Urteil des BFH vom 24.04.2014

BFH: Flächenbezogener Verzicht auf Steuerfreiheit

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 24.4.2014, V R 27/13
Flächenbezogener Verzicht auf Steuerfreiheit
Leitsätze
Der Verzicht gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 UStG kann auch teilweise für einzelne Flächen eines
Mietobjekts wirksam sein, wenn diese Teilflächen eindeutig bestimmbar sind.
Tatbestand
1 I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erwarb ein bebautes Grundstück. Sie sanierte
in den Jahren 2008 und 2009 das Gebäude für rd. 7,5 Mio. EUR. Das Objekt verfügte über
eine vermietbare Fläche von insgesamt 7 496 qm, die die Klägerin überwiegend für den
Betrieb eines Studentenwohnheims steuerfrei verwendete. Im Erdgeschoss befand sich ein
170 qm großes Bistro, in der ersten Etage ein Büro mit einer Fläche von 295 qm. Bistro und
Büro vermietete die Klägerin steuerpflichtig unter Verzicht auf die Steuerfreiheit gemäß § 9
des Umsatzsteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (UStG). Die Mieterin
des Büros, die X-GmbH, nutzte die Büroräume im Wesentlichen für umsatzsteuerpflichtige
Tätigkeiten wie Bauentwicklung, Baubetreuung und Verwaltung fremder Immobilien. Zu
einem geringen Teil verwendete sie die Büroräume für die umsatzsteuerfreie Verwaltung
eigener Wohnimmobilien. Die Fläche des Raumes, den die X-GmbH nach ihren Angaben
auch für die Verwaltung eigener Immobilien verwendete, betrug 16,75 qm.
2 In ihrer Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr 2009 machte die Klägerin einen
Vorsteuerabzug in Höhe von 73.713,23 EUR geltend. Aufgrund von Bruttoaufwendungen von
7.446.412,84 EUR waren Vorsteuerbeträge von 1.188.923,06 EUR entstanden. Diese teilte
die Klägerin nach einem Flächenschlüssel auf und ging im Hinblick auf die Steuerpflicht der
Vermietung von Bistro und Büro von einem anteiligen Recht auf Vorsteuerabzug von 6,2 %
aus. Hieraus ergaben sich abziehbare Vorsteuerbeträge in der geltend gemachten Höhe.
3 Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) war demgegenüber im Anschluss
an eine Umsatzsteuersonderprüfung der Auffassung, dass für die Klägerin ein anteiliges
Recht auf Vorsteuerabzug bestehe und daher abziehbare Vorsteuerbeträge von nur
24.929,98 EUR vorlägen, da ein wirksamer Verzicht auf die Steuerfreiheit nur bei der
Vermietung des Bistros, nicht aber auch bei der Vermietung an die X-GmbH vorliege. Die X-
GmbH habe zu 20 % vorsteuerschädliche Ausgangsumsätze ausgeführt. Einspruch und
Klage hatten keinen Erfolg.
4 In seinem in Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2013, 1452 veröffentlichten Urteil
vertrat das Finanzgericht (FG) die Auffassung, die Klägerin habe bei der Vermietung an die X-
GmbH nicht wirksam auf die Steuerfreiheit verzichtet, da die X-GmbH die angemieteten
Flächen nicht ausschließlich für Zwecke verwendet habe, die zum Vorsteuerabzug
berechtigen. Es liege auch kein wirksamer Teilverzicht vor, da ein abgrenzbarer
Funktionsbereich fehle, der Gegenstand eines selbständigen Mietvertrags sein könne.
5 Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Revision, die sie auf Verletzung materiellen
Rechts stützt. In dem abzugsschädlich verwendeten Raum hätten sich zwei Arbeitsplätze
befunden, so dass nur die Hälfte des Raums für Umsätze ohne Recht auf Vorsteuerabzug
genutzt worden sei. Bei einer flächenbezogenen Betrachtung sei die Mieterin daher zu 97,2 %
zum Vorsteuerabzug berechtigt gewesen. § 9 Abs. 2 Satz 1 UStG enthalte nur eine relative,
nicht aber eine absolute Beschränkung. Die Vorschrift diene der Bekämpfung
missbräuchlicher Gestaltungen. Gleichwohl sei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu
beachten. Die Flächennutzung sei ein geeigneter Maßstab zur Verwendungsbestimmung.
Auch die Finanzverwaltung stelle auf einen hypothetischen Vorsteuerabzug ab. Danach sei
der Verzicht für 286,6 qm zulässig. Zudem ergebe sich aus der bisherigen Rechtsprechung
des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht, dass einzelne Flächen eines Raums nicht weiter aufgeteilt
werden können. Diese Rechtsprechung beziehe sich nur auf die Vorsteueraufteilung, nicht
aber auf den Verzicht.
6 Die Klägerin beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und den Umsatzsteuerbescheid 2009 vom 27. Januar 2011 in
Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. Oktober 2011 dahingehend zu ändern, dass ihr
ein weiterer Vorsteuerabzug in Höhe von 41.894 EUR gewährt wird.
7 Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
8 Sowohl bei einer umsatz- als auch bei einer flächenbezogenen Betrachtungsweise lägen die
Voraussetzungen für einen Verzicht nicht vor. Die Möglichkeit zur Teiloption beziehe sich nur
auf abgrenzbare Teilflächen. Bezogen auf einzelne Räume führe eine Teiloption zu keinem
anderen Ergebnis.
Entscheidungsgründe
9 II. Die Revision ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Sache an das FG
zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Entgegen der Vorentscheidung ist die Klägerin berechtigt, den Verzicht nach § 9 Abs. 2
Satz 1 UStG auch nur teilweise auszuüben. Hierzu sind im zweiten Rechtsgang weitere
Feststellungen zu treffen.
10 1. Nach § 9 Abs. 2 Satz 1 UStG ist der "Verzicht auf Steuerbefreiung nach Absatz 1 ... bei der
Bestellung und Übertragung von Erbbaurechten (§ 4 Nr. 9 Buchstabe a), bei der Vermietung
oder Verpachtung von Grundstücken (§ 4 Nr. 12 Satz 1 Buchstabe a) und bei den in § 4
Nr. 12 Satz 1 Buchstabe b und c bezeichneten Umsätzen nur zulässig, soweit der
Leistungsempfänger das Grundstück ausschließlich für Umsätze verwendet oder zu
verwenden beabsichtigt, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen".
11 a) § 9 Abs. 2 Satz 1 UStG beruht unionsrechtlich auf Art. 137 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie
2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem vom 28. November
2006 --MwStSystRL-- (zuvor Art. 13 Teil C der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates
vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die
Umsatzsteuern --Richtlinie 77/388/EWG--). Danach können die Mitgliedstaaten ihren
Steuerpflichtigen das Recht einräumen, sich bei der Vermietung und Verpachtung von
Grundstücken für eine Besteuerung zu entscheiden. Dabei sind die Mitgliedstaaten gemäß
Art. 137 Abs. 2 MwStSystRL berechtigt, die Einzelheiten für die Inanspruchnahme des
Wahlrechts festzulegen.
12 b) Nach der zu Art. 13 Teil C der Richtlinie 77/388/EWG ergangenen Rechtsprechung des
Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH), die auch unter der Geltung von Art. 137
MwStSystRL zu beachten ist, "können die Mitgliedstaaten aufgrund dieser Befugnis den
Steuerpflichtigen, die unter die Steuerbefreiungen der Sechsten Richtlinie fallen, die
Möglichkeit einräumen, in allen Fällen oder in bestimmten Grenzen oder auch nach
bestimmten Modalitäten auf die Befreiung zu verzichten". Die Mitgliedstaaten verfügen
insoweit über ein "weites Ermessen" (EuGH-Urteil vom 9. September 2004 C-269/03,
Vermietungsgesellschaft Objekt Kirchberg Sàrl, Slg. 2004, I-8067, Rdnr. 21). Entscheiden sie
sich für die Einführung eines Optionsrechts, können sie "auch bestimmte Umsätze oder
bestimmte Gruppen von Steuerpflichtigen vom Geltungsbereich dieses Rechts ausnehmen"
(EuGH-Urteil vom 12. Januar 2006 C-246/04, Turn- und Sportunion Waldburg, Slg. 2006, I-
589, Rdnrn. 29 f.). Mitgliedstaaten, die von der Befugnis Gebrauch machen, den Umfang des
Optionsrechts zu beschränken und die Modalitäten seiner Ausübung festzulegen, müssen
aber "die Ziele und die allgemeinen Grundsätze der ... Richtlinie, insbesondere den
Grundsatz der steuerlichen Neutralität und das Erfordernis einer korrekten, einfachen und
einheitlichen Anwendung der vorgesehenen Befreiungen, beachten" (EuGH-Urteil Turn- und
Sportunion Waldburg in Slg. 2006, I-589, Rdnr. 31).
13 c) Die in § 9 Abs. 2 Satz 1 UStG für den Verzicht genannten Voraussetzungen stehen im
Einklang mit dem Unionsrecht. Es ist insbesondere mit dem Grundsatz der steuerlichen
Neutralität vereinbar, das Recht zum Verzicht auf die Steuerfreiheit bei einer Vermietung
davon abhängig zu machen, dass der Mieter nicht nur Unternehmer ist, sondern das
Mietobjekt auch für Umsätze verwendet, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen. Denn
der Neutralitätsgrundsatz erfasst zwar wirtschaftliche Tätigkeiten, steht aber unter dem
Vorbehalt, dass "diese Tätigkeiten grundsätzlich selbst der Mehrwertsteuer unterliegen"
(EuGH-Urteil vom 6. September 2012 C-496/11, Portugal Telecom, Umsatzsteuer-
Rundschau 2012, 762, Rdnr. 44).
14 2. § 9 Abs. 2 Satz 1 UStG lässt einen nur teilweisen Verzicht im Umfang der Verwendung für
Umsätze zu, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen. Das richtet sich nach der
Verwendung des Mietgegenstandes, dessen Überlassung ohne den Verzicht nach § 4 Nr. 12
UStG steuerfrei wäre. Wesensmerkmal der (steuerfreien) Vermietung ist es, dem
Vertragspartner auf bestimmte Zeit gegen Vergütung das Recht einzuräumen, ein
Grundstück so in Besitz zu nehmen, als wäre er dessen Eigentümer, und jede andere
Person von diesem Recht auszuschließen (BFH-Urteil vom 8. November 2012 V R 15/12,
BFHE 239, 509, BStBl II 2013, 455, unter II.1.a, m.w.N. zur EuGH-Rechtsprechung). Die
somit erforderliche Inbesitznahme des Grundstücks bezieht sich auf die Flächen des
mietweise überlassenen Grundstücks. Dementsprechend kommt es beim Verzicht nach § 9
Abs. 2 Satz 1 UStG auf die Verwendung dieser Grundstücksflächen an.
15 Berechtigt § 9 Abs. 2 Satz 1 UStG zu teilweisem Verzicht, bezieht sich dieser
dementsprechend auf Teilflächen des Mietgegenstandes. Der Verzicht gemäß § 9 Abs. 2
Satz 1 UStG kann daher auch teilweise für einzelne Flächen eines Mietobjekts wirksam sein,
wenn diese Teilflächen eindeutig bestimmbar sind. Ebenso wie bei der Vorsteueraufteilung
nach § 15 Abs. 4 UStG sind dabei die baulichen Gegebenheiten des vermieteten
Grundstücks zu berücksichtigen. Ist Mietgegenstand z.B. ein gemischtgenutztes Gebäude,
kann der Verzicht nach § 9 Abs. 2 Satz 1 UStG auf die Vermietung von Ladeneinheiten
beschränkt werden, die der Mieter für Umsätze verwendet, die den Vorsteuerabzug nicht
ausschließen, ohne auch die steuerfreie Vermietung von Wohnungen zu erfassen (vgl. BFH-
Urteil vom 7. Juli 2011 V R 36/10, BFHE 234, 542, BStBl II 2012, 77, unter II.3.c aa, zu § 15
Abs. 4 UStG).
16 Einer derartigen Teiloption muss ein hinreichend objektiv nachprüfbarer Aufteilungsmaßstab
zugrunde liegen. Dies ist bei einer Abgrenzung der Teilflächen nach baulichen Merkmalen
wie etwa nach den Räumen eines Mietobjekts zu bejahen. Teilflächen innerhalb eines
Raums sind demgegenüber im Regelfall wie z.B. bei der Vermietung eines Büros nicht
hinreichend abgrenzbar.
17 3. Im Streitfall ist danach das Urteil des FG aufzuheben und die Sache an das FG
zurückzuverweisen. Zwar hat das FG im Ergebnis zu Recht entschieden, dass ein
vollständiger Verzicht für die Gesamtheit der Mietflächen nicht in Betracht kommt, da ein
Raum mit einem Anteil an der Gesamtfläche von 5,68 % auch für vorsteuerabzugsschädliche
Umsätze verwendet wurde.
18 Es kommt aber ein Teilverzicht in Betracht, da hierfür entgegen dem Urteil des FG kein
abgrenzbarer Funktionsbereich erforderlich ist, der Gegenstand eines selbständigen
Mietvertrags sein könnte. Möglich ist vielmehr auch ein Teilverzicht, der sich auf einzelne
Räume bezieht, zumal auch die Vermietung eines Raums in einem Büro Gegenstand eines
eigenständigen Mietvertrags sein kann.
19 Hierzu sind im zweiten Rechtsgang weitere Feststellungen zu treffen. Dabei können
Gemeinflächen wie Flure, Küchen- und Sanitärflächen nach den Verhältnissen des Streitfalls
der steuerpflichtig vermieteten Teilfläche zugerechnet werden, da nur einer von mehreren
Büroräumen --und dieser auch nur teilweise-- für vorsteuerabzugsschädliche Umsätze
verwendet wurde.