Urteil des BFH vom 18.01.2017

Zurückweisung einer im EU-Ausland niedergelassenen Steuerberatungsgesellschaft wegen geschäftsmäßiger Hilfe in Steuersachen für inländische Steuerpflichtige

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 18.1.2017, II R 3/14
ECLI:DE:BFH:2017:U.180117.IIR3.14.0
Zurückweisung einer im EU-Ausland niedergelassenen Steuerberatungsgesellschaft wegen geschäftsmäßiger Hilfe in
Steuersachen für inländische Steuerpflichtige
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 2. Dezember 2013 9 K 2644/10 wird als
unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
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I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Kapitalgesellschaft britischen Rechts mit einer Niederlassung in
den Niederlanden. Sie ist in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) nicht gemäß § 32 Abs. 3, § 49 des
Steuerberatungsgesetzes (StBerG) als Steuerberatungsgesellschaft anerkannt.
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Die Klägerin vertritt im Zuständigkeitsbereich des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) u.a. die in
Deutschland ansässige O. Das FA wies in dem gegen die Anordnung einer Außenprüfung gerichteten
Einspruchsverfahren der O die Klägerin mit Bescheid vom 22. April 2010 gemäß § 80 Abs. 5 der Abgabenordnung in
der bis einschließlich 2016 geltenden Fassung (AO) als Bevollmächtigte der O zurück. Der Einspruch der Klägerin
gegen den Bescheid blieb erfolglos.
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Nachdem der Bundesfinanzhof (BFH) mit dem gegenüber der Klägerin ergangenen Urteil vom 21. Juli 2011 II R 6/10
(BFHE 234, 474, BStBl II 2011, 906) entschieden hatte, dass eine in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen
Union registrierte Steuerberatungsgesellschaft weder nach § 3a StBerG noch aufgrund der Dienstleistungsfreiheit
(Art. 56 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union --AEUV--) zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in
Steuersachen i.S. des § 80 Abs. 5 AO befugt ist, wenn sie nicht über eine Berufshaftpflichtversicherung oder einen
anderen individuellen oder kollektiven Schutz in Bezug auf die Berufshaftpflicht verfügt, schloss die Klägerin mit
Wirkung ab 1. Oktober 2011 eine entsprechende Haftpflichtversicherung ab.
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit der Begründung ab, die Befugnis der Klägerin zur geschäftsmäßigen Hilfe in
Steuersachen ergebe sich weder aus § 3a StBerG noch aus der Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV). Die Klägerin
falle unter die Vorschriften des Kapitels über das Niederlassungsrecht (Art. 49 ff. AEUV), da sie in Deutschland nicht
nur vorübergehend tätig sei, sondern ihre Leistungen in stabiler und kontinuierlicher Weise erbringe. Das Urteil des FG
ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2014, 812 veröffentlicht.
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Mit der Revision rügt die Klägerin insbesondere eine Verletzung von Art. 56 AEUV. Sie könne sich auf die
Dienstleistungsfreiheit berufen, obwohl sie bei Ergehen des Bescheids vom 22. April 2010 noch nicht über eine
Berufshaftpflichtversicherung verfügt habe.
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Der Senat setzte mit Beschluss vom 16. September 2014 das Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der
Europäischen Union (EuGH) über das ebenfalls die Klägerin betreffende Vorabentscheidungsersuchen des BFH vom
20. Mai 2014 II R 44/12 (BFHE 246, 278, BStBl II 2014, 907) aus. Der EuGH hat darüber inzwischen mit Urteil X-
Steuerberatungsgesellschaft vom 17. Dezember 2015 C-342/14 (EU:C:2015:827) entschieden.
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Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung, die Einspruchsentscheidung vom 14. Juli 2010 und den Bescheid vom
22. April 2010 aufzuheben.
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Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
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Das Bundesministerium der Finanzen, das dem Revisionsverfahren gemäß § 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung
(FGO) beigetreten ist, beantragt ebenfalls, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2, 4 FGO). Das FG hat den Bescheid
vom 22. April 2010 im Ergebnis zutreffend als rechtmäßig angesehen.
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1. Entgegen der Auffassung des FG reicht es für die Anwendung der unionsrechtlichen Vorschriften über das
Niederlassungsrecht auf eine steuerberatende Tätigkeit in Deutschland nicht aus, dass ein in einem anderen
Mitgliedstaat ansässiger Dienstleister in stabiler und kontinuierlicher Weise eine Berufstätigkeit in Deutschland
ausübt. Vielmehr muss der Dienstleister in Deutschland auch über eine ständige Präsenz (Geschäftsräume)
verfügen (BFH-Urteil vom 19. Oktober 2016 II R 44/12, BFHE 255, 367, Rz 40 bis 43). Dass dies im Streitfall
zutreffe, hat das FG nicht festgestellt.
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2. Dies führt indes nicht zur Aufhebung der Vorentscheidung; denn diese stellt sich aus anderen Gründen als richtig
dar (§ 126 Abs. 4 FGO). Das FA hat die Klägerin im Ergebnis zu Recht gemäß § 80 Abs. 5 AO als Bevollmächtigte
zurückgewiesen, weil sie bei Ergehen des Bescheids vom 22. April 2010 nicht über die erforderliche
Berufshaftpflichtversicherung oder einen anderen individuellen oder kollektiven Schutz in Bezug auf die
Berufshaftpflicht verfügte.
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a) §§ 51 ff. der Verordnung zur Durchführung der Vorschriften über Steuerberater, Steuerbevollmächtigte und
Steuerberatungsgesellschaften (DVStB) gelten aufgrund des mit diesen Vorschriften verfolgten Schutzzwecks auch
für ausländische Steuerberatungsgesellschaften, die nach den Vorschriften des StBerG (§ 2 Satz 1, § 3 Nr. 3, § 3a,
§ 32 Abs. 3, §§ 49 ff.) nicht zur geschäftsmäßigen Hilfe in Steuersachen i.S. des § 80 Abs. 5 AO befugt sind und
diese Befugnis daher unmittelbar aus der Dienstleistungsfreiheit ableiten wollen. Verfügt eine solche Gesellschaft
nicht über einen den Anforderungen der §§ 51 ff. DVStB entsprechenden Schutz in Bezug auf die Berufshaftpflicht,
kann sie die Befugnis zur geschäftsmäßigen Hilfe in Steuersachen auch nicht auf die Dienstleistungsfreiheit stützen
(BFH-Urteile in BFHE 234, 474, BStBl II 2011, 906, und in BFHE 255, 367, Rz 62 f., 68). Darin liegt keine
unzulässige Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit. Dies ist aufgrund der im BFH-Urteil in BFHE 234, 474, BStBl II
2011, 906, Rz 28 ff. angeführten Rechtsprechung des EuGH bereits geklärt. Ein Vorabentscheidungsersuchen an
den EuGH gemäß Art. 267 AEUV ist somit nicht erforderlich.
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b) Die Klägerin war danach bei Ergehen des Bescheids vom 22. April 2010 nicht zur geschäftsmäßigen Hilfe in
Steuersachen i.S. des § 80 Abs. 5 AO befugt, weil sie seinerzeit nicht über den erforderlichen Schutz in Bezug auf
die Berufshaftpflicht verfügte. Dem erst im Oktober 2011 erfolgten Abschluss einer Haftpflichtversicherung kommt
keine auf diesen Zeitpunkt zurückwirkende Bedeutung zu. Für die Prüfung der Rechtmäßigkeit eines
Zurückweisungsbescheids nach § 80 Abs. 5 AO sind die Verhältnisse bei dessen Ergehen maßgebend (vgl. BFH-
Urteil in BFHE 255, 367, Rz 12, 27, 44, 47 f., 67).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.