Urteil des BFH vom 25.02.2014

Kostenentscheidung bei sog. In-camera-Verfahren - Beiladung

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 25.2.2014, V B 60/12
Kostenentscheidung bei sog. in camara-Verfahren - Beiladung
Leitsätze
Das Verfahren nach § 86 Abs. 3 FGO ist jedenfalls dann ein unselbständiges Zwischenverfahren
ohne eigenständige Kostenentscheidung, wenn der Antrag nach § 86 Abs. 3 FGO erfolglos
geblieben und/oder die im Rahmen des § 86 Abs. 3 FGO in Anspruch genommene Behörde
Beteiligte auch des Hauptsacheverfahrens ist.
Tatbestand
1 I. Mit Schriftsatz vom 9. Mai 2012 beantragte der Kläger und Antragsteller (Antragsteller) in
dem seine Geschäftsführerhaftung wegen Umsatzsteuer 2002 und 2003 betreffenden
Klageverfahren beim Finanzgericht (FG) gemäß § 86 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung
(FGO) die Feststellung durch den Bundesfinanzhof (BFH), dass die Weigerung der Vorlage
des vollständigen Berichts zum Umsatzsteuerbetrug der Firmengruppe B des Finanzamts für
Steuerstrafsachen und Steuerfahndung D und des Finanzamts für Groß- und
Konzernbetriebsprüfung K vom 15. September 2011 durch den Beklagten und Antragsgegner
(Finanzamt --FA--) rechtswidrig ist.
2 Dieser Bericht, den das FG nicht angefordert hatte, war dem FG zusammen mit vom FG
angeforderten Handakten der Umsatzsteuerprüfung versehentlich übermittelt und vom FG auf
entsprechenden Hinweis an das FA zurückgesandt worden. Dies erfolgte zugleich mit dem
Hinweis an die Beteiligten, dieser Bericht sei nicht Bestandteil der Akten, die das Gericht der
Entscheidungsfindung zugrunde legen werde.
3 Der Antragsteller ist der Auffassung, dass § 86 FGO nicht nur dann anwendbar sei, wenn das
FA Aktenteile nach Aufforderung durch das FG nicht übersendet, sondern auch dann, wenn
dem FG vorliegende Aktenteile vom FA erfolgreich zurückgefordert werden, so dass sie dem
FG nicht mehr vorliegen.
Entscheidungsgründe
4 II. Der Antrag ist unzulässig.
5 1. Nach § 86 Abs. 1 FGO sind Behörden grundsätzlich zur Vorlage von Urkunden und Akten,
zur Übermittlung elektronischer Dokumente und zu Auskünften verpflichtet. Nach Abs. 2 der
Vorschrift kann die Vorlage von Urkunden oder Akten, die Übermittlung elektronischer
Dokumente und die Erteilung von Auskünften verweigert werden, wenn die Vorgänge aus
bestimmten Gründen geheim gehalten werden müssen. Nach Abs. 3 der Vorschrift stellt der
BFH auf Antrag eines Beteiligten in den Fällen der Abs. 1 und 2 ohne mündliche Verhandlung
durch Beschluss fest, ob die Verweigerung der Vorlage der Urkunden oder Akten, die
Übermittlung elektronischer Dokumente oder die Verweigerung der Erteilung von Auskünften
rechtmäßig ist. Der Antrag ist bei dem für die Hauptsache zuständigen Gericht zu stellen.
6 2. § 86 Abs. 3 FGO setzt voraus, dass das FG im finanzgerichtlichen Verfahren die Vorlage
der betreffenden Unterlagen oder die Erteilung von Auskünften angeordnet hatte und die
ersuchte Behörde sich daraufhin geweigert hat, dieser Aufforderung nachzukommen (BFH-
Beschluss vom 18. Juli 2006 X B 65/06, BFH/NV 2006, 1699). Voraussetzung einer
Feststellung i.S. von § 86 Abs. 3 Satz 1 FGO ist daher, dass das FG, wenn es im Rahmen
eines bei ihm anhängigen Verfahrens Steuerakten vom FA anfordert und diese nicht
vollständig vorgelegt werden, weiterhin, d.h. auch noch zum Zeitpunkt der erstrebten
Entscheidung des BFH, auf der lückenlosen Vorlage besteht.
7 An einer derartigen Aufforderung durch das FG fehlt es im Streitfall, so dass die
Voraussetzungen für ein Feststellungsverfahren nach § 86 Abs. 3 FGO nicht vorliegen.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers kommt die Anwendung dieser Vorschrift auf
andere Fallgestaltungen, bei denen eine gerichtliche Anordnung zur Aktenvorlage fehlt, nicht
in Betracht. Insbesondere reicht eine Rückforderung von dem FG vorliegenden Aktenteilen
durch das FA nicht aus.
8 3. Einer Beiladung der obersten Aufsichtsbehörde nach § 86 Abs. 3 Satz 4 FGO bedarf es
nicht, wenn --wie hier-- der Antrag nach § 86 Abs. 3 FGO unzulässig ist und die Interessen der
obersten Aufsichtsbehörde daher nicht betroffen sein können.
9 4. Bei dem Verfahren nach § 86 Abs. 3 FGO handelt es sich um ein unselbständiges
Zwischenverfahren, so dass es keiner eigenständigen Kostenentscheidung bedarf (BFH-
Beschlüsse vom 16. Januar 2013 III S 38/11, BFH/NV 2013, 701; vom 14. November 2006
IX B 156/06, BFH/NV 2007, 473). Der I. und der X. Senat des BFH haben auf Anfrage
mitgeteilt, dass sie an ihrer gegenteiligen Auffassung in den Beschlüssen vom 17. September
2007 I B 93/07 (BFH/NV 2008, 387) und vom 15. Oktober 2009 X S 9/09 (BFH/NV 2010, 54)
nicht festhalten (BFH-Beschlüsse vom 7. November 2013 X ER-S 3/13 und vom
13. November 2013 I ER-S 1/13). Soweit der I. Senat des BFH dies auf den Fall beschränkt
hat, dass der Antrag nach § 86 Abs. 3 FGO erfolglos geblieben ist und/oder die im Rahmen
des § 86 Abs. 3 FGO in Anspruch genommene Behörde Beteiligte auch des
Hauptsacheverfahrens ist, sind diese Voraussetzungen im Streitfall erfüllt.