Urteil des BFH vom 05.08.2015

Änderung eines Grundlagenbescheids während des Klageverfahrens gegen den Folgebescheid

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 5.8.2015, II B 113/14
Änderung eines Grundlagenbescheids während des Klageverfahrens gegen den
Folgebescheid
Tenor
Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision im Urteil des
Finanzgerichts Münster vom 27. August 2014 13 K 1088/12 Kfz wird als unbegründet
zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Gründe
1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger)
geltend gemachten Gründe für die Zulassung der Revision liegen, soweit sie in einer
den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
genügenden Weise dargelegt wurden, nicht vor.
2 1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO)
zuzulassen.
3 a) Eine Rechtsfrage ist grundsätzlich bedeutsam, wenn ihre Beantwortung durch den
Bundesfinanzhof (BFH) aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit
oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Dabei muss es sich um
eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame Frage handeln, die
klärungsbedürftig und im zu erwartenden Revisionsverfahren klärungsfähig ist (BFH-
Beschlüsse vom 21. April 2010 IV B 32/09, BFH/NV 2010, 1469, und vom 26. Juni
2013 III B 5/13, BFH/NV 2013, 1386, Rz 3). Eine Rechtsfrage ist nicht
klärungsbedürftig, wenn sie sich ohne Weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt
oder wenn sie bereits durch höchstrichterliche Rechtsprechung hinreichend geklärt ist
(z.B. BFH-Beschlüsse vom 1. Februar 2013 III B 222/11, BFH/NV 2013, 727, Rz 3,
und in BFH/NV 2013, 1386, Rz 3).
4 b) Die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage, ob das Finanzgericht (FG) Tatsachen,
die erst nach der Einspruchsentscheidung eingetreten sind, seiner Entscheidung
zugrunde legen darf, ist nicht klärungsbedürftig. Dasselbe gilt für die Frage, ob § 100
Abs. 1 Satz 1 FGO einschränkend auszulegen ist, wenn im laufenden Klageverfahren
gegen einen Folgebescheid ein Grundlagenbescheid ergeht. Beide Rechtsfragen
lassen sich ohne Weiteres aus dem Gesetz und mit der bisherigen
höchstrichterlichen Rechtsprechung beantworten.
5 Im Streitfall ist während des finanzgerichtlichen Verfahrens ein Grundlagenbescheid
geändert worden, der die Größe des Hubraums des Fahrzeugs für die Besteuerung
bindend festgestellt hat.
6 Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) ist die für den Erlass des
Folgebescheids zuständige Finanzbehörde verpflichtet, die notwendigen Folgerungen
aus dem Grundlagenbescheid zu ziehen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 28. November
2001 X R 23/97, BFH/NV 2002, 614; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung,
Finanzgerichtsordnung, § 175 AO Rz 8, m.w.N.). Dabei kann die Finanzbehörde den
Folgebescheid bereits vor dem Grundlagenbescheid erlassen (§ 155 Abs. 2 AO).
Ergeht der Grundlagenbescheid nachträglich, ist der zuvor erlassene Folgebescheid
nur insoweit zu ändern, als er dem Grundlagenbescheid nicht entspricht (Seer in
Tipke/Kruse, a.a.O., § 155 AO Rz 31).
7 Nach § 100 Abs. 1 FGO hat das FG den angefochtenen Verwaltungsakt und die
Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf aufzuheben, soweit dieser
rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Die Rechtswidrigkeit muss
im Zeitpunkt der Entscheidung des FG bestehen (Lange in
Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 100 FGO Rz 39; Brandis in Tipke/ Kruse, a.a.O., § 100
FGO Rz 6). Werden entscheidungserhebliche Tatsachen erst im finanzgerichtlichen
Verfahren bekannt oder nachgewiesen, hat das FG diese Tatsachen bei der
Entscheidungsfindung zu berücksichtigen. Eine Ausnahme gilt lediglich für
Ermessensentscheidungen, bei denen grundsätzlich nur die dem Finanzamt bei
Erlass der Einspruchsentscheidung bekannten Tatsachen zu berücksichtigen sind
(§ 102 FGO).
8 Ändert sich ein Sachverhalt aufgrund einer rechtsgestaltenden Erklärung im
finanzgerichtlichen Verfahren rückwirkend, hat das FG den geänderten Sachverhalt
ebenfalls seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Dies ist höchstrichterlich für den
Fall des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO entschieden (vgl. BFH-Urteil vom 28. Juli 2005
III R 68/04, BFHE 211, 107, BStBl II 2008, 350). Nichts anderes gilt jedoch für eine
Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO, denn die beiden Vorschriften sind
bezüglich der Rechtsfolgen (Bindungswirkung für die Finanzbehörde) identisch.
Ergeht danach im laufenden Anfechtungsverfahren gegen den Folgebescheid der
materiell zutreffende und mit dem Folgebescheid übereinstimmende
Grundlagenbescheid, muss das FG dies bei seiner Entscheidung über die
Rechtmäßigkeit des Folgebescheids berücksichtigen. War der Folgebescheid bis
zum Erlass des Grundlagenbescheids rechtswidrig und ist er (nachträglich) durch
den Grundlagenbescheid rechtmäßig geworden, hat sich ggf. der Rechtsstreit in der
Hauptsache erledigt. Beantragt der Kläger in einem solchen Fall gleichwohl die
Aufhebung des (nunmehr rechtmäßigen) Folgebescheids, muss das FG die Klage
abweisen.
9 c) Der Kläger hat die grundsätzliche Bedeutung im Hinblick auf den von ihm
behaupteten Verstoß gegen Art. 3 des Grundgesetzes nicht in der nach § 116 Abs. 3
Satz 3 FGO gebotenen Weise schlüssig dargelegt. Hierzu hätte er sich mit der
einschlägigen Rechtsprechung des BFH und des Bundesverfassungsgerichts sowie
den Äußerungen im Schrifttum auseinandersetzen müssen. Insbesondere wären
Ausführungen erforderlich gewesen, aus denen sich ergibt, in welchem Umfang, von
welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage
verfassungsrechtlich zweifelhaft und umstritten ist (vgl. u.a. BFH-Beschlüsse vom
31. Januar 2006 IV B 144/04, BFH/NV 2006, 971; vom 27. Mai 2010 VIII B 23/09,
BFH/NV 2010, 1839, und vom 9. April 2014 XI B 128/13, BFH/NV 2014, 1224,
m.w.N.; Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 116 Rz 34). Die
Ausführungen des Klägers zu dem behaupteten Vollzugsdefizit bei der Festsetzung
der Kraftfahrzeugsteuer genügen diesen Anforderungen nicht.
10 2. Die Revision ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
(§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) zuzulassen. Insoweit genügt die
Beschwerdebegründung ebenfalls nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3
FGO. Zur schlüssigen Darlegung einer Divergenz gehört die Gegenüberstellung
tragender, abstrakter Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits
und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits, um eine
Abweichung im Grundsätzlichen deutlich erkennbar zu machen (vgl.
Senatsbeschluss vom 10. Mai 2012 X B 57/11, BFH/NV 2012, 1307, m.w.N.). Der
Kläger benennt keine Divergenzentscheidung, sondern stützt die
Beschwerdebegründung nur pauschal auf § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO.
11 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
12 4. Die Entscheidung ergeht im Übrigen gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ohne
Angabe weiterer Gründe, insbesondere ohne Darstellung des Tatbestands.