Urteil des BFH vom 20.05.2014

Schenkungsteuerrechtliche Behandlung eines vorzeitigen unentgeltlichen Verzichts auf ein vorbehaltenes Nießbrauchsrecht

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 20.5.2014, II R 7/13
Schenkungsteuerrechtliche Behandlung eines vorzeitigen unentgeltlichen Verzichts auf ein
vorbehaltenes Nießbrauchsrecht
Leitsätze
1. Der vorzeitige unentgeltliche Verzicht auf ein vorbehaltenes Nießbrauchsrecht erfüllt als
Rechtsverzicht den Tatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. § 25 Abs. 1 ErbStG a.F. steht dem
nicht entgegen.
2. Eine Doppelerfassung des Nießbrauchsrechts --sowohl bei der Nichtberücksichtigung als
Abzugsposten nach § 25 Abs. 1 Satz 1 ErbStG a.F. oder nach § 10 Abs. 6 Satz 5 ErbStG a.F. als
auch beim späteren Verzicht des Berechtigten-- ist bei der Besteuerung des Nießbrauchsverzichts
durch den Abzug des bei der Besteuerung des Erwerbs des nießbrauchsbelasteten Gegenstandes
tatsächlich unberücksichtigt gebliebenen (Steuer-)Werts des Nutzungsrechts von der
Bemessungsgrundlage (Steuerwert) für den Rechtsverzicht zu beseitigen.
Tatbestand
1 I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) schenkte im Jahr 2002 seinem Sohn (S) einen
Gesellschaftsanteil an einer GmbH und behielt sich den Nießbrauch an dem Anteil vor. Die
gemeinen Werte des Anteils und des Nießbrauchs betrugen 3.600.000 EUR und
1.259.206 EUR.
2 Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte bei der
Festsetzung der Schenkungsteuer für den Anteilserwerb antragsgemäß die
Steuervergünstigungen nach § 13a des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in
der seinerzeit geltenden Fassung (ErbStG) in Höhe von 1.516.800 EUR. Nach Abzug dieses
Betrags vom Anteilswert verblieb ein der Besteuerung zugrunde zu legender Betrag von
2.083.200 EUR. Den Nießbrauch berücksichtigte das FA bei der Ermittlung des
steuerpflichtigen Erwerbs nicht, und zwar gemäß § 10 Abs. 6 Satz 5 ErbStG in Höhe von
530.545 EUR wegen der Gewährung der Steuervergünstigungen nach § 13a ErbStG und im
Übrigen aufgrund des in § 25 Abs. 1 Satz 1 ErbStG geregelten Abzugsverbots. Der nach
§ 25 Abs. 1 Satz 1 ErbStG nicht abgezogene Betrag von 728.661 EUR führte lediglich zu der
in dieser Vorschrift vorgesehenen Stundung der Schenkungsteuer.
3 Mit Vertrag vom 22. Juni 2007 verzichtete der Kläger mit Wirkung zum 1. Januar 2008
unentgeltlich auf das ihm zustehende Nießbrauchsrecht, dessen gemeiner Wert zu diesem
Zeitpunkt 1.623.878 EUR betrug, und übernahm die dadurch ausgelöste Schenkungsteuer.
4 Das FA berücksichtigte bei der dem Kläger gegenüber durch Bescheid vom 29. September
2010 erfolgten Festsetzung der Schenkungsteuer für den Verzicht einen Wert des
Nießbrauchs von 895.217 EUR (1.623.878 EUR ./. 728.661 EUR). Der Ansicht des Klägers,
der bei der Anteilsübertragung gegebene Wert des Nießbrauchs müsse in vollem Umfang
von dessen Wert zum Zeitpunkt des Verzichts abgezogen werden, folgte das FA nicht. Im
Einzelnen berechnete das FA die Steuer von 202.426 EUR wie folgt:
5
5
EUR
Wert des Erwerbs ohne übernommene Schenkungsteuer
895.217
zuzüglich Vorschenkungen (§ 14 ErbStG)
2.565.886
Summe
3.461.103
abzüglich Freibetrag
205.000
steuerpflichtiger Erwerb (abgerundet)
3.256.100
Steuersatz 19 %
Schenkungsteuer des S
618.659
abzüglich Schenkungsteuer für Vorschenkungen
448.552
vom Kläger zu übernehmende Steuer
170.107
zuzüglich Erwerb ohne Vorschenkungen
895.217
Wert des Erwerbs
1.065.324
zuzüglich Vorschenkungen (§ 14 ErbStG)
2.565.886
Summe
3.631.210
abzüglich Freibetrag
205.000
steuerpflichtiger Erwerb (abgerundet)
3.426.200
Steuersatz 19 %
Schenkungsteuer
650.978
abzüglich Schenkungsteuer für Vorschenkungen
448.552
festzusetzende Schenkungsteuer
202.426
6 Der Einspruch blieb erfolglos.
7 Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit der Begründung ab, hinsichtlich des Betrags von
530.545 EUR liege keine unzulässige doppelte Belastung mit Schenkungsteuer vor. Das
Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 533 veröffentlicht.
8 Mit der Revision vertritt der Kläger die Ansicht, der Verzicht auf den Nießbrauch unterliege
lediglich hinsichtlich der seit der Übertragung des Anteils eingetretenen Erhöhung des Werts
des Nießbrauchs der Schenkungsteuer, also mit 364.672 EUR. Die von FA und FG
vorgenommene Steuerberechnung führe hinsichtlich des bei der Steuerfestsetzung für den
Anteilserwerb gemäß § 10 Abs. 6 Satz 5 ErbStG nicht abgezogenen Teilbetrags von
530.545 EUR zu einer unzulässigen Doppelbesteuerung.
9 Der Kläger beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die
Schenkungsteuer für seinen Verzicht auf den Nießbrauch unter Abänderung des Bescheids
vom 29. September 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. Juni 2011 so
festzusetzen, dass der Nießbrauch lediglich mit einem Wert von 364.672 EUR berücksichtigt
wird.
10 Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
11 II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur
antragsgemäßen Herabsetzung der Steuer (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung --FGO--). Entgegen der Ansicht des FG ist der bei der
Steuerfestsetzung für den Anteilserwerb gemäß § 10 Abs. 6 Satz 5 ErbStG nicht
abgezogene Teilbetrag von 530.545 EUR nicht in die Bemessungsgrundlage der Steuer für
den Nießbrauchsverzicht einzubeziehen.
12 1. Die Beteiligten und das FG gehen zu Recht davon aus, dass der Verzicht auf den
Nießbrauch eine freigebige Zuwendung i.S. des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ist. Dass bei der
Besteuerung des Anteilserwerbs der Wert des Nießbrauchs nicht von der
Bemessungsgrundlage der Steuer abgezogen worden war, steht dem nicht entgegen (vgl. im
Einzelnen Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. März 2004 II R 3/01, BFHE 204,
311, BStBl II 2004, 429, unter II.1. und 2.).
13 2. Ebenfalls zutreffend ist die von den Beteiligten und vom FG übereinstimmend vertretene
Ansicht, dass der Anteil am Wert des Nießbrauchs, der bei der Festsetzung der
Schenkungsteuer für den Anteilserwerb nach § 25 Abs. 1 Satz 1 ErbStG nicht von der
Bemessungsgrundlage der Steuer abgezogen wurde, nicht in die Bemessungsgrundlage der
Steuer für den Nießbrauchsverzicht einzubeziehen ist.
14 a) Eine als Folge des Abzugsverbots nach § 25 Abs. 1 Satz 1 ErbStG mögliche zweimalige
steuerliche Erfassung des Nießbrauchs sowohl bei der Nichtberücksichtigung als
Abzugsposten als auch beim späteren Verzicht, würde dem in § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG
verankerten Bereicherungsprinzip widersprechen. Dieses gebietet die Anknüpfung der
Besteuerung an die (Netto-)Bereicherung des Erwerbers und schließt damit die mehrfache
steuerliche Erfassung eines Vermögenszuwachses aus. Eine Doppelerfassung des
Nießbrauchsrechts als Folge des Abzugsverbots muss deshalb bei der Besteuerung des
späteren Nießbrauchsverzichts durch den Abzug des bei der Besteuerung des
nießbrauchsbelasteten Gegenstandes tatsächlich unberücksichtigt gebliebenen (Steuer-
)Werts des Nutzungsrechts von der Bemessungsgrundlage (Steuerwert) für den
Rechtsverzicht beseitigt werden. Eines Rückgriffs auf § 163 der Abgabenordnung bedarf es
in diesen Fällen nicht (BFH-Urteil in BFHE 204, 311, BStBl II 2004, 429, unter II.3.a).
15 b) Der bei der Festsetzung der Schenkungsteuer für den Anteilserwerb nach § 25 Abs. 1
Satz 1 ErbStG nicht von der Bemessungsgrundlage der Steuer abgezogene Teilbetrag von
728.661 EUR ist somit nicht in die Bemessungsgrundlage der Steuer für den
Nießbrauchsverzicht einzubeziehen.
16 3. Der Anteil am Wert des Nießbrauchs, der bei der Festsetzung der Schenkungsteuer für
den Anteilserwerb nach § 10 Abs. 6 Satz 5 ErbStG nicht von der Bemessungsgrundlage der
Steuer abgezogen wurde, ist ebenfalls nicht in die Bemessungsgrundlage der Steuer für den
Nießbrauchsverzicht einzubeziehen. Die im BFH-Urteil in BFHE 204, 311, BStBl II 2004,
429 dargelegten Grundsätze gelten in diesem Zusammenhang gleichermaßen. Für eine
Abweichung hiervon gibt es keine Grundlage. Das Recht, den Nießbrauchsverzicht zu
besteuern, ist hinsichtlich dieses Teilbetrags durch den Nichtabzug bei der Festsetzung der
Schenkungsteuer für den Anteilserwerb ebenso verbraucht wie hinsichtlich des Teilbetrags,
der dabei nach § 25 Abs. 1 Satz 1 ErbStG nicht abgezogen wurde.
17 Dass die in § 10 Abs. 6 Satz 5 ErbStG angeordnete Abzugsbeschränkung auf der
Gewährung der Steuervergünstigungen nach § 13a ErbStG beruht, steht dieser Beurteilung
nicht entgegen. Die Folgen der Abzugsbeschränkung werden nicht rückgängig gemacht,
wenn der nach dieser Vorschrift bei der Bemessung der Steuer für den Anteilserwerb nicht
abgezogene Teilbetrag des Werts des Nießbrauchs bei der Bemessung der Steuer für den
Nießbrauchsverzicht unberücksichtigt bleibt. Sinn und Zweck des § 10 Abs. 6 Satz 5 ErbStG
erfordern es nicht, dass die Summe der Steuerwerte der Bereicherung des Bedachten aus
dem Anteilserwerb und dem Nießbrauchsverzicht abweichend von den zivilrechtlichen
Wertverhältnissen höher sein muss als der Steuerwert, den dessen Bereicherung nach
Anwendung der Steuervergünstigungen des § 13a ErbStG gehabt hätte, wenn er den Anteil
von vornherein ohne Nießbrauchsvorbehalt übertragen erhalten hätte.
18 Die Einbeziehung des Anteils am Wert des Nießbrauchs, der bei der Festsetzung der
Schenkungsteuer für den Anteilserwerb nach § 10 Abs. 6 Satz 5 ErbStG nicht von der
Bemessungsgrundlage der Steuer abgezogen wurde, in die Bemessungsgrundlage der
Steuer für den Nießbrauchsverzicht lässt sich entgegen der Ansicht des FG auch nicht damit
begründen, dass dem Kläger das Nießbrauchsrecht für die Zeit bis zum Verzicht zustand,
während er bei einer von vornherein unbelasteten Übertragung sofort alle Rechte am Anteil
verloren hätte. Entscheidend für die Festsetzung der Schenkungsteuer ist die Bereicherung
des S als Bedachten. Dies gilt unabhängig davon, dass der Kläger die Entrichtung der von S
geschuldeten Steuer selbst übernommen hat. Dies hat gemäß § 10 Abs. 2 ErbStG lediglich
zur Folge, dass als Erwerb der Betrag gilt, der sich bei einer Zusammenrechnung des
Erwerbs nach § 10 Abs. 1 ErbStG mit der aus ihm errechneten Steuer ergibt. Die Übernahme
der Steuer durch den Schenker ändert somit nichts daran, dass die Bereicherung des
Beschenkten abgesehen von der vom Schenker übernommenen Schenkungsteuer nach den
allgemeinen Vorschriften zu bestimmen ist. Bei einer Anteilsübertragung unter
Nießbrauchsvorbehalt und einem vorzeitigen Verzicht des Nießbrauchers auf den
Nießbrauch kommt es somit auf die Bereicherung des Anteilserwerbers und nicht des
Schenkers (Nießbraucher) an.
19 4. Ob der Nießbrauchsverzicht mit einem Wert von 364.672 EUR der Schenkungsteuer
unterliegt, ist nicht Gegenstand der revisionsrechtlichen Prüfung und kann daher auf sich
beruhen.
20 5. Die Schenkungsteuer ist danach auf 82.460 EUR festzusetzen, wie sich aus der
folgenden Berechnung ergibt:
21
EUR
Wert des Erwerbs ohne übernommene Schenkungsteuer
364.672
zuzüglich Vorschenkungen (§ 14 ErbStG)
2.565.886
Summe
2.930.558
abzüglich Freibetrag
205.000
steuerpflichtiger Erwerb (abgerundet)
2.725.500
Steuersatz 19 %
Schenkungsteuer des S
517.845
abzüglich Schenkungsteuer für Vorschenkungen
448.552
vom Kläger zu übernehmende Steuer
69.293
zuzüglich Erwerb ohne Vorschenkungen
364.672
Wert des Erwerbs
433.965
zuzüglich Vorschenkungen (§ 14 ErbStG)
2.565.886
Summe
2.999.851
abzüglich Freibetrag
205.000
steuerpflichtiger Erwerb (abgerundet)
2.794.800
Steuersatz 19 %
Schenkungsteuer
531.012
abzüglich Schenkungsteuer für Vorschenkungen
448.552
festzusetzende Schenkungsteuer
82.460