Urteil des BFH vom 29.03.2012

Wirtschaftliches Eigentum des Inhabers eines dinglichen Wohnrechts

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 29.3.2012, II B 65/11
Wirtschaftliches Eigentum des Inhabers eines dinglichen Wohnrechts
Gründe
1 Die Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe des § 115
Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) liegen, soweit sie überhaupt die
Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erfüllen, nicht vor.
2 1. Die von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) als rechtsgrundsätzlich
herausgestellte Frage, ob als wirtschaftlicher Eigentümer i.S. des § 39 Abs. 2 Nr. 1 der
Abgabenordnung (AO) eines Einfamilienhausgrundstücks derjenige anzusehen ist, dem
ein dingliches Wohnrecht eingeräumt und zu dessen Gunsten eine im Wege einer
einstweiligen Verfügung erwirkte Vormerkung auf Rückübereignung des Grundstücks
eingetragen ist, hat mangels Klärungsbedürftigkeit keine grundsätzliche Bedeutung.
3 a) Wirtschaftlicher Eigentümer i.S. des § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO ist derjenige, der die
tatsächliche Herrschaftsmacht über ein Wirtschaftsgut in der Weise ausübt, dass er den
Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das
Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann. Ein wirtschaftlicher Ausschluss in diesem
Sinne liegt vor, wenn nach dem Gesamtbild der Verhältnisse kein Herausgabeanspruch
des zivilrechtlichen Eigentümers besteht oder der Herausgabeanspruch keine
wirtschaftliche Bedeutung mehr hat (z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 27.
Juni 2006 IX R 63/04, BFH/NV 2006, 2225; vom 24. Juni 2004 III R 50/01, BFHE 206,
551, BStBl II 2005, 80, m.w.N.).
4 b) In der Rechtsprechung des BFH (z.B. Urteile in BFH/NV 2006, 2225; vom 18. Juli 2001
X R 15/99, BFH/NV 2002, 175; vom 1. Oktober 1997 X R 91/94, BFHE 184, 179, BStBl II
1998, 203, jeweils m.w.N.) ist geklärt, dass die Bestellung eines lebenslangen dinglichen
Wohnungsrechts an einem im Eigentum eines anderen stehenden bebauten Grundstücks
nicht zum wirtschaftlichen Eigentum des Wohnungsrechtsinhabers führt.
5 c) Es ist nicht klärungsbedürftig, dass der aus einem dinglichen Wohnrecht Berechtigte
auch dann nicht wirtschaftlicher Eigentümer des Grundstücks wird, wenn --wie im
Streitfall-- zu seinen Gunsten eine Vormerkung zur Sicherung des Anspruchs auf
Übertragung des Eigentums für die Dauer von 19 Jahren eingetragen war.
Wirtschaftliches Eigentum wird noch nicht dadurch begründet, dass der bürgerlich-
rechtliche Eigentümer im Verhältnis zu dem das Wirtschaftsgut Nutzenden
Verfügungsbeschränkungen unterworfen wird (BFH-Urteil vom 7. November 2001 II R
32/99, BFH/NV 2002, 469; Klein/Brockmeyer/Ratschow, AO, 10. Aufl., § 39 Rz 11).
Demgemäß geht im Fall der unentgeltlichen Übertragung eines Grundstücks unter
Vorbehalt eines lebenslangen Nießbrauchs das wirtschaftliche Eigentum auch dann
zusammen mit dem zivilrechtlichen Eigentum auf den Erwerber über, wenn neben dem
Nießbrauch ein schuldrechtliches Veräußerungsverbot vereinbart und dieses durch eine
Rückauflassungsvormerkung gesichert worden ist (BFH-Beschluss vom 20. Dezember
2005 X B 128/05, BFH/NV 2006, 704, m.w.N.). Denn weder aufgrund des vorbehaltenen
Nutzungsrechts noch aufgrund des schuldrechtlichen Veräußerungsverbots kann der
Nießbraucher ähnlich einem Eigentümer über die Substanz des Grundstücks verfügen.
Für ein dingliches Wohnungsrecht, das einem Nießbrauch ähnlich ist (vgl. z.B.
Palandt/Bassenge, Bürgerliches Gesetzbuch, 70. Aufl., § 1093 Rz 1), kann nichts anderes
gelten.
6 d) Soweit die Klägerin vorträgt, sie sei gemäß des von ihr erstrittenen Beschlusses des
Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz vom 22. November 2011 im Verhältnis zum
Wohnrechtsinhaber nicht verpflichtet, die Lasten des Hausgrundstücks zu tragen, handelt
es sich um neues, im Verfahren wegen einer Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 118
Abs. 2 FGO unzulässiges tatsächliches Vorbringen (vgl. Gräber/Ruban,
Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 116 Rz 54, m.w.N.). Im Übrigen wird wirtschaftliches
Eigentum eines dinglich Nutzungsberechtigten nicht dadurch begründet, dass dieses
während der Dauer des Nutzungsrechts die öffentlichen Abgaben zu tragen hat (BFH-
Urteil vom 24. Juli 1991 II R 81/88, BFHE 165, 290, BStBl II 1991, 909).
7 e) Soweit die Klägerin auf das zu § 16 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG)
ergangene BFH-Urteil vom 1. Juli 2008 II R 36/07 (BFHE 220, 555, BStBl II 2008, 882)
verweist, genügt das Vorbringen nicht den Darlegungsanforderungen (§ 116 Abs. 3 Satz 3
FGO). Die Beschwerdebegründung lässt insoweit völlig unberücksichtigt, dass die
Zurechnung des wirtschaftlichen Eigentums i.S. des § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO für das als
Rechtsverkehrsteuer ausgestaltete, an den bürgerlich-rechtlichen Rechtsvorgang
anknüpfende Grunderwerbsteuerrecht ohne Bedeutung ist (z.B. Fischer in
Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 39 AO Rz 32; Hofmann, Grunderwerbsteuergesetz,
Kommentar, 9. Aufl., § 1 Rz 2, jeweils m.w.N.). Das gilt auch für die Frage, ob die
Rückgängigmachung eines Grundstückskaufvertrags den Anforderungen des § 16 Abs. 1
Nr. 2 GrEStG genügt.
8 f) Die weiteren Einwendungen der Klägerin gegen die Richtigkeit des angegriffenen
Urteils, die nur im Rahmen einer Revisionsbegründung erheblich sein können, sind von
vornherein unbeachtlich. Das prozessuale Rechtsinstitut der Nichtzulassungsbeschwerde
dient nicht dazu, allgemein die Richtigkeit finanzgerichtlicher Urteile zu gewährleisten
(z.B. BFH-Beschlüsse vom 7. Dezember 2007 VIII B 68/07, BFH/NV 2008, 590; vom 20.
Februar 2008 VIII B 103/07, BFH/NV 2008, 980, ständige Rechtsprechung). Dass
insoweit ein zur Revision führender besonders schwerer materiell-rechtlicher Fehler des
Finanzgerichts vorliege, hat die Klägerin nicht dargelegt und ist auch nach Aktenlage
nicht ersichtlich.
9 2. Aus den vorstehenden Gründen ist die Revision auch nicht gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2
Alternative 1 FGO zuzulassen, da es sich bei dem Erfordernis einer
Revisionsentscheidung zur Rechtsfortbildung um einen Unterfall des Zulassungsgrundes
der grundsätzlichen Bedeutung handelt (vgl. BFH-Beschluss vom 22. August 2011 III B
192/10, BFH/NV 2011, 2043).
10 3. Den Zulassungsgrund der Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) hat die
Klägerin nicht entsprechend den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt.
Mit dem Vorbringen, die Vorentscheidung weiche von dem zu § 16 Abs. 1 GrEStG
ergangenen BFH-Urteil in BFHE 220, 555, BStBl II 2008, 882 ab, ist die
Entscheidungserheblichkeit dieser Abweichung aus den unter 1. e) genannten Gründen
nicht substantiiert dargetan. Dies gilt ebenso im Hinblick auf den Beschluss des OLG
Koblenz vom 22. November 2011, der keinerlei Aussage zum wirtschaftlichen Eigentum
i.S. des § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO enthält.