Urteil des BFH vom 21.01.2014

Gesonderte und einheitliche Feststellung von Veräußerungsgewinnen bei Erwerb einer Beteiligung an einer grundstücksbesitzenden Personengesellschaft und Veräußerung von Wohnungen innerhalb der Veräußerungsfrist

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 21.1.2014, IX R 9/13
Gesonderte und einheitliche Feststellung von Veräußerungsgewinnen bei Erwerb einer
Beteiligung an einer grundstücksbesitzenden Personengesellschaft und Veräußerung von
Wohnungen innerhalb der Veräußerungsfrist
Leitsätze
Erwirbt ein Steuerpflichtiger eine Beteiligung an einer grundstücksbesitzenden
Personengesellschaft und veräußert diese zwei Wohnungen innerhalb der zehnjährigen
Veräußerungsfrist nach Beitritt, ist über die Frage, ob er den Einkünftetatbestand des § 22 Nr. 2
i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG verwirklicht hat, nicht im Verfahren der gesonderten und
einheitlichen Feststellung von Einkünften zu entscheiden.
Tatbestand
1 I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erwarb von H einen Gesellschaftsanteil in Höhe
von 400/1 545 an der im Jahr 1991 gegründeten H-GbR (Beteiligte zu 1), deren Zweck der
Ankauf und die Modernisierung der Immobilie A sowie deren Vermietung und Verwaltung ist.
Der Kläger gewährte H mit Vertrag vom 3. März 1996 ein verzinsliches Darlehen in Höhe
von 120.000 DM für die Laufzeit von einem Jahr. H trat als Darlehenssicherheit seinen
Geschäftsanteil an der Beteiligten zu 1 an den Kläger ab. Dem Kläger wurden keine über die
Verwertung hinausgehenden zusätzlichen Rechte an dem Gesellschaftsanteil eingeräumt.
2 Da H das Darlehen nicht bediente, erklärte er sich damit einverstanden, dass der Kläger den
Gesellschaftsanteil freihändig verkaufen solle, um von dem Veräußerungserlös das
Darlehen zurückzuführen und den Überschuss an H auszukehren. Nachdem eine solche
Veräußerung scheiterte, wurde der Gesellschaftsanteil an der Beteiligten zu 1 am 27. Juni
1997 an die Y-GmbH abgetreten, die diesen treuhänderisch für den Kläger erwarb. Nach
Auflösung dieses Treuhandverhältnisses wurde der Kläger im Jahr 2004 unmittelbar als
Inhaber des Anteils an der Beteiligten zu 1 im Grundbuch eingetragen.
3 Der Beteiligte zu 2 erwarb mit Wirkung zum 1. August 2003 einen Geschäftsanteil (20/1 545)
an der Beteiligten zu 1. Der Kläger und der Beteiligte zu 2 sind die einzigen Gesellschafter
der Beteiligten zu 1, die nicht Gründungsgesellschafter sind.
4 Die Beteiligte zu 1 veräußerte am 25. August 2006 und am 30. Oktober 2006 zwei
Wohneinheiten.
5 In der Anlage SO zu ihrer Feststellungserklärung für das Streitjahr 2006 erklärte die
Beteiligte zu 1 für "Anteil Kläger/Beteiligter zu 2" unter Angabe einer Anschaffung am
"1. Januar 2006" und einer Veräußerung am "31. Dezember 2006" einen
Veräußerungsgewinn in Höhe von 45.885 EUR. Diesen teilte sie in einen den Kläger
zuzurechnenden Veräußerungsgewinn in Höhe von 44.567,43 EUR und einen dem
Beteiligten zu 2 zuzurechnenden Veräußerungsgewinn in Höhe von 1.318,28 EUR auf.
6 Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) stellte in seinem an die
Beteiligte zu 1 gerichteten Bescheid für das Streitjahr über die gesonderte und einheitliche
Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 11. Januar 2008 Einkünfte aus privaten
Veräußerungsgeschäften i.S. des § 23 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von
45.885,71 EUR fest und verteilte diese erklärungsgemäß auf den Kläger und den Beteiligten
zu 2.
7 Der Einspruch und die Klage mit dem Antrag, den Bescheid für 2006 über die gesonderte
und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 11. Januar 2008 in Gestalt
der Einspruchsentscheidung vom 31. August 2009 insoweit zu ändern, als bei den sonstigen
Einkünften kein Gewinn in Höhe von 44.567,43 EUR aus privaten Veräußerungsgeschäften
i.S. des § 23 EStG festgestellt und ihm zugerechnet wird, blieben erfolglos. Das
Finanzgericht (FG) führte aus, über den Veräußerungsgewinn sei im
Gewinnfeststellungsverfahren und nicht bei den Einkommensteuerveranlagungen auf der
Gesellschafterebene zu entscheiden. Der Kläger und der Beteiligte zu 2 hätten im Zuge der
Wohnungsveräußerungen gemeinsam ein privates Veräußerungsgeschäft i.S. des § 23
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Satz 4 EStG verwirklicht. Sie hätten gemäß § 23 Abs. 1 Satz 4
EStG infolge des Erwerbs ihrer Beteiligungen an der Beteiligten zu 1 anteilig alle deren
Wirtschaftsgüter einschließlich der beiden Wohnungen angeschafft und, da ihnen gemäß
§ 39 Abs. 2 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) die Veräußerungen dieser Wohnungen durch
die Beteiligte zu 1 zuzurechnen seien, diese innerhalb der Zehnjahresfrist auch wieder
veräußert. Der Kläger habe seinen Gesellschaftsanteil an der Beteiligten zu 1 und damit
anteilig die im Streitjahr veräußerten Wohnungen erst im Juli 1997 aufgrund des
Anteilserwerbs durch die Y-GmbH angeschafft, die den Anteil treuhänderisch für den Kläger
hielt.
8 Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung der §§ 179 Abs. 1, 180 Abs. 1 Nr. 2
Buchst. a AO, des § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO und des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 4 EStG.
Da die Beteiligte zu 1 keine Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften erzielt habe,
sei die für den Kläger erfolgte gesonderte Feststellung für das Streitjahr aufzuheben. Es
fehle überdies die materielle Identität der angeschafften und veräußerten Wirtschaftsgüter. Er
habe zwar mit dem Erwerb des Gesellschaftsanteils fiktiv die anteiligen Wirtschaftsgüter der
Beteiligten zu 1 erworben, aber habe diese anteiligen Wirtschaftsgüter nicht durch die
Veräußerung seiner Beteiligung fiktiv veräußert.
9 Der Kläger stellt keinen ausdrücklichen Antrag.
10 Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
11 Die Entscheidung über den Veräußerungsgewinn des Klägers sei zu Recht im
Feststellungsverfahren erfolgt. Beim sachkundigen Feststellungsfinanzamt lägen die
Kenntnisse über die bei der Gesellschaft vorhandenen Wirtschaftsgüter vor. Dies verhindere
verfahrensökonomisch widersprüchliche Festsetzungen für verschiedene Gesellschafter.
Der Wortlaut des § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO setze lediglich voraus, dass an den
Einkünften mehrere, aber nicht notwendig alle Gesellschafter der H-GbR beteiligt seien.
12 Die Beteiligten zu 1 und 2 haben keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
13 II. Die Revision des Klägers ist zulässig und begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1
Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur
Stattgabe der Klage.
14 1. Die Revision des Klägers ist zulässig, obwohl kein ausdrücklicher Revisionsantrag
gestellt wurde. Zwar muss nach § 120 Abs. 3 Nr. 1 FGO die Revisionsbegründung die
Erklärung enthalten, inwieweit das Urteil angefochten und dessen Aufhebung beantragt wird.
Ein förmlicher Revisionsantrag in der Revisionsbegründung ist aber entbehrlich, wenn sich
aus dem Vorbringen des Revisionsklägers eindeutig ergibt, inwieweit er sich durch das
angefochtene Urteil beschwert fühlt und inwieweit er dessen Aufhebung oder Änderung
erstrebt (vgl. Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 120 Rz 53, m.w.N. aus der
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH--). Das von dem Kläger mit der Revision
verfolgte Ziel ist eindeutig der Revisionsbegründungsschrift zu entnehmen, in der er sich
ausdrücklich gegen die dem Urteil zugrunde liegende Rechtsauffassung des FG wendet und
damit inzidenter die Aufhebung des darauf beruhenden Urteils erreichen will (vgl. BFH-Urteil
vom 30. Januar 2008 X R 1/07, BFHE 220, 403, BStBl II 2008, 520).
15 2. Die Revision ist auch begründet. Entgegen der Auffassung des FA und FG erfolgte zu
Unrecht eine gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte aus privaten
Veräußerungsgeschäften, da die Voraussetzungen einer --auf der Ebene der Beteiligten zu
1-- gemeinschaftlichen Erzielung von Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften nicht
vorliegen.
16 a) Die Vorentscheidung verletzt §§ 179 Abs. 1, 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO. Für die
gesonderte und einheitliche Zurechnung von Einkünften aus privaten Veräußerungen i.S.
des § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 EStG im Bescheid vom 11. Januar 2008 fehlte die
gesetzliche Grundlage.
17 aa) Nach § 179 Abs. 1 AO werden die Besteuerungsgrundlagen abweichend von § 157
Abs. 2 AO durch Feststellungsbescheid gesondert festgestellt, soweit dies in diesem Gesetz
oder sonst in den Steuergesetzen bestimmt ist.
18 Einkünfte, an denen i.S. von § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO Mehrere beteiligt sind, liegen --
unter weiteren Voraussetzungen-- nur dann vor, wenn mehrere Personen "gemeinsam" den
Tatbestand der Einkunftserzielung verwirklichen (BFH-Urteile vom 11. Juli 1985 IV R 61/83,
BFHE 144, 151, BStBl II 1985, 577; vom 13. Juli 1994 X R 7/91, BFH/NV 1995, 303;
Klein/Ratschow, AO, 11. Aufl., § 180 Rz 7). Daran fehlt es im Streitfall.
19 bb) Nach dem Urteil des BFH in BFH/NV 1995, 303 verwirklichen Gesellschafter einer
Personengesellschaft den Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG auch dann nicht
gemeinsam, wenn sie einer grundstücksbesitzenden Gesellschaft beitreten (was nach
Auffassung des damals beklagten FA eine "Anschaffung" im Sinne dieser Bestimmung ist)
und die Gesellschaft selbst innerhalb der Spekulationsfrist nach Beitritt ein Grundstück
veräußert (vgl. auch BFH-Urteil vom 13. Oktober 1993 X R 49/92, BFHE 172, 315, BStBl II
1994, 86).
20 cc) Nach diesen Maßstäben ist der Anteilserwerb des Klägers an der
grundstücksbesitzenden Gesellschaft --als der die "Anschaffung" konstituierende Teilakt--
nicht "in der Einheit der Gesellschaft", sondern als individuelle Anlageentscheidung
ausschließlich von dem einzelnen Gesellschafter verwirklicht worden (vgl. BFH-Urteil in
BFH/NV 1995, 303). Der im Jahr 2003 erfolgte individuelle Anteilserwerb durch den
Beteiligten zu 2 ist davon unabhängig getrennt zu beurteilen. Dementsprechend ist ein
etwaiger Gewinn oder Verlust aus Veräußerungsgeschäften (§ 23 Abs. 3 Satz 1 EStG)
jeweils für den einzelnen Beteiligten anhand seiner individuellen Anschaffungskosten zu
ermitteln.
21 "In der Einheit der Personengesellschaft" sind lediglich die Veräußerungsgeschäfte im
Streitjahr getätigt worden. Allein der Umstand, dass die Wohnungen von der Beteiligten zu 1
veräußert worden sind, reicht aber für die Annahme, dass "an den Einkünften mehrere
Personen beteiligt" sind, nicht aus.
22 dd) Da das FG-Urteil diesen Grundsätzen nicht entspricht, ist es aufzuheben. Die Sache ist
spruchreif. Der Klage ist stattzugeben.
23 b) Daher bedarf es keiner abschließenden Beurteilung des Senats mehr, ob das FG den
Gewinnanteil des Klägers aus dem Verkauf der beiden Wohnungen zutreffend als Gewinn
aus privaten Veräußerungsgeschäften gemäß § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG
angesehen hat.
24 Es liegt aber nach den Feststellungen des FG nahe, dass der Kläger im Streitfall gemäß § 23
Abs. 1 Satz 4 EStG die unmittelbare Beteiligung an der Beteiligten zu 1 und damit zugleich
die anteiligen Wohnungen entgeltlich erworben hat (vgl. auch BFH-Urteil vom 20. April 2004
IX R 5/02, BFHE 206, 110, BStBl II 2004, 987; zustimmend Wacker, Deutsches Steuerrecht
2005, 2014, 2016 f.) und die im Streitjahr erfolgte Veräußerung der zwei Wohnungen durch
die Beteiligte zu 1 nach § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO (sog. Bruchteilsbetrachtung) anteilig dem
Kläger zuzurechnen ist (vgl. BFH-Urteile vom 13. Juli 1999 VIII R 72/98, BFHE 190, 87,
BStBl II 1999, 820; vom 9. Mai 2000 VIII R 41/99, BFHE 192, 273, BStBl II 2000, 686).