Urteil des BFH vom 11.03.2014

Fortgeltung des Schwerbehindertenausweises - Neufeststellungsverfahren - Nachwirkungszeitraum - besondere Regelungen für behinderte Menschen

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 11.3.2014, VI B 95/13
Fortgeltung des Schwerbehindertenausweises - Neufeststellungsverfahren -
Nachwirkungszeitraum - besondere Regelungen für behinderte Menschen
Leitsätze
1. Wird bei einem schwerbehinderten Menschen der Grad der Behinderung von 80 oder mehr auf
weniger als 50 herabgesetzt, ist dies einkommensteuerrechtlich ab dem im Bescheid genannten
Zeitpunkt zu berücksichtigen. Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger
Arbeitsstätte sowie Familienheimfahrten im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung können
daher nicht mehr nach § 9 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 EStG bemessen werden. Es bedarf keiner
grundsätzlichen Klärung, dass § 116 Abs. 1 SGB IX oder § 38 Abs. 1 SchwbG im Steuerrecht nicht
anzuwenden ist.
2. § 9 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 EStG ist keine Schutzvorschrift für Schwerbehinderte i.S. des § 38 Abs. 1
SchwbG bzw. besondere Regelung für schwerbehinderte Menschen i.S. des § 116 Abs. 1 SGB IX.
Tatbestand
1 I. Streitig ist, ob für Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte nach der
Herabsetzung des Grades der Behinderung weiterhin gemäß § 9 Abs. 2 Satz 3 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) die tatsächlichen Aufwendungen als Werbungskosten
geltend gemacht werden können.
2 Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), der während der Streitjahre (2000 bis 2007)
nichtselbständig beschäftigt war, wurde durch Bescheid des Versorgungsamts X vom ... Mai
1994 als Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung von 80 anerkannt. Mit Bescheid
des Amtes für soziale Angelegenheiten X vom ... Dezember 1999 wurde der Grad der
Behinderung des Klägers unter Aufhebung des Bescheids vom ... Mai 1994 auf 20
herabgesetzt. Gegen diesen Bescheid hat der Kläger erfolglos Widerspruch und
Anfechtungsklage erhoben und auch den weiteren sozialgerichtlichen Rechtsweg ohne Erfolg
ausgeschöpft. Die Beschwerde wurde durch Beschluss des Bundessozialgerichts (BSG) vom
... November 2006 --zugestellt im Januar 2007-- als unbegründet zurückgewiesen. Der Kläger
war in allen Streitjahren Inhaber eines Schwerbehindertenausweises, in dem ein Grad der
Behinderung von 80 ausgewiesen wurde.
3 Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) hat die Einkommensteuer des
Klägers in fünf auf § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) gestützten
Änderungsbescheiden vom 8. September 2005 für die Jahre 2000 bis 2004 ohne Anwendung
des § 9 Abs. 2 Satz 3 EStG festgesetzt und dabei für die Jahre 2000 bis 2003 auch
Nachforderungszinsen erhoben. Darüber hinaus hat das FA Einkommensteuerbescheide für
die Jahre 2005 bis 2007 erlassen, in denen es die Fahrten des Klägers zwischen Wohnung
und regelmäßiger Arbeitsstätte lediglich im Rahmen der Entfernungspauschale nach § 9
Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG berücksichtigt hat.
4 Der Kläger hat gegen die Steuerfestsetzungen der Streitjahre fristgerecht Einspruch erhoben.
Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen, dass sein Status als erheblich
Schwerbehinderter vom FA zu Unrecht nicht berücksichtigt worden sei. Ausweislich des
Schwerbehindertenausweises sei er in den Streitjahren als schwerbehindert (Grad der
Behinderung 80) anerkannt. Der Ausweis sei bis zum 30. Juni 2007 gültig gewesen. Solange
könne er als Behinderter nach § 9 Abs. 2 Satz 3 EStG erhöhte Wegekosten für die Fahrten
zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte geltend machen. Der vom
Schwerbehindertenausweis abweichende Neufeststellungsbescheid vom ... Dezember 1999
(Grad der Behinderung 20) stehe dem nicht entgegen. Denn dieser sei erst nach Abschluss
des Beschwerdeverfahrens vor dem BSG im Januar 2007 bestandskräftig geworden. Daher
seien die besonderen Regelungen für schwerbehinderte Menschen und damit auch § 9 Abs. 2
Satz 3 EStG gemäß § 38 Abs. 1 des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) bzw. § 116
Abs. 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) jedenfalls noch bis Ende April (dem
dritten Monat nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des Neufeststellungsbescheids) anzuwenden.
5 Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Die Revision wurde nicht zugelassen. Hiergegen
wendet sich der Kläger mit vorliegender Nichtzulassungsbeschwerde.
Entscheidungsgründe
6 II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Weder ist die Rechtssache von grundsätzlicher
Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) noch liegt ein
Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vor.
7 1. Die Revision war nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
8 a) Eine Rechtssache ist von grundsätzlicher Bedeutung, wenn die für die Beurteilung des
Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der
einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Rechtsfrage muss im
konkreten Fall klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärbar sein
(ständige Rechtsprechung, Senatsbeschlüsse vom 24. Juli 2008 VI B 7/08, BFH/NV 2008,
1838; vom 12. Oktober 2007 VI B 161/06, BFH/NV 2008, 45; vom 10. Oktober 2007
VI B 33/07, BFH/NV 2008, 44). Eine Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, wenn sie durch
die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bereits hinreichend geklärt ist und keine
neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser
Frage erforderlich machen (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 28). An
der Klärungsbedürftigkeit fehlt es auch, wenn die Rechtsfrage offensichtlich so zu
beantworten ist, wie es das Finanzgericht (FG) getan hat, die Rechtslage also eindeutig ist
und nicht (erst) in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss (ständige
Rechtsprechung, z.B. Senatsbeschluss vom 13. Juli 2011 VI B 20/11, BFH/NV 2011, 1863,
m.w.N.).
9
b) Nach diesen Grundsätzen kommt den im Streitfall vom Kläger aufgeworfenen
Rechtsfragen,
-
ob die Fortgeltung des Schwerbehindertenausweises bis zum bestandskräftigen
Abschluss eines den Grad der Behinderung herabsetzenden
Neufeststellungsverfahrens einer einkommensteuerrechtlichen Berücksichtigung des
herabgesetzten Grades der Behinderung bereits ab dem Neufeststellungszeitpunkt
auch nach Eintritt der Bestandskraft des den Grad der Behinderung herabsetzenden
Bescheids entgegensteht,
-
ob die Einkommensteuer eines schwerbehinderten Menschen, dessen Grad der
Behinderung von 80 oder mehr auf weniger als 50 herabgesetzt wurde, für den
Nachwirkungszeitraum des § 38 Abs. 1 SchwbG bzw. § 116 Abs. 1 SGB IX unter
Anwendung der Regelung des § 9 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 EStG bzw. § 9 Abs. 2 Satz 11
Nr. 1 EStG festzusetzen ist sowie
-
ob die Regelung des § 9 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 EStG bzw. § 9 Abs. 2 Satz 11 Nr. 1 EStG
als Schutzvorschrift für Schwerbehinderte i.S. des § 38 Abs. 1 SchwbG bzw. als
besondere Regelung für schwerbehinderte Menschen i.S. des § 116 Abs. 1 SGB IX
anzusehen ist,
keine grundsätzliche Bedeutung zu. Denn sie sind nicht klärungsbedürftig.
10 aa) Durch die Rechtsprechung des BFH ist bereits hinreichend geklärt, dass trotz
Fortgeltung des Schwerbehindertenausweises bis zum bestandskräftigen Abschluss eines
den Grad der Behinderung herabsetzenden Neufeststellungsverfahrens
einkommensteuerrechtlich der herabgesetzte Grad der Behinderung bereits auf den
Neufeststellungszeitpunkt zu berücksichtigen ist (BFH-Urteil vom 22. September 1989
III R 167/86, BFHE 158, 375, BStBl II 1990, 60). Der BFH löst damit das
Konkurrenzverhältnis zwischen Neufeststellungsbescheid und einem anderslautenden
Schwerbehindertenausweis zugunsten des Feststellungsbescheids auf. Die
Finanzbehörden sind nach § 171 Abs. 10 AO an die in einem Bescheid enthaltenen
Feststellungen über den Grad der Behinderung gebunden. Der Vorrang der Neufeststellung -
-hier des Bescheids des Amtes für soziale Angelegenheiten X vom ... Dezember 1999-- vor
dem (bis zur Bestandskraft des Änderungsbescheids fortgeltenden)
Schwerbehindertenausweis und seiner drittwirkenden Beweisfunktion als öffentliche
Urkunde i.S. des § 417 der Zivilprozessordnung auch gegenüber den Finanzbehörden und -
gerichten gründet auf einer steuerspezifischen Betrachtungsweise, die dem Grundsatz der
Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit geschuldet ist. Denn wenn die
Herabsetzung des Grades der Behinderung rechtskräftig festgestellt ist, sind die
Folgerungen aus der Neufeststellung (Grundlagenbescheid) schon deshalb zum
Neufeststellungszeitpunkt zu ziehen, weil von diesem Moment an behinderungsbedingte
erhöhte Wegekosten i.S. des § 9 Abs. 2 Satz 3 EStG nicht länger zu erwarten sind. Darüber
hinaus ist eine über den Neufeststellungszeitpunkt hinausgehende Inanspruchnahme der
Regelung nicht mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) vereinbar. § 9 Abs. 2 Satz 3 EStG
soll vor dem Hintergrund nicht kostendeckender Entfernungspauschalen typisierend dem
Umstand Rechnung tragen, dass erheblich behinderte Personen nur eingeschränkt auf
öffentliche Verkehrsmittel ausweichen können (Zimmer in Littmann/Bitz/Pust, Das
Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 9 Rz 962; von Bornhaupt, in: Kirchhof/
Söhn/Mellinghoff, EStG, § 9 Rz F 95, A 174 f.). Dieser sachliche Grund für die steuerliche
Begünstigung erheblich behinderter Steuerpflichtiger im Verhältnis zu anderen nicht- oder
nur minderbehinderten Steuerpflichtigen, ist im Zeitpunkt der Neufeststellung entfallen.
11 Die Kritik von Voelzke (Die Sozialgerichtsbarkeit 1991, 80) und die Beschwerdebegründung,
die sich diese Kritik zu Eigen gemacht hat, verhält sich zu diesem steuerspezifischen
Vorrang der Neufeststellung zum Feststellungszeitpunkt trotz versorgungsrechtlich
fortgeltendem Schwerbehindertenausweis nicht. Das Vorbringen des Klägers erschöpft sich
vielmehr darin, seinen gegenteiligen Rechtsstandpunkt, dass die Neufeststellung erst mit
Eintritt der Bestandskraft (hier nach dem Beschluss des BSG vom ... November 2006) des
Änderungsbescheids wirksam werde, mit den verfahrensrechtlichen Bestimmungen zur
Durchführung des Neufeststellungsverfahrens bei wesentlichen Änderungen im Ausmaß der
Behinderung sowie den Vorschriften des SchwbG bzw. des SGB IX zu begründen. Damit hat
sich der BFH jedoch in seinem Urteil in BFHE 158, 375, BStBl II 1990, 60 bereits
auseinandergesetzt. Neue und gewichtige, vom BFH noch nicht geprüfte Erwägungen, die
eine erneute Prüfung und Entscheidung der streitigen Rechtsfrage(n) erforderlich machen,
hat der Kläger nicht geltend gemacht. Solche sind auch weder in der Rechtsprechung der
FG und/oder in der Literatur ersichtlich und ergeben sich auch nicht aus dem Urteil des BSG
vom 11. Mai 2011 B 5 R 56/10 R (Behindertenrecht 2012, 23) zur Schutzfrist des § 38 Abs. 1
SchwbG. Denn dieses Urteil ist zur Altersrente für schwerbehinderte Menschen ergangen
und verhält sich zu der Frage des steuerlichen Vorrangs von feststellendem
Grundlagenbescheid gegenüber fortgeltendem Schwerbehindertenausweis nicht.
12 bb) Die Frage, ob § 9 Abs. 2 Satz 3 EStG im Nachwirkungszeitraum des § 38 Abs. 1
SchwbG bzw. § 116 Abs. 1 SGB IX (Beendigung der Anwendung der besonderen
Regelungen für schwerbehinderte Menschen erst ab dem Ende des dritten Monats nach
Eintritt der Unanfechtbarkeit des den Grad der Behinderung verringernden feststellenden
Bescheids) zu berücksichtigen ist, ist ebenfalls nicht klärungsbedürftig. Denn sie lässt sich --
soweit sie nicht ebenfalls bereits durch die o.g. Rechtsprechung des BFH (Urteil in BFHE
158, 375, BStBl II 1990, 60) entschieden ist-- ebenso wie die Frage nach dem Charakter des
§ 9 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 EStG bzw. § 9 Abs. 2 Satz 11 Nr. 1 EStG i.d.F. des
Steueränderungsgesetzes 2007 vom 19. Juli 2006 (BGBl I 2006, 1652, BStBl I 2006, 432)
als Schutzvorschrift für Schwerbehinderte i.S. des § 38 Abs. 1 SchwbG bzw. als besondere
Regelung für schwerbehinderte Menschen i.S. des § 116 Abs. 1 SGB IX ohne weiteres aus
dem EStG beantworten. § 38 Abs. 1 SchwbG und § 116 Abs. 1 SGB IX sollen insoweit
verhindern, dass schwerbehinderte Menschen nach Absinken des Grades der Behinderung
auf unter 50 "von heute auf morgen einer sozial bedenklichen Situation gegenüberstehen"
(Simon in Schlegel/Voelzke, SGB IX, § 116 Rz 15). Die Verlängerung des
Schwerbehindertenschutzes mag versorgungsrechtlich erforderlich sein. In einem an der
Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit und dem Gebot steuerlicher
Lastengleichheit ausgerichteten Einkommensteuerrecht ist eine steuerliche Begünstigung
nicht- oder minderbehinderter Steuerpflichtiger für einen Übergangszeitraum nicht geboten.
Denn in diesem Zeitraum fehlt es bei dem Betroffenen bereits an einem
behinderungsbedingten Mehraufwand an Wegekosten. Damit widersprechen Stellung und
Bedeutung des § 9 Abs. 2 Satz 3 EStG im System des Einkommensteuerrechts einer
Einordnung als eine Schutzvorschrift i.S. des § 38 Abs. 1 SchwbG bzw. als besondere
Regelung für schwerbehinderte Menschen i.S. des § 116 Abs. 1 SGB IX.
13 2. Der geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) liegt nicht vor.
14 a) Zwar stellt es nach der ständigen Rechtsprechung des BFH einen Verfahrensmangel i.S.
des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dar, wenn über eine zulässige Klage nicht zur Sache, sondern
durch Prozessurteil entschieden wird. In einem solchen Fall wird zugleich der Anspruch des
Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom
29. Juli 2009 VI B 44/09, BFH/NV 2009, 1822, und vom 3. November 2010 II B 55/10,
BFH/NV 2011, 295).
15 b) Allerdings hat das FG im Streitfall, soweit der Kläger Klage auch wegen der Festsetzung
von Zinsen zur Einkommensteuer erhoben hat, diese zu Recht als unzulässig abgewiesen.
16 c) Anders als der Kläger in seiner Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde meint, ist
sein Einspruch vom 27. September 2005 auslegungsbedürftig. Daran würde es nur dann
fehlen, wenn die Erklärung nach Wortlaut und Zweck einen eindeutigen Inhalt hätte (BFH-
Urteil vom 19. August 2013 X R 44/11, BStBl II 2014, 234, m.w.N.). Das Einspruchsschreiben
des Klägers ist aber nicht eindeutig, weil der Betreff "Ihre Bescheide vom 8. September
2005" lautet und sich damit auf die unter diesem Datum erlassenen fünf Sammelbescheide
über Einkommensteuer, Kirchensteuer, Solidaritätszuschlag und Zinsen zur
Einkommensteuer für die Jahre 2000 bis 2003 und über Einkommensteuer, Kirchensteuer
und Solidaritätszuschlag für das Jahr 2004 bezieht, während die Begründung des
Einspruchs ausschließlich Einwendungen gegen die Festsetzung der Einkommensteuer für
diese Jahre enthält.
17 In einem solchen Fall ist der außerprozessuale Rechtsbehelf in entsprechender Anwendung
des § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auszulegen (BFH-Urteil in BStBl II 2014, 234,
m.w.N.). Danach ist nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften, sondern
der wirkliche Wille zu erforschen und zu berücksichtigen, dass in einem Sammelbescheid
alle Steuerfestsetzungen hierin selbständig nebeneinander stehen und lediglich in einem
Bescheid verbunden sind. Die Steuerfestsetzungen können je nach Rechtsschutzbegehren
grundsätzlich unabhängig voneinander angefochten werden (vgl. BFH-Urteile in BStBl II
2014, 234, und vom 11. Februar 2009 X R 51/06, BFHE 226, 1, BStBl II 2009, 892, m.w.N.).
Deshalb ist für die Frage der Auslegungsbedürftigkeit des Einspruchs gegen einen
Sammelbescheid entscheidend darauf abzustellen, auf welche Beschwer die Begründung
des Einspruchs gestützt wird (Senatsurteil vom 8. Mai 2008 VI R 12/05, BFHE 222, 196,
BStBl II 2009, 116).
18 d) Nach diesen Grundsätzen erweist sich die durch das FG vorgenommene Auslegung als
rechtsfehlerfrei. Das FG hat den --aus Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers
erkennbaren-- wirklichen Willen des Erklärenden erforscht, sich hierbei am Inhalt des
Einspruchsschreibens und dem weiteren Vorbringen des Klägers im Einspruchsverfahren
orientiert und daraus die Erkenntnis gewonnen, dass sich der Einspruch vom 27. September
2005 ausschließlich gegen die Einkommensteuerfestsetzungen der Jahre 2000 bis 2003
und nicht auch gegen die Festsetzung von Zinsen zur Einkommensteuer für diese Jahre
gerichtet hat. Ein Verstoß gegen gesetzliche Auslegungsregeln, Denkgesetze oder
Erfahrungssätze ist insoweit nicht zu erkennen. Das Auslegungsergebnis des FG ist
vorliegend nicht nur möglich, sondern naheliegend und damit revisionsrechtlich nicht zu
beanstanden.