Urteil des BFH vom 11.12.2013

Doppelte Festsetzung und Auszahlung von Kindergeld durch eine Familienkasse und einen öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 11.12.2013, XI R 42/11
Doppelte Festsetzung und Auszahlung von Kindergeld durch eine Familienkasse und einen
öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber
Leitsätze
1. Wechselt ein Kindergeldberechtigter seinen Arbeitgeber, geht infolgedessen die sachliche
Zuständigkeit für die Festsetzung und Auszahlung des Kindergeldes von der Familienkasse auf
einen öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber über und zahlt neben diesem auch die Familienkasse das
von ihr festgesetzte Kindergeld aus, ist die Familienkasse zur Aufhebung der
Kindergeldfestsetzung und Rückforderung des von ihr gezahlten Kindergeldes befugt.
2. In diesen Fällen beginnt die Zahlungsverjährung nicht vor Ablauf des Kalenderjahres, in dem die
Aufhebung wirksam geworden ist.
Tatbestand
1 I. Streitig sind die Aufhebung der Festsetzung und die Rückforderung vom Kläger und
Revisionsbeklagten (Kläger) doppelt bezogenen Kindergeldes.
2 Der seinerzeit bei einem privaten Arbeitgeber beschäftigte Kläger bezog für seine in den
Jahren 1988 und 1993 geborenen Kinder laufend Kindergeld, das zunächst von der früheren
Beklagten und Revisionsklägerin (Familienkasse) ausgezahlt wurde.
3 Aufgrund einer zum 1. Januar 1996 vom Gesetzgeber eingeführten Verpflichtung (§ 73 des
Einkommensteuergesetzes --EStG-- a.F.) zahlte der private Arbeitgeber ab diesem Zeitpunkt
dem Kläger das Kindergeld in von der Familienkasse bescheinigter Höhe aus.
4 Zum 1. Oktober 1996 wechselte der Kläger in den öffentlichen Dienst und begründete ein
Arbeitsverhältnis mit der Stadt B (Stadt). Dadurch ging die Zuständigkeit zur Festsetzung und
Auszahlung des Kindergeldes auf die Stadt über (§ 72 EStG a.F.). In dem im Oktober 1996
bei der Stadt eingereichten Antrag auf Gewährung von Kindergeld verneinte der Kläger die
Frage, ob er, seine Ehefrau oder ein Dritter für die beiden Kinder anderweitig Kindergeld
beantragt oder erhalten habe. Überdies verneinte er in diesem Antrag die Frage, ob er, seine
Ehefrau oder eine andere Person im öffentlichen Dienst beschäftigt sei.
5 Daraufhin erhielt der Kläger ab dem 1. Oktober 1996 von der Stadt das --offen in den Lohn-
/Gehaltsabrechnungen ausgewiesene-- Kindergeld.
6 Im November 1998 teilte die Familienkasse dem Kläger mit, dass sie ab dem 1. Januar 1999
aufgrund einer Gesetzesänderung (erneut) für die Auszahlung des Kindergeldes zuständig
sei, und bat um Überprüfung der Bankverbindung. Nachdem der Kläger hierauf nicht reagiert
hatte, zahlte die Familienkasse ab Januar 1999 Kindergeld an den Kläger aus, der daneben
(weiterhin) von der Stadt Kindergeld erhielt.
7 Im Jahr 2006 beantragte der Kläger sowohl bei der Familienkasse als auch bei der Stadt die
Fortzahlung des Kindergeldes für sein ältestes Kind, das in diesem Jahr das 18. Lebensjahr
vollendete und sich noch in einer Berufsausbildung befand. Der Antrag hatte Erfolg; der
Kläger bezog daher weiterhin für beide Kinder Kindergeld von der Familienkasse und von
der Stadt.
8 In einem bei der Familienkasse Ende 2008 eingereichten Antragsformular zur Fortzahlung
des Kindergeldes für das weiterhin in der Berufsausbildung befindliche Kind verneinte der
Kläger erneut die Frage, ob er im öffentlichen Dienst beschäftigt sei. Da nach einer
Prognoseberechnung für das Jahr 2009 die Einkünfte und Bezüge dieses Kindes den für die
Gewährung von Kindergeld maßgeblichen Jahresgrenzbetrag überstiegen, hob die
Familienkasse die Festsetzung des Kindergeldes für dieses Kind ab Januar 2009 auf.
9 Im Rahmen des anschließenden Einspruchsverfahrens teilte der Kläger der Familienkasse
im April 2009 den doppelten Bezug des Kindergeldes mit. Daraufhin hob diese mit Bescheid
vom 27. Juli 2009 für beide Kinder des Klägers die Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum
Januar 1999 bis April 2009 auf. Sie stützte die Aufhebung auf § 70 Abs. 2 EStG. Gleichzeitig
forderte sie das von ihr für diesen Zeitraum gezahlte Kindergeld zurück. Der hiergegen
erhobene Einspruch hatte keinen Erfolg.
10 Das Finanzgericht (FG) gab der Klage im Wesentlichen statt. Der Aufhebungsbescheid sei
rechtswidrig. Wegen des am 1. Oktober 1996 erfolgten Arbeitgeberwechsels sei die
sachliche Zuständigkeit für die Kindergeldfestsetzung auf die Stadt übergegangen. Mithin
habe die Kindergeldfestsetzung seitdem nicht mehr zur Disposition der Familienkasse
gestanden. Überdies sei der von der Familienkasse erlassene Rückforderungsbescheid
wegen Eintritts der Zahlungsverjährung rechtswidrig, soweit er den Zeitraum Januar 1999
bis Dezember 2003 betreffe. Im Übrigen (wegen Rückforderung von Kindergeld für 2004)
wies das FG die Klage ab.
11 Die Entscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2012, 1073 veröffentlicht.
12 Mit ihrer Revision rügt die Familienkasse die Verletzung von §§ 70 und 72 EStG.
13 Sie beantragt sinngemäß,
das Urteil des FG aufzuheben, soweit der Klage stattgegeben wurde, und die Klage
abzuweisen.
14 Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
15 Er hält die Vorentscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
16 II. Im Streitfall hat zum 1. Mai 2013 ein gesetzlicher Beteiligtenwechsel stattgefunden;
Beklagte und Revisionsklägerin ist nunmehr die Familienkasse Bayern Nord (vgl. z.B.
Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 16. Mai 2013 III R 8/11, BFHE 241, 511, BStBl II
2013, 1040, Rz 11; vom 28. Mai 2013 XI R 38/11, BFH/NV 2013, 1774, Rz 14). Das Rubrum
des Verfahrens ist deshalb zu ändern.
III.
17 Die Revision der Familienkasse ist begründet. Sie führt zur antragsgemäßen Aufhebung der
Vorentscheidung und insoweit zur Zurückverweisung der nicht spruchreifen Sache zur
anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung --FGO--).
18 1. Entgegen der Auffassung des FG war die Familienkasse befugt, die zugunsten des
Klägers ergangene Kindergeldfestsetzung aufzuheben. Rechtsgrundlage hierfür ist § 174
Abs. 2 der Abgabenordnung (AO).
19 a) Nach § 174 Abs. 2 Satz 1 AO ist ein fehlerhafter Steuerbescheid aufzuheben oder zu
ändern, wenn ein bestimmter Sachverhalt in unvereinbarer Weise in mehreren
Steuerbescheiden zugunsten eines Steuerpflichtigen berücksichtigt worden ist, obwohl er
nur einmal hätte berücksichtigt werden dürfen. Dies gilt allerdings nicht, wenn die
Berücksichtigung des Sachverhalts auf einen Antrag oder eine Erklärung des
Steuerpflichtigen zurückzuführen ist (§ 174 Abs. 2 Satz 2 AO). Daher ist die Änderung bzw.
Aufhebung eines Steuerbescheides nach § 174 Abs. 2 AO nur möglich, wenn der
Steuerpflichtige selbst (allein oder überwiegend) die fehlerhafte Berücksichtigung verursacht
hat und aus diesem Grund nicht auf die Bestandskraft des ihn im Ergebnis begünstigenden
Steuerbescheides vertrauen kann (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 24. Juni 2004 XI B 63/02,
BFH/NV 2005, 1, unter II.2.; BFH-Urteil vom 3. März 2011 III R 45/08, BFHE 233, 6, BStBl II
2011, 673, Rz 16, jeweils m.w.N.).
20 Diese Norm gilt gemäß § 155 Abs. 4 AO sinngemäß für Kindergeldfestsetzungen, da das
Kindergeld nach § 31 Satz 3 EStG "als Steuervergütung" gezahlt wird.
21 b) Die Voraussetzungen des § 174 Abs. 2 AO für eine Aufhebung der Kindergeldfestsetzung
lagen vor.
22 aa) Im Streitfall ist ein bestimmter Sachverhalt in mehreren Bescheiden zugunsten des
Klägers berücksichtigt worden.
23 (1) Zunächst hat die Familienkasse Kindergeld festgesetzt.
24 Dies ergibt sich aus § 78 Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes (JStG) 1996
vom 11. Oktober 1995 (BGBl I 1995, 1250, BStBl I 1995, 438), wonach das bis zum
31. Dezember 1995 nach den Vorschriften des Bundeskindergeldgesetzes gewährte
Kindergeld als nach den Vorschriften des EStG festgesetzt gilt. Da das FG festgestellt hat,
dass dem Kläger seit der Geburt seiner Kinder in den Jahren 1988 bzw. 1993 Kindergeld
gewährt wurde, liegt die nach § 78 Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des JStG 1996 fingierte
Neufestsetzung des Kindergeldes vor, die Gegenstand einer Änderung sein kann (vgl. BFH-
Urteil vom 12. Mai 2000 VI R 100/99, BFH/NV 2001, 21, unter 1.a bb).
25 Auch wenn § 78 Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des JStG 1996 durch das
Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 402)
aufgehoben worden ist, ist die Regelung ihrer Wirkung nach zeitlich nicht beschränkt
(Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach --HHR--, § 78 EStG Rz 2, m.w.N.), so dass auch
die im Streitfall gegebene Festsetzungsfiktion nicht durch die Aufhebung des § 78 Abs. 1
Satz 1 EStG i.d.F. des JStG 1996 entfallen ist.
26 (2) Dass die Familienkasse in dem Zeitraum Januar 1996 bis Dezember 1998 keine
Auszahlungen vornahm, steht entgegen der Auffassung des FG der Annahme einer
Festsetzung von Kindergeld nicht entgegen.
27 Denn die Festsetzung des Kindergeldes entfaltet Bindungswirkung für die Zukunft (vgl. BFH-
Urteil vom 4. August 2011 III R 71/10, BFHE 235, 203, BStBl II 2013, 380, Rz 13, m.w.N.),
weshalb es für ihre Aufhebung eines entsprechenden Bescheides bedarf. Die bloße
Unterbrechung der Auszahlung des Kindergeldes durch die Familienkasse ist keine
Aufhebung in diesem Sinne. Denn diese Unterbrechung hatte ihren Grund lediglich darin,
dass die Zahlung ab dem 1. Januar 1996 nach § 73 Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des JStG 1996
i.V.m. § 52 Abs. 63 EStG durch den privatrechtlichen Arbeitgeber erfolgte. Hierfür war jedoch
eine Festsetzung nach § 70 Abs. 1 EStG Grundlage (HHR/Bergkemper, § 73 EStG Rz 16).
Auf dieser Basis nahm die Familienkasse mangels einer bis dahin erfolgten Aufhebung mit
Beginn des Jahres 1999 wieder die laufenden Auszahlungen vor.
28 (3) Daneben hat für den Streitzeitraum auch die Stadt Kindergeld dadurch konkludent
festgesetzt, dass sie auf den bei ihr gestellten Antrag des Klägers auf Gewährung von
Kindergeld für Angehörige des öffentlichen Dienstes vom 10. Oktober 1996, in dem dieser
unter Ziffer 8. die Frage, ob er oder eine andere Person für die Kinder anderweitig
Kindergeld beantragt oder erhalten habe, ausdrücklich verneint hatte, Kindergeld an den
Kläger ausgezahlt hat. Davon ist auch das FG ausgegangen.
29 Die Festsetzung durch die Stadt ergibt sich jedenfalls aus § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG in
der seinerzeit geltenden Fassung, wonach § 157 AO, der an sich eine schriftliche
Bescheiderteilung vorsieht, nicht galt, soweit dem Antrag entsprochen wurde (vgl. zur
Abgrenzung BFH-Beschluss vom 31. März 2005 III B 189/04, BFH/NV 2005, 1305). Der
Gesetzgeber hat damals u.a. für diesen Fall auf eine schriftliche Bescheiderteilung
verzichtet, um das bei der Arbeitsverwaltung eingespielte Verfahren der Kindergeldzahlung
im Interesse der Bürger und der Verwaltung beibehalten zu können (vgl. BTDrucks 13/1558,
161). Die Bekanntgabe der konkludenten Kindergeldfestsetzung erfolgte durch die erste
Auszahlung (Überweisung) des Kindergeldes und der Bekanntgabe des
Auszahlungsbetrages (vgl. Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 24. April 1998 4 K 1755/97,
juris; Felix, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 70 Rz B 7) und blieb über den 1. Januar
2007 hinaus bestehen (vgl. Urteil des FG des Landes Sachsen-Anhalt vom 22. Januar
2013 4 K 1779/10, EFG 2013, 1555).
30 Aus dem Umstand, dass bei einem Wechsel des Arbeitgebers die bisherige
Kindergeldfestsetzung nicht berührt werden soll (vgl. z.B. HHR/Wendl, § 72 EStG Rz 33;
Blümich/Treiber, § 72 EStG Rz 76; DA 72.3.1 Abs. 7 der Dienstanweisung zur Durchführung
des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes --
DA-FamEStG--, BStBl I 2009, 1030; s. nunmehr aber DA 72.3.2 DA-FamEStG), ergibt sich im
Streitfall schon deshalb nichts anderes, weil der Stadt die Kindergeldfestsetzung der
Familienkasse nicht bekannt war, nachdem der Kläger ihr diese unter Ziffer 8. des Antrags
verschwiegen hatte. Schon deshalb ist in der Auszahlung des Kindergeldes durch die Stadt
zugleich eine weitere Kindergeldfestsetzung mit Bekanntgabewille zu sehen, mit der die
Stadt dem bei ihr gestellten Antrag vom 10. Oktober 1996 i.S. des § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1
EStG a.F. entsprochen hat.
31 bb) Diese mehrfache Berücksichtigung eines bestimmten Sachverhaltes, nämlich die
doppelte Festsetzung des Kindergeldes für die Kinder des Klägers, i.S. des § 174 Abs. 2
Satz 1 AO war mit der geltenden Rechtslage unvereinbar. Denn gemäß § 64 Abs. 1 EStG
wird für jedes Kind nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt, woraus sich u.a. ergibt, dass
das Kindergeld für ein und dasselbe Kind nicht doppelt gewährt werden darf (BFH-Urteil vom
1. Juli 2003 VIII R 94/01, BFH/NV 2004, 25, unter II.1., m.w.N.).
32 cc) Nach den tatsächlichen den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen
des FG hat der Kläger die doppelte Festsetzung des Kindergeldes zumindest überwiegend
verursacht.
33 Denn diese ist darauf zurückzuführen, dass der Kläger jedenfalls seiner besonderen
Mitwirkungspflicht nach § 68 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht nachgekommen war, indem er den
Arbeitgeberwechsel gegenüber der Familienkasse nicht anzeigte (vgl. Urteil des FG
Düsseldorf vom 18. Juni 2009 15 K 37/09 Kg, EFG 2009, 1519, unter 2.a; Urteil des FG Köln
vom 17. September 2009 10 K 4058/08, EFG 2010, 380, unter 3.b bb). Aufgrund dieser von
dem Kläger selbst verursachten unvereinbaren Mehrfachberücksichtigung konnte er nicht auf
die Bestandskraft der Kindergeldfestsetzung vertrauen. Anhaltspunkte für einen
Verursachungsbeitrag der Familienkasse sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
34 dd) Anders als es das FG meint, war die Familienkasse auch nach dem Wechsel des
Klägers in den öffentlichen Dienst im Oktober 1996 zu einer Aufhebung der
Kindergeldfestsetzung befugt.
35 Denn die Befugnis nach § 174 Abs. 2 AO steht der Behörde zu, die den fehlerhaften
Bescheid erlassen hat (vgl. im Ergebnis BFH-Urteil vom 9. Mai 2012 I R 73/10, BFHE 238, 1,
BStBl II 2013, 566, Rz 20 ff., zu § 174 Abs. 1 AO; Urteil des FG Düsseldorf in EFG 2009,
1519, unter 2.; Urteil des FG Köln in EFG 2010, 380, unter 2.b).
36 c) Ob darüber hinaus die Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 Satz 1 EStG gegeben sind, lässt
der Senat mangels Entscheidungserheblichkeit dahinstehen. Selbst wenn die Aufhebung
der Kindergeldfestsetzung nicht auf § 70 Abs. 2 Satz 1 EStG hätte gestützt werden können,
stünde einer rechtmäßigen Aufhebung nicht entgegen, dass die Familienkasse diese Norm
in dem Aufhebungsbescheid als Rechtsgrundlage angegeben hat. Denn insoweit handelte
es sich um eine unzutreffende, jedoch auswechselbare Begründung. Entscheidend ist
lediglich, dass die Festsetzung --wie hier-- materiell-rechtlich ergehen durfte (vgl. BFH-Urteil
vom 19. Mai 1992 VIII R 37/90, BFH/NV 1993, 87, unter II.1.b, m.w.N.).
37 2. Da mithin die Voraussetzungen des § 174 Abs. 2 AO gegeben sind und der
Familienkasse die sachliche Befugnis zur Aufhebung der Kindergeldfestsetzung zustand,
kommt es darauf an, ob für den Zeitraum Januar 1999 bis Dezember 2004 die
Festsetzungsfrist abgelaufen war. Dies bestimmt sich nach den §§ 169 ff. AO, die gemäß
§ 155 Abs. 4 AO i.V.m. § 31 Satz 3 EStG ebenfalls sinngemäß anzuwenden sind.
38 a) Die Feststellungen des FG erlauben keine abschließende Beurteilung, ob der Kläger eine
gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO zur Verlängerung der Festsetzungsfrist auf zehn Jahre
führende Steuerhinterziehung (§ 370 AO) begangen hat, was naheliegt.
39 b) Sollte sich dabei ergeben, dass die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt des Wirksamwerdens
des Aufhebungsbescheids vom 27. Juli 2009 noch nicht abgelaufen war, wäre der Kläger
nach § 37 Abs. 2 AO verpflichtet, das an ihn seit Januar 1999 gezahlte Kindergeld zu
erstatten.
40 Denn ist eine Steuervergütung, zu der das Kindergeld --wie bereits ausgeführt-- gemäß § 31
Satz 3 EStG gehört, ohne rechtlichen Grund gezahlt oder zurückgezahlt worden, hat
derjenige, für dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, nach § 37 Abs. 2 AO
gegenüber dem Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten oder
zurückgezahlten Betrages. Diese Rechtsfolgen treten gemäß § 37 Abs. 2 Satz 2 AO auch
dann ein, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung --wie hier aufgrund des
Aufhebungsbescheides-- später wegfällt.
41 c) Soweit das FG meint, für die Zeiträume vor dem 1. Januar 2004 sei eine den
Rückforderungsanspruch ausschließende Zahlungsverjährung eingetreten, geht dies fehl.
42 aa) Denn die gemäß § 228 Satz 2 AO fünf Jahre betragende Verjährungsfrist beginnt gemäß
§ 229 Abs. 1 Satz 2 AO bei einer den Zahlungsanspruch begründenden Aufhebung der
Festsetzung nicht vor dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Aufhebung wirksam
geworden ist. Da der mit dem Aufhebungsbescheid vom 27. Juli 2009 verbundene
Rückforderungsbescheid durch seine Bekanntgabe im Jahr 2009 wirksam wurde (vgl. § 124
Abs. 1 Satz 1 AO), begann die Zahlungsverjährung erst mit dem Ablauf des Jahres 2009.
43 bb) Etwas anderes folgt auch nicht aus der vom FG in diesem Zusammenhang angeführten
Literaturansicht, wonach die Fälligkeit in den Fällen einer Doppelzahlung bereits mit der
ungerechtfertigten Auszahlung beginne (Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung,
Finanzgerichtsordnung, § 37 AO Rz 122; Kruse in Tipke/Kruse, a.a.O., § 229 AO Rz 1c).
44 Diese Ausführungen betreffen die im Streitfall nicht gegebene Konstellation, dass eine
einmal festgesetzte Steuererstattung bzw. Steuervergütung mehrfach an den Gläubiger
geleistet wird, mangels entsprechender Festsetzung ohne Rechtsgrund gezahlt worden ist
und mithin der Rückforderungsanspruch gemäß § 220 Abs. 2 Satz 1 AO im Zeitpunkt der
Auszahlung entstanden ist. In diesen Fällen steht § 229 Abs. 1 Satz 2 AO einer
Zahlungsverjährung nicht entgegen, weil sich der hier in Betracht kommende
Rückforderungsanspruch ohne seine vorherige Festsetzung und ohne Aufhebung einer etwa
entgegenstehenden Festsetzung allein durch die Auszahlung ergibt (vgl. z.B. BFH-Urteile
vom 7. Februar 2002 VII R 33/01, BFHE 197, 569, BStBl II 2002, 447, unter II.2.b; vom
12. Mai 2009 IX R 2/08, BFH/NV 2009, 1404, unter II.a).
45 Wird dagegen --wie hier-- eine rechtswidrige und damit anfechtbare Steuerfestsetzung
aufgehoben, wird der Rückforderungsanspruch mit der Bekanntgabe des Änderungs- oder
Aufhebungsbescheides fällig (§ 220 Abs. 2 Satz 2 AO), so dass die Zahlungsverjährung
entsprechend der Regelung des § 229 Abs. 1 Satz 2 AO beginnt (vgl. Boeker in
Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 37 AO Rz 54; Kruse in Tipke/Kruse, a.a.O., § 229 AO Rz 3).