abhängen und daher willkürlich eintreten, sondern müsse sich direkt aus
der der Begünstigungsnorm zugrunde liegenden Entlastungsentscheidung ableiten
lassen. Aus diesem Grunde würden zu einem Rechtsträgerwechsel am Grundstück
im Sinne des GrEStG führende Umwandlungsvorgänge zur Beseitigung von
Wachstumshemmnissen begünstigt. Die Erfassung aller derartigen Vorgänge diene
der gebotenen gleichmäßigen Wirkung der Begünstigung. Allerdings werde die
Begünstigung auf Konzernsachverhalte beschränkt, um sicherzustellen, dass die
Begünstigung zielgenau wirke und nicht zu einem ungewollten Mitnahmeeffekt führe.
Dem dienten die flankierenden Eingrenzungen durch die in § 6a Satz 4 GrEStG
normierte Vor- und Nachbehaltensfrist.
15 d) Die Finanzverwaltung stellt in den Erlassen in BStBl I 2012, 662 maßgeblich auf
das im Wortlaut des § 6a GrEStG nicht vorgesehene Merkmal des "Verbundes" ab,
der nach Tz. 2.1 Abs. 2 der Erlasse für den jeweiligen Umwandlungsvorgang zu
bestimmen ist und aus dem herrschenden Unternehmen und der oder den am
Umwandlungsvorgang beteiligten abhängigen Gesellschaft(en) sowie den dieses
Beteiligungsverhältnis vermittelnden abhängigen Gesellschaften besteht.
Umwandlungsvorgänge, durch die der Verbund begründet oder beendet wird, sind
nach Tz. 2.1 Abs. 3 Satz 1 der Erlasse nicht nach § 6a GrEStG begünstigt.
Demgemäß sind nach Tz. 2.1 Abs. 3 Sätze 2 und 3 der Erlasse Ausgliederungen
oder Abspaltungen zur Neugründung aus einem herrschenden Unternehmen sowie
die Verschmelzung der letzten am Umwandlungsvorgang beteiligten abhängigen
Gesellschaft auf das herrschende Unternehmen nicht begünstigt, da durch diese
Umwandlungsvorgänge der Verbund erst begründet oder beendet wird. Dies gilt nach
den in Tz. 2.1 der Erlasse enthaltenen Beispielen auch dann, wenn die
Muttergesellschaft, auf die die Tochtergesellschaft verschmolzen wird, zu mindestens
95 % an einer weiteren Gesellschaft beteiligt ist oder die Tochtergesellschaft ihrerseits
zu mindestens 95 % an einer Gesellschaft beteiligt war, die ihrerseits die
Anforderungen an eine abhängige Gesellschaft der Muttergesellschaft gemäß § 6
Satz 4 GrEStG erfüllt.
16 Begünstigt kann demgegenüber nach Tz. 5 Abs. 1 Satz 3 und Beispiel 1 zu Tz. 5 der
Erlasse die Verschmelzung einer Tochtergesellschaft auf eine andere sein.
Erforderlich ist dabei, dass bei beiden Tochtergesellschaften die Vorbehaltensfrist von
fünf Jahren (Tz. 4 der Erlasse) eingehalten war und die übernehmende abhängige
Gesellschaft fünf Jahre fortbesteht und an ihr die Mindestbeteiligung von 95 %
bestehen bleibt. Dass die übertragende Gesellschaft bei der Umwandlung erlischt und
somit nicht die Anforderungen des § 6a Satz 4 GrEStG an eine abhängige
Gesellschaft erfüllt, ist nach Tz. 5 Abs. 1 Satz 3 der Erlasse unschädlich. Bei dieser
Erlassregelung handelt es sich ersichtlich um eine durch die Finanzverwaltung
zugelassene Ausnahme vom Wortlaut des § 6a Sätze 3 und 4 GrEStG. Im Übrigen
soll hinsichtlich der Vorbehaltensfrist jede Veränderung der Art der Beteiligung (z.B.
vollständige oder teilweise Verkürzung oder Verlängerung der Beteiligungskette)
unschädlich sein. Voraussetzung ist nur, dass die erforderliche Mindestbeteiligung
des im Zeitpunkt der Verwirklichung des Erwerbsvorgangs durch Umwandlung
bestimmten herrschenden Unternehmens von 95 % erhalten bleibt (Tz. 4 letzter
Absatz der Erlasse). Es stellt sich die Frage, ob und aus welchen Gründen eine
Verkürzung oder Verlängerung der Beteiligungskette nicht auch für die
Nachbehaltensfrist unschädlich sein soll.
17 Weitere Ausnahmen vom Wortlaut des § 6a Sätze 3 und 4 GrEStG sehen die Erlasse
in BStBl I 2012, 662 nicht mehr vor. Die in Tz. 5 Abs. 1 der Gleich lautenden
Ländererlasse vom 1. Dezember 2010 (BStBl I 2010, 1321) enthaltene Regelung,
wonach die Nachbehaltensfrist bei der Verschmelzung auf das herrschende
Unternehmen ausnahmsweise nicht eingehalten werden muss, hat die
Finanzverwaltung in den Erlassen in BStBl I 2012, 662 nicht aufgenommen, ohne
dass dem eine Gesetzesänderung zugrunde liegt.
18 e) Zu der angesprochenen Problematik hat sich bisher noch keine einheitliche Ansicht
herausgebildet, und zwar weder in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung (vgl.
einerseits Urteil des FG München vom 23. Juli 2014 4 K 1304/13, EFG 2014, 1703,
rechtskräftig, und andererseits Urteil des FG Düsseldorf vom 7. Mai 2014
7 K 281/14 GE, EFG 2014, 1424, m. Anm. Fumi, Revision eingelegt, Az. des
Bundesfinanzhofs: II R 36/14) noch im Schrifttum (vgl. einerseits Hofmann,
Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 10. Aufl., § 6a Rz 17; Pahlke,
Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 5. Aufl., § 6a Rz 39; Schanko, Der Konzern
2013, 122, 124, und Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 2011, 152; andererseits
Viskorf in Boruttau, Grunderwerbsteuergesetz, 17. Aufl., § 6a Rz 93; Weilbach,
GrEStG, Stand 10. Juni 2015, § 6a Rz 36; Teiche, Betriebs-Berater --BB-- 2012,
2659, 2665 f.; Jorde/Trinkaus, Die Unternehmensbesteuerung 2012, 649, 654;
Behrens, Deutsches Steuerrecht 2012, 2149, 2050 ff.;
Wischott/Schönweiß/Graessner, Neue Wirtschafts-Briefe für Steuer- und
Wirtschaftsrecht 2013, 780, 790; Mensching/Tyarks, BB 2010, 87, 91;
Schaflitzl/Stadler, Der Betrieb 2010, 185, 188).
19 f) Das zum Beitritt aufgeforderte Bundesministerium der Finanzen (BMF) wird um
Stellungnahme gebeten, wie aus seiner Sicht unter Berücksichtigung der
verfassungsrechtlichen Anforderungen an Steuergesetze, die auch der
Finanzausschuss in BTDrucks 17/147, S. 10 angesprochen hat, der
Anwendungsbereich des § 6a GrEStG abzugrenzen ist.
20 3. In unionsrechtlicher Hinsicht wird zudem zu prüfen sein, ob es sich bei § 6a
GrEStG um eine neu eingeführte Beihilfe i.S. des Art. 107 Abs. 1 des Vertrags über
die Arbeitsweise der Europäischen Union handelt.
21 Das BMF wird daher gebeten mitzuteilen, ob ein beihilferechtliches
Genehmigungsverfahren durchgeführt wurde und welches Ergebnis dieses ggf. hatte,
oder andernfalls zu der Frage des Vorliegens einer Beihilfe Stellung zu nehmen.