Urteil des BFH vom 19.03.2014

Organschaft in der Insolvenz

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 19.3.2014, V B 14/14
Organschaft in der Insolvenz
Leitsätze
Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die Zusammenfassung mehrerer Personen zu einem Unternehmen
durch die umsatzsteuerrechtliche Organschaft nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
fortbesteht. Dies gilt gleichermaßen für die Insolvenzeröffnung beim Organträger wie auch bei der
Organgesellschaft.
Tatbestand
1 I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ist Unternehmerin.
Alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der Antragstellerin war A, daneben bestand
auch eine Geschäftsführungsbefugnis für B und C.
2 Die Antragstellerin war unmittelbar oder über die Tochtergesellschaft D-GmbH
Alleingesellschafter der E-GmbH, F-GmbH, G-GmbH, H-GmbH, I-GmbH und J-GmbH. Mit
Ausnahme der J-GmbH war A bei allen Gesellschaften alleinvertretungsberechtigter
Geschäftsführer. Geschäftsführer der J-GmbH waren N, der bei der Antragstellerin zugleich
in leitender Funktion tätig war, und C.
3 Für den Zeitraum bis zum 1. Mai 2012 gingen die Antragstellerin und der Antragsgegner und
Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) davon aus, dass alle sechs
Tochtergesellschaften Organgesellschaften der Antragstellerin gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 des
Umsatzsteuergesetzes (UStG) waren.
4 Am 5. März 2012 stellte die Antragstellerin beim zuständigen Amtsgericht Insolvenzantrag
und beantragte Eigenverwaltung. Das zuständige Amtsgericht bestellte noch am gleichen
Tag P zum vorläufigen Sachwalter und ordnete an, dass die Antragstellerin berechtigt war,
unter Aufsicht des vorläufigen Sachwalters (P) die Insolvenzmasse weiter zu verwalten und
über sie zu verfügen.
5 Mit Beschluss vom 1. Mai 2012 eröffnete das Amtsgericht das Insolvenzverfahren über das
Vermögen der Antragstellerin und zeitgleich auch über das Vermögen der sechs
Tochtergesellschaften. Für alle Verfahren wurde Eigenverwaltung i.S. von § 270 Abs. 1 der
Insolvenzordnung (InsO) angeordnet, P wiederum jeweils zum Sachwalter bestellt und
Gläubigerausschüsse eingesetzt. In allen Eröffnungsbeschlüssen wurde angeordnet, dass
die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis gemäß § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO bei der
jeweiligen Schuldnerin verbleibe und schuldbefreiende Leistungen nur an diese zu erfolgen
haben.
6 Die für die Antragstellerin sowie deren Tochtergesellschaften gesondert abgegebenen
Umsatzsteuer-Voranmeldungen für Mai 2012 fasste das FA in der Annahme, die Organschaft
bestehe fort, zusammen und erließ am 5. Juli 2012 einen Umsatzsteuer-
Vorauszahlungsbescheid Mai 2012 gegenüber der Antragstellerin in Höhe von
590.413,36 EUR. Die Vorauszahlungen der Tochtergesellschaften wurden durch die
Bescheide vom 24. Juli 2012 auf 0 EUR festgesetzt. Die I-GmbH wurde bei der Festsetzung
vom 5. Juli 2012 noch nicht berücksichtigt, sondern erst bei Erlass des Änderungsbescheids
vom 18. Oktober 2012.
7 Am 17. Juli 2012 legte die Antragstellerin gegen die Festsetzung der Umsatzsteuer-
Vorauszahlung Mai 2012 Einspruch ein, da die Organschaft durch die Eröffnung des
Insolvenzverfahrens beendet worden sei. Das FA wies den Einspruch mit Bescheid vom
1. August 2012 als unbegründet zurück. Hiergegen erhob die Antragstellerin Klage zum
Finanzgericht (FG), über die noch nicht entschieden ist.
8 Den Antrag der Antragstellerin, die Vollziehung des angefochtenen Umsatzsteuer-
Vorauszahlungsbescheids Mai 2012 auszusetzen, lehnte das FA mit Bescheid vom
10. Oktober 2012 ab. Das FA änderte sodann die Festsetzung der Umsatzsteuer-
Vorauszahlung Mai 2012 durch Bescheid vom 20. November 2012, so dass sich eine
Umsatzsteuer von 556.802,13 EUR ergab.
9 Auch das FG verneinte in dem in Deutsches Steuerrecht (DStR) 2014, 415 veröffentlichten
Beschluss ernstliche Zweifel am Fortbestand der Organschaft. Die organisatorische
Eingliederung habe unverändert weiter vorgelegen. Die Insolvenzeröffnung habe im Hinblick
auf das Verfahren der Eigenverwaltung ohne Bestellung von Insolvenzverwaltern bei der
Antragstellerin und ihren Tochtergesellschaften hieran nichts geändert. Ob die
Eigenverwaltung aufgrund besonderer Befugnisse des Sachwalters zu einer Beendigung
der Organschaft führen könne, sei unerheblich, da dem Sachwalter im Streitfall keine
derartigen Befugnisse zugestanden hätten. Abweichendes ergebe sich auch nicht aus
Art. 11 der Richtlinie des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame
Mehrwertsteuersystem 2006/112/EG (MwStSystRL).
10 Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer vom FG zugelassenen Beschwerde. Das
FG habe nicht berücksichtigt, dass Aufsichtsrat und Gesellschafterversammlung gemäß
§ 276a InsO keinen Einfluss auf die Geschäftsführung des Schuldners hätten. Es fehle damit
an der finanziellen Eingliederung. Der Geschäftsführer sei nicht mehr der
Gesellschafterversammlung verpflichtet. Es fehle auch die organisatorische Eingliederung.
Die Geschäftstätigkeit werde an den Interessen der Gläubiger ausgerichtet, die
Überwachung erfolge durch Insolvenzorgane wie Sachwalter, Gläubigerausschuss und
Gläubigerversammlung. Der Geschäftsführer sei daher mit "zwei Hüten" tätig. Die
Beherrschung sei somit entfallen, auch wenn derselbe Geschäftsführer weiter tätig sei. Der
Sachwalter sei nach § 280 InsO auch zur Anfechtung berechtigt. Zudem bestehe nach § 276
InsO für Rechtshandlungen, die für das Insolvenzverfahren von besonderer Bedeutung
seien, ein Zustimmungsvorbehalt zugunsten des Gläubigerausschusses. Dies gelte auch im
Konzern und stehe einer uneingeschränkten Willensdurchsetzung durch den Organträger
bei der Organgesellschaft entgegen. Bestätigt werde das Entfallen der Organschaft durch die
jüngere Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zum Eröffnungsverfahren. Entgegen
dem FG-Beschluss in DStR 2014, 415 bestehe kein uneingeschränktes Zugriffsrecht auf die
Vermögen der Tochtergesellschaften. Schließlich stehe auch § 276a InsO einer finanziellen
Eingliederung entgegen.
11 Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid Mai 2012 vom 20. November 2012 in Höhe von
3.000 EUR in der Vollziehung auszusetzen.
12 Das FA beantragt,
die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
13 P sei mit Einreichung des Insolvenzantrags zunächst am 5. März 2012 zum vorläufigen
Sachwalter bestellt worden. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 1. Mai 2012 und
der Anordnung von Eigenverwaltung sei P zum Sachwalter bei allen Gesellschaften bestellt
worden. Sonderrechte wie etwa Kassenführungsbefugnis (§ 275 Abs. 2 InsO) hätten für den
Sachwalter nicht bestanden. Es hätten auch keine Zustimmungspflichten nach § 275 Abs. 1
InsO und § 277 Abs. 1 InsO vorgelegen. Bei allen Gesellschaften sei derselbe Sachwalter
tätig gewesen. Zudem sei die Personenidentität in den Geschäftsführungsorganen nicht
entfallen. Die Interessen der Muttergesellschaft seien weiter durchsetzungsfähig gewesen.
Entscheidungsgründe
14 II. Die gemäß § 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässige Beschwerde der
Antragstellerin ist begründet. Das FG hat zu Unrecht ernstliche Zweifel am Fortbestand der
Organschaft und damit ernstliche Zweifel der Steuerschuldnerschaft der Antragstellerin für
die von den bisherigen Organgesellschaften ausgeführten Umsätze verneint.
15 1. Nach § 128 Abs. 3 i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO ist die Vollziehung eines
angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel
an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel
i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen bereits dann vor, wenn bei summarischer Prüfung
des angefochtenen Bescheides neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen
gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der
Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher
Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung seit dem BFH-Beschluss vom 10. Februar
1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182; BFH-Beschluss vom 8. April 2009
I B 223/08, BFH/NV 2009, 1437). Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im Verfahren der
Aussetzung der Vollziehung (AdV) gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des
Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (vgl. BFH-
Beschluss vom 7. September 2011 I B 157/10, BFHE 235, 215, BStBl II 2012, 590, unter
II.2.). Zur Gewährung der AdV ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit
sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (BFH-Beschluss
in BFHE 235, 215, BStBl II 2012, 590, unter II.2.).
16 2. Umsatzsteuerrechtlich begründet die Organschaft i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG eine
Zusammenfassung der Unternehmen mehrerer Personen zu einem Unternehmen.
17 a) Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG wird die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nicht
selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen
Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des
Organträgers eingegliedert ist (Organschaft). Die Wirkungen der Organschaft sind auf
Innenleistungen zwischen den im Erhebungsgebiet gelegenen Unternehmensteilen
beschränkt (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 UStG). Diese Unternehmensteile sind als ein
Unternehmen zu behandeln (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 UStG).
18 Unionsrechtlich beruht dies auf Art. 11 MwStSystRL. Danach können die Mitgliedstaaten im
Inland ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, jedoch durch gegenseitige
finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden
sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen behandeln. Bei richtlinienkonformer Auslegung
entsprechend Art. 11 MwStSystRL führt die Organschaft gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG zu
einer "Verschmelzung zu einem einzigen Steuerpflichtigen" (Urteil des Gerichtshofs der
Europäischen Union --EuGH-- vom 22. Mai 2008 C-162/07, Ampliscientifica und Amplifin,
Slg. 2008, I-4019 Rdnr. 19; zur Behandlung mehrerer Personen als einen Steuerpflichtigen
vgl. auch EuGH-Urteile vom 9. April 2013 C-85/11, Kommission/Irland, Umsatzsteuer-
Rundschau --UR-- 2013, 418 Rdnrn. 35 ff., und vom 25. April 2013 C-480/10,
Kommission/Schweden, UR 2013, 423 Rdnrn. 33 ff.). Aufgrund dieser Verschmelzung hat
der Organträger als Unternehmer die Aufgabe als "Steuereinnehmer" für den gesamten
Organkreis wahrzunehmen (BFH-Urteil vom 8. August 2013 V R 18/13, BFHE 242, 433,
BFH/NV 2013, 1747, unter II.3.a, m.w.N. zur EuGH-Rechtsprechung).
19 b) Die Zusammenfassung zu einem Unternehmen führt dazu, dass der Organträger
Steuerschuldner für alle Leistungen ist, die die Unternehmensteile des Organkreises
gegenüber Dritten erbringen. So sind die von der Organgesellschaft gegenüber Dritten
ausgeführten Umsätze dem Organträger zuzurechnen (BFH-Urteil vom 19. Mai 2005
V R 31/03, BFHE 210, 167, BStBl II 2005, 671, unter II.2.a). Leistungsbezüge der
Organgesellschaft von Dritten werden dem Organträger gleichfalls zugerechnet und
berechtigen diesen zum Vorsteuerabzug (BFH-Urteil vom 19. Oktober 1995 V R 71/93,
BFH/NV 1996, 273, unter II.2.). Leistungsbeziehungen zwischen Organträger und
Organgesellschaft sind demgegenüber als Innenumsätze nichtsteuerbar und begründen kein
Recht auf Vorsteuerabzug (vgl. BFH-Urteil vom 17. Januar 2002 V R 37/00, BFHE 197, 357,
BStBl II 2002, 373, Leitsatz 2). Die vom Organkreis geschuldete Steuer ist einheitlich in
einem gegenüber dem Organträger zu erlassenden Steuerbescheid festzusetzen.
20 c) Organträger und Organgesellschaft sind aufgrund ihrer Stellung als Steuerschuldner
(Organträger) und Haftungsschuldner gemäß § 73 der Abgabenordnung --AO--
(Organgesellschaft) nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH)
Gesamtschuldner i.S. von § 421 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Aufgrund seiner
Steuerschuldnerschaft für die Umsätze des gesamten Organkreises steht dem Organträger
daher zivilrechtlich ein Ausgleichsanspruch i.S. von § 426 BGB gegen die Organgesellschaft
auf Zahlung der Umsatzsteuer zu, die auf ihre Umsatztätigkeit entfällt. Dieser
Ausgleichsanspruch beruht nach der BGH-Rechtsprechung darauf, dass der Beteiligte am
Organkreis, aus dessen Umsätzen die an das FA gezahlten Umsatzsteuerbeträge herrühren,
im Innenverhältnis zwischen den dem Organkreis angehörenden Personen auch die
Steuerlast zu tragen hat. Der BGH führt hierfür zutreffend an, dass die Umsatzzurechnung
zum Organträger ohne zivilrechtlichen Innenausgleich dem Grundsatz der
Belastungsneutralität widerspräche, da es sonst zu erheblichen Vermögensverschiebungen
zwischen den am Organkreis beteiligten Rechtsträgern käme (BGH-Urteil vom 29. Januar
2013 II ZR 91/11, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2013, 537, unter II.2.b).
Ebenso würde der Grundsatz der Belastungsneutralität auf Unternehmensebene
systemwidrig durchbrochen, wenn das Recht zum Vorsteuerabzug für die an eine
Organgesellschaft erbrachten Lieferungen und Leistungen zivilrechtlich dem Organträger
zugewiesen würde (BGH-Urteil in HFR 2013, 537, unter II.2.c bb). Somit erfolgt die
Verteilung von Umsatzsteuerlast und Vorsteuerabzugsrecht gleichermaßen nach dem
Verursacherprinzip (BGH-Urteil in HFR 2013, 537, unter II.2.d aa).
21 Gegenstand des Ausgleichsanspruchs ist dabei ein Saldobetrag, der sich zu Lasten oder zu
Gunsten der Organgesellschaft aus einer fiktiven auf die Organgesellschaft bezogenen
Steuerberechnung ergibt (vgl. zur Parallelfrage der Bestimmung des Haftungsumfangs der
Organgesellschaft gemäß § 73 AO zutreffend Stadie in Rau/Dürrwächter,
Umsatzsteuergesetz, § 18 Anhang 1 Rz 63). Dementsprechend geht der BGH von einem
Ausgleichsanspruch in Höhe des Betrages aus, der sich aus den "internen"
Umsatzsteuervoranmeldungen der Organgesellschaft nach Saldierung von
Vorsteuerbeträgen und "Umsatzsteuerschulden" ergibt (BGH-Urteil in HFR 2013, 537, unter
II.3.).
22 d) Führt z.B. die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit allgemeinem
Zustimmungsvorbehalt dazu, dass der Organträger zu einer Willensdurchsetzung in der
Organschaft nicht mehr in der Lage ist und er daher den ihm gegen die Organgesellschaft
zustehenden Ausgleichsanspruch aufgrund insolvenzrechtlicher Besonderheiten nicht mehr
verwirklichen kann, entfällt die organisatorische Eingliederung und mithin die Organschaft
(BFH-Urteil in BFHE 242, 433, BFH/NV 2013, 1747, unter II.3.b).
23 3. Anders als das Umsatzsteuerrecht bei der Organschaft fasst das Insolvenzrecht Verfahren
mehrerer Personen nicht zusammen.
24 a) Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 InsO kann das Insolvenzverfahren über das Vermögen jeder
natürlichen und jeder juristischen Person eröffnet werden. Dies gilt gemäß § 11 Abs. 2 Nr. 1
InsO auch für das Vermögen einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit wie z.B. einer
offenen Handelsgesellschaft oder einer Kommanditgesellschaft.
25 b) Das Insolvenzrecht enthält bislang keine Regelungen, die im Fall einer Konzerninsolvenz
ein einheitliches Insolvenzverfahren für mehrere Konzerngesellschaften ermöglichen (zur
Reformüberlegung vgl. z.B. Siemon, Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und
Sanierung; das gesamte Verfahren der Unternehmens- und Verbraucherinsolvenz 2014, 55,
und Verhoeven, Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht 2014, 217). Sowohl hinsichtlich
der Feststellung des Insolvenzgrundes als auch in Bezug auf die Abwicklung des
Insolvenzverfahrens bleiben verbundene Unternehmen daher insolvenzrechtlich
selbständig. Dabei scheidet die Bildung einer einheitlichen Haftungsmasse bestehend aus
mehreren rechtlich selbständigen Konzerngesellschaften aus, da ansonsten der
unterschiedliche Umfang der Gläubigerrechte, wie sie im Verhältnis zu den einzelnen
Insolvenzschuldnern bestehen, missachtet würde (vgl. Hirte in Uhlenbruck,
Insolvenzordnung, 13. Aufl., § 11 Rz 394). Die Insolvenz eines herrschenden Unternehmens
erstreckt sich daher nach geltendem Recht nur auf dessen Vermögen, nicht dagegen auf das
Vermögen seiner Tochtergesellschaften (Hirte in Uhlenbruck, a.a.O., § 11 Rz 395). Die
Vermögensmassen insolvenzfähiger Gesellschaften und Personen sind dementsprechend
trotz konzernmäßigen Verbundes getrennt abzuwickeln (Maus in Uhlenbruck, a.a.O., § 80
Rz 34), so dass es keine Konzerninsolvenz gibt (Peters in Münchener Kommentar zur
Insolvenzordnung, 3. Aufl., 2013, § 35 Rz 72; vgl. Ehricke in Jaeger, Insolvenzordnung,
2004, § 11 Rz 32).
26 c) Folge dieser insolvenzrechtlichen Einzelbetrachtung ist, dass Ansprüche, die zwischen
den Personen bestehen, die umsatzsteuerrechtlich einem Organkreis angehören, im
Insolvenzfall nur nach den allgemeinen insolvenzrechtlichen Regelungen geltend gemacht
werden können. Daher ist zwischen Insolvenzforderungen (§ 38 InsO), die zur
Insolvenztabelle anzumelden sind (§§ 174 ff. InsO), und bevorrechtigten
Masseverbindlichkeiten (§ 55 InsO) zu unterscheiden. Dies gilt auch für die Ansprüche
Dritter gegen die dem Organkreis angehörigen Personen. So bestehen auch für das FA im
Insolvenzfall nach § 251 Abs. 2 Satz 1 AO keine Vorrechte, so dass es Ansprüche aus dem
Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 AO) ebenfalls nur als Insolvenzforderung oder
Masseverbindlichkeit geltend machen kann (vgl. BFH-Urteil vom 13. Mai 2009 XI R 63/07,
BFHE 225, 278, BStBl II 2010, 11, unter II.2.a aa).
27 4. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die Zusammenfassung mehrerer Personen zu einem
Unternehmen durch die umsatzsteuerrechtliche Organschaft nach der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens (§ 27 InsO) fortbesteht. Dies gilt gleichermaßen für die
Insolvenzeröffnung beim Organträger wie auch bei der Organgesellschaft.
28 a) Der insolvenzrechtliche Einzelverfahrensgrundsatz (s. oben II.3.b) spricht gegen den
Fortbestand der Organschaft bei einer Insolvenzeröffnung über das Vermögen des
Organträgers.
29 aa) Der Senat hat bereits für die nach der Konkursordnung bestehende Rechtslage
entschieden, dass "eine Organschaft ausnahmsweise mit dem Konkurs des Organträgers
enden kann, wenn sich der Konkurs nicht auf die Organgesellschaft erstreckt und der
Konkursverwalter auf ihre laufende Geschäftsführung keinen Einfluß nimmt" (BFH-Urteil vom
28. Januar 1999 V R 32/98, BFHE 187, 355, BStBl II 1999, 258, unter II.1.). Der Senat hat
hierfür insbesondere angeführt, konkursrechtlich sei zwischen dem Vermögen des
Organträgers und dem Vermögen der Organgesellschaft zu unterscheiden. Während das
Vermögen des Organträgers in die Konkursmasse falle, bleibe das Vermögen der
Organgesellschaft konkursfrei. Die Umsatzsteuer aus den Aktivitäten der Organträgerin
zähle zu den Massekosten oder Masseschulden, sei aus der Konkursmasse zu berichtigen
und in einem an die Konkursverwalter des Organträgers zu richtenden Steuerbescheid
geltend zu machen. Die Umsatzsteuer aus den Aktivitäten der Organgesellschaft sei nicht
aus der Konkursmasse zu berichtigen und dementsprechend auch nicht in einem an die
Konkursverwalter des Organträgers zu richtenden Steuerbescheid geltend zu machen (BFH-
Urteil in BFHE 187, 355, BStBl II 1999, 258, unter II.1.).
30 bb) Unter der Geltung der Insolvenzordnung ist darüber hinaus zu beachten, dass das FA --
bei Annahme eines Fortbestands der Organschaft-- den sich für den Organkreis ergebenden
Steueranspruch für Umsatztätigkeiten nach Insolvenzeröffnung nur insoweit durch
Steuerbescheid gegen den Organträger festsetzen kann, als es sich um eine
Masseverbindlichkeit des Unternehmers --hier des Organträgers-- handelt.
31 Zwar ist der Umsatzsteueranspruch für eine Umsatztätigkeit nach Insolvenzeröffnung
Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, da es sich um eine "durch die
Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet[e]" Verbindlichkeit
handelt (BFH-Urteil vom 29. Januar 2009 V R 64/07, BFHE 224, 24, BStBl II 2009, 682, unter
II.1.). Dies gilt aber nur für den Umsatzsteueranspruch aus der eigenen Umsatztätigkeit des
Organträgers, nicht aber auch für den Umsatzsteueranspruch, der auf die Umsatztätigkeit
seiner Organgesellschaften entfällt. Denn die Umsatzsteuer für die Umsatztätigkeit der
Organgesellschaft gehört nicht zur Verwaltung, Verwertung und Verteilung der
Insolvenzmasse, die sich auf das rechtlich eigene Vermögen des Organträgers bezieht und
sich nicht auf das Vermögen der Organgesellschaften erstreckt (s. oben II.3.b).
Insolvenzrechtlich bestünde daher für das FA allenfalls die Möglichkeit, einen auf die eigene
Umsatztätigkeit des Organträgers beschränkten Steuerbescheid zu erlassen und die
Organgesellschaft als Haftende nach § 73 AO in Anspruch zu nehmen. Dies ist mit dem
umsatzsteuerrechtlichen Grundsatz der organschaftlichen Unternehmenseinheit (s. oben
II.2.b) nicht vereinbar.
32 cc) Im Hinblick auf die sich aus dem Insolvenzrecht ergebenden Einschränkungen bestehen
somit ernstliche Zweifel, ob der Senat der im Schrifttum vertretenen Auffassung beipflichten
könnte, nach der die Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Organträgers für die
Organschaft ohne Bedeutung sei (so z.B. Birkenfeld in Birkenfeld/Wäger, Umsatzsteuer-
Handbuch, § 44 Rz 411; Klenk in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuergesetz, § 2 Rz 135, und
Stadie in Rau/Dürrwächter, a.a.O., § 2 Rz 1016, und Schmittmann, Zeitschrift für Steuern &
Recht 2007, 191 ff., allerdings ohne Auseinandersetzung mit dem insolvenzrechtlichen
Einzelverfahrensgrundsatz).
33 b) Der insolvenzrechtliche Einzelverfahrensgrundsatz steht auch einem Fortbestand der
Organschaft bei einer Insolvenzeröffnung über das Vermögen der Organgesellschaft
entgegen.
34 aa) Die Annahme eines Fortbestands der Organschaft trotz Insolvenzeröffnung bei der
Organgesellschaft führte dazu, dass der Organträger Steuerschuldner auch für die
Umsatzsteuer bliebe, die auf Umsatztätigkeiten der Organgesellschaft nach
Verfahrenseröffnung entfällt. Als "Steuereinnehmer" (s. oben II.2.a) für diese Umsatzsteuer
kann der Organträger aber nur angesehen werden, wenn er zumindest dem Grundsatz nach
in der Lage ist, den ihm aufgrund seiner Steuerschuldnerschaft zustehenden
Ausgleichsanspruch gegen die Organgesellschaft auch durchzusetzen.
35 bb) Mit der Insolvenzeröffnung über das Vermögen der Organgesellschaft kann der
Organträger seinen Ausgleichsanspruch nur durchsetzen, wenn dieser insolvenzrechtlich
eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 InsO ist. Dies ist bei summarischer Prüfung zu
verneinen.
36 (1) Zwar ist der Umsatzsteueranspruch, der sich für eine Umsatztätigkeit ergibt, die eine
Organgesellschaft nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen ausübt,
eine Masseverbindlichkeit dieser Gesellschaft, wenn keine Organschaft bestünde. Dies gilt
aber nicht für den zivilrechtlichen Ausgleichsanspruch des Organträgers gegen die
Organgesellschaft im Fall des Fortbestehens der Organschaft. Der Ausgleichsanspruch
ergibt sich weder aus einer Handlung des Insolvenzverwalters noch ist der
Ausgleichsanspruch durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse
der Organgesellschaft begründet (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO), die bei einem angenommenen
Fortbestand der Organschaft nicht Steuerschuldner ist. Ist von einem Fortbestehen der
Organschaft auszugehen, beruht der Ausgleichsanspruch vielmehr auf der
umsatzsteuerrechtlichen Organschaft, nicht aber auf der Verwaltung der Insolvenzmasse der
Organgesellschaft.
37 (2) Der sich gesetzlich aus einem Gesamtschuldverhältnis ergebende Ausgleichsanspruch
(s. oben II.2.c) ist auch keine Verbindlichkeit aus einem gegenseitigen Vertrag i.S. von § 55
Abs. 1 Nr. 2 InsO.
38 (3) Der Ausgleichsanspruch des Organträgers ist auch keine Verbindlichkeit "aus einer
ungerechtfertigten Bereicherung der Masse" gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Dies setzt eine
unmittelbare Bereicherung der Insolvenzmasse voraus (Sinz in Uhlenbruck, a.a.O., § 55
Rz 87, und Hefermehl, in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 3. Aufl., 2013, § 55
Rz 209). Zudem muss die Massebereicherung ohne rechtlichen Grund erfolgt sein (Sinz in
Uhlenbruck, a.a.O., § 55 Rz 89, und Hefermehl, a.a.O., § 55 Rz 215).
39 Zwar kann die Organgesellschaft, die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
steuerpflichtig Leistungen erbringt und hierfür Gegenleistungen bestehend aus Entgelt und
Umsatzsteuer vereinnahmt, im Hinblick auf den Umsatzsteueranteil, der --bei einem
unterstellten Fortbestand der Organschaft-- vom Organträger zu versteuern ist, als
unmittelbar bereichert angesehen werden. Diese Bereicherung erfolgt aber nicht ohne
rechtlichen Grund, da die Organgesellschaft zivilrechtlich Inhaber des Anspruchs auf die --
auch den Umsatzsteueranteil umfassende-- Gegenleistung ist. Darüber hinaus ist die
Organgesellschaft in Bezug auf die von ihr vereinnahmte Umsatzsteuer auch nicht
herausgabepflichtig und somit im Verhältnis zum Organträger nicht ohne rechtlichen Grund
bereichert, da sich der Ausgleichsanspruch zwischen Organträger und Organgesellschaft
nicht auf eine vereinnahmte Umsatzsteuer, sondern auf den Saldobetrag bezieht, der sich
bei einer auf die Organgesellschaft bezogenen (fiktiven) Steuerberechnung ergibt (s. oben
II.2.c). Diese Eigenständigkeit des Ausgleichsanspruchs gegenüber der von der
Organgesellschaft vereinnahmten Umsatzsteuer, schließt die Anwendung von § 55 Abs. 1
Nr. 3 InsO aus, zumal der BGH den Ausgleichsanspruch zivilrechtlich auf den
Gesamtschuldnerausgleich, nicht aber auf Bereicherungsrecht stützt (BGH-Urteil in HFR
2013, 537; Ansprüche aus Bereicherungsrecht verneinen auch Pyszka/Hahn, GmbH-
Rundschau 2010, 689 ff., 691).
40 cc) Aufgrund dieser insolvenzrechtlichen Besonderheiten kommt es für den Fortbestand der
Organschaft auch nicht darauf an, ob für die Organgesellschaft Eigenverwaltung (§ 270 InsO)
angeordnet wurde und für einen im Rahmen der Eigenverwaltung tätigen Sachwalter (§ 274
InsO) besondere Befugnisse wie Kassenführung (§ 275 Abs. 2 InsO) und/oder
Zustimmungsbedürftigkeit (§ 277 InsO) bestehen. Soweit demgegenüber nach dem
Vorliegen derartiger Sonderrechte für den Sachwalter unterschieden und von einem
Fortbestand der Organschaft für den Fall ausgegangen wird, dass Eigenverwaltung ohne
Sonderbefugnisse für den Sachwalter angeordnet wird (Oberfinanzdirektion --OFD--
Hannover vom 6. August 2007 S 7105-49-StO 172, juris, Tz. 1.3.2, und dem folgend
Birkenfeld, a.a.O., § 44 Rz 423; Meyer in Offerhaus/Söhn/Lange, § 2 UStG Rz 97, und
Schmittmann, ZSteu 2007, 192) erfolgt dies ohne Berücksichtigung des insolvenzrechtlichen
Einzelverfahrensgrundsatzes (vgl. oben II.3.).
41 c) Wird über das Vermögen von Organträger und Organgesellschaft das Insolvenzverfahren
eröffnet, ist aufgrund des insolvenzrechtlichen Einzelverfahrensgrundsatzes gleichfalls von
einer Beendigung der Organschaft auszugehen. Hierfür ist unerheblich, ob das
Insolvenzgericht für Organträger und Organgesellschaft denselben oder unterschiedliche
Insolvenzverwalter bestellt (zutreffend Roth, Insolvenzsteuerrecht, 2011, 476 f. im Hinblick
auf den Grundsatz der Interessenwahrung des jeweiligen Gläubigerkreises; a.A. aber OFD
Frankfurt a.M. vom 20. Juli 2009, UR 2010, 155, Tz. 2.3; Birkenfeld, a.a.O., § 44 Rz 431, und
Stadie, a.a.O., § 2 Rz 1012, und Schmittmann, ZSteu 2007, 192 f.) oder ob es
Eigenverwaltung anordnet.
42 5. Im Streitfall ist danach ernstlich zweifelhaft, ob die Organschaft über die Eröffnung des
Insolvenzverfahrens hinaus bestanden hat.
43 a) Entgegen dem Beschluss des FG ergeben sich diese Zweifel aus dem
insolvenzrechtlichen Einzelverfahrensgrundsatz, den das FG nicht hinreichend
berücksichtigt hat. Auf die im bisherigen Verfahren streitige Frage, welche Bedeutung die
Ausgestaltung der Eigenverwaltung hat, kommt es demgegenüber nicht an.
44 b) Im Hinblick auf die Eröffnung von Insolvenzverfahren über das Vermögen der
Antragstellerin --als bisherige Organträgerin-- wie auch über die Vermögen ihrer
Tochtergesellschaften --als bisherige Organgesellschaften-- kann dabei offenbleiben,
welches der Insolvenzverfahren zur Beendigung der Organschaft führt.
45 Ob die Fortdauer der Organschaft daran scheitert, dass die insolvenzrechtlichen
Besonderheiten einer finanziellen und/oder einer organisatorischen Eingliederung
entgegenstehen und/oder ob die Organschaft aufgrund der insolvenzrechtlichen
Besonderheiten nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu verneinen ist, ist im
summarischen Verfahren nicht zu entscheiden.