Urteil des BFH vom 11.07.2012

Kein Übergang des Wertaufholungsgebots bei Verschmelzung

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 11.7.2012, I R 50/11
Kein Übergang des Wertaufholungsgebots bei Verschmelzung
Tatbestand
1 I. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob auf eine im Betriebsvermögen gehaltene
Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft, die zuvor durch eine Verschmelzung von der
Muttergesellschaft auf ihre Tochtergesellschaft (sog. Down-stream Merger) unter
Fortführung der Buchwerte erworben worden war, eine Wertaufholung nach § 6 Abs. 1
Nr. 2 Satz 3 i.V.m. Nr. 1 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des
Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 402, BStBl I
1999, 304) --EStG 1997 n.F.-- vorzunehmen ist, nachdem der Wert der ursprünglichen
Beteiligung auf den niedrigeren Teilwert abgeschrieben worden war.
2 Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, erwarb im Jahr 1970 sämtliche
Anteile an der A-GmbH. In den Jahren 1980 bis 1985 nahm sie Teilwertabschreibungen
auf diese Beteiligung vor. Die A-GmbH wurde rückwirkend zum 1. Juli 1996 auf ihre 100 %-
ige Tochtergesellschaft, die B-GmbH, verschmolzen. Die Klägerin erhielt als
Gegenleistung für die untergehenden Anteile an der A-GmbH sämtliche Anteile an der B-
GmbH. Die Übertragung der Wirtschaftsgüter der A-GmbH auf die B-GmbH erfolgte zu
Buchwerten.
3 Nachdem bei der Klägerin für die Jahre 1996 bis 2000 eine Außenprüfung durchgeführt
worden war, erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) einen
geänderten Gewerbesteuermessbescheid für das Streitjahr (1999). Das FA war der
Meinung, dass die ab dem Jahr 1999 zu beachtende Wertaufholungsverpflichtung nach § 6
Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 i.V.m. Nr. 1 Satz 4 EStG 1997 n.F. (i.V.m. § 8 Abs. 1 des
Körperschaftsteuergesetzes --KStG 1999--, § 7 Satz 1 des Gewerbesteuergesetzes 1997)
von den Anteilen der Klägerin an der erloschenen A-GmbH auf die Anteile der Klägerin an
der B-GmbH übergegangen seien und sich daraus für das Streitjahr ein Mehrgewinn
ergebe. Der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage gab das
Finanzgericht (FG) Hamburg mit Urteil vom 16. Juni 2011 6 K 192/09 statt. Es war der
Auffassung, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Wertaufholung nach § 6
Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 i.V.m. Nr. 1 Satz 4 EStG 1997 n.F. nicht erfüllt seien, da § 13 Abs. 1
i.V.m. § 27 Abs. 1 des Umwandlungssteuergesetzes in der Fassung der Bekanntmachung
vom 15. Oktober 2002 (BGBl I 2002, 4133, ber. BGBl I 2003, 738) --UmwStG 2002-- die
Buchwerte der Anteile an der übertragenden Gesellschaft als fiktive Anschaffungskosten
der neuen Anteile festlege und daher ein Rückgriff auf die historischen Anschaffungskosten
der A-GmbH nicht möglich sei.
4 Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
5 Das FA beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
6 Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
7 II. Die Revision des FA ist unbegründet und deshalb gemäß § 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG hat zutreffend entschieden, dass
die Klägerin nicht verpflichtet war, die Beteiligung an der B-GmbH nach § 6 Abs. 1 Nr. 2
Satz 3 i.V.m. Nr. 1 Satz 4 EStG 1997 n.F. im Streitjahr mit der Folge einer Erhöhung des
Gewerbeertrags mit im Vergleich zum Vorjahr höheren Anschaffungskosten anzusetzen.
8 1. Gemäß § 8 Abs. 1 KStG 1999 i.V.m. § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG 1997 n.F. hat die Klägerin
in ihrer Bilanz das Betriebsvermögen anzusetzen, das nach den handelsrechtlichen
Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen ist. Beteiligungen an
Kapitalgesellschaften sind in der Steuerbilanz gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 EStG 1997
n.F. ebenso wie in der Handelsbilanz gemäß § 253 Abs. 1 Satz 1 des
Handelsgesetzbuchs grundsätzlich mit ihren Anschaffungskosten anzusetzen. Ist
allerdings der Teilwert einer Beteiligung niedriger als deren Anschaffungskosten, so kann
--wie dies die Klägerin im Rahmen der Teilwertabschreibungen auf die Beteiligung an der
A-GmbH in den Jahren 1980 bis 1985 getan hat-- statt der Anschaffungskosten der
niedrigere Teilwert angesetzt werden (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG 1997 n.F.).
9 § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 i.V.m. Nr. 1 Satz 4 EStG 1997 n.F. bestimmt dagegen erstmals für
nach dem 31. Dezember 1998 endende Wirtschaftsjahre (§ 52 Abs. 16 Satz 2 EStG 1997
n.F.), dass Wirtschaftsgüter, die bereits am Schluss des vorangegangenen
Wirtschaftsjahres zum Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen gehört haben, zwingend
mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten zu bewerten sind, wenn nicht der
Steuerpflichtige einen niedrigeren Teilwert nachweist. Das bedeutet im Ergebnis, dass
Teilwertabschreibungen in den Folgejahren stets durch Zuschreibung bis zur Obergrenze
der Anschaffungs- oder Herstellungskosten rückgängig zu machen sind, soweit der
Steuerpflichtige nicht auch im jeweiligen Folgejahr einen niedrigeren Teilwert
nachweisen kann (sog. steuerliches Wertaufholungsgebot; vgl. Senatsurteil vom 24. April
2007 I R 16/06, BFHE 218, 102, BStBl II 2007, 707). Das Wertaufholungsgebot des § 6
Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 i.V.m. Nr. 1 Satz 4 EStG 1997 n.F. erstreckt sich dabei auch auf
Teilwertabschreibungen, die bereits vor Inkrafttreten dieser Regelung --hier in den Jahren
1980 bis 1985-- vorgenommen worden sind (Senatsurteil in BFHE 218, 102, BStBl II
2007, 707, sowie Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 25. Februar 2010 IV R 37/07,
BFHE 229, 122, BStBl II 2010, 784).
10 2. Die in der Vergangenheit vorgenommenen Teilwertabschreibungen auf die Beteiligung
an der A-GmbH können --wie das FG zutreffend entschieden hat-- nicht im Streitjahr
rückgängig gemacht werden. Eine steuerliche Wertaufholung gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2
Satz 3 i.V.m. Nr. 1 Satz 4 EStG 1997 n.F. ist hinsichtlich der Beteiligung der Klägerin an
der B-GmbH nicht vorzunehmen.
11 a) Die Anschaffungskosten der Beteiligung an der B-GmbH sind entgegen der Auffassung
der Revision nicht mit den historischen Anschaffungskosten der A-GmbH anzusetzen,
sondern mit dem bei Verschmelzung der A-GmbH auf die B-GmbH zum 30. Juni 1996
fortgeführten Buchwert der hierfür hingegebenen Beteiligung an der A-GmbH zu
bemessen. Denn Bewertungsobergrenze für Zuschreibungen nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4
i.V.m. Nr. 2 Sätze 1 und 3 EStG 1997 n.F. sind grundsätzlich jeweils die Anschaffungs-
oder Herstellungskosten desjenigen Wirtschaftsguts, um dessen Bewertung es geht.
12 aa) Nach § 13 Abs. 1 UmwStG 2002 gelten u.a. im Fall der Verschmelzung auf eine
andere Körperschaft die Anteile an der übertragenden Kapitalgesellschaft, die zu einem
Betriebsvermögen gehören, "als zum Buchwert veräußert und die an ihre Stelle tretenden
Anteile als mit diesem Wert angeschafft". § 13 Abs. 1 UmwStG 2002 bestimmt im Wege
einer Fiktion, mit welchem Wert die Anteile an der übertragenden Körperschaft als
veräußert und mit welchem Wert die neuen Anteile als angeschafft gelten.
13 § 13 Abs. 1 UmwStG 2002 ist dabei --wie das FG zutreffend entschieden hat-- auch im
Falle einer Abwärts-Verschmelzung (sog. Down-stream Merger) anzuwenden. Denn bei
einer Verschmelzung einer Muttergesellschaft auf ihre Tochtergesellschaft handelt es sich
nach dem klaren Gesetzeswortlaut um eine Verschmelzung i.S. des § 2 Nr. 1 des
Umwandlungsgesetzes. Es gilt damit gemäß § 1 Abs. 2 UmwStG 2002 (u.a.) der dritte Teil
des Umwandlungssteuergesetzes und damit auch § 13 UmwStG 2002. Der Senat folgt
damit der ganz herrschenden Meinung in der Literatur (vgl. Schießl in Widmann/Mayer,
Umwandlungsrecht, UmwStG Vor § 11 Rz 84 f. und § 13 Rz 10; Schmitt in
Schmitt/Hörtnagel/ Stratz, Umwandlungsgesetz/Umwandlungssteuergesetz, 4. Aufl. 2006,
UmwStG § 13 Rz 29; Dötsch in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, UmwStG
[vor SEStEG] § 13 Rz 15 und UmwStG Vor §§ 11 bis 13 Rz 7; Trossen in
Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, § 13 Rz 9; Schumacher, Deutsches
Steuerrecht --DStR-- 2004, 589; Fatouros, Betriebs-Berater 2005, 1079). Eine
Einschränkung dahingehend, dass bei einem Down-stream Merger auf der Ebene der
Tochtergesellschaft kein steuerpflichtiger Durchgangserwerb der Anteile stattfinde und
deshalb § 13 UmwStG 2002 auf einen Down-stream Merger eigentlich nicht anzuwenden
sei (so aber Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 25. März
1998, BStBl I 1998, 268, Tz. 11.28, und BMF-Schreiben vom 16. Dezember 2003, BStBl I
2003, 786, Rz 15), ist dem Gesetz nicht zu entnehmen.
14 bb) Entgegen der Auffassung der Revision existiert nach der Gesetzessystematik keine
rechtlich fassbare "Wertaufholungsverpflichtung", die nach § 13 Abs. 1 UmwStG 2002 auf
die im Zuge der Verschmelzung "neu" angeschafften Anteile übergehen könnte. Es ist
zwar kontrovers, welche Bedeutung § 13 UmwStG 2002 beizumessen ist. Teilweise wird
vertreten, der Vorschrift liege in Anlehnung an ihrem Wortlaut ("... die an ihre Stelle
tretenden Anteile an der übernehmenden Körperschaft ...") das Grundprinzip zugrunde,
dass die Anteile an der aufnehmenden Körperschaft einerseits und die untergegangenen
Anteile der übertragenden Körperschaft andererseits von identischer steuerlicher Qualität
seien (Dötsch in Dötsch/Patt/Pung/Jost, Umwandlungssteuerrecht, 5. Aufl., § 13 UmwStG,
Rz 5a; im Ergebnis auch für den Fall einer Verschmelzung der Muttergesellschaft auf die
Tochtergesellschaft vgl. BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 786, Rz 16). Die
Gegenauffassung meint aus der in § 13 Abs. 1 UmwStG 2002 geregelten Veräußerungs-
und Anschaffungsfiktion ergebe sich genau die gegenteilige Wirkung und die steuerlichen
Merkmale der Anteile an der Übertragerin gingen nur in den gesetzlich ausdrücklich
aufgeführten Fällen des § 13 Abs. 4 UmwStG 2002 für den Sperrbetrag nach § 50c EStG,
des § 13 Abs. 3 Satz 2 UmwStG 2002 für das Merkmal der Einbringungsgeborenheit
sowie des § 13 Abs. 2 Satz 2 UmwStG 2002 für die Steuerverstrickung nach § 17 EStG
auf die Anteile an der Übernehmerin über (Trossen in Rödder/Herlinghaus/ van Lishaut,
a.a.O., § 13 Rz 23; Bärwaldt in Haritz/Benkert, Umwandlungssteuergesetz, 2. Aufl. 2000,
§ 13 Rz 23; Schmitt in Schmitt/Hörtnagel, a.a.O., § 13 Rz 21; Rödder, DStR 1999, 1019,
unter Tz. 3.2.). Doch bedarf diese Kontroverse im Streitfall keiner Entscheidung. Denn es
gibt keinen Grund, Zuschreibungen nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Sätze 1 und 3 i.V.m. Nr. 1 Satz 4
EStG 1997 n.F. von der gesetzlichen Fiktion von Anschaffungskosten in § 13 Abs. 1
UmwStG 2002 auszunehmen. Die im Falle einer Verschmelzung anzusetzenden (fiktiven)
Anschaffungskosten bilden damit die "neue" Bewertungsobergrenze für die
Wertaufholungsverpflichtung. Ein Rückgriff auf die "historischen" Anschaffungskosten der
untergegangenen Beteiligung ist gesetzlich ausgeschlossen (ähnlich Schumacher, DStR
2004, 589, m.w.N.).
15 b) Soweit der Senat für den Fall, dass eine Beteiligung nach einer Teilwertabschreibung
unter einer auf das sog. Tauschgutachten des BFH gestützten Fortführung des Buchwerts
gegen die Beteiligung einer anderen Gesellschaft getauscht wurde, entschieden hat, dass
für die Bemessung der Anschaffungskosten der erhaltenen Beteiligung im Rahmen des
steuerlichen Wertaufholungsgebots auf die historischen Anschaffungskosten der
hingegebenen Beteiligung und nicht auf den fortgeführten Buchwert abzustellen ist
(Senatsurteil in BFHE 218, 102, BStBl II 2007, 707), können hieraus keine abweichenden
Schlussfolgerungen gezogen werden. Nach den Grundsätzen des Tauschgutachtens ist
bei einem Anteilstausch in Abweichung von der zivilrechtlichen Lage ertragsteuerlich kein
eigentlicher Tauschvorgang anzunehmen, wenn die frühere Beteiligung --weil
wirtschaftlich wert-, art- und funktionsgleich-- in anderer Hülle weiter bestanden hat. Im
Tauschgutachten wird dies (unter IV.) mit den Begriffen der wirtschaftlichen Identität bzw.
der "Nämlichkeit" der Beteiligungen umschrieben und ist Konsequenz der Annahme, dass
"der Tausch des bisherigen Wirtschaftsguts gegen das neue Gut bei wirtschaftlicher
Betrachtung keine Veräußerung und Neuanschaffung" darstellt (vgl. Senatsurteil in BFHE
218, 102, BStBl II 2007, 707). Da § 13 Abs. 1 UmwStG 2002 mit der Fiktion von
Anschaffungskosten in Höhe des Buchwerts genau das Gegenteil bestimmt und gerade
nicht von fortgeführten Anschaffungskosten ausgeht, lässt sich das Senatsurteil in BFHE
218, 102, BStBl II 2007, 707 nicht für die Auffassung der Revision dienstbar machen.
16 c) Nach Auffassung des Senats ist nach alledem auch nicht weiter darauf einzugehen, ob
--wie die Revision vorträgt-- den Sonderregelungen in § 13 Abs. 4 UmwStG 2002 für den
Sperrbetrag nach § 50c EStG, § 13 Abs. 3 Satz 2 UmwStG 2002 für das Merkmal der
Einbringungsgeborenheit und § 13 Abs. 2 Satz 2 UmwStG 2002 für die
Steuerverstrickung nach § 17 EStG sowie der Neufassung des § 13 Abs. 2 Satz 2
UmwStG 2006 ein allgemeines Grundprinzip der wirtschaftlichen Identität zugrunde liegt.