Urteil des BFH vom 03.07.2014

Kindergeld für nicht verheiratete Tochter mit eigenem Kind - Hinausgehen über das Klagebegehren

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 3.7.2014, III R 37/13
Kindergeld für nicht verheiratete Tochter mit eigenem Kind - Hinausgehen über das
Klagebegehren
Leitsätze
Nach der ab dem Jahr 2012 geltenden Rechtslage ist ein Unterhaltsanspruch, welcher der nicht
verheirateten Tochter des Kindergeldberechtigten gegen den Vater ihres Kindes zusteht (§ 1615l
BGB), für die Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 EStG ohne Bedeutung.
Tatbestand
1 I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist der Vater einer im Juni 1992 geborenen
Tochter (T), für die er Kindergeld bezog. T ist die Mutter eines im Oktober 2010 geborenen
Kindes. Sie befand sich in einer Berufsausbildung. Die Beklagte und Revisionsklägerin
(Familienkasse) hob die Festsetzung des Kindergeldes für T durch Bescheid vom 24. Januar
2013 ab Januar 2013 auf, weil nicht mehr die Eltern gegenüber T unterhaltsverpflichtet seien,
sondern der Kindsvater nach § 1615l des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Der dagegen
gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 13. März 2013).
2 Das Finanzgericht (FG) gab der anschließend erhobenen Klage statt. Es war der Ansicht, auf
etwaige Unterhaltsansprüche der T gegenüber dem Kindsvater komme es nach der ab dem
Jahr 2012 geltenden Rechtslage nicht mehr an. Es hob den Aufhebungsbescheid sowie die
dazu ergangene Einspruchsentscheidung auf und verpflichtete die Familienkasse, Kindergeld
für T ab Januar 2013 zu bewilligen.
3 Zur Begründung der Revision trägt die Familienkasse vor, trotz der zum 1. Januar 2012
eingetretenen Rechtsänderung sei kein Kindergeld für eine Tochter zu gewähren, die gegen
den Vater ihres Kindes einen vorrangigen Unterhaltsanspruch habe. Außerdem hätte das FG
über einen Kindergeldanspruch der T nur für die Monate bis März 2013 entscheiden dürfen,
da nach dem Senatsurteil vom 22. Dezember 2011 III R 41/07 (BFHE 236, 144, BStBl II 2012,
681) der Monat, in dem die Einspruchsentscheidung bekannt gegeben worden sei, der letzte
Monat sei, für den ein Kindergeldanspruch im finanzgerichtlichen Verfahren überprüft werden
könne.
4 Die Familienkasse beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage
abzuweisen, hilfsweise, die Streitsache hinsichtlich des Zeitraums Januar bis März 2013 an
das FG zurückzuverweisen.
5 Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
6 Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 90
Abs. 2 i.V.m. § 121 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Entscheidungsgründe
7 II. Die Revision der Familienkasse ist unbegründet und wird daher zurückgewiesen (§ 126
Abs. 2 FGO). Das FG ist über das Klagebegehren nicht hinausgegangen (§ 96 Abs. 1 Satz 2
FGO) und hat darüber hinaus zutreffend entschieden, dass ein etwaiger Unterhaltsanspruch
der T gegenüber dem Vater ihres Kindes dem Anspruch des Klägers auf Kindergeld nicht
entgegensteht.
8 1. Die Familienkasse rügt zu Unrecht, das FG sei über den Klageantrag hinausgegangen,
weil es sie dazu verpflichtet habe, Kindergeld ab Januar 2013 zu gewähren und damit eine
Entscheidung über den Monat der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung hinaus
getroffen habe.
9 a) Die Klage richtet sich gegen den Aufhebungsbescheid der Familienkasse vom 24. Januar
2013 sowie gegen die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 13. März 2013. Mit der
Aufhebung dieser Verwaltungsentscheidungen durch das Urteil des FG wurde der vorherige
Bescheid über die Festsetzung von Kindergeld wieder wirksam. Aufgrund dieses
Festsetzungsbescheids ist die Familienkasse gegenüber dem Kläger verpflichtet, Kindergeld
zu gewähren. Eines eigenen Ausspruchs des FG über diese Verpflichtung bedurfte es nicht.
10 b) Der Urteilstenor kann nicht dahin verstanden werden, dass die Familienkasse durch das
FG zur Gewährung von Kindergeld verpflichtet werden sollte, noch dazu für Monate, die über
den gerichtlich nachprüfbaren Zeitraum hinausgingen. Vielmehr brachte das FG lediglich
zum Ausdruck, dass die Familienkasse aufgrund der Aufhebung des Aufhebungsbescheids
Kindergeld an die Klägerin zu zahlen hat. Eine konstitutive Wirkung hat der Tenor insoweit
nicht.
11 2. Dem Kläger steht nach dem Wortlaut der §§ 32, 62 ff. des Einkommensteuergesetzes
(EStG) Kindergeld für die im Juni 1992 geborene T zu, die sich in Berufsausbildung befand
und noch keine erstmalige Berufsausbildung oder ein Erststudium abgeschlossen hat (§ 32
Abs. 4 Satz 2 EStG i.d.F. des Steuervereinfachungsgesetzes 2011, BGBl I 2011, 2131).
12 Die Höhe der Einkünfte und Bezüge des Kindes ist nach dem Gesetzeswortlaut --im
Gegensatz zu der bis Ende 2011 geltenden Rechtslage-- ohne Bedeutung. Der Senat hat in
dem Urteil vom 17. Oktober 2013 III R 22/13 (BFHE 243, 246, BStBl II 2014, 257)
entschieden, dass die Verheiratung eines Kindes seiner kindergeldrechtlichen
Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nrn. 1 und 2 EStG nicht entgegensteht, weil
hierfür keine typische Unterhaltssituation vorausgesetzt wird. Der Unterhaltsanspruch eines
verheirateten Kindes gegenüber seinem Ehegatten ist für den Anspruch auf Kindergeld ohne
Belang. Entsprechendes gilt für den Unterhaltsanspruch einer nicht verheirateten Tochter, für
die Kindergeld begehrt wird, gegen den Vater ihres Kindes nach § 1615l BGB. Die Bezüge,
die aufgrund eines derartigen Anspruchs einer nicht behinderten Tochter zufließen, bleiben
nach der ab dem Jahr 2012 geltenden Rechtslage außer Betracht.