Urteil des BFH vom 17.03.2010

Zehn Jahre Nutzungsdauer bei Zuckerrübenlieferrechten

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 17.3.2010, IV R 3/08
Zehn Jahre Nutzungsdauer bei Zuckerrübenlieferrechten
Leitsätze
1. Zuckerrübenlieferrechte sind abnutzbare immaterielle Wirtschaftsgüter. Das gilt unabhängig davon, ob sie an den Betrieb
oder an Aktien gebunden sind .
2. Eine Schätzung der Nutzungsdauer auf zehn Jahre ist nicht zu beanstanden .
Tatbestand
1 I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden in den Streitjahren (1996 bis 2000) zusammen zur
Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist Landwirt. Den Gewinn ermittelt er durch Bestandsvergleich (§ 4 Abs. 1 des
Einkommensteuergesetzes --EStG--) für das landwirtschaftliche Normalwirtschaftsjahr (§ 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG).
2 Der Kläger hatte von anderen Landwirten Zuckerrübenlieferrechte erworben. Die Anschaffungskosten aktivierte er und
schrieb sie auf einen Zeitraum von zehn Jahren ab.
3 Nach einer Außenprüfung für die Jahre 1996 bis 1999 versagte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --
FA--) u.a. die Abschreibungen auf die Zuckerrübenlieferrechte und erhöhte die betreffenden Buchwerte und die den
Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft in den Streitjahren zu Grunde liegenden Gewinne entsprechend.
4 Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht entschied, Zuckerrübenlieferrechte seien immaterielle
Wirtschaftsgüter des land- und forstwirtschaftlichen Betriebs. Solche Rechte könnten zwar abgeschrieben werden,
wenn sie dem Wertverzehr unterlägen. Daran habe es jedoch in den Streitjahren bei Zuckerrübenlieferrechten gefehlt.
Diese seien daher trotz ihrer zeitlichen Begrenzung dem nicht abnutzbaren Anlagevermögen zuzurechnen. Das Urteil
ist in Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2008, 1056 veröffentlicht.
5 Dagegen richtet sich die Revision der Kläger. Sie machen geltend, ein Zuckerrübenlieferrecht sei ein verfestigtes Recht
von unbestimmter Dauer, bei dem Gewissheit über das Ende bestehe, bis zum 30. Juni 2006 jedoch nicht über den
Zeitpunkt des Wegfalles. Ab dem Wirtschaftsjahr 2006/07 gelte eine neue EU-Verordnung (Nr. 318/2006), die zu einem
Paradigmenwechsel geführt habe, mit der Folge, dass nunmehr retrospektiv betrachtet das Ende der bisherigen
Regelungen wirtschaftlich auf den 30. Juni 2006 zu fixieren sei. Damit sei auch die Nutzungsdauer bestimmbar.
Zuckerrübenlieferrechte seien daher in allen noch offenen Fällen einer planmäßigen linearen Abschreibung nach § 7
EStG zugänglich. Hierbei könne eine Nutzungsdauer von zehn Jahren unterstellt werden, analog der Regelung der
Finanzverwaltung in Bezug auf entgeltlich erworbene Milchreferenzmengen.
6 Die Kläger beantragen,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Einkommensteuer-Änderungsbescheide für die Jahre 1996 bis 2000 vom
28. November 2002, sämtlich in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 24. November 2003, in der Weise zu ändern,
dass unter Berücksichtigung einer linearen Abschreibung von zehn Jahren auf die Zuckerrübenlieferrechte in den
Wirtschaftsjahren
1995/96 in Höhe von 16.137 DM,
1996/97 in Höhe von 27.867 DM,
1997/98 in Höhe von 24.717 DM,
1998/99 in Höhe von 30.379 DM,
1999/2000 in Höhe von 52.751 DM und
2000/01 in Höhe von 66.308 DM
die Gewinne aus Land- und Forstwirtschaft gemindert werden und die Einkommensteuer für die Jahre 1996 bis 2000
entsprechend festgesetzt wird.
7 Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Stattgabe der Klage (§ 126
Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Der Kläger konnte die Zuckerrübenlieferrechte linear auf zehn
Jahre abschreiben.
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1. Absetzungen für Abnutzung (AfA) in gleichen Jahresbeträgen sind nach § 7 Abs. 1 Satz 1 EStG bei
Wirtschaftsgütern vorzunehmen, deren Verwendung oder Nutzung durch den Steuerpflichtigen zur Erzielung von
Einkünften sich erfahrungsgemäß auf einen Zeitraum von mehr als einem Jahr erstreckt. Die Absetzung bemisst sich
dabei nach der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer des Wirtschaftsguts (§ 7 Abs. 1 Satz 2 EStG).
10 2. Zuckerrübenlieferrechte sind selbständige immaterielle Wirtschaftsgüter (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH--
vom 16. Oktober 2008 IV R 1/06, BFHE 226, 37, BStBl II 2010, 28, unter II.2. der Gründe, m.w.N.), wie vorliegend
zwischen den Beteiligten nicht streitig ist. Es handelt sich um Rechte von zwar unbestimmter, aber begrenzter Dauer,
da Gewissheit über ihr Ende, nicht aber über dessen Zeitpunkt besteht. Ihre Nutzung ist zeitlich begrenzt, weil sie von
der EU-Zuckermarktordnung abhängt, die nur für begrenzte Zeit Gültigkeit hat. Zuckerrübenlieferrechte sind daher
abnutzbar, wie der Senat im Urteil in BFHE 226, 37, BStBl II 2010, 28 im Einzelnen dargelegt hat (unter II.3. und II.4.
der Gründe, m.w.N.). Daran ist festzuhalten. Es kommt in diesem Zusammenhang auch nicht darauf an, ob es sich um
betriebsgebundene oder um an Aktien gebundene Zuckerrübenlieferrechte handelt.
11 3. Da die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer der Zuckerrübenlieferrechte nicht feststeht, ist sie zu schätzen (BFH-
Urteil in BFHE 226, 37, BStBl II 2010, 28, unter II.5. der Gründe, m.w.N.). Der Senat hat damals entschieden, dass die
Schätzung der Nutzungsdauer durch die Klägerin auf 15 Jahre, die mit der Schätzung der Nutzungsdauer eines
Geschäfts- oder Firmenwerts übereinstimmte, jedenfalls nicht zu niedrig war. Er hat jedoch offen gelassen, ob eine
kürzere Nutzungsdauer infrage kommt, zum Beispiel in Anlehnung an die Schätzung einer zehnjährigen
Nutzungsdauer bei Milchquoten, wie sie die Finanzverwaltung vornimmt (Urteil in BFHE 226, 37, BStBl II 2010, 28,
unter II.5.b der Gründe).
12 4. Nunmehr entscheidet der Senat, dass eine Schätzung der Nutzungsdauer von Zuckerrübenlieferrechten auf zehn
Jahre nicht zu beanstanden ist, sofern sie mindestens zehn Jahre vor Auslaufen der Zuckermarktordnung erworben
wurden.
13 a) Dafür sprechen die relativ kurze Laufzeit der zu Grunde liegenden EU-Verordnungen --im vorliegend maßgeblichen
Zeitraum zwischen ein und fünf Jahren-- und die Ungewissheit ihrer Verlängerung (s. dazu im Einzelnen BFH-Urteil in
BFHE 226, 37, BStBl II 2010, 28, unter II.4.a der Gründe). Diese Ungewissheit rechtfertigt es entgegen der Auffassung
des FA nicht, von immerwährenden Rechten auszugehen.
14 b) Hinzu kommt, dass die für die Bestimmung der Nutzungsdauer von Zuckerrübenlieferrechten maßgeblichen
Gesichtspunkte sich nicht wesentlich von denjenigen bei Milchlieferrechten unterscheiden.
15 aa) Bei Zuckerrübenlieferrechten handelt es sich wie bei Milchlieferrechten um gemeinschaftsrechtlich geregelte
Lieferrechte (zu Milchlieferrechten vgl. insoweit das BFH-Urteil vom 29. April 2009 IX R 33/08, BFHE 225, 361, unter
II.2.a der Gründe). Die Zuckermarktordnung gilt bis zum Ablauf des Zuckerwirtschaftsjahrs 2014/15 am 30. September
2015 (EG-Verordnung Nr. 318/2006 des Rates vom 20. Februar 2006 über die gemeinsame Marktordnung für Zucker,
Amtsblatt der Europäischen Union 2006, Nr. L 58, 1); sie ist auch insoweit der Milch-Garantiemengen-Verordnung
vergleichbar, die zum 31. März 2015 ausläuft (vgl. BFH-Urteil in BFHE 225, 361, unter II.2.a der Gründe).
16 Nach Auffassung der Finanzverwaltung sind entgeltlich erworbene Milchlieferrechte auf zehn Jahre abzuschreiben
(Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 14. Januar 2003 IV A 6 -S 2134- 52/02, BStBl I 2003, 78, Tz.
28). Dem ist der BFH gefolgt (BFH-Urteil in BFHE 225, 361, unter II.2.b der Gründe).
17 bb) Zuckerrübenlieferrechte sind dagegen mit firmen- oder geschäftswertähnlichen Wirtschaftsgütern weniger
vergleichbar. Unter solchen Wirtschaftsgütern versteht man Rechtspositionen oder faktische Verhältnisse wie z.B.
einen Kundenstamm, einen Verlagswert und eine Güterfernverkehrsgenehmigung, die ähnlich wie der Geschäftswert
mit dem Unternehmen als solchem und seinen Gewinnchancen unmittelbar verknüpft sind, die aber losgelöst von
einem Unternehmen oder Unternehmensteil als selbständige Wirtschaftsgüter übertragbar sind (BFH-Urteil vom 28.
Mai 1998 IV R 48/97, BFHE 186, 268, BStBl II 1998, 775, unter 1.a der Gründe, m.w.N.).
18 Zuckerrübenlieferrechte werden demgegenüber dadurch charakterisiert, dass sie --wie Milchlieferrechte-- auf
gemeinschaftsrechtlicher Grundlage eine Abnahmegarantie zu Sonderkonditionen einräumen und vom Fortbestand
der zu Grunde liegenden gemeinschaftsrechtlichen Regelungen abhängen.
19 5. Das angefochtene Urteil beruht auf einer anderen Rechtsauffassung. Es war daher aufzuheben. Da über die
Berechnungsgrundlagen der AfA vorliegend kein Streit besteht, ist die Sache spruchreif. Die angefochtenen
Einkommensteuerbescheide sind antragsgemäß zu ändern. Die Ermittlung und Berechnung der festzusetzenden
Einkommensteuerbeträge nach Maßgabe der Gründe dieser Entscheidung wird dem FA übertragen (§ 100 Abs. 2
Satz 2 i.V.m. § 121 Satz 1 FGO).