Urteil des BFH vom 20.05.2014

Keine Haftung wegen Firmenfortführung bei Übernahme einer Etablissementbezeichnung

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 20.5.2014, VII R 46/13
Keine Haftung wegen Firmenfortführung bei Übernahme einer Etablissementbezeichnung
Leitsätze
1. Wesentliche Voraussetzung für eine Nachfolgehaftung gemäß § 25 HGB ist --neben der
Geschäftsfortführung-- die Fortführung der bisherigen Firma.
2. Entscheidendes Merkmal einer Firma ist, dass dieser Name geeignet ist, den Geschäftsinhaber
im Rechtsverkehr zu individualisieren.
3. Eine Geschäfts- oder Etablissementbezeichnung, die das Geschäftslokal oder den Betrieb
allgemein, nicht aber den Geschäftsinhaber kennzeichnet, ist keine Firma, es sei denn, dass sie im
maßgeblichen Rechtsverkehr, in Verträgen, auf Geschäftsbriefen u.ä. "firmenmäßig" verwendet
wird.
Tatbestand
1 I. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) wendet sich mit der Revision
gegen die Aufhebung eines auf § 191 der Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 25 des
Handelsgesetzbuchs (HGB) gestützten Haftungsbescheids wegen Abgabenrückständen aus
den Jahren 2004 bis 2006.
2 Frau A betrieb in diesen Jahren --und darüber hinaus bis 2008-- als Vollkauffrau, aber ohne
Eintragung ins Handelsregister, das Restaurant "XYZ".
3 Gegenüber ihrem Steuerberater, dem FA, dem Gewerbeamt, der Brauerei und der
Verpächterin trat Frau A unter ihrem Namen auf. Die Lieferanten adressierten ihre
Rechnungen an "Ausländisches Restaurant XYZ Inh. A", "XYZ A X-Land Restaurant" u.ä.
4 Mit Gesellschaftsvertrag vom 8. April 2008 wurde die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) gegründet und am 15. Oktober 2008 mit der Firma "B Speise GmbH" ins
Handelsregister eingetragen. Alleingesellschafter und Geschäftsführer war Herr B. Mit
Vertrag vom 20. April 2008 pachtete dieser die Räumlichkeiten des Restaurants samt
Inventar und verpachtete sie am 25. April 2008 an die Klägerin in Gründung (i.Gr.) weiter.
5 Am 10. Juli 2008 meldete die Klägerin i.Gr. beim Gewerbeamt ein ausländisches Restaurant
an. Mit Kaufvertrag vom 31. Juli 2008 erwarb die Klägerin i.Gr., vertreten durch den
Geschäftsführer B, von Frau A Inventar, Vorräte etc. Die Klägerin i.Gr. beschäftigte ab August
2008 --mit einer Ausnahme-- alle vorhandenen Angestellten weiter, ebenso Frau A. Ein
Hinweis auf die Firma "B Speise GmbH" fand sich in der Werbung und auf den Speisekarten
nicht.
6 Die Lieferverträge für das Restaurant wurden von der Klägerin neu abgeschlossen. Die
Lieferanten von Speisen und Getränken, Gas und Heizöl stellten ihre Rechnungen ab
August 2008 an die "B Speise GmbH". Einzelne Lieferanten nutzten auch folgende
Bezeichnungen: "YZ Speise GmbH", "YZ X-Land Restaurant" oder "Ausländisches Rest.
XYZ" u.a.
7 Das FA nahm die Klägerin wegen der Betriebsübernahme mit Bescheid vom 15. April 2009
für Abgaberückstände der Jahre 2004 bis 2008 in Haftung. Nach erfolglosem
Einspruchsverfahren hat die Klägerin Klage erhoben. Während des Klageverfahrens
beschränkte das FA den Haftungsbescheid gemäß § 191 Abs. 1 AO i.V.m. § 25 HGB mit
Änderungsbescheid vom 26. Oktober 2011 auf die rückständige Umsatzsteuer der Frau A
der Jahre 2004, 2005 und 2006 nebst Zinsen und Säumniszuschlägen.
8 Das Finanzgericht (FG) hob den Haftungsbescheid in Gestalt des Änderungsbescheides
vom 26. Oktober 2011 auf.
9 Mit der Revision macht das FA geltend, die Klägerin sei zu Recht nach § 25 Abs. 1 Satz 1
HGB i.V.m. § 191 Abs. 1 AO für betriebliche Steuerschulden der Frau A in Anspruch
genommen worden.
10 Von einer Unternehmensfortführung gehe der maßgebliche Verkehr aus, wenn ein Betrieb
von einem neuen Inhaber in seinem wesentlichen Bestand unverändert weitergeführt werde,
der Tätigkeitsbereich, die innere Organisation und die Räumlichkeiten ebenso wie Kunden-
und Lieferantenbeziehungen jedenfalls im Kern beibehalten und/oder Teile des Personals
übernommen würden. Für eine Haftung nach § 25 HGB hinzukommen müsse die
Fortführung der Firma. Aus der --maßgebenden-- Sicht der beteiligten Verkehrskreise sei
eine Firmenfortführung anzunehmen, wenn die vom bisherigen Geschäftsinhaber tatsächlich
geführte und von dem Erwerber weitergeführte Firma eine derart prägende Kraft besitze,
dass der Verkehr sie mit dem Unternehmen gleichsetze und in dem Verhalten des Erwerbers
eine Fortführung der bisherigen Firma sehe. Dabei genüge es, dass der prägende Teil der
alten Firma in der neuen beibehalten werde. Die firmenrechtliche Zulässigkeit oder
Unzulässigkeit der alten oder der neuen Firma sei irrelevant. Da § 25 HGB nicht
ausdrücklich die bisherige Firma als "erlaubte" Firma i.S. des § 19 HGB bezeichne, umfasse
der Firmenbegriff des § 25 HGB i.V.m. § 18 HGB i.d.F. des Handelsrechtsreformgesetzes
vom 22. Juni 1998 (BGBl I 1998, 1474) auch "unerlaubte" und "Phantasiefirmen" sowie
Geschäfts- bzw. Etablissementbezeichnungen.
11 Im Streitfall habe die Klägerin die Firma, unter der Frau A aufgetreten sei, gegenüber den
Essensgästen fortgeführt. Diese machten den qualitativ und quantitativ maßgeblichen
Verkehrskreis aus, denn dieser Personenkreis entscheide über den Unternehmenserfolg. Es
sei offensichtlich das Bestreben der Klägerin gewesen, ihrer Kundschaft das Bild eines
unveränderten Restaurants zu vermitteln, um z.B. Stammkunden zu behalten. Irrelevant sei
es, dass die Veräußerin gegenüber Behörden, dem Steuerberater, Lieferanten und anderen
Vertragspartnern mit ihrem Namen "A" und die Klägerin als "B Speise GmbH" aufgetreten
seien. Die Benutzung des Namens "(X) YZ – ausländisches Restaurant" für ein in denselben
Räumlichkeiten mit fast identischem Personal und unverändertem Konzept betriebenes
Restaurant sei als Firmenfortführung gemäß § 25 HGB zu werten.
12 Die Klägerin trägt vor, das FG habe zutreffend entschieden, dass im Streitfall eine Haftung
nach § 191 AO i.V.m. § 25 HGB nicht in Betracht komme. Sie (die Klägerin) sei im
Rechtsverkehr unter ihrer in das Handelsregister eingetragen Firma --B Speise GmbH--
aufgetreten. Diese Firma weise keinerlei Ähnlichkeit zu der Firma der Frau A auf.
Entscheidungsgründe
13 II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das Urteil entspricht dem Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO).
Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Voraussetzungen für eine
Haftungsinanspruchnahme nach § 191 AO i.V.m. § 25 Abs. 1 HGB im Streitfall nicht
vorliegen.
14 1. Gemäß § 25 Abs. 1 HGB haftet derjenige, der ein unter Lebenden erworbenes
Handelsgeschäft unter der bisherigen Firma fortführt, für alle im Betrieb des Geschäfts
begründeten Verbindlichkeiten des früheren Inhabers. Wesentliche Voraussetzung für diese
Nachfolgehaftung ist nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut --neben der
Geschäftsfortführung-- die Fortführung des Handelsgeschäfts unter der "bisherigen Firma"
(§ 25 Abs. 1 HGB) bzw. die "Fortführung der Firma" (vgl. § 26 Abs. 1 Satz 1 HGB). Gemäß
§ 17 Abs. 1 HGB ist die Firma eines Kaufmanns der Name, unter dem er seine Geschäfte
betreibt und die Unterschrift abgibt. Entscheidendes Merkmal einer Firma ist, dass dieser
Name geeignet ist, den Geschäftsinhaber --den Schuldner der Verbindlichkeit-- im
Rechtsverkehr zu individualisieren. Eine Geschäfts- oder Etablissementbezeichnung, die
lediglich das Geschäftslokal oder den Betrieb allgemein, nicht aber den Geschäftsinhaber
kennzeichnet, ist keine Firma (vgl. Senatsbeschluss vom 11. Juni 2012 VII B 198/11,
BFH/NV 2012, 1572, m.w.N.).
15 2. Im Streitfall ist das FG zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin die Firma der
früheren Inhaberin nicht fortgeführt hat. Frau A hat unter ihrem Namen und die Klägerin unter
der Firma "B Speise GmbH" firmiert. Bei der Bezeichnung "Ausländisches Restaurant (X)
YZ" handelte es sich im vorliegenden Fall um eine reine Geschäfts- oder
Etablissementbezeichnung, deren Fortführung keine Firmenfortführung i.S. des § 25 HGB ist.
16 Gegenüber Behörden, Lieferanten, der Verpächterin etc. trat die ursprüngliche
Geschäftsinhaberin, Frau A, unter ihrem Namen auf. Entsprechendes gilt für die Klägerin, die
mit der Firma, mit der sie ins Handelsregister eingetragen war, tatsächlich auch im
Rechtsverkehr auftrat (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 28. November 2005
II ZR 355/03, Neue Juristische Wochenschrift 2006, 1002; Baumbach/Hopt, HGB, 36. Aufl.,
§ 25 Rz 7). Soweit einzelne Rechnungen an das Restaurant adressiert waren, handelt es
sich ersichtlich um Ungenauigkeiten der Rechnungssteller.
17 Anders als die Revision meint, ist nicht davon auszugehen, dass im Streitfall der
Gaststättenname "(Ausländisches Restaurant) XYZ" aus Gästesicht die Firma der jeweiligen
Inhaberin war. Bei Gaststätten sind Etablissementbezeichnungen weit verbreitet, die oft über
lange Zeit unabhängig von der Person des Inhabers oder Pächters verwendet werden. Da
Speisen und Getränke regelmäßig als Vorleistung gereicht und in Gaststätten meist auch
sog. "Bargeschäfte des täglichen Lebens" abgeschlossen werden, sind für
Restaurantbesucher die Fähigkeiten des Kochs von größerer Bedeutung als die im
Rechtsverkehr verwendete Firma des Inhabers. Deshalb sehen sie oft über das Fehlen von
Angaben zur Firma hinweg. Im konkreten Fall handelte es sich bei "XYZ" um den Namen
einer bekannten historischen Person, so dass es für Restaurantgäste fernlag anzunehmen,
der Inhaber der Gaststätte trage diesen Namen. Auch wenn gemäß § 18 HGB n.F. sog.
"Phantasiefirmen" zulässig sind, wurde der Restaurantname jedoch im Streitfall nicht als
Firma geführt. Entscheidend ist, dass sowohl die frühere Inhaberin des Restaurants als auch
die Klägerin die Bezeichnung "(ausländisches Restaurant) (X) YZ" im rechtsgeschäftlichen
Verkehr, in Geschäftsbriefen oder Verträgen und bei Unterschriften nicht als ihren Namen,
d.h. nicht "firmenmäßig" verwendet haben.
18 Angaben in der Werbung können im Einzelfall zwar Indizien sowohl bei der Frage nach der
Geschäftsübernahme als auch der Firmenfortführung sein. Da Werbeschriften, Anzeigen
oder Schilder in der Außenwerbung nicht im Rechtsverkehr verwendet werden und
insbesondere keine Geschäftsbriefe sind, führt jedoch allein der werbende Hinweis auf das
"Restaurant (X) YZ" sowie der fehlende Hinweis auf den jeweiligen Inhaber nicht dazu, dass
aus der Etablissementbezeichnung eine Firma wurde.
19 Die übrigen vom FA angeführten Umstände --gleichbleibende Geschäftsadresse und
Telefonnummer, unverändertes Personal und Betriebskonzept etc.-- sind Ausdruck der im
Streitfall unstreitig gegebenen Fortführung eines vollkaufmännischen Gewerbebetriebs, nicht
aber der für den Tatbestand des § 25 Abs. 1 HGB gleichfalls erforderlichen
Firmenfortführung.