Urteil des BFH vom 08.05.2014

Reserveoffiziersanwärterausbildung ist Berufsausbildung

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 8.5.2014, III R 41/13
Reserveoffiziersanwärterausbildung ist Berufsausbildung
Leitsätze
Ein Reserveoffiziersanwärter wird auch dann für einen Beruf ausgebildet, wenn nicht abzusehen
ist, ob er einen Antrag auf Verlängerung der Dienstzeit oder die Übernahme als Berufssoldat
stellen oder am Ende seiner Dienstzeit aus der Bundeswehr ausscheiden und sodann einen
anderen Beruf ergreifen wird.
Tatbestand
1 I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Vater eines im September 1991 geborenen
Sohnes, der im Juni 2011 die allgemeine Hochschulreife erwarb und seit dem 1. Juli 2011
unter Berufung in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit bei der Bundeswehr zum
Reserveoffizier ausgebildet wird.
2 Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) hob die Festsetzung des Kindergeldes
ab August 2011 gemäß § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf und wies den
dagegen gerichteten Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 1. Februar 2012 als
unbegründet zurück, weil die Ausbildung als Reserveoffiziersanwärter nicht als
Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG angesehen werden könne.
3 Die Klage blieb hinsichtlich der Monate August bis Dezember 2011 wegen Überschreitung
des Grenzbetrages ohne Erfolg (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG a.F.). Das Finanzgericht (FG) gab
der Klage jedoch statt, soweit sie die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für die Monate
Januar und Februar 2012 betraf, da es nach Einholung von Auskünften beim Heeresamt
davon ausging, dass es sich bei der 36 Monate dauernden Ausbildung zum Reserveoffizier
um eine Ausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG handele. Die Ausbildung
zum Reserveoffizier entspreche nach Ablauf, Inhalten und Dauer der Ausbildung zum aktiven
Offiziersanwärter des Truppendienstes ohne Studium. Laufbahnrechtlich könnten
Reserveoffiziersanwärter als Offiziersanwärter übernommen und Reserveoffiziere zu
Berufsoffizieren ernannt werden. Von dieser Möglichkeit mache ein Teil der Anwärter und der
Reserveoffiziere tatsächlich Gebrauch. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG verlange im
Übrigen nicht die Absicht des Kindes, im erlernten Beruf tatsächlich tätig zu werden.
4 Die Familienkasse rügt die Verletzung materiellen Rechts.
5 Die Familienkasse beantragt, das FG-Urteil aufzuheben, soweit der Aufhebungs- und
Rückforderungsbescheid und die Einspruchsentscheidung aufgehoben wurden, und die
Klage auch insofern abzuweisen.
6 Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
7 II. Die Revision ist unbegründet und zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zutreffend entschieden, dass der Sohn des
Klägers als Reserveoffiziersanwärter für einen Beruf ausgebildet wurde.
8 Für ein volljähriges Kind besteht nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4
Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG Anspruch auf Kindergeld, wenn es für einen Beruf ausgebildet
wird. Der Begriff der Berufsausbildung wird vom EStG mehrfach verwendet (z.B. auch in § 10
Abs. 1 Nr. 7, § 12 Nr. 5, § 33a Abs. 2 EStG), aber nicht näher beschrieben. Nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) befindet sich in Berufsausbildung, wer sein
Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet.
Dieser Vorbereitung dienen alle Maßnahmen, bei denen Kenntnisse, Fähigkeiten und
Erfahrungen erworben werden, die als Grundlage für die Ausübung des angestrebten Berufs
geeignet sind (z.B. Senatsurteil vom 15. März 2012 III R 82/10, BFH/NV 2012, 1588).
9 a) Das FG hat --für den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindend-- festgestellt, dass die vom
Sohn des Klägers betriebene Ausbildung zum Reserveoffizier der Ausbildung der aktiven
Offiziersanwärter des Truppendienstes ohne Studium entspricht, die nach dem BFH-Urteil
vom 16. April 2002 VIII R 58/01 (BFHE 199, 111, BStBl II 2002, 523) eine Berufsausbildung
i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG ist.
10 b) Das FG hat weiter festgestellt, dass Reserveoffiziersanwärter wie der Sohn des Klägers
als Offiziersanwärter übernommen oder Reserveoffiziere nach bestandener Offiziersprüfung
zu Berufsoffizieren ernannt werden können. Daher eignet sich die Ausbildung zum
Reserveoffiziersanwärter auch als Grundlage für die Ausübung des Offiziersberufs.
11 c) Unerheblich ist, dass sich der Sohn des Klägers noch nicht festgelegt hat, ob er einen
Antrag auf Verlängerung der Dienstzeit oder auf Übernahme als Berufssoldat stellen, oder
am Ende der Dienstzeit als Reserveoffizier aus der Bundeswehr ausscheiden wird.
12 aa) Wer sich ernsthaft und nachhaltig Fähigkeiten aneignet, die sich als Grundlage für die
Ausübung eines Berufs eignen, befindet sich auch dann in Berufsausbildung, wenn er
diesen Beruf später tatsächlich nicht ausüben will. Nimmt ein Kind an einem regulären,
typischen Ausbildungsgang teil, so bedarf es keiner weiteren Prüfung, wie die dort erlangten
Kenntnisse in Zukunft beruflich verwertet werden sollen.
13 bb) Dies gilt umso mehr, wenn die durch die Ausbildung vermittelten Kenntnisse,
Fähigkeiten oder Abschlüsse bzw. Titel auch für andere Berufe nützlich sind, was für die
Reserveoffiziersausbildung z.B. wegen der dabei vermittelten fachlichen- und
Führungsfähigkeiten oder im Hinblick auf die Anstellung bei einem für die Bundeswehr
tätigen Unternehmen zutrifft.
14 cc) Die Rechtsprechung hat --worauf die Familienkasse zutreffend hinweist-- unter
Berufsausbildung i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG die Erlangung der für die
Ausübung des angestrebten Berufs geeigneten Grundlagen verstanden (z.B. BFH-Urteile in
BFHE 199, 111, BStBl II 2002, 523, betr. freiwilliges soziales Jahr; vom 26. August 2010
III R 88/08, BFH/NV 2011, 26, betr. Traineetätigkeit). Dabei wurde indessen eine
Berücksichtigung in keinem Falle abgelehnt, weil das Kind nicht einen der Ausbildung
entsprechenden Beruf anstrebte. Die gründliche und systematische Erlangung von
berufsnützlichen Kenntnissen wurde vielmehr auch dann als Ausbildung angesehen, wenn
das Kind noch keine oder andersartige berufliche Pläne hatte.
15 Der Senat hat dementsprechend z.B. in mehreren Entscheidungen zu Au-pair-Verhältnissen
den Umfang der begleitenden Sprachkurse geprüft und diese als Ausbildung gewürdigt,
wenn sie mindestens zehn Wochenstunden umfassten, ohne zu erörtern, welchen Beruf das
Kind anstrebte und ob der Sprachunterricht dazu einen konkreten Bezug aufwies.
16 dd) Ein Kind wird nicht für einen Beruf ausgebildet, wenn nicht die Erlangung beruflicher
Qualifikationen, sondern die Erbringung von Arbeitsleistungen im Vordergrund steht
(Senatsurteil in BFH/NV 2011, 26), oder wenn --wie regelmäßig bei Freiwilligendiensten
(Senatsurteil vom 9. Februar 2012 III R 78/09, BFH/NV 2012, 940)-- die Erlangung sozialer
Erfahrungen und die Stärkung des Verantwortungsbewusstseins und nicht die Vorbereitung
auf einen Beruf bezweckt wird.
17 ee) Die konkreten beruflichen Pläne eines Kindes können jedoch die Würdigung von
Tätigkeiten beeinflussen, deren Ausbildungscharakter zweifelhaft ist, sofern ein enger Bezug
zwischen ihnen und einem späteren Studium, einer betrieblichen Ausbildung oder einem
angestrebten Beruf besteht. Deshalb kann z.B. ein Sprachaufenthalt im Ausland auch dann
als Berufsausbildung anerkannt werden, wenn der Unterricht zwar weniger als zehn
Wochenstunden umfasst, aber der Auslandsaufenthalt von einer Ausbildungs- oder
Prüfungsordnung zwingend vorgeschrieben ist oder dazu dient, ein gutes Ergebnis in einem
für die Zulassung zum angestrebten Studium oder zu einer anderweitigen Ausbildung
erforderlichen Fremdsprachentest (z.B. TOEFL oder IELTS) zu erlangen (Senatsurteil in
BFH/NV 2012, 1588, betr. Au-pair).