Urteil des BFH vom 12.02.2014

Erbengemeinschaft als selbständiger Rechtsträger im Grunderwerbsteuerrecht

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 12.2.2014, II R 46/12
Erbengemeinschaft als selbständiger Rechtsträger im Grunderwerbsteuerrecht
Leitsätze
1. Vereinigen sich mindestens 95 % der Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft in der
Hand einer Erbengemeinschaft, wird diese nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG
grunderwerbsteuerrechtlich so behandelt, als habe sie das Grundstück von der Gesellschaft
erworben.
2. Reicht der vom Grunderwerbsteuerbescheid erfasste Lebenssachverhalt nicht aus, um den
Tatbestand, an den das GrEStG die Steuerpflicht knüpft, zu erfüllen, ist der Bescheid rechtswidrig.
Der im Bescheid bezeichnete --nicht steuerbare-- Lebenssachverhalt kann nicht durch einen
anderen --steuerbaren-- ersetzt werden.
3. Sind die Anteile an einer Gesellschaft bereits aufgrund eines vorausgegangenen
Rechtsgeschäfts in einer Hand vereinigt, weil das nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG erforderliche
Quantum von 95 % der Anteile erfüllt ist, unterliegt der Erwerb der restlichen Anteile nicht
zusätzlich der Besteuerung.
Tatbestand
1 I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine aus zwei Miterben bestehende
ungeteilte Erbengemeinschaft nach dem am 24. August 2007 verstorbenen K. K war im
Zeitpunkt seines Todes mit einem Anteil von 85 % an einer GmbH beteiligt. Die übrigen
15 % der Anteile standen im Eigentum des P. Zum Gesellschaftsvermögen der GmbH gehört
umfangreicher Grundbesitz.
2 Am 10. September 2007 (UR-Nr. 1175/2007) beschloss die Gesellschafterversammlung der
GmbH eine Kapitalerhöhung um 400.000 EUR, an der die Gesellschafter im Verhältnis ihrer
bisherigen Anteile zur Übernahme zugelassen waren. Danach sollten auf K 340.000 EUR
und auf P 60.000 EUR entfallen. Falls ein Gesellschafter die Übernahme seines Anteils an
der Kapitalerhöhung innerhalb einer bestimmten Frist nicht erklärt, sollte der andere
Gesellschafter zur Übernahme der Anteile berechtigt sein.
3 Am 24. September 2007 erklärte ein Bevollmächtigter des K, dessen Vollmacht auch nach
dem Tod fortbestand, die Übernahme der auf K entfallenden Anteile aus der
Kapitalerhöhung. Am 18. Oktober 2007 erklärte er auch die Übernahme des Anteils des P,
nachdem dieser innerhalb der Frist keine Übernahmeerklärung abgegeben hatte. Nach der
Kapitalerhöhung entfiel auf K eine Beteiligung in Höhe von 485.000 EUR (97 %) und auf P
eine solche in Höhe von 15.000 EUR (3 %). Am 27. Februar 2008 (UR-Nr. 247/2008)
übertrug P seinen Geschäftsanteil von 15.000 EUR auf die Klägerin.
4 Mit Bescheid vom 23. März 2009 setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt
--FA--) gegenüber einer Miterbin als Testamentsvollstreckerin für die Klägerin
Grunderwerbsteuer in Höhe von 226.500 EUR unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest. In
dem Bescheid ist als besteuerter Sachverhalt die Kapitalerhöhung mit dem Datum
10. September 2007 und der UR-Nr. 1175/2007 bezeichnet. Als Bemessungsgrundlage
wurde zunächst ein geschätzter Bedarfswert für die der GmbH gehörenden Grundstücke in
Höhe von 6.471.444 EUR angesetzt. Dagegen legte die Klägerin Einspruch ein.
5 Mit Bescheid vom 3. Juni 2009 stellte das Lagefinanzamt den Grundbesitzwert auf den
27. Februar 2008 auf 9.748.500 EUR fest. Über den hiergegen erhobenen Einspruch hat das
Lagefinanzamt noch nicht entschieden. Das Verfahren ruht im Hinblick auf die beim
Bundesverfassungsgericht (BVerfG) unter den Aktenzeichen 1 BvL 13/11 und 1 BvL 14/11
anhängigen Verfahren (Vorlagebeschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 2. März 2011
II R 23/10, BFHE 232, 358, BStBl II 2011, 932, und vom 2. März 2011 II R 64/08, BFH/NV
2011, 1009) wegen der möglichen Verfassungswidrigkeit der Ermittlung des
Grundbesitzwerts nach § 138 des Bewertungsgesetzes (BewG).
6 Am 25. November 2009 erließ das FA einen auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der
Abgabenordnung (AO) gestützten Änderungsbescheid und setzte unter Berücksichtigung
des festgestellten Grundbesitzwerts die Steuer auf 341.197 EUR fest. In dem Bescheid ist
als besteuerter Sachverhalt die Vereinigung aller Anteile bei der GmbH mit dem Datum
27. Februar 2008 und den UR-Nrn. 1175/2007 und 247/2008 bezeichnet. Gegen diesen
Bescheid legte die Klägerin ebenfalls Einspruch ein.
7 Mit Einspruchsentscheidung vom 5. Oktober 2011 erklärte das FA die Festsetzung der
Grunderwerbsteuer wegen der Frage, ob die Heranziehung der Grundbesitzwerte i.S. des
§ 138 BewG als Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer verfassungsgemäß ist,
nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO für vorläufig und wies den Einspruch als unbegründet
zurück. Die Einspruchsentscheidung erging zu "Grunderwerbsteuer 2008; Vereinigung aller
Anteile zum 10.09.2007".
8 Die dagegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat die
Auffassung, die Klage sei unzulässig, soweit sie sich gegen die Ermittlung des
Grundbesitzwerts wende. Die insoweit erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken seien
im Verfahren gegen den Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwerts
geltend zu machen. Zudem sei der Bescheid nach § 165 AO vorläufig, so dass der Klage
insoweit auch das Rechtsschutzinteresse fehle. Im Übrigen sei die Klage unbegründet. Eine
Erbengemeinschaft könne in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit Erwerberin i.S. des
§ 1 Abs. 3 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) sein. Der Tatbestand dieser
Vorschrift sei dadurch erfüllt, dass die Klägerin insgesamt 97 % der Anteile an der GmbH
durch die auf K entfallende Kapitalerhöhung erlangt habe.
9 Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin. In verfahrensrechtlicher Hinsicht rügt sie,
dass die Klage als unzulässig abgewiesen worden sei, soweit ihre Einwendungen sich
gegen die Zugrundelegung des Grundbesitzwerts richteten. Das FG hätte trotz des
Vorläufigkeitsvermerks das Verfahren bis zur Entscheidung des BVerfG in den dort
anhängigen Verfahren ruhen lassen oder durch Teilurteil entscheiden müssen. In materieller
Hinsicht rügt die Klägerin die Verletzung des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG. Für die Frage, wer
Erwerber im Sinne dieser Vorschrift sei, müsse darauf abgestellt werden, wer in bürgerlich-
rechtlichem Sinne Rechtsträger der Anteile sei. Nach dem Tod des K habe nicht die Klägerin
als Erbengemeinschaft die Anteile geerbt, sondern die einzelnen Erben. Eine
Erbengemeinschaft sei keine durch einen gemeinsamen Zweck verbundene, sondern eine
auf Auflösung gerichtete Gemeinschaft.
10 Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung, den Grunderwerbsteuerbescheid vom 23. März
2009, den Änderungsbescheid vom 25. November 2009 und die Einspruchsentscheidung
vom 5. Oktober 2011 aufzuheben.
11 Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
12 II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, der
Einspruchsentscheidung und beider Grunderwerbsteuerbescheide (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1
der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zwar zutreffend angenommen, dass die
Klägerin als Erbengemeinschaft in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit Erwerberin i.S.
des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG sein kann. Es hat jedoch nicht erkannt, dass weder durch die
Kapitalerhöhung vom 10. September 2007 noch durch den Erwerb des Geschäftsanteils des
P durch die Klägerin am 27. Februar 2008 ein der Grunderwerbsteuer unterliegender
Erwerbsvorgang verwirklicht wurde.
13 1. Eine Erbengemeinschaft kann in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit Erwerberin i.S.
des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG sein.
14 a) Nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG unterliegt ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf
Übertragung eines oder mehrerer Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft begründet,
der Grunderwerbsteuer, wenn durch die Übertragung unmittelbar oder mittelbar mindestens
95 % der Anteile der Gesellschaft in der Hand des Erwerbers vereinigt werden würden. Mit
dem Anteilserwerb wird grunderwerbsteuerrechtlich derjenige, in dessen Hand sich die
Anteile vereinigen, so behandelt, als habe er die Grundstücke von der Gesellschaft
erworben, deren Anteile sich in seiner Hand vereinigen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-
Urteile vom 2. April 2008 II R 53/06, BFHE 220, 550, BStBl II 2009, 544; vom 23. Mai 2012
II R 21/10, BFHE 237, 466, BStBl II 2012, 793, Rz 12, und vom 11. Juni 2013 II R 52/12,
BFHE 241, 419, BStBl II 2013, 752, Rz 10). Die Vorschrift trägt dem Umstand Rechnung,
dass demjenigen, der mindestens 95 % der Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft
in seiner Hand vereinigt, eine dem zivilrechtlichen Eigentum an einem Grundstück
vergleichbare Rechtszuständigkeit an dem Gesellschaftsgrundstück zuwächst (BFH-
Beschluss vom 15. Dezember 2006 II B 26/06, BFH/NV 2007, 500; Fischer in Boruttau,
Grunderwerbsteuergesetz, 17. Aufl., § 1 Rz 906).
15 b) Anteile an einer Gesellschaft können sich i.S. des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG in der Hand
einer Erbengemeinschaft vereinigen.
16 Die Erbengemeinschaft ist selbständiger Rechtsträger im Sinne des
Grunderwerbsteuerrechts (vgl. BFH-Urteile vom 15. Mai 1957 II 102/56 U, BFHE 65, 14,
BStBl III 1957, 238, und vom 13. November 1974 II R 26/74, BFHE 114, 288, BStBl II 1975,
249, jeweils m.w.N.; Fischer in Boruttau, a.a.O., § 1 Rz 73; Pahlke/Franz,
Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 4. Aufl., § 1 Rz 51). Sie kann ein Grundstück aus
dem Nachlass veräußern oder für den Nachlass erwerben. Dem steht nicht entgegen, dass
die Erbengemeinschaft nicht auf Dauer angelegt, sondern auf Auseinandersetzung gerichtet
ist (BFH-Urteil vom 9. Dezember 2009 II R 37/08, BFHE 228, 172, BStBl II 2010, 489).
Unschädlich ist auch, dass sie über keine eigenen Organe verfügt, durch die sie im
Rechtsverkehr handeln könnte, und kein eigenständiges, handlungsfähiges Rechtssubjekt
ist (vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 17. Oktober 2006 VIII ZB 94/05, Neue
Juristische Wochenschrift 2006, 3715, m.w.N.). Die grunderwerbsteuerrechtliche
Selbständigkeit der Erbengemeinschaft nach außen folgt aus deren bürgerlich-rechtlicher
Selbständigkeit als Zurechnungssubjekt des gesamthänderisch gebundenen
Sondervermögens (Pahlke/Franz, a.a.O., § 1 Rz 51). Auch wenn jeder Miterbe jederzeit die
Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft verlangen kann (§ 2042 Abs. 1 des
Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--), sind die Miterben während des Bestehens der
Erbengemeinschaft zum gemeinsamen Handeln verpflichtet (§ 2038 Abs. 1 Satz 1 BGB;
Palandt/Weidlich, Bürgerliches Gesetzbuch, 73. Aufl., Einf v § 2032 Rz 2).
17 Nichts anderes gilt im Anwendungsbereich des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG. Diese Vorschrift
stellt Rechtshandlungen, die auf die Vereinigung von Anteilen in einer Hand gerichtet sind
und zu einem Wechsel der Rechtsträgerschaft an diesen Anteilen führen, dem
zivilrechtlichen Grundstückserwerb gleich (vgl. Fischer in Boruttau, a.a.O., § 1 Rz 906). Es
handelt sich um einen Ergänzungstatbestand, der Vorgänge auf gesellschaftsrechtlicher
Ebene erfasst, die ihrer wirtschaftlichen Bedeutung nach dem Erwerb eines Grundstücks
gleichstehen. Mit dem Erwerb von mindestens 95 % der Anteile an der Gesellschaft wird
deren Inhaber so behandelt, als habe er die zum Aktivvermögen der Gesellschaft
gehörenden Grundstücke von der Gesellschaft erworben, deren Anteile sich in seiner Hand
vereinigen (vgl. oben II.1.a). Erlangt eine Erbengemeinschaft mindestens 95 % der Anteile
an der grundbesitzenden Gesellschaft, wird sie gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG
grunderwerbsteuerrechtlich so behandelt, als habe sie das Grundstück von der Gesellschaft
erworben. Den Miterben steht nur gemeinschaftlich und nicht etwa jedem einzelnen Miterben
entsprechend seinem Erbanteil der Anteil an der grundbesitzenden Gesellschaft zu. Beträgt
dieser mindestens 95 %, hat die Erbengemeinschaft insgesamt eine dem zivilrechtlichen
Eigentum an einem Grundstück vergleichbare Rechtszuständigkeit an dem Grundstück. Alle
Entscheidungen, die den Anteil und damit auch das Grundstück betreffen, können die
Miterben bis zu deren Auseinandersetzung nur gemeinsam als Erbengemeinschaft treffen.
18 2. Das FG hat jedoch nicht erkannt, dass das FA sowohl dem Ausgangs- als auch dem
Änderungsbescheid keine grunderwerbsteuerbaren Sachverhalte zugrunde gelegt hat.
Weder der im Grunderwerbsteuerbescheid vom 23. März 2009 als Rechtsvorgang benannte
Kapitalerhöhungsbeschluss vom 10. September 2007 noch die im Bescheid vom
25. November 2009 als Rechtsvorgang benannte Vereinigung aller Anteile am 27. Februar
2008 erfüllt den Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG. Der Tatbestand des § 1 Abs. 3
Nr. 1 GrEStG ist vielmehr durch die Erklärung des Bevollmächtigten des K vom 18. Oktober
2007, den Anteil des P an der Kapitalerhöhung zu übernehmen, erfüllt worden.
19 a) Durch den Beschluss über die Kapitalerhöhung vom 10. September 2007 haben sich die
Anteile nicht in der Hand der Klägerin vereinigt.
20 Der Beschluss über die Kapitalerhöhung begründete für sich genommen noch keinen
Anspruch auf Übertragung von Gesellschaftsanteilen, aufgrund dessen mindestens 95 % in
der Hand der Klägerin vereinigt waren. Die Gesellschafter haben hierin ausdrücklich
vereinbart, dass die bisherigen Gesellschafter in demselben Umfang, in dem sie bislang an
der Gesellschaft beteiligt waren, an der Kapitalerhöhung teilnehmen durften. Durch den
Beschluss hat die Klägerin keinen Anspruch auf eine höhere Beteiligung als die bis dahin
gehaltenen 85 % der Anteile erlangt. Erst durch die Erklärung vom 18. Oktober 2007, auch
den auf den Gesellschafter P entfallenden Anteil an der Kapitalerhöhung zu übernehmen, ist
der Anteil der Klägerin auf 97 % angewachsen. Es kann dahinstehen, ob bereits im Zeitpunkt
der Beschlussfassung am 10. September 2007 faktisch feststand, dass der Gesellschafter P
sich nicht an der Kapitalerhöhung beteiligen werde, denn rechtlich war ihm dies innerhalb
der eingeräumten Frist noch möglich. Bis dahin war der Anspruch auf Übereignung der
Anteile sowohl hinsichtlich der Ausübung des Übernahmerechts durch P als auch
hinsichtlich der Erklärung der Klägerin, auch den Anteil des P zu übernehmen, aufschiebend
bedingt.
21 b) Der Erwerb der restlichen Anteile des Gesellschafters P am 27. Februar 2008 unterliegt
ebenfalls nicht der Besteuerung nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG.
22 Sind die Anteile an einer Gesellschaft bereits aufgrund eines vorausgegangenen
Rechtsgeschäfts in einer Hand vereinigt, weil das nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG erforderliche
Quantum von 95 % erfüllt ist, unterliegt der Erwerb der restlichen Anteile nicht zusätzlich der
Besteuerung. Insoweit gilt nichts anderes, als wenn der Anteilseigner das notwendige
Quantum bereits zuvor teils unmittelbar und teils mittelbar hält und nachfolgend alle Anteile
unmittelbar in der Hand des Anteilseigners vereinigt werden (vgl. BFH-Urteile vom
20. Oktober 1993 II R 116/90, BFHE 172, 538, BStBl II 1994, 121, und vom 12. Januar 1994
II R 130/91, BFHE 173, 229, BStBl II 1994, 408; Fischer in Boruttau, a.a.O., § 1 Rz 881, 980).
23 Mit der Erklärung des Bevollmächtigten vom 18. Oktober 2007, auch den Anteil des
Gesellschafters P an der Kapitalerhöhung zu übernehmen, waren bereits zu diesem
Zeitpunkt 97 % der Anteile an der GmbH in der Hand der Klägerin vereinigt. Der
nachfolgende Erwerb der restlichen 3 % der Anteile führte lediglich zu einer Verstärkung der
Beteiligung und erfüllte nicht (nochmals) den Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG.
24 c) Weder der Grunderwerbsteuerbescheid vom 23. März 2009 noch der als
Änderungsbescheid bezeichnete Grunderwerbsteuerbescheid vom 25. November 2009,
jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. Oktober 2011, können dahingehend
ausgelegt werden, dass das FA die Steuer für den zutreffenden Rechtsvorgang habe
festsetzen wollen.
25 Gemäß § 119 AO muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein.
Steuerbescheide müssen die festgesetzte Steuer nach Art und Betrag bezeichnen und
angeben, wer die Steuer schuldet (§ 157 Abs. 1 Satz 2 AO). Bei
Grunderwerbsteuerbescheiden ist die Angabe des zu besteuernden Erwerbsvorgangs
unerlässlich (BFH-Urteile vom 13. September 1995 II R 80/92, BFHE 178, 468, BStBl II
1995, 903, und vom 22. August 2007 II R 44/05, BFHE 218, 494, BStBl II 2009, 754). Ob
diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist im Wege der Auslegung unter Berücksichtigung der
Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. Entscheidend sind der erklärte Wille
der Behörde und der sich daraus ergebende objektive Erklärungsinhalt der Regelung, wie
ihn der Betroffene nach den ihm bekannten Umständen unter Berücksichtigung von Treu und
Glauben verstehen konnte (BFH-Urteil vom 21. Juli 2011 II R 7/10, BFH/NV 2011, 1835,
m.w.N.).
26 Ein Grunderwerbsteuerbescheid ist zwar nicht allein deshalb rechtswidrig, weil der der
Besteuerung unterworfene Rechtsvorgang nicht an dem in dem Steuerbescheid genannten,
sondern an einem anderen Tage zustande gekommen ist (BFH-Beschluss vom 17. März
2006 II B 157/05, BFH/NV 2006, 1341, m.w.N.). Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn die
Behörde einen anderen als den im Steuerbescheid benannten Erwerbsvorgang besteuern
wollte (vgl. Pahlke/Franz, a.a.O., Vorb § 15 Rz 3). Reicht der vom
Grunderwerbsteuerbescheid erfasste Lebenssachverhalt nicht aus, um den Tatbestand, an
den das GrEStG die Steuerpflicht knüpft, zu erfüllen, ist der Bescheid rechtswidrig, ohne
dass die Behörde --etwa im Einspruchsverfahren (vgl. BFH-Urteil vom 28. Juli 1993
II R 50/90, BFH/NV 1993, 712)-- den im Bescheid bezeichneten --unzutreffenden--
Erwerbsvorgang durch einen anderen --zutreffenden-- ersetzen könnte (vgl. Pahlke/Franz,
a.a.O., Vorb § 15 Rz 3). Das gilt insbesondere für Erwerbsvorgänge, bei denen mangels
Vereinbarung einer Gegenleistung eine Bewertung des Grundstücks gemäß § 8 Abs. 2
GrEStG vorzunehmen ist, denn die Bewertung hat auf den zutreffenden Zeitpunkt zu
erfolgen. Dieser muss im Wege der Auslegung unmissverständlich dem
Grunderwerbsteuerbescheid zu entnehmen sein.
27 Im Streitfall bezeichnen die beiden angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheide vom
23. März 2009 und vom 25. November 2009 jeweils Rechtsvorgänge, die den Tatbestand
des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG nicht erfüllen. Die Rechtsvorgänge, die der Besteuerung
unterworfen wurden, sind im Einzelnen jeweils unter Angabe von Datum und UR-Nr. genau
bezeichnet. Sie können gegen ihren Wortlaut nicht dahingehend ausgelegt werden, dass sie
statt der bezeichneten Rechtsvorgänge die durch die Erklärung vom 18. Oktober 2007
ausgelöste Anteilsvereinigung erfassen sollten. Die Vorentscheidung war aus diesen
Gründen aufzuheben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO).
28 3. Die Sache ist spruchreif.
29 Die mit der Klage angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheide vom 23. März 2009 und vom
25. November 2009, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. Oktober 2011,
sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Sie unterwerfen
Rechtsvorgänge der Besteuerung, die nicht den Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG
erfüllen (s.o. unter II.2.). Es kann daher dahinstehen, ob das FG trotz des
Vorläufigkeitsvermerks das Verfahren bis zur Entscheidung des BVerfG in den dort
anhängigen Verfahren zur Grundbesitzbewertung hätte ruhen lassen müssen.