Urteil des BFH vom 29.04.2002

BFH (beschwerde, entlastungsbeweis, widerruf, kläger, steuerberater, bestellung, vermögensverfall, rechtsfrage, umstände, auftraggeber)

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 12.6.2008, VII B 61/08
Widerruf der Bestellung als Steuerberater wegen Vermögensverfalls - Entlastungsbeweis - Einwendungen gegen die
Richtigkeit des im FG-Urteil festgestellten Tatbestandes
Tatbestand
1 I. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) gegen den Widerruf seiner
Bestellung als Steuerberater wegen Vermögensverfalls (§ 46 Abs. 2 Nr. 4 des Steuerberatungsgesetzes --StBerG--)
durch den Bescheid der Beklagten und Beschwerdegegnerin (Steuerberaterkammer) als unbegründet abgewiesen.
Das FG hat die Voraussetzungen für den Widerruf der Bestellung als Steuerberater als gegeben angesehen, da der
Kläger wegen Abgabe der eidesstattlichen Versicherung in das Schuldnerverzeichnis eingetragen worden sei und er
die daraus folgende Vermutung des Vermögensverfalls nicht widerlegt habe. Nach den erkennbaren Umständen sei
der Kläger außer Stande, seine finanziellen Verhältnisse in absehbarer Zeit zu ordnen. Ein aktuelles
Vermögensverzeichnis, eine Gegenüberstellung seiner monatlichen Einnahmen und Ausgaben sowie einen
Tilgungsplan für die offenen Verbindlichkeiten habe er trotz Aufforderung nicht vorgelegt. Der Kläger habe auch nicht
den Nachweis erbracht, dass in seinem Fall ausnahmsweise eine Gefährdung der Interessen der Auftraggeber durch
den Vermögensverfall ausgeschlossen sei. Vielmehr sei insoweit zu seinen Lasten zu berücksichtigen, dass er
erhebliche Steuerschulden in Höhe von ca. … EUR habe und in der Vergangenheit Lohnsteuer und Umsatzsteuer nicht
an das Finanzamt abgeführt habe.
2 Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers, welche er auf die Zulassungsgründe der
grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache sowie des Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 3 der
Finanzgerichtsordnung --FGO--) stützt.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe z.T. nicht schlüssig dargelegt
sind, wie es § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO verlangt, jedenfalls aber nicht vorliegen.
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1. Grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO ist einer Rechtsfrage beizumessen, wenn ihre
Beantwortung in dem angestrebten Revisionsverfahren aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit
und/oder Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Dabei muss es sich um eine Frage handeln, die
klärungsbedürftig und im konkreten Streitfall auch klärungsfähig ist (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom
29. April 2002 IV B 29/01, BFHE 198, 316, BStBl II 2002, 581, m.w.N.). Das Vorliegen dieser
Zulassungsvoraussetzungen muss der Beschwerdeführer innerhalb der Begründungsfrist schlüssig und substantiiert
darlegen (§ 116 Abs. 3 Satz 1 und 3 FGO). Dazu ist es erforderlich, dass der Beschwerdeführer eine konkrete
Rechtsfrage formuliert und substantiiert auf ihre Klärungsbedürftigkeit, ihre über den Einzelfall hinausgehende
Bedeutung sowie darauf eingeht, weshalb von der Beantwortung der Rechtsfrage die Entscheidung über die
Rechtssache abhängt (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom 14. Juni 1995 II B 5/95, BFH/NV 1996,
141, m.w.N.; vom 14. März 2000 V B 23/00, BFH/NV 2000, 1148; Senatsbeschluss vom 22. Oktober 2002 VII B 178/02,
BFH/NV 2003, 214).
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a) Diesen Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht, da sie nicht einmal eine konkrete Rechtsfrage
bezeichnet, geschweige denn Ausführungen zu ihrer Klärungsbedürftigkeit macht. Mit der Behauptung der
Beschwerde, dass das angefochtene Urteil gegen die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) verstoße, wird
die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargelegt. Eine Abweichung von höchstrichterlicher
Rechtsprechung könnte die Zulassung der Revision allein zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115
Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO) rechtfertigen, was allerdings die Gegenüberstellung tragender und abstrakter
Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und aus der behaupteten Divergenzentscheidung
andererseits erfordert hätte, woran es im Streitfall fehlt.
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b) Im Übrigen trifft es nicht zu, dass das FG-Urteil, soweit es um den sog. Entlastungsbeweis geht, von der
Rechtsprechung des BGH abweicht.
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Die im Zusammenhang mit dem sog. Entlastungsbeweis stehenden Rechtsfragen sind geklärt. Bei einem
Vermögensverfall des Steuerberaters sieht § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG den Widerruf der Bestellung zwingend vor, es sei
denn, die Interessen der Auftraggeber sind dadurch nicht gefährdet. Das Gesetz geht damit beim Vorliegen des
Vermögensverfalls des Steuerberaters grundsätzlich davon aus, dass dadurch die Interessen seiner Auftraggeber
gefährdet sind und gestattet nur in Ausnahmefällen ("es sei denn") ein Absehen von dem gebotenen Widerruf der
Bestellung; aus diesem Regel-Ausnahme-Verhältnis folgt zugleich, dass die Darlegungs- und Feststellungslast für
diesen gesetzlichen Ausnahmetatbestand dem betroffenen Steuerberater obliegt (Senatsurteil vom 22. September
1992 VII R 43/92, BFHE 169, 286, BStBl II 1993, 203; Senatsbeschluss vom 8. Februar 2000 VII B 245/99, BFH/NV
2000, 992). Erforderlich ist ein substantiierter und glaubhafter Vortrag, aufgrund dessen mit hinreichender Gewissheit
die grundsätzlich beim Vermögensverfall zu unterstellende Gefahr ausgeschlossen werden kann, dass der
Steuerberater seine Berufspflichten unter dem Druck seiner desolaten Vermögenslage verletzen wird (Senatsurteil
vom 6. Juni 2000 VII R 68/99, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2000, 741; Senatsbeschluss vom 4.
März 2004 VII R 21/02, BFHE 204, 563, BStBl II 2004, 1016). Die Beantwortung der Frage, ob dieser
Entlastungsbeweis gelungen ist, erfordert eine dem Tatrichter vorbehaltene zusammenfassende Beurteilung der
komplexen Verhältnisse des Einzelfalls, bei der eine Reihe gesetzlich nicht abschließend festgelegter Kriterien zu
berücksichtigen ist, die je nach dem Einzelfall in unterschiedlicher Gewichtung für oder gegen die Möglichkeit einer
Gefährdung von Auftraggeberinteressen sprechen können; diese Tatsachenwürdigung kann revisionsrechtlich nur
daraufhin überprüft werden, ob das FG von zutreffenden rechtlichen Maßstäben ausgegangen, seine Entscheidung
insoweit nachvollziehbar begründet und nicht durch Denkfehler oder die Verletzung von Erfahrungssätzen beeinflusst
ist (ständige Rechtsprechung, Senatsurteile in BFHE 169, 286, BStBl II 1993, 203, und in HFR 2000, 741;
Senatsbeschlüsse vom 28. August 2003 VII B 79/02, BFH/NV 2004, 90, und in BFHE 204, 563, BStBl II 2004, 1016).
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Dies entspricht der Rechtsprechung des BGH hinsichtlich des von einem in Vermögensverfall geratenen
Rechtsanwalt nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 der Bundesrechtsanwaltsordnung zu führenden sog. Entlastungsbeweises. Auch
der BGH beurteilt die Frage, ob der Entlastungsbeweis geführt ist, aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände
(vgl. BGH-Beschlüsse vom 18. Oktober 2004 AnwZ (B) 43/03, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2005, 511; vom
25. Juni 2007 AnwZ (B) 101/05, NJW 2007, 2924). Wenn daher der BGH in einem zu entscheidenden Einzelfall eines
Rechtsanwalts im Rahmen der Gesamtwürdigung bestimmte einzelne Umstände zu dessen Gunsten berücksichtigt,
so stellt es keine Abweichung von dieser Entscheidung dar, wenn in einem anderen Fall diesen Umständen bei der
Gesamtwürdigung ein geringeres Gewicht beigemessen wird und andere Umstände in den Vordergrund rücken.
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Im Streitfall greift die Beschwerde einzelne Gesichtspunkte aus dem BGH-Beschluss in NJW 2007, 2924 heraus,
welche der BGH zu Gunsten des betroffenen Rechtsanwalts gewürdigt hat und meint, dass diese auch auf den Kläger
zuträfen. Dabei lässt sie unberücksichtigt, dass das FG --in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des
beschließenden Senats-- andere Umstände in die Gesamtwürdigung einbezogen und zu Lasten des Klägers
gewürdigt hat, die in dem vom BGH entschiedenen Fall keine Rolle spielten, nämlich die Höhe der Steuerschulden
des Klägers, die seinen Handlungsrahmen gegenüber der Finanzverwaltung einschränken, sowie die Nichtabführung
von Lohnsteuer und Umsatzsteuer in der Vergangenheit, welche ein Indiz für Unzuverlässigkeit in eigenen
Angelegenheiten ist. Außerdem lässt die Beschwerde unberücksichtigt, dass andere Einzelumstände, die der BGH in
seiner Rechtsprechung als für den Entlastungsbeweis sprechend angesehen hat, im Fall des Klägers nach den
Feststellungen des FG gerade nicht vorliegen, nämlich eine gewisse Größe der Sozietät, welche ausreichende
Möglichkeiten der Überwachung des angestellten Anwalts durch andere Sozietätsmitglieder bietet, sowie sein
Bemühen, seine finanziellen Schwierigkeiten in den Griff zu bekommen.
10 Die vom FG vorgenommene Gesamtwürdigung ist nachvollziehbar begründet, frei von Denkfehlern und gibt daher zu
rechtlichen Beanstandungen keinen Anlass. Die Beschwerde setzt ihr lediglich ihre eigene Würdigung entgegen,
ohne Rechtsfehler oder Fragen grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen. Liegt aber der Vermögensverfall vor und ist
der Entlastungsbeweis nicht erbracht, so ist der Widerruf der Bestellung als Steuerberater die vom Gesetz geforderte
Folge und --anders als die Beschwerde meint-- keine "leichtfertige, völlig überzogene" Maßnahme. Die von der
Beschwerde angesprochene Möglichkeit, nur Auflagen zu verhängen oder eine Prüfung der Mandatsverhältnisse
durchzuführen, besteht nicht.
11 2. Die Aufklärung des Sachverhalts betreffende Verfahrensfehler zeigt die Beschwerde nicht auf, indem sie lediglich
behauptet, dass die vom FG behaupteten Steuerschulden "nicht der Realität" entsprächen. Einwendungen gegen die
Richtigkeit des im FG-Urteil festgestellten Tatbestandes sind nicht als Verfahrensmangel im
Nichtzulassungsbeschwerde-Verfahren zu rügen, sondern müssen gegebenenfalls zum Gegenstand eines Antrags
auf Tatbestandsberichtigung (§ 108 FGO) gemacht werden (BFH-Beschluss vom 7. Mai 1999 IX B 20/99, BFH/NV
1999, 1369). Im Übrigen kann der Kläger dem FG keine mangelhafte Sachverhaltsaufklärung vorwerfen, da er trotz
Aufforderung durch das FG weder ein aktuelles Vermögensverzeichnis noch eine Einnahmen-/ Ausgabenaufstellung
vorgelegt hat und damit seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen ist.