Urteil des BFH vom 17.07.2014

Anschaffungskosten für ein Grundstück sind keine außergewöhnlichen Belastungen

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 17.7.2014, VI R 42/13
Anschaffungskosten für ein Grundstück sind keine außergewöhnlichen Belastungen
Leitsätze
1. Mehrkosten für die Anschaffung eines größeren Grundstücks zum Bau eines
behindertengerechten Bungalows sind nicht als außergewöhnliche Belastung i.S. des § 33 EStG
zu berücksichtigen.
2. Sie entstehen nicht zwangsläufig. Denn sie sind nicht vornehmlich der Krankheit oder
Behinderung geschuldet, sondern in erster Linie Folge des frei gewählten Wohnflächenbedarfs des
Steuerpflichtigen.
Tatbestand
1 I. Streitig ist, ob Mehrkosten für die Anschaffung eines größeren Grundstücks zum Bau eines
behindertengerechten Bungalows als außergewöhnliche Belastung i.S. des § 33 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigen sind.
2 Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die zusammen zur
Einkommensteuer veranlagt werden. Die Klägerin leidet unter Multipler Sklerose und ist
schwerbehindert (Grad der Behinderung 80). In den Jahren 2009 und 2010 errichteten die
Kläger zu eigenen Wohnzwecken einen Bungalow. Aufgrund der behinderungsbedingten
Anforderungen an die Wohnfläche entschieden sie sich u.a. nach fachkundiger Beratung für
einen eingeschossigen Bungalow. Die gegenüber einem mehrgeschossigen Bungalow
erforderliche Grundfläche des Gebäudes erforderte aufgrund der im Bebauungsplan
vorgeschriebenen Grundflächenzahl von 0,3 den Erwerb einer um 151,67 qm größeren
Grundstücksfläche. Dadurch ergaben sich bei einem Preis von 87 EUR/qm Mehrkosten für
den Baugrund in Höhe von 13.195,29 EUR. Ferner entstand den Klägern in 2009 durch
erforderliche behinderungsgerechte Baumaßnahmen ein behinderungsbedingter
Mehraufwand von 205,45 EUR, den die Kläger nach Abzug von Zuschüssen der Kranken-
und Pflegekassen als Eigenanteil selbst zu tragen hatten.
3 In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (2009) machten die Kläger zunächst
keinen behinderungsbedingten Mehraufwand für den Bau des Bungalows als
außergewöhnliche Belastung geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --
FA--) setzte daraufhin die Einkommensteuer 2009 zuletzt mit Einkommensteuerbescheid vom
14. Februar 2011 fest. Dagegen legten die Kläger Einspruch ein. Diesen begründeten sie
damit, dass ihnen durch den Hausbau in 2009 Mehrkosten wegen behinderungsbedingter
Baumaßnahmen in Höhe von 13.400,74 EUR entstanden seien, die als außergewöhnliche
Belastung steuermindernd zu berücksichtigen seien. Da die Klägerin u.a. an einer schweren
Gehbehinderung leide und ihr das Steigen von Treppen nicht möglich sei, seien sie auf eine
eingeschossige Bauweise des Bungalows angewiesen gewesen. Ferner sei zu
berücksichtigen, dass sanitäre Einrichtungen großzügig ausgelegt sein mussten, um die
pflegerische und betreuende Unterstützung durch andere Personen zu ermöglichen, und
Wendeflächen für den Rollstuhl, breitere Türen und niedrigere Schwellen, Haltegriffe und eine
barrierefreie Duschkabine mit einem Klappsitz erforderlich gewesen seien. Dadurch habe sich
eine um 45,5 qm größere Grundfläche des Bungalows gegenüber einem Bungalow ergeben,
der ohne Berücksichtigung der Behinderung der Klägerin hätte gebaut werden können.
Aufgrund der im Baugebiet vorgegebenen Grundflächenzahl seien sie gezwungen gewesen,
ein 151,67 qm größeres Grundstück zu kaufen, um das Gebäude entsprechend realisieren zu
können. Dadurch hätten sich für das Grundstück Mehrkosten in Höhe von 13.195,29 EUR
ergeben. Weitere Aufwendungen in Höhe von 205,45 EUR ergäben sich durch den nicht
bezuschussten Eigenanteil der erforderlichen Mehraufwendungen.
4 Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage mit den in
Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 783 veröffentlichten Gründen statt.
5 Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von § 33 EStG.
6 Es beantragt,
das Urteil des Niedersächsischen FG vom 17. Januar 2013 14 K 399/11 aufzuheben und die
Klage abzuweisen.
7 Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
8 II. Die Revision des FA ist begründet. Das FG hat die Mehrkosten für die Anschaffung eines
größeren Grundstücks zum Bau eines behindertengerechten Bungalows zu Unrecht als
außergewöhnliche Belastung i.S. des § 33 EStG berücksichtigt. Die Vorentscheidung ist
daher aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung).
9 1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der
überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher
Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastung), so
wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33 Abs. 1 EStG).
10 a) Mehraufwendungen für einen behindertengerechten Um- oder Neubau eines Hauses oder
einer Wohnung können als außergewöhnliche Belastungen i.S. des § 33 Abs. 1 EStG
abziehbar sein, denn es sind größere Aufwendungen, als sie der überwiegenden Mehrzahl
der Steuerpflichtigen gleicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie gleichen
Familienstandes erwachsen. Diese Aufwendungen sind weder durch den Grund- oder
Kinderfreibetrag (§ 32a Abs. 1 EStG, § 32 Abs. 6 EStG) noch durch den Behinderten- und
Pflege-Pauschbetrag abgegolten. Grund- und Kinderfreibetrag decken den gewöhnlichen
Wohnbedarf des gesunden und nicht behinderten Steuerpflichtigen und seiner Angehörigen
ab. Der Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b Abs. 1 bis 3 EStG gilt nach der
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nur laufende und typische Mehraufwendungen des
Behinderten ab, so dass "zusätzliche Krankheitskosten" nicht von der Abgeltungswirkung
des Pauschbetrags erfasst werden. Dies gilt erst recht für den Pauschbetrag nach § 33b
Abs. 6 EStG, der nur die durch die Pflege einer Person veranlassten Aufwendungen erfasst
(Senatsurteil vom 22. Oktober 2009 VI R 7/09, BFHE 226, 536, BStBl II 2010, 280, m.w.N.).
11 b) Mehraufwendungen für die behindertengerechte Gestaltung des Wohnumfelds erwachsen
in der Regel auch zwangsläufig (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Aufwendungen infolge
Körperbehinderung waren ebenso wie Krankheitskosten von jeher ein Anwendungsfall der
Zwangsläufigkeit aus tatsächlichen Gründen. Dies gilt insbesondere auch für
behinderungsbedingte Mehrkosten eines Um- oder Neubaus. Denn eine schwerwiegende
Behinderung des Steuerpflichtigen oder eines Angehörigen begründet eine tatsächliche
Zwangslage, die eine behindertengerechte Gestaltung des Wohnumfelds unausweichlich
macht (Senatsurteil vom 24. Februar 2011 VI R 16/10, BFHE 232, 518, BStBl II 2011, 1012,
m.w.N.).
12 2. Anschaffungskosten für ein Grundstück zählen hierzu jedoch nicht. Ihnen fehlt es an der
für den Abzug als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 Abs. 2 EStG erforderlichen
Zwangsläufigkeit.
13 a) Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen nur zwangsläufig, wenn er sich ihnen
aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann. Das ist der Fall,
wenn die Gründe der Zwangsläufigkeit derart von außen auf die Entschließung des
Steuerpflichtigen einwirken, dass er ihnen nicht ausweichen kann, er also tatsächlich keine
Entscheidungsfreiheit hat, bestimmte Aufwendungen vorzunehmen oder zu unterlassen.
Liegt eine maßgeblich vom menschlichen Willen beeinflusste Situation vor, so handelt es
sich dagegen um keine Zwangslage in diesem Sinne. Dies gilt auch für die Herstellung
eines Hauses für den eigenen Wohnbedarf.
14 b) Entschließt sich der Steuerpflichtige ein Grundstück zu erwerben, um hierauf einen
Neubau zu errichten, hängen sowohl die Größe des Grundstücks als auch die konkrete
Gestaltung des neuen Hauses, insbesondere dessen Wohnfläche, zunächst von seinem
Geschmack, seinen Lebensgewohnheiten, den ihm für den Bau zur Verfügung stehenden
Mitteln und anderen selbstbestimmten Vorentscheidungen ab (Senatsurteil in BFHE 232,
518, BStBl II 2011, 1012, m.w.N.). Das gilt selbst dann, wenn der Steuerpflichtige oder ein in
seinem Haushalt lebender Angehöriger infolge einer Krankheit oder eines Unfalls in seiner
bisherigen Wohnung bzw. in seinem bisherigen Haus nicht wohnen bleiben kann. Denn
Anschaffungskosten für ein Grundstück weisen zunächst keinen Bezug zur Krankheit oder
Behinderung des Steuerpflichtigen auf, da sie einem gesunden Steuerpflichtigen ebenfalls
entstanden wären. Es handelt sich insoweit um übliche Aufwendungen der Lebensführung,
die durch den Grundfreibetrag abgegolten und daher aus dem Anwendungsbereich des § 33
EStG ausgeschlossen sind (vgl. Senatsurteil vom 14. November 2013 VI R 20/12, BFHE
244, 285, BStBl II 2014, 456, m.w.N.). Aber auch die Mehrkosten für ein --wie im Streitfall--
größeres Grundstück, das erforderlich ist, um die persönlichen Wohnvorstellungen
behinderten- oder krankheitsgerecht zu verwirklichen, sind nicht nach § 33 EStG
abzugsfähig. Denn diese Mehrkosten sind, anders als bauliche Maßnahmen, die --wie
beispielsweise der Einbau einer barrierefreien Dusche oder eines Treppenlifts (Senatsurteil
vom 6. Februar 2014 VI R 61/12, BFHE 244, 395, BStBl II 2014, 458)-- den krankheits- und
behinderungsbedingten Lebenserschwernissen des Steuerpflichtigen oder eines
Angehörigen Rechnung tragen, nicht vornehmlich der Krankheit oder Behinderung
geschuldet, sondern in erster Linie Folge der frei gewählten Wohnungsgröße
(Wohnflächenbedarf) des Steuerpflichtigen. Sie werden daher ebenfalls von der
Abgeltungswirkung des Grundfreibetrags erfasst und können nicht nochmals nach § 33 EStG
steuerliche Berücksichtigung finden (vgl. Senatsurteil in BFHE 232, 518, BStBl II 2011,
1012).
15 3. Die Vorentscheidung beruht auf einer anderen Rechtsauffassung. Sie ist daher
aufzuheben und die Klage --wegen der von den Klägern zu tragenden zumutbaren
Belastung (§ 33 Abs. 3 EStG)-- auch im Hinblick auf die unstreitig entstandenen
behinderungsbedingten Mehrkosten in Höhe von 205,45 EUR sowie die
behinderungsbedingten Fahrtkosten in Höhe von pauschal 900 EUR abzuweisen.