Urteil des BFH vom 25.02.2015

Ablaufhemmung bei einer Auftragsprüfung - Folgen des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung einer Prüfungsanordnung

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 25.2.2015, I B 66/14
Ablaufhemmung bei einer Auftragsprüfung - Folgen des Antrags auf Aussetzung der
Vollziehung einer Prüfungsanordnung
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des
Niedersächsischen Finanzgerichts vom 12. Juni 2014 6 K 349/13 wird als unzulässig
verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
1 I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine Steuerberatungsgesellschaft mbH,
wird steuerlich beim Finanzamt A (FA A) geführt. Eine Außenprüfung fand bei ihr zuletzt für
den Zeitraum 1992 bis 1994 im Wege der Auftragsprüfung durch den Beklagten und
Beschwerdegegner (Finanzamt B --FA B--) statt.
2 Nachdem die Betriebsprüfungsstelle des FA A die Klägerin als prüfungswürdig vermerkt
hatte, beauftragte dieses Finanzamt das beklagte FA B durch behördeninternes Schreiben
mit der Durchführung einer Außenprüfung bei der Klägerin hinsichtlich Körperschaftsteuer,
Umsatzsteuer und Gewerbesteuer für die Jahre 2005 bis 2007. Es ermächtigte zugleich
das FA B, die Prüfungsanordnung zu erlassen. Zur Begründung wurde u.a. angeführt, dass
die Klägerin überwiegend Mandanten im Finanzamtsbezirk des FA A betreut.
3 Das FA B erließ daraufhin am 29. Oktober 2010 eine dem entsprechende
Prüfungsanordnung gegenüber der Klägerin. Darin war ohne nähere Begründung
ausgeführt, dass die Prüfung im Auftrag des FA A erfolge. Die Klägerin erhob Einspruch
und beantragte außerdem erfolgreich die Aussetzung der Vollziehung (AdV). Der
Einspruch wurde mit Entscheidung vom 1. Oktober 2013 als unbegründet zurückgewiesen.
In der Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass das FA A mit der Beauftragung des FA B
ermessensgerecht gehandelt habe, es seien Reibungen zu vermeiden gewesen.
4 Das Niedersächsische Finanzgericht (FG) wies die Anfechtungsklage gegen die
Prüfungsanordnung sowie mehrere auf Feststellung der Rechtswidrigkeit oder Nichtigkeit
von Verwaltungsakten bzw. des Eintritts der Festsetzungsverjährung gerichtete Anträge ab.
Es stellte zum einen darauf ab, dass der Bundesfinanzhof (BFH) die Übertragung der
Prüfung eines Steuerberaters durch sein "Heimatfinanzamt" an ein "Nachbarfinanzamt" zur
Vermeidung von Reibungen als ermessensgerecht bestätigt habe. Zum anderen ging es
davon aus, dass ein etwaiger Begründungsmangel jedenfalls in der
Einspruchsentscheidung geheilt worden und die Prüfungsanordnung deswegen so zu
behandeln sei, als sei sie von Anfang an rechtmäßig gewesen. Die Revision gegen sein
Urteil vom 12. Juni 2014 6 K 349/13 ließ es nicht zu. Dagegen wendet sich die Klägerin
mit ihrer Beschwerde.
Entscheidungsgründe
5 II. Die Beschwerde ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 116 Abs. 5 Satz 1
der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Klägerin hat die geltend gemachten
Zulassungsgründe nicht in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO
genügenden Weise dargelegt.
6 1. Die Revisionszulassung wegen eines Verfahrensmangels i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3
FGO scheidet aus.
7 a) Die Rüge der Klägerin, das FG habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103
Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) verletzt, weil ihre tatsächlichen und
rechtlichen Ausführungen in den Schriftsätzen vom 27. Mai 2014 und 3. Juni 2014 nicht
beachtet worden seien, ist unschlüssig.
8 Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass vom Gericht entgegengenommenes
Vorbringen der Beteiligten von diesem auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung
gezogen worden ist. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist erst dann verletzt, wenn sich
aus den besonderen Umständen des Einzelfalls deutlich ergibt, dass das Gericht ein
tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei
seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat. Diese besonderen
Umstände sind in der Beschwerdeschrift darzulegen (vgl. z.B. Senatsbeschlüsse vom
7. November 2012 I B 172/11, BFH/NV 2013, 561; vom 15. Oktober 2014 I B 176/13,
BFH/NV 2015, 226, jeweils m.w.N.).
9 Im Streitfall hat das FG die beiden Schriftsätze entgegengenommen und offenkundig auch
gewürdigt, was sich schon daraus ergibt, dass die in der Klageschrift gestellten --
komplexen-- Anträge im Schriftsatz vom 3. Juni 2014 geändert und in dieser geänderten
Form im Tatbestand des Urteils wiedergegeben und in den Entscheidungsgründen
verbeschieden wurden (z.B. Feststellungsanträge 3b und 4). Die Klägerin nennt auch im
Übrigen keine besonderen Gründe dafür, dass ihr Vorbringen vom FG unbeachtet
geblieben sein könnte. Im Wesentlichen schließt sie aus dem Umstand, dass das FG ihrer
Argumentation nicht gefolgt ist, unzulässigerweise darauf, dass ihr Vorbringen
unberücksichtigt geblieben sein muss. Denn ansonsten hätte das FG ihr Recht geben
müssen. Darin ist lediglich die Rüge einer unzutreffenden Rechtsanwendung, aber kein
Gehörsverstoß zu erblicken. Denn die Gewährung des rechtlichen Gehörs bedeutet nicht,
dass das FG die Klägerin "erhört", sich also ihren rechtlichen Ansichten anschließt (vgl.
BFH-Beschluss vom 5. November 2014 X B 223/13, BFH/NV 2015, 202, m.w.N.).
10 b) Unschlüssig ist auch die Einwendung, das FG habe seine Sachaufklärungspflicht
verletzt. Denn nach dem vom FG eingenommenen Rechtsstandpunkt, auf den
maßgeblich abzustellen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 6. Dezember 2012 I B 8/12,
BFH/NV 2013, 703), kam dem FA A ein weiter Ermessensspielraum bei der Frage zu, ob
und wenn ja, welches andere Finanzamt mit der Auftragsprüfung zu betrauen war.
Deshalb hielt das FG Differenzierungen danach, in welchem Umfang Mandanten der
Klägerin in dem einen oder anderen Finanzamtsbezirk betreut werden, für entbehrlich.
Vor diesem Hintergrund bestand für das FG auch kein Anlass, eigene Ermittlungen zur
Anzahl der Mandanten oder zur Frage, welche Ermittlungen zur Mandantenzahl das FA A
durchgeführt oder nicht durchgeführt hatte, anzustellen.
11 c) Es stellt schließlich keinen Verfahrensmangel, sondern allenfalls einen die
Revisionszulassung grundsätzlich nicht rechtfertigenden materiell-rechtlichen Fehler dar,
wenn die Klägerin im Hinblick auf die Anwendung des § 171 Abs. 4 Satz 1 Alternative 2
der Abgabenordnung (AO) rügt, dass das FG nicht auf den im Tatbestand erwähnten
Antrag auf Verschiebung des Beginns der Außenprüfung, sondern auf den zeitlich später
gestellten Antrag auf AdV der Prüfungsanordnung abgestellt habe.
12 2. Die Beschwerde kann auch unter dem Gesichtspunkt der Divergenz nicht zugelassen
werden. Aus der Beschwerdebegründung geht nicht schlüssig hervor, dass das FG in
rechtsgrundsätzlicher Weise von Entscheidungen des BFH abgewichen wäre.
13 a) In der vermeintlichen Divergenzentscheidung des BFH vom 21. April 1993 X R 112/91
(BFHE 171, 15, BStBl II 1993, 649) wurde der Rechtssatz aufgestellt, dass eine von der
beauftragten Finanzbehörde durchgeführte Außenprüfung (§ 195 Satz 2 AO) den Ablauf
der Festsetzungsverjährung nicht gemäß § 171 Abs. 4 AO hemmt, wenn die
Rechtswidrigkeit der Beauftragung festgestellt wird.
14 Ein davon abweichender Rechtssatz ist der angegriffenen Entscheidung nicht zu
entnehmen. Das FG hat ausgehend von seinem Rechtsstandpunkt, dass eine Heilung
des Begründungsmangels gemäß § 126 Abs. 1 Nr. 2 AO rückwirkend den
Verfahrensfehler beseitigt, positiv die von Anfang an gegebene Rechtmäßigkeit der
Auftragsprüfung festgestellt. Dass rechtmäßige Prüfungsmaßnahmen die Hemmung
gemäß § 171 Abs. 4 Satz 1 AO auslösen können, versteht sich aber von selbst. Sollte die
Klägerin dahin verstanden werden wollen, dass das FG mit seiner zu den Rechtsfolgen
einer Heilung gemäß § 126 AO vertretenen Auffassung von dem genannten BFH-Urteil
abgewichen sei, kann ihr auch in diesem Punkt nicht gefolgt werden. Wenn der BFH in
der vermeintlichen Divergenzentscheidung davon spricht, dass die Folgen der
Rechtswidrigkeit einer Prüfungsanordnung für den Lauf der Festsetzungsfrist nicht
"geheilt" (Hervorhebung im Original) werden könnten, dann ist damit keine Heilung i.S.
des § 126 AO gemeint, sondern die "Heilung" durch den nachträglichen Erlass einer --
zweiten, jetzt-- rechtmäßigen Prüfungsanordnung. Das geht aus den Gründen des BFH-
Urteils in BFHE 171, 15, BStBl II 1993, 649 klar hervor; eine Äußerung zu den Folgen
einer gemäß § 126 AO geheilten Gesetzesverletzung für den Lauf der Festsetzungsfrist ist
dem Urteil nicht zu entnehmen.
15 b) Was die vermeintliche Divergenzentscheidung des BFH vom 17. März 2010 IV R 54/07
(BFHE 229, 20, BStBl II 2011, 7) angeht, so wird in der Beschwerdeschrift nicht
substantiiert dargelegt, dass das FG über dieselbe Rechtsfrage entschieden hat wie der
BFH (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 58). Letzterer hat den
Rechtssatz aufgestellt, dass bei einem Antrag auf befristetes Hinausschieben des
Beginns der Außenprüfung, der für das Verschieben des Prüfungsbeginns ursächlich ist,
die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 Satz 1 Alternative 2 AO nur entfällt, wenn die
Finanzbehörde nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Eingang des Antrags mit der
Prüfung beginnt. Zur Begründung seiner Auffassung hat der BFH den in § 171 Abs. 8
Satz 2 und Abs. 10 AO enthaltenen Rechtsgedanken herangezogen. Diese Regelungen
räumen der Finanzbehörde in den Fällen des Wegfalls eines außerhalb ihrer Sphäre
eingetretenen Hindernisses eine 2-Jahresfrist für ein weiteres Tätigwerden ein. Im
Streitfall zog das FG die ständige Rechtsprechung des BFH heran, wonach --der von der
Klägerin gestellte-- Antrag auf AdV der Prüfungsanordnung das Begehren einschließt,
den Beginn der Außenprüfung hinauszuschieben, bis über die Rechtmäßigkeit der
angefochtenen Anordnung entschieden ist (BFH-Urteile vom 25. Januar 1989 X R 158/87,
BFHE 156, 18, BStBl II 1989, 483; vom 17. Juni 1998 IX R 65/95, BFHE 186, 485, BStBl II
1999, 4; Senatsbeschluss vom 15. Mai 2007 I B 10/07, BFH/NV 2007, 1624). Ob auch in
einem solchen Fall die Finanzbehörde zum Erhalt der zunächst eingetretenen
Ablaufhemmung gehalten ist, mit der Prüfung binnen zwei Jahren nach Eingang des AdV-
Antrags zu beginnen, ist weder der vermeintlichen Divergenzentscheidung noch im
Übrigen der Rechtsprechung des BFH zu entnehmen.
16 Die Übertragung der im BFH-Urteil in BFHE 229, 20, BStBl II 2011, 7 entwickelten
Rechtsgrundsätze auf den Streitfall versteht sich auch nicht von selbst (vgl. z.B.
Senatsurteil vom 1. Februar 2012 I R 18/11, BFHE 236, 195, BStBl II 2012, 400, zu einem
unbefristeten Antrag auf Prüfungsaufschub). Der BFH hat maßgeblich darauf abgestellt,
ob die für das tatsächliche Ausbleiben einer Prüfung kausal gewordenen Umstände aus
der Sphäre des Steuerpflichtigen oder der Finanzverwaltung herrühren und deshalb von
einem der Beteiligten zu vertreten sind. Nach dem Sachverhalt, der der vermeintlichen
Divergenzentscheidung zugrunde lag, wurde der Prüfungsbeginn ausschließlich aus
behördeninternen Gründen wiederholt verschoben. Im Streitfall käme es demgegenüber
darauf an, ob in vergleichbarer Weise die alleinige Verantwortlichkeit für den zügigen
Abschluss des Einspruchsverfahrens, der zur Beendigung --oder dem vorzeitigen
Widerruf-- der AdV und zum Beginn der Prüfung führen würde, in die Sphäre der
Finanzbehörde fällt. Die --ggf. differenzierte-- Beantwortung dieser Frage bedarf vertiefter
Überlegungen unter Einbeziehung verfahrensrechtlicher (vgl. z.B. § 46 FGO) und
verjährungsrechtlicher Wertungen (vgl. Senatsurteil in BFHE 236, 195, BStBl II 2012,
400).
17 Der ergänzende Hinweis der Klägerin auf den im Streitfall gestellten telefonischen
Verschiebungsantrag führt ebenfalls nicht weiter. Insoweit ist die geltend gemachte
Abweichung nicht entscheidungserheblich. Denn das FG hat auf die Beantragung der
AdV abgestellt und deswegen die Hemmung der Verjährung bejaht.
18 c) Dass das FG in rechtsgrundsätzlicher Weise von dem BFH-Urteil vom 15. Mai 2013
IX R 27/12 (BFHE 241, 21, BStBl II 2013, 570) abgewichen wäre, ergeben die
Darlegungen der Klägerin nicht. Der BFH hat darin ausgeführt, dass die Beauftragung
einer anderen Behörde mit der Außenprüfung eine Ermessensentscheidung darstellt, die
der Begründung bedarf. Das hat auch das FG nicht anders gesehen. Soweit es
offengelassen hat, ob die Entscheidung des FA A, das FA B mit der Prüfung zu
beauftragen, angesichts der früher bereits durchgeführten Auftragsprüfung noch einer
besonderen Begründung bedürfe, sind diese Ausführungen gerade nicht ergebnisrelevant
geworden. Im Übrigen war das FG der Auffassung, dass die Begründung, die das FA B in
der Einspruchsentscheidung tatsächlich gegeben hatte, ausreichend war (vgl. oben unter
II. 1. b der Gründe dieses Beschlusses).
19 3. Soweit in der Beschwerdebegründung diverse Rechtsfragen aufgeworfen werden, kann
offenbleiben, ob damit der Zulassungsgrund der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung i.S.
des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO geltend gemacht werden sollte. Jedenfalls scheitert eine
Revisionszulassung schon daran, dass die Klärungsbedürftigkeit dieser Fragen nicht
substantiiert herausgearbeitet wird. Denn es wird lediglich pauschal behauptet, dass die
Fragen aufklärungsbedürftig oder vom BFH noch nicht beantwortet seien. Dies genügt zur
Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung aber nicht (Gräber/Ruban, a.a.O., § 116
Rz 34). Diese Würdigung des klägerischen Vorbringens trifft insbesondere auch auf den
Verweis auf das BFH-Urteil in BFHE 229, 20, BStBl II 2011, 7 zu. Es hätte substantiiert
unter Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung (z.B. Senatsurteil in BFHE 236, 195,
BStBl II 2012, 400) und der Literatur herausgearbeitet werden müssen, ob die
Übertragung der dort entwickelten Rechtsgrundsätze auf den konkreten Streitfall geboten
ist und dies wegen allgemeiner Bedeutung der höchstrichterlichen Klärung in einem
Revisionsverfahren bedarf.
20 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.