Urteil des BFH vom 09.02.2015

Verjährenlassen von Forderungen als verdeckte Gewinnausschüttung

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 9.2.2015, I B 32/14
Verjährenlassen von Forderungen als verdeckte Gewinnausschüttung
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des
Finanzgerichts Köln vom 13. März 2014 10 K 62/12 wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
1 I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH, stellt u.a. Drucksachen her.
Ihre Gesellschafter sind zu je 50% A und B. Diese sind in demselben Verhältnis an der C-
GmbH beteiligt. Aus Lieferverträgen standen der Klägerin erhebliche Ansprüche gegen die
C-GmbH zu. Diese leistete jedoch keine Zahlungen. Schließlich buchte die Klägerin ihre
Forderungen mit der Begründung erfolgswirksam aus, dass, worüber kein Streit besteht,
mittlerweile Verjährung eingetreten sei. Zu einer vergleichbaren Verjährung der Ansprüche
gegenüber der C-GmbH war es bereits zwei Jahre zuvor gekommen.
2 Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) behandelte die Ausbuchung als
verdeckte Gewinnausschüttung (vGA). Seines Erachtens hätte ein ordentlicher
Geschäftsleiter dafür Sorge getragen, dass nicht erneut Forderungen verjähren.
3 Das Finanzgericht (FG) Köln schloss sich mit seinem Urteil vom 13. März 2014 10 K 62/12
dieser Beurteilung an. Die Revision gegen sein Urteil ließ es nicht zu.
Entscheidungsgründe
4 II. Die Beschwerde ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 116 Abs. 5 Satz 1
der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Klägerin hat die geltend gemachten
Zulassungsgründe nicht in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO
genügenden Weise dargelegt.
5 1. Soweit die Klägerin das Fehlen von Entscheidungsgründen i.S. der §§ 105 Abs. 2
Nr. 6, 119 Nr. 6 FGO, einen Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten, mangelnde
Sachaufklärung und schließlich eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör
rügt, werden Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO nicht schlüssig geltend
gemacht.
6 Sämtliche gerügten Verfahrensverstöße hängen damit zusammen, dass der Sachvortrag
der Klägerin, wonach der Verzicht auf die prozessuale Durchsetzung der Forderung ein
Beitrag zur Sanierung eines Geschäftskunden gewesen sei, aus ihrer Sicht vom FG nicht
berücksichtigt, nicht weiter aufgeklärt bzw. ohne Urteilsbegründung zurückgewiesen
worden sei.
7 Indes geht aus der Beschwerdebegründung selbst hervor, dass das FG in den
Urteilsgründen das Hauptargument der Klägerin, wonach die Forderungen aus
betrieblichen Gründen nicht im Prozesswege geltend gemacht worden seien, als nicht
überzeugend gewürdigt hatte. Mit den betrieblichen Gründen war ersichtlich das
Vorbringen der Klägerin angesprochen, wonach der Verzicht auf die prozessuale
Durchsetzung ein Beitrag zur Sanierung eines Geschäftskunden gewesen sei, dessen
Weiterarbeit habe sichergestellt werden müssen. Die Begründung des FG war zwar recht
knapp gehalten, aber sie war durchaus vorhanden. Eine bloß lückenhafte oder kurz
gefasste Urteilsbegründung begründet aber keine Verletzung der §§ 105 Abs. 2 Nr. 5, 119
Nr. 6 FGO (vgl. Senatsbeschluss vom 22. Oktober 2014 I B 101/13, BFH/NV 2015, 201,
m.w.N.). Ferner sind im Streitfall keine besonderen Umstände ersichtlich, die dafür
sprechen könnten, dass das Gericht das aktenkundige Vorbringen der Beteiligten nicht
zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben könnte (vgl. dazu Beschluss
des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 14. Dezember 2006 VIII B 108/05, BFH/NV 2007, 741;
Senatsbeschluss vom 7. November 2012 I B 172/11, BFH/NV 2013, 561). Auch dies
verdeutlichen der Tatbestand und die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils.
Schließlich scheidet auch eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes (§ 76 Abs. 1
FGO) nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin aus. Denn nach dem vom FG
eingenommenen Rechtsstandpunkt, auf den maßgeblich abzustellen ist (vgl.
Senatsbeschluss vom 6. Dezember 2012 I B 8/12, BFH/NV 2013, 703), war die
behauptete Sanierung der Schwestergesellschaft nicht von der Klägerin, sondern von den
Gesellschaftern zu leisten. Ausgehend von dieser Rechtsauffassung kam es ersichtlich
auf die Aufklärung der näheren Umstände der beabsichtigten Sanierung nicht an. Im Kern
macht die Klägerin mit ihren Verfahrensrügen lediglich geltend, dass das FG ihrem Sach-
und Rechtsvortrag zur betrieblichen Veranlassung des "Verjährenlassens" der
Forderungen nicht gefolgt ist. Dieser vermeintliche Fehler ist materiell-rechtlicher Art und
kann die Revisionszulassung wegen eines Verfahrensverstoßes nicht rechtfertigen (vgl.
BFH-Beschluss in BFH/NV 2007, 741).
8 2. Die gerügte Divergenz zum Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 29. Juni 1995 4 K
1587/93 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1995, 1074) ist nicht
ordnungsgemäß dargelegt. Es fehlen substantiierte Ausführungen zur Vergleichbarkeit
der Sachverhalte (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 22. Oktober 2014 I B 169/13, BFH/NV
2015, 234, m.w.N.). Während das FG Rheinland-Pfalz einen rechtsgeschäftlich zwischen
Gläubiger und Schuldner vereinbarten Teilverzicht auf Forderungen aus Lieferungen und
Leistungen zu beurteilen hatte, geht es im Streitfall um das einseitige
Nichtgeltendmachen von Forderungen vor dem zivilrechtlichen Verjährungsstichtag. Die
Klägerin behauptet zwar, dass darin ein konkludenter Verzicht zu erkennen sei. Das
versteht sich ohne nähere Darlegungen aber nicht von selbst. Denn im Verzicht ist
regelmäßig ein Erlassvertrag i.S. des § 397 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu erblicken
(vgl. Erman/E. Wagner, BGB, 14. Aufl., § 397 Rz 1). Es handelt sich damit um eine
ausgehandelte rechtsgeschäftliche Vereinbarung zwischen Gläubiger und Schuldner. Ein
solcher Erlass kann, wenn er --regelmäßig im Zusammenwirken mit anderen Gläubigern--
in der Absicht ausgesprochen wird, den Schuldner geschäftlich und finanziell gesunden
zu lassen, als --dann betrieblich veranlasste-- Sanierungsmaßnahme zu beurteilen sein
(vgl. Gosch, KStG, 2. Aufl., § 8 Rz 1200). Im Streitfall hat das FG gerade nicht festgestellt,
dass dem --wiederholten-- Nichtergreifen verjährungsunterbrechender Maßnahmen ein
vergleichbarer rechtsgeschäftlicher Erklärungsinhalt zukam. Weder der Schuldner noch
andere Gläubiger waren Teil einer wie auch immer gearteten Sanierungsvereinbarung,
die vor dem Hintergrund einer substantiiert aufgeklärten wirtschaftlichen Situation des
Schuldnerunternehmens getroffen wurde.
9 3. Soweit die Klägerin der Rechtsfrage rechtsgrundsätzliche Bedeutung beimisst, ob ein
Sanierungsbeitrag nur dann anzunehmen sei, wenn dieser durch eindeutige Erklärung
eines Verzichts erfolge, oder ob ein Sanierungsbeitrag infolge einer wirtschaftlichen
Betrachtungsweise ebenfalls dann anzunehmen sei, wenn dieser durch
Nichtgeltendmachung und Eintritt der Verjährung einer Forderung gegenüber dem
Schuldner erfolge, fehlt es an der erforderlichen Darlegung der Klärungsbedürftigkeit (zu
den Darlegungsanforderungen insoweit z.B. Senatsbeschluss vom 12. März 2014
I B 167/13, BFH/NV 2014, 1092, m.w.N.). Die Beschwerdebegründung setzt sich mit der
einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung und Literatur zum Fragenkreis der
Sanierung nicht auseinander und versäumt damit die Antwort auf die naheliegende Frage,
ob das aufgeworfene Rechtsproblem angesichts der fehlenden rechtsgeschäftlichen
Grundlage des "Verzichts" und der fehlenden Mitwirkung der anderen Gläubiger nicht
bereits in einem für die Klägerin nachteiligen Sinne als geklärt betrachtet werden muss.
Der ertragsteuerrechtliche Sanierungsbegriff war bereits Gegenstand zahlreicher
Entscheidungen des BFH (BFH-Urteile vom 18. Dezember 1990 VIII R 39/87, BFHE 164,
404, BStBl II 1991, 784; vom 14. Juli 2010 X R 34/08, BFHE 229, 502, BStBl II 2010, 916).
Auch die Literatur (z.B. Gosch, a.a.O., § 8, Rz 1200; Blümich/Rengers, § 8 KStG Rz 900
"Sanierung"; Schallmoser in Herrmann/Heuer/Raupach, § 8 KStG Rz 380 "Sanierung")
und die finanzgerichtliche Rechtsprechung (vgl. z.B. Urteil des FG Rheinland-Pfalz in
EFG 1995, 1074; Urteil des FG Münster vom 9. Juli 2002 1 K 430/99 F, EFG 2003, 30)
haben sich zum Themenkreis vGA und Sanierung geäußert. Neue Argumente, die den
Meinungsstand beeinflussen könnten, sind der Beschwerdebegründung nicht zu
entnehmen.
10 Es fehlt ferner an der erforderlichen Darlegung der sog. Entscheidungserheblichkeit oder
Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Frage (vgl. dazu z.B. BFH-Beschlüsse vom
22. Oktober 2003 III B 14/03, BFH/NV 2004, 224; vom 18. März 2005 IX B 193/04,
BFH/NV 2005, 1342; vom 5. Dezember 2007 VIII B 79/07, BFH/NV 2008, 732; vom
15. Oktober 2008 II B 74/08, BFH/NV 2009, 125; Senatsbeschluss vom 2. April 2014
I B 130/13, BFH/NV 2014, 1085, m.w.N.). Für die Entscheidung des Streitfalls kommt es
nicht allein darauf an, ob das Verjährenlassen von Forderungen als konkludenter
Forderungsverzicht und damit Sanierungsbeitrag gewertet werden kann. Die Annahme
einer vGA muss in Anbetracht der beherrschenden Stellung von A und B und ihrer
gleichgerichteten Interessen bereits unter dem Gesichtspunkt ernstlich erwogen werden,
dass der behauptete Sanierungsbeitrag nicht Gegenstand einer klar und eindeutig im
Voraus getroffenen Vereinbarung war (zu den Sonderanforderungen beim formellen
Fremdvergleich vgl. etwa Wilk in Herrmann/Heuer/ Raupach, § 8 KStG Rz 144). Dazu
verhält sich die Beschwerdebegründung nicht.
11 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.