Urteil des BFH vom 15.01.2014

Erhebung eines Zusatzzolls bei der Einreihung im vereinfachten Verfahren; Tarifierung als "Leggings" bezeichneter Waren

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 15.1.2014, VII R 22/13
Erhebung eines Zusatzzolls bei der Einreihung im vereinfachten Verfahren; Tarifierung als
"Leggings" bezeichneter Waren
Leitsätze
1. An die zugelassene vereinfachte Einreihung nach den Regeln des Art. 81 ZK ist der
Zollschuldner gebunden, wenn er es unterlassen hat, die Ungültigerklärung der Zollanmeldungen
gemäß Art. 66 ZK i.V.m. Art. 251 ZKDVO zu beantragen und neue Zollanmeldungen abzugeben.
2. Die Vereinfachungsvorschrift des Art. 81 ZK betrifft die Einfuhrabgaben nach Art. 4 Nr. 10 1.
Anstrich ZK "Zölle und Abgaben mit gleicher Wirkung bei der Einfuhr von Waren". Darunter fällt
auch der Zusatzzoll aus der VO Nr. 673/2005.
3. Als "Leggings" bezeichnete Beinkleider aus synthetischen Chemiefasern, die die Beine und den
Unterkörper bekleiden, sind Hosen der Unterpos. 6104 63 00 KN. Sie sind nicht als "Gamaschen
und ähnliche Waren sowie Teile davon" der Pos. 6406 KN gemäß Anmerkung 1 Buchst. n zu
Abschnitt XI aus diesem Abschnitt ausgewiesen.
Tatbestand
1 I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ließ von August bis
Dezember 2009 96 Sendungen Warensortimente mit Ursprung in den USA in den
zollrechtlich freien Verkehr überführen. Zugleich beantragte sie die Abfertigung zum
höchsten Zollsatz nach Art. 81 des Zollkodex (ZK) und meldete die Waren unter der
Unterpos. 6109 10 10 der Kombinierten Nomenklatur (KN) für T-Shirts an. Die Zollstelle
nahm die Anträge an und fertigte die Waren antragsgemäß ab. Bei stichprobenhaften
Beschaffenheitsbeschauen, die u.a. auch die hier zu beurteilenden Sendungen erfassten,
hatte das Zollamt keine anderen Waren als T-Shirts festgestellt.
2 Eine Zollprüfung des Prüfungsdienstes des Beklagten und Revisionsbeklagten
(Hauptzollamt --HZA--) im Jahr 2012 bei der Klägerin ergab, dass die 96 Sendungen als
"Nylon Tricot Legging", "Nylon Tricot High-Waist Legging", "Printet Nylon Legging", "Shiny
Legging" und "Shiny High-Waist Legging" bezeichnete Waren enthielten.
3 Bei diesen Waren handelte es sich um Bekleidungsstücke, die zu 100 % aus synthetischen
Chemiefasern gewirkt waren. Die in Größen für Erwachsene konfektionierten
Bekleidungsstücke waren hosenähnlich und wiesen knöchellange Beine ohne Fußteile auf.
Sie hatten einen die Taille abschließenden elastischen Bund in unterschiedlicher Breite (2,5
bis 12,7 cm). An den Kleidungsstücken waren vorn weder eine Öffnung noch ein Verschluss,
aber Nähte an den Innenseiten der Beine vorhanden. Merkmale, die auf einen bestimmten
Trägerkreis hinwiesen, waren nicht feststellbar. Die Bekleidungsstücke konnten ohne
Weiteres als eine lange, den Unterkörper bedeckende Hose getragen werden.
4 Der Prüfungsdienst reihte diese Waren in die Unterpos. 6104 63 00 KN ein und stellte fest,
dass sich daraus neben dem Zollsatz von 12 % ein Zusatzzoll von weiteren 15 % ergebe.
Das HZA folgte den Feststellungen und erhob von der Klägerin Zusatzzoll und Zoll nach.
5 Einspruch und Klage, mit welchen die Klägerin die Einreihung der Leggings in die
Unterpos. 6406 90 90 KN, hilfsweise in die Unterpos. 6115 21 KN beanspruchte und geltend
machte, der auf der Verordnung (EG) Nr. 673/2005 (VO Nr. 673/2005) des Rates vom
25. April 2005 zur Einführung zusätzlicher Zölle auf die Einfuhren bestimmter Waren mit
Ursprung in den Vereinigten Staaten von Amerika (Amtsblatt der Europäischen Union --
ABlEU-- Nr. L 110/1) beruhende Zusatzzoll sei auf die zutreffende Tarifposition nicht
anwendbar, im Übrigen sei bei einer Einreihung auf Antrag nach Art. 81 ZK nur die
Anwendung des in der KN vorgesehenen höchsten Zollsatzes gestattet, blieben erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) urteilte, der für die Nacherhebung der Zollschuld nach Art. 220
Abs. 1 Satz 1 ZK maßgebliche Zollsatz ergebe sich nach Art. 20 Abs. 1 ZK aus dem Zolltarif,
im Streitfall aus der VO Nr. 673/2005 i.d.F. der Verordnung (EG) Nr. 317/2009
(VO Nr. 317/2009) der Kommission vom 17. April 2009 (ABlEU Nr. L 100/6), einer sonstigen
Gemeinschaftsregelung i.S. des Art. 20 Abs. 3 Buchst. g ZK, die für Waren der
Unterpos. 6104 63 00 KN einen Zusatzzoll von 15 % des Wertes der eingeführten Waren
vorsehe. Bei den streitgegenständlichen Leggings handele es sich um lange Hosen, aus
Gewirken und Gestricken, für Frauen und Mädchen, die in die Pos. 6104 KN und innerhalb
dieser Position aufgrund der synthetischen Spinnstoffe, aus denen sie bestehen, in die
Unterpos. 6104 63 00 KN einzureihen seien.
6 Sie seien nicht als Waren der Pos. 6406 KN oder der Pos. 6115 KN einzureihen. Unter die
Pos. 6406 KN fielen --u.a.-- Gamaschen und ähnliche Waren, aber keine hosenähnlichen
Waren. Das ergebe sich auch aus den für die Auslegung maßgeblichen französischen und
englischen Fassungen. Nach den Warenbezeichnungen in französischer Sprache handelt
es sich bei "guêtres" um Gamaschen und Halbgamaschen, und bei "jambières" um
Beinschienen, Beinschützer, Beinschutz, Gamaschen, sog. Legwarmer und Stulpen. In der
englischen Fassung fänden sich neben "gaiters", das sind Stulpen oder Gamaschen, zwar
"leggings and similar articles". Auch diese Bezeichnungen ließen aber nicht erkennen, dass
die darunter fallenden Waren hosenähnlich sein dürften, nämlich ein beide Beine und den
Unterkörper bedeckendes Kleidungsstück sein könnten. Der Begriff "leggings" habe im
Englischen zwei Bedeutungen: Zum einen bezeichne er gamaschenähnliche
Kleidungsstücke, zum anderen sehr eng geschnittene Hosen für Frauen und Kinder. Letztere
würden aber nicht von der Pos. 6406 KN erfasst. Dies ergebe sich aus dem Vergleich mit
den übrigen, von der Position erfassten Waren. Auch die Entwicklung der Pos. 6406 KN
bestätige diese Auslegung. Vor dem Beitritt Großbritanniens sei die heutige Pos. 6406 KN in
den Tarifnummern 64.05 für Schuhteile und 64.06 für Gamaschen, Schienbeinschützer und
ähnliche Waren sowie Teile davon (Verordnung (EWG) Nr. 950/68 --VO Nr. 950/68-- des
Rates vom 28. Juni 1968 über den gemeinsamen Zolltarif, Amtsblatt der Europäischen
Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 172/1) erfasst gewesen; auf Französisch "Guêtres,
jambières, molletières, protège-tibias et articles similaires et leurs parties". Die inhaltlich
unveränderten Tarifnummern seien dann in der englischen Fassung des Gemeinsamen
Zolltarifs (VO (EWG) Nr. 1/73 des Rates vom 19. Dezember 1972, ABlEG 1973 Nr. L 1/1) als
"Gaiters, spats, leggings, puttees, cricet pads, shin-guards and similar articles, and parts
thereof" übersetzt worden. Eine inhaltliche Änderung der Tarifnummer mit dem Ziel der
Einbeziehung von Damenhosen sei damit nicht verbunden gewesen, unter Leggings seien
nur Kleidungsstücke zu verstehen, die ein Bein ganz oder teilweise bedeckten, aber nicht
miteinander verbunden seien.
7 Auch in den Erläuterungen zum Harmonisierten System (ErlHS) zu Pos. 6406 KN Rz 14.0
würden die in der Klammer als Leggings genannten Waren als Beinlinge, also nicht als
Hosen oder hosenähnliche Kleidungsstücke beschrieben.
8 Bei den als Leggings bezeichneten Waren handele es sich auch nicht um Strumpfhosen der
Pos. 6115 KN. Eine Strumpfhose sei eine aus zwei sich überlagernden Strümpfen gefertigte
Unterleibsbekleidung. Dazu gehörten die streitgegenständlichen Waren jedoch nicht.
9 Das HZA sei auch berechtigt gewesen, in dem der Klägerin auf ihren Antrag bewilligten
Verfahren nach Art. 81 ZK die Zollbelastung für alle Sendungen nach der höchsten
Einfuhrabgabenbelastung, also mit dem Zusatzzoll nach der VO Nr. 673/2005 zu ermitteln.
Die Klägerin hätte die in ihrem eigenen Warenwirtschaftssystem zutreffend unter der
Unterpos. 6104 63 00 KN erfassten Leggings gesondert anmelden können.
10 Von der Nacherhebung könne auch nicht nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK
abgesehen werden. Es habe keine Warenbeschau gegeben, auf Grund derer die Klägerin
davon habe ausgehen können, für die Leggings falle kein Zusatzzoll an.
11 Zur Begründung der Revision trägt die Klägerin vor: Die Leggings seien als "ähnliche
Waren" wie Gamaschen in die Unterpos. 6406 90 90 KN, hilfsweise als "Strumpfhosen" in
die Unterpos. 6115 21 KN einzureihen.
12 Für die Einreihung in die Pos. 6406 KN spreche die Verwendung des Begriffs "legging" in
der englischen Sprachfassung und auch für das französische Wort "jambières" werde in
Wörterbüchern als Synonym der Begriff "leggings" angegeben. Angesichts dieser
eindeutigen Wortlaute habe das FG seine Auslegung nicht auf einen systematischen
Vergleich der Ware mit den übrigen von der Position erfassten Waren stützen dürfen. Auf die
Entwicklung des Gemeinsamen Zolltarifs der EWG dürfe zur Auslegung der KN nicht
zurückgegriffen werden, da die KN nicht auf der VO Nr. 950/68, sondern auf dem
Harmonisierten System zur Bezeichnung und Codierung der Waren beruhe und sich im
Übrigen --wie der gegenüber der Tarifnummer 64.06 ("gaiters, spats, leggings, puttees, cricet
pads, shin-guards and similar articles, and parts thereof") verkürzte Wortlaut der Pos. 6406
KN ("gaiters, leggings and similar articles, and parts thereof") zeige-- die zolltarifliche
Rechtslage gegenüber dem Gemeinsamen Zolltarif geändert habe.
13 Den Klammerzusatz "leggings" zum Begriff Beinlinge in den ErlHS zu Pos. 6406 Rz 14.0
interpretiere das FG falsch, er sei als Ausweitung des Begriffs "Beinlinge" auf hosenähnliche
Beinkleider zu verstehen.
14 Hilfsweise seien die Leggings als Strumpfhosen in die Unterpos. 6115 21 KN einzureihen.
15 Die Klägerin hält im Übrigen die Anwendung des Zusatzzolls der VO Nr. 673/2005 gemäß
Art. 81 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 Buchst. g ZK auf sämtliche Waren der jeweiligen Sendung nicht
für gerechtfertigt. Das FG verkenne, dass sich die VO Nr. 673/2005 und Art. 81 ZK
widersprächen. Gemäß Art. 2 VO Nr. 673/2005 finde der Zusatzzoll ausschließlich auf die in
Anhang I genannten Waren Anwendung. Nur so sei gewährleistet, dass die zusätzlichen
Zölle 72 % der jährlichen Auszahlungen der USA aus vereinnahmten Antidumping- und
Ausgleichszöllen an die geschädigten US-amerikanischen Unternehmen nicht übersteigen,
was nach der Entscheidung des Schiedsgerichts der World Trade Organisation (WTO) vom
31. August 2004 (WT/DS217/ARB/EEC) Bedingung für die Erhebung der zusätzlichen Zölle
sei. Die bei Anwendung des Art. 81 ZK sich ergebende Erstreckung der Zusatzzölle auf
andere als in der VO Nr. 673/2005 gelistete Waren, führe zu einer Überschreitung des
zulässigen Kompensationsbetrags. Bei der gebotenen völkerrechtskonformen Auslegung
von Unionsrecht müsse der Zusatzzoll bei der Ermittlung der höchsten
Einfuhrabgabenbelastung der Waren einer Sendung nach Art. 81 ZK außer Betracht bleiben.
16 Außerdem sei die Zulassung der vereinfachten Einreihung nach Art. 81 ZK rechtswidrig
gewesen, weil Aufwand und Kosten der Einzelanmeldungen angesichts der hohen Zollsätze
für Textilien nicht außer Verhältnis zur Höhe der Einfuhrabgaben stünden. Auch deshalb sei
die Anwendung der höchsten Einfuhrabgabenbelastung rechtswidrig.
17 Das HZA schließt sich der Rechtsauffassung des FG an.
Entscheidungsgründe
18 II. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält
einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für
erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur
Stellungnahme.
19 Die Revision ist zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das Urteil des FG entspricht dem
Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO).
20 Für die in den zollrechtlich freien Verkehr übergeführten in 96 Sendungen
zusammengefassten Warensortimente ist, da die Abfertigung zum höchsten Zollsatz nach
Art. 81 ZK antragsgemäß bewilligt war, eine Zollschuld entstanden, die wegen der in den
Sendungen enthaltenen Leggings zu einem Zollsatz von 12 % und gemäß Art. 2 VO
Nr. 673/2005 i.V.m. Unterpos. 6104 63 00 KN zu einem Zusatzzoll von 15 % führt. Da der
entsprechende Abgabenbetrag für die streitigen Einfuhren seinerzeit nicht buchmäßig erfasst
wurde, ist er gemäß Art. 220 Abs. 1 ZK nachzuerheben.
21 1. Die Voraussetzungen einer vereinfachten Einfuhrabgabenerhebung gemäß Art. 81 ZK
liegen vor. Die Klägerin hat die in den Einfuhrsendungen enthaltenen Waren einheitlich als
solche angemeldet, auf die der jeweils höchste Abgabensatz entfällt, und diese
Zollanmeldungen sind angenommen worden. Daran muss sie sich festhalten lassen. Die
Voraussetzungen für eine Ungültigerklärung der Zollanmeldungen gemäß Art. 66 Abs. 2 ZK
i.V.m. Art. 251 der Zollkodex-Durchführungsverordnung sind schon hinsichtlich der dort
vorgesehenen Antragsfristen nicht erfüllt.
22 2. Bei der Ermittlung der auf die Waren des jeweiligen Sortiments entfallenden höchsten
Einfuhrabgabenbelastung war auch der Zusatzzoll aus der VO Nr. 673/2005 zu
berücksichtigen, sofern eine der Waren von einer im Anhang dieser Verordnung
aufgeführten Tarifbezeichnungen erfasst war. Die Vereinfachungsvorschrift des Art. 81 ZK
betrifft (nur) die Einfuhrabgaben i.S. des Art. 4 Nr. 10 ZK (vgl. Weymüller in Dorsch, Zollrecht,
Art. 81 ZK Rz 38), also nach dem hier maßgeblichen Art. 4 Nr. 10 Anstrich 1 ZK "Zölle und
Abgaben mit gleicher Wirkung bei der Einfuhr von Waren". Darunter fällt auch der Zusatzzoll
gemäß der VO Nr. 673/2005. Denn der Zolltarif der Europäischen Gemeinschaften umfasst
nach Art. 20 Abs. 3 Buchst. g ZK die sonstigen zolltariflichen Maßnahmen der Union, also
auch die sog. Retorsionszölle, die im Fall von Handelsstreitigkeiten festgelegt werden, wie
es mit VO Nr. 673/2005 geschehen ist (so auch Lux in Dorsch, Zollrecht, Art. 20 ZK Rz 33).
23 Mit ihrem Einwand, die Anwendung der unter Einbeziehung des Zusatzzolls ermittelten
höchsten Abgabenbelastung auf alle Waren einer Sendung führe zu einer Erstreckung der
Zusatzzölle auf andere als in der VO Nr. 673/2005 gelistete Waren und damit zu einer von
der Genehmigung der Zusatzzölle durch das Schiedsgericht der WTO nicht mehr gedeckten
Überschreitung des zulässigen Kompensationsbetrags, macht die Klägerin keine Verletzung
eines eigenen subjektiv-öffentlichen Rechts geltend, auf welches allein sie die Anfechtung
der Nacherhebung stützen kann. Da Art. 81 ZK den Begriff Einfuhrabgabenbelastung
verwendet und damit nach den Definitionen der Art. 4 Nr. 10 und Art. 20 Abs. 3 Buchst. g ZK
sonstige zolltarifliche Maßnahmen der Gemeinschaft bzw. Abgaben mit gleicher Wirkung wie
Zölle einbezieht, sind Zusatzzölle wie solche des Streitfalls bei der Ermittlung der "höchsten
Einfuhrabgabenbelastung" i.S. des Art. 81 ZK nicht ausgenommen. Anderenfalls ließen sich
mithilfe dieses für Sammelsendungen unterschiedlicher Waren vorgesehenen vereinfachten
Einreihungsverfahrens Zusatzzölle für bestimmte in solchen Sendungen enthaltene
Einfuhrabgaben umgehen.
24 Trotz der seitens der Kommission mit Schreiben vom 27. September 2013, auf das sich die
Revision beruft, geäußerten Rechtsmeinung hält der Senat in Anbetracht des eindeutigen
Wortlauts des Art. 81 ZK sowie des Art. 4 Nr. 10 Anstrich 1 ZK die Auslegung jener Vorschrift
auch im Hinblick auf die mit der VO Nr. 673/2005 verfolgten Ziele für zweifelsfrei und sieht
keinen Grund, eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH)
einzuholen.
25 Ist das vereinfachte Einreihungsverfahren gemäß Art. 81 ZK beantragt und bewilligt, tritt die
gesetzliche Folge ein, dass der für bestimmte in der Sendung enthaltene Waren
vorgesehene höchste Einfuhrabgabensatz --und damit ebenso der für solche Waren zu
erhebende Strafzoll-- auch auf Waren anzuwenden ist, für die eigentlich kein Strafzoll,
sondern ein geringerer Abgabensatz gilt. Hätte der Unionsgesetzgeber diese Rechtsfolge für
von der VO Nr. 673/2005 nicht erfasste Waren vermeiden wollen, hätte es nahe gelegen, in
dieser Verordnung die Anwendung des Art. 81 ZK auszuschließen. Dies ist jedoch nicht
geschehen. Vielmehr hat der Unionsgesetzgeber mit Art. 3 VO Nr. 673/2005 eine andere
Regelung zur Einhaltung des vorgesehenen Kompensationsbetrags vorgesehen. Es kommt
daher nicht in Betracht, für von der VO Nr. 673/2005 nicht erfasste Waren die Rechtsfolge
des Art. 81 ZK trotz Vorliegens seiner Voraussetzungen nicht eintreten zu lassen mit der
Folge, dass die Erhebung des Zusatzzolls auch für in der Einfuhrsendung enthaltene Waren
der VO Nr. 673/2005 unterbleibt.
26 3. Dem Einwand der Klägerin, es sei unverhältnismäßig, die gesamte Warenmenge mit dem
Zusatzzoll zu belegen, ist nicht zu folgen (vgl. Senatsurteil vom 26. September 1989
VII R 10/87, BFHE 158, 200, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern --ZfZ-- 1990, 48, zu
§ 79 Abs. 2 des Zollgesetzes 1961). Der Anmelder kann Einfuhrwaren mit besonders hoher
Abgabenbelastung ausschließen, indem er diese Waren getrennt anmeldet, oder er kann für
eine Warengruppe angeben, dass bestimmte Waren in dieser nicht enthalten sind (vgl.
Weymüller in Dorsch, a.a.O., Art. 81 ZK Rz 37).
27 4. Auf die streitgegenständlichen Waren ("Leggings") entfällt der Zusatzzoll nach Art. 2 VO
Nr. 673/2005 (für die Einfuhren des Jahres 2009 i.d.F. der VO Nr. 317/2009) i.V.m. deren
Anhang I auf Waren der Unterpos. 6104 63 00 KN.
28 Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. EuGH-Urteil vom 15. November 2012 C-558/11, ZfZ
2013, 41 Rz 29, m.w.N.) ist im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten
Nachprüfbarkeit das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren
allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut
der Positionen der KN und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt
sind (s. Allgemeine Vorschriften für die Auslegung der KN 1 und 6).
29 a) Von der Unterpos. 6104 63 00 KN werden u.a. lange Hosen aus Gewirken und Gestricken
aus synthetischen Chemiefasern für Frauen oder Mädchen erfasst.
30 aa) Nach den Feststellungen des FG handelte es sich bei den in Warensendungen
enthaltenen Leggings um Kleidungsstücke aus zwei miteinander verbundenen Beinteilen,
die beide Beine und den Unterkörper bedecken, mit Nähten an den Innenseiten der
Beinteile, einem breiten Bund und ohne Fußteile.
31 Nach Augenschein des FG können diese Kleidungsstücke ohne Weiteres als lange, den
Unterkörper bedeckende Hosen getragen werden. Diese tatrichterliche Wertung ist aus
Rechtsgründen nicht zu beanstanden, sie erscheint vielmehr durchaus nachvollziehbar. Die
Klägerin setzt ihr auch lediglich ihre eigene --abweichende-- Wertung entgegen, die
Leggings seien als Oberbekleidung nicht geeignet.
32 bb) Die Leggings fallen auch nicht unter die Anmerkung 1 Buchst. n zu Abschn. XI, wonach
Gamaschen und ähnliche Waren des Kapitels 64 aus diesem Abschnitt ausgewiesen sind.
33 Von der Pos. 6406 KN sind in der deutschen Sprachfassung erfasst "Schuhteile ...;
Einlegesohlen, Fersenstücke und ähnliche herausnehmbare Waren; Gamaschen und
ähnliche Waren sowie Teile davon". Leggings sind nicht benannt. Zwar taucht dieser Begriff
in den ErlHS zu Pos. 6406 unter "II) Gamaschen und ähnliche Waren sowie Teile davon" in
Rz 14.0 als Synonym für Beinlinge ("Leggings") auf, die den den sog. Beinschützern
ähnlichen Waren --wie Wadengamaschen (einschließlich Wickelgamaschen), Stutzen,
Trachtenstrümpfe, usw., ohne Fußteil und mit oder ohne Steg-- zugeordnet werden. Es ist
allerdings offensichtlich und bedarf keiner näheren Begründung, dass die von der Klägerin
eingeführten Leggings keine diesen Kleidungsstücken ähnliche Waren sind. Aus der
englischen Sprachfassung der Pos. 6406 KN folgt nichts anderes.
34 b) Bei den als Leggings bezeichneten Waren handelt es sich auch nicht um Strumpfhosen
der Pos. 6115 KN.
35 Weder aus dem Wortlaut der Positionen der KN noch aus den Anmerkungen ergeben sich
Definitionen oder klare Abgrenzungskriterien für Strumpfhosen und lange Hosen.
36 Gleichwohl tragen diese Waren ihre Definition in sich. Sie ergibt sich aus dem allgemeinen
Sprachgebrauch.
37 Strumpfhosen sind eng an Fuß, Bein und Unterleib anliegende, gewirkte oder gestrickte
Hosen (besonders für Frauen und Kinder), die wie ein Strumpf angezogen werden.
Dementsprechend hat das FG zutreffend herausgearbeitet, dass Strumpfhosen aus zwei sich
überlagernden Strümpfen gefertigte, typischerweise --wie Strümpfe-- rundgewebte
Unterleibsbekleidungen sind. Strumpfhosen weisen eine besondere, machartbedingte
Passform auf, sie passen sich eng anliegend der Körperform an.
38 Dieser Definition entsprechen die streitigen Kleidungsstücke schon nicht, weil sie keinen
Strumpf, d.h. keinen den Fuß umhüllenden Teil aufweisen. Auf die übrigen vom FG zur
Unterscheidung von Hosen und Strumpfhosen herangezogenen Merkmale --wie Längsnähte
an den Innenseiten oder fehlende Angaben zur Feinheit der verwendeten Garne-- braucht
daher nicht eingegangen zu werden.
39 5. Die Voraussetzungen für ein Absehen von der Nacherhebung der Einfuhrabgaben gemäß
Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK sind nicht erfüllt. Insoweit wird auf die Ausführungen im FG-
Urteil Bezug genommen.