Urteil des BFH vom 09.01.2014

Anspruch auf rechtliches Gehör - Antrag auf Terminverlegung

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 9.1.2014, I B 5/13
Anspruch auf rechtliches Gehör - Antrag auf Terminverlegung
Tatbestand
1 I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH, hat mit Schriftsatz vom
3. August 2012 Klage gegen die Schätzungsbescheide zur Festsetzung der
Körperschaftsteuer 2010 und des Gewerbesteuermessbetrags 2010 sowie die
entsprechenden Verspätungszuschläge erhoben. Die Klage richtete sich zudem gegen den
wegen Nichtabgabe der Umsatzsteuererklärung 2010 festgesetzten Verspätungszuschlag.
Da der Klageschrift weder die Steuerbescheide noch die Einspruchsentscheidung des
Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) beigefügt waren, wurde der
Klägerin mit Schriftsatz vom 7. August 2012 eine Ausschlussfrist nach § 79b der
Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Angabe der Tatsachen bis 14. September 2012 gesetzt,
durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung sie sich beschwert fühle.
Nachdem die Klägerin hierauf nicht reagiert hatte, wurden die Beteiligten zur mündlichen
Verhandlung auf den 4. Dezember 2012 geladen. Am 3. Dezember 2012 ging dem
Finanzgericht (FG) per FAX ein Schreiben zu, mit dem die Klägerin sich zum einen gegen
die Ausschlussfrist gewendet und hierbei darauf hingewiesen hat, dass ihre
Geschäftsführerin (M) von Mai 2012 bis 17. August 2012 arbeitsunfähig gewesen sei; zum
anderen hat die Klägerin geltend gemacht, dass die Schätzung des Gewinns, der Umsätze
und der Vorsteuern ebenso wie die Festsetzung der Verspätungszuschläge willkürlich sei.
Unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin gleichfalls per FAX, das dem
FG am 4. Dezember 2012 um 9:50 Uhr zuging, die Aufhebung des Termins beantragt und
hierzu vorgetragen, dass M "den heutigen Termin wegen eines technischen Defekts
(Ausfall der Elektronik) nicht wahrnehmen könne". Ein Beleg werde nachgereicht. "Zudem
habe (M) wegen dieses unerwarteten Ärgers einen schweren Anfall ihrer chronischen
Migräne."
2 Das FG hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Die Klägerin habe nicht nachgewiesen,
dass sie den Termin zur mündlichen Verhandlung nicht habe wahrnehmen können. Auch
habe sie die wirksam gesetzte Ausschlussfrist ungenutzt verstreichen lassen. Der
Schriftsatz vom 3. Dezember 2012 werde --so die Vorinstanz-- als verspätet
zurückgewiesen, weil ohne weitere Sachaufklärung nicht geprüft werden könne, ob das FA
den ihm zustehenden Schätzungsrahmen (§ 162 der Abgabenordnung --AO--)
überschritten habe. Auch habe die Klägerin die Verspätung nicht genügend entschuldigt.
Ein verwendbarer Nachweis für die behauptete Arbeitsunfähigkeit (bis 17. August 2012)
von M sei nicht erbracht worden. Darüber hinaus habe sie auch in den bis zum Fristablauf
(14. September 2012) verbliebenen vier Wochen nicht reagiert. Die Revision ist vom FG
nicht zugelassen worden (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 4. Dezember
2012 6 K 6268/12).
Entscheidungsgründe
3 II. Die hiergegen gerichtete Beschwerde ist zu verwerfen, weil sie nicht den
Anforderungen an die Darlegung der in § 115 Abs. 2 FGO genannten Gründe für die
Zulassung der Revision genügt (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
4 1. Der Vortrag, die Revision sei wegen eines greifbaren Gesetzesverstoßes (§ 115 Abs. 2
Nr. 2 Alternative 2 FGO) zuzulassen, weil § 79b FGO nur die Aufforderung zur Angabe
von Tatsachen gestatte, die Klägerin sich aber --wie ihrem Schriftsatz vom 3. Dezember
2012 zu entnehmen-- dagegen wehre, dass die Schätzungen des FA nicht
nachvollziehbar seien, und sie deshalb nur eine fehlerhafte Gesetzesauslegung geltend
mache, ist unschlüssig. Er ist deshalb auch nicht geeignet, einen Verfahrensmangel i.S.
von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO darzulegen.
5 a) Zwar ist der Klägerin im Ausgangspunkt darin zu folgen, dass nach § 79b FGO dem
Beteiligten keine Rechtsausführungen abverlangt werden können (Thürmer in
Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 79b FGO Rz 43). Die Klägerin hat jedoch außer Acht
gelassen, dass zu den Tatsachen i.S. von § 79b FGO der dem Rechtsstreit zugrunde
liegende Sachverhalt (Thürmer in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 79b FGO Rz 41) gehört
und damit den von der Klägerin in ihrer Klagebegründung vom 3. Dezember 2012
gerügten Umstand erfasst, dass nach ihrer Auffassung die Schätzungsbescheide ohne
nachvollziehbare Angabe der Schätzungsgrundlagen ergangen sind. Hinzu kommt, dass
der Senat nicht nachvollziehen kann, weshalb die Ausführungen der Klagebegründung
vom 3. Dezember 2012 geeignet sein sollten, die Rechtswidrigkeit der im Anschluss an
die nicht begründete Klageschrift vom 3. August 2012 gesetzten Ausschlussfrist zu
begründen.
6 b) Nichts anderes ergibt sich, wenn man die Ausführungen der Beschwerde dahin
versteht, dass das FG angesichts der Erläuterungen der Klagebegründung nicht mehr
nach § 79b Abs. 3 FGO habe verfahren und damit das Vorbringen der Klägerin nicht mehr
habe zurückweisen dürfen. Der Vortrag ist auch insoweit unschlüssig, da die Klägerin es
versäumt hat, sich substantiiert mit den Erwägungen des vorinstanzlichen Urteils
auseinanderzusetzen, nach denen die Klägerin keine Unterlagen vorgelegt habe und
deshalb nicht ohne weitere Sachaufklärung hätte geprüft werden können, ob das FA sein
Schätzermessen fehlerhaft ausgeübt und den Schätzrahmen des § 162 AO überschritten
habe.
7 2. Unsubstantiiert ist ferner die Rüge, das FG habe das Verfahrensrecht willkürlich
gehandhabt, weil es --ohne vorherige eigene Aufklärungsbemühungen-- die
Präklusionsfrist des § 79b FGO gesetzt habe. Auch insoweit hat es die Klägerin versäumt,
sich mit den tragenden Erwägungen des vorinstanzlichen Urteils auseinanderzusetzen,
nach denen die Ausschlussfrist insbesondere dann nach Eingang der Klage aufgegeben
werden kann, wenn mit der Klageerhebung weder die angefochtenen Bescheide noch die
Einspruchsentscheidung eingereicht werden. Zudem fehlt jede Auseinandersetzung mit
der Ansicht des Schrifttums, derzufolge die Fristsetzung nach § 79b FGO nicht erfordert,
dass das Gericht zuvor die entscheidungserheblichen Tatsachen selbst erarbeitet, und
demgemäß das FG befugt ist, alsbald nach Klageerhebung gemäß § 79b FGO zu
verfahren (Stalbold in Beermann/Gosch, § 79b FGO Rz 43, m.w.N.).
8 3. Unschlüssig ist des Weiteren der Vortrag, das FG habe dadurch den Anspruch der
Klägerin auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes)
verletzt, dass es dem Antrag auf Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung
abgelehnt habe. Letzteres ist zwar grundsätzlich dann zu bejahen, wenn erhebliche
Gründe für eine Aufhebung oder Verlegung des Termins geltend gemacht worden sind
(§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 227 der Zivilprozessordnung --ZPO--). Der Beschwerdeschrift
kann dies jedoch nicht entnommen werden.
9 Dabei hat der Senat nicht darauf einzugehen, dass nach ständiger Rechtsprechung die
Ablehnung einer Terminänderung selbst bei Vorliegen erheblicher Gründe
ermessensgerecht sein kann (z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 15. Mai
2007 V B 153/05, juris, betreffend offensichtliche Prozessverschleppungsabsicht sowie
die Verletzung von Mitwirkungspflichten bereits im Veranlagungsverfahren und
Rechtsbehelfsverfahren). Hierauf ist deshalb nicht einzugehen, weil jedenfalls bei einem
"in letzter Minute" gestellten Antrag auf Terminänderung der Beteiligte auch ohne
besondere Aufforderung verpflichtet ist, die Gründe für die Verhinderung so anzugeben
und zu untermauern, dass das Gericht die Frage, ob ein für die Änderung des Termins
erheblicher Grund vorliegt oder nicht, selbst beurteilen kann (vgl. BFH-Beschluss vom
17. Mai 2000 IV B 86/99, BFH/NV 2000, 1353, betreffend plötzliche Erkrankung). Hieran
fehlt es vorliegend erkennbar. Die Begründung des FAX vom 4. Dezember 2012, M könne
den "heutigen Termin wegen eines technischen Defekts (Ausfall Elektronik) nicht
wahrnehmen", ist aus sich heraus nicht verständlich. Er lässt nicht nur offen, an welchem
Gegenstand der genannte technische Defekt aufgetreten ist; selbst wenn man ihn auf ein
Kraftfahrzeug beziehen wollte, wird der Zeitpunkt des Schadenseintritts nicht konkret
genannt, sondern im folgenden Absatz nur mit den Worten "unerwartetes Ärgernis"
umschrieben. Nimmt man hinzu, dass der Antrag auch nicht erläutert, welche Fahrzeuge
M zur Verfügung gestanden haben, so war das Schreiben weder geeignet, einen
nachvollziehbaren Zusammenhang zwischen den behaupteten Ereignissen ("technischer
Defekt" einerseits und "schwerer Anfall (einer) chronischen Migräne" andererseits)
herzustellen, noch konnte ihm --mangels aussagekräftiger und substantiierter Aussagen
(vgl. Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 91 FGO
Rz 15 f., m.w.N.)-- ein erheblicher Grund i.S. von § 227 Abs. 1 ZPO (i.V.m. § 155 Satz 1
FGO) entnommen werden. Demgemäß ist auch nicht darauf einzugehen, in welchem
Umfang die in einem kurz vor Verhandlungsbeginn gestellten Antrag auf Terminänderung
genannten (erheblichen) Gründe glaubhaft zu machen sind (vgl. hierzu z.B. BFH-
Beschluss in BFH/NV 2000, 1353).
10 4. Unsubstantiiert ist schließlich der Vortrag der Klägerin, das vorinstanzliche Urteil
beruhe deshalb auf einem Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO), weil das FG das
Verfahren betreffend den Verspätungszuschlag zur Umsatzsteuer nicht gemäß § 73 FGO
abgetrennt und nach § 74 FGO ausgesetzt habe, obwohl im Zeitpunkt des Urteilserlasses
eine auf die Feststellung der Nichtigkeit des Umsatzsteuerbescheids 2010 gerichtete
Klage anhängig gewesen sei. Nach § 74 FGO kann das Gericht, wenn die Entscheidung
des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines
Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits bildet,
die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits aussetzen. An einer
solchen Abhängigkeit fehlt es jedoch, wenn --wovon vorliegend auszugehen ist-- die
Klage gegen den Verspätungszuschlag zur Umsatzsteuer unzulässig ist und der hierauf
gründende Urteilsspruch durch die Entscheidung über den Feststellungsantrag
(betreffend die Umsatzsteuer 2010) nicht beeinflusst werden kann (vgl. BFH-Beschluss
vom 11. März 2011 II B 152/10, BFH/NV 2011, 1008; Brandis in Tipke/Kruse, a.a.O., § 74
FGO Rz 7, m.w.N.).