Urteil des BFH vom 12.12.2013

Bildung einer Rückstellung für die Verpflichtung zur Nachbetreuung von Versicherungsverträgen

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 12.12.2013, X R 25/11
Bildung einer Rückstellung für die Verpflichtung zur Nachbetreuung von Versicherungsverträgen
Leitsätze
1. Die Abzinsung einer Rückstellung für die Verpflichtung zur Nachbetreuung von
Versicherungsverträgen richtet sich gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e Satz 2 EStG nach dem
Zeitraum bis zur erstmaligen Erfüllung der Bestandspflegepflicht. Diesen hat der Steuerpflichtige
darzulegen und mit Stichproben zu belegen (Fortentwicklung der Rechtsprechung in den
Senatsurteilen vom 19. Juli 2011 X R 26/10, BFHE 234, 239, BStBl II 2012, 856; X R 48/08,
BFH/NV 2011, 2032, und X R 8/10, BFH/NV 2011, 2035).
2. Steht fest, dass der Steuerpflichtige vertraglich zur weiteren Betreuung der von ihm vermittelten
Versicherungsverträge verpflichtet ist und auch tatsächlich entsprechende
Nachbetreuungsleistungen erbracht hat, scheitert die Bildung der Rückstellung zwar nicht daran,
dass er keine der Rechtsprechung entsprechenden Aufzeichnungen über den Umfang der
Betreuungsleistungen vorlegen kann. Da den Steuerpflichtigen aber die Darlegungs- und
Beweislast trifft, muss sich die dann vorzunehmende Schätzung des Betreuungsaufwandes im
unteren Rahmen bewegen.
Tatbestand
1 I. Die Kläger, Revisionskläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die im
Streitjahr 2004 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wurden. Der Kläger erzielte als
selbständiger Versicherungsvertreter Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Er ermittelte seinen
Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich (§ 4 Abs. 1, § 5 des Einkommensteuergesetzes
in der im Streitjahr geltenden Fassung --EStG--).
2 Als Vertreter der V, bestehend aus der A und der B, vermittelte der Kläger sowohl Lebens-
als auch Sachversicherungen. Der Vertretervertrag lautete auszugsweise wie folgt:
3
§ 3
Aufgaben
1. Der Vertreter ist verpflichtet, die Geschäfte der "..." nach besten Kräften zu fördern
und deren Interessen in jeder Hinsicht wahrzunehmen.
2. Demzufolge hat er insbesondere
a) Versicherungsverträge zu vermitteln,
b) den Versicherungsbestand zu pflegen sowie die sich daraus ergebenden
geschäftlichen Vorgänge zu erledigen,
c) an der Bearbeitung von Schadenfällen nach besonderer Weisung mitzuwirken,
d) die Schadenverhütungsbestrebungen der "..." zu unterstützen.
4 Für die Vermittlung von Sachversicherungen der B erhielt der Kläger neben der
Abschlussprovision zusätzlich eine Verwaltungsprovision für die Pflege des
Versicherungsbestandes, für den ihm übertragenen Beitragseinzug, die Mitwirkung bei der
Bearbeitung von Schadensfällen und für sonstige ihm nach § 3 des Vertretervertrages
obliegende Aufgaben. Für die Vermittlung von Lebensversicherungen der A erhielt der
Kläger eine einmalige Abschlussprovision, mit der "die Vermittlung des
Versicherungsvertrages und andere Tätigkeiten abgegolten" waren sowie ab Erreichen von
bestimmten Grenzen zusätzlich eine Sondervergütung.
5 Aufgrund eines Kooperationsvertrages mit der C hielt V ihre Vertreter in einem dem
Vertretervertrag beigefügten Merkblatt dazu an, bei sich bietender Gelegenheit als
Untervertreter der V Bausparverträge für die C zu vermitteln. Hierfür erhielt der Kläger von
der C im Auftrag der V eine einmalige Abschlussprovision. Einmalige Abschlussprovisionen
erhielt er zudem für die Vermittlung von Krankenversicherungen der D als "Partner-Produkt".
6 Zum 31. Dezember 2004 befanden sich 53 Krankenversicherungen, 125 Bausparverträge
sowie 591 Lebensversicherungsverträge im Bestand des Klägers. In seiner
Gewinnermittlung für das Streitjahr 2004 passivierte er erstmalig Rückstellungen für
Bestandspflege sämtlicher Versicherungen, d.h. einschließlich der Sachversicherungen, in
Höhe von insgesamt 311.823,58 EUR. Der Beklagte, Revisionsbeklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) erkannte diese Rückstellungen nicht an.
7 Im Einspruchsverfahren legten die Kläger Schreiben der V vor, nach denen der vom Kläger
zugrunde gelegte Aufwand von zwei Stunden für die Betreuung der Lebensversicherungen
nicht als zu hoch gegriffen erscheine. Aufgrund von Stundenzetteln seiner Mitarbeiter für den
Monat Dezember 2006 ermittelte der Kläger einen Betreuungsbedarf von 1:38 Stunden pro
Lebensversicherungsvertrag im Jahr. Dieser sei allerdings aufgrund des Arbeitsanfalls bei
den Kfz-Versicherungen niedriger als im Jahresdurchschnitt.
8 Das FA führte in dieser Zeit eine Außenprüfung durch. Der Prüfer vertrat abschließend
weiterhin die Auffassung, die Rückstellungen seien bereits dem Grunde nach nicht
anzuerkennen. Der Prüfer forderte den Kläger u.a. auf, die Unterlagen zu 30 zufällig
ausgewählten Verträgen vorzulegen. Dem kam der Kläger nach Rücksprache mit V aus
Datenschutzgründen nicht nach. Der Einspruch blieb daraufhin erfolglos.
9 Im Klageverfahren begehrten die Kläger noch Rückstellungen für die Lebensversicherungen,
Krankenversicherungen und Bausparverträge in Höhe von insgesamt 188.493,73 EUR.
10 Im Rahmen der vertraglich vereinbarten Betreuung seien beispielsweise Änderungen der
Zahlungsnachweise, Änderungen der Bankverbindungen, Änderungen der Adressen sowie
Änderungen der Deckung zu berücksichtigen. Bei den Lebensversicherungsverträgen seien
außerdem Anträge auf Beitragsfreistellung sowie Beitragsänderungen aufgrund finanzieller
Engpässe vorzunehmen. Weiter kämen Änderungen der Laufzeit in Betracht und seien
jährliche Auskünfte zum Rückkaufswert zu erteilen. Häufig würden auch Anträge auf
Teilauszahlung der Lebensversicherungen oder die Möglichkeit zum Ruhenlassen des
Vertrages geltend gemacht. Schließlich seien steuerliche Fragen zu beantworten. Häufig
müsse er, der Kläger, bei der Direktion in X Rückfrage halten. Für die Betreuung der
Lebensversicherungsverträge sei von einem jährlichen Aufwand von zwei Stunden
auszugehen, die Betreuung der Krankenversicherungsverträge erfordere einen Zeitaufwand
von einer Stunde, die der Bausparverträge von 30 Minuten.
11 Die Klage hatte teilweise Erfolg (Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1691). Für die
Lebensversicherungsverträge sah das Finanzgericht (FG) die Voraussetzungen für die
Bildung einer Rückstellung als dem Grunde nach gegeben an. Der Höhe nach schätzte das
FG eine Rückstellung in Höhe von 23.272 EUR. Den Nachbetreuungsaufwand schätzte es
dabei auf 20 Minuten je Vertrag und Jahr.
12 Für die Bausparverträge sowie die Krankenversicherungen lehnte das FG hingegen die
Bildung von Rückstellungen ab. Da es insoweit schon an einer eindeutigen vertraglichen
Verpflichtung zur Bestandsbetreuung fehle, befinde sich der Kläger nicht in einem
Erfüllungsrückstand.
13 Gegen das FG-Urteil wenden sich sowohl die Kläger als auch das FA mit der Revision
wegen Verletzung materiellen Rechts.
14 Die Kläger machen geltend:
(1) Entgegen der Auffassung des FG seien auch für die Betreuung der
Krankenversicherungen und Bausparverträge Rückstellungen zu bilden, da sich der Kläger
insoweit ebenfalls in einem Erfüllungsrückstand befunden habe. Aus § 3 Nr. 2 Buchst. b des
Vertretervertrages ergebe sich auch insoweit eine vertragliche Betreuungsverpflichtung.
Die von dem FG für die Lebensversicherungen geschätzte Rückstellung sei der Höhe nach
unzureichend, da insoweit von einem Betreuungsaufwand von zwei Stunden pro Vertrag und
Jahr auszugehen sei.
(2) Die Revision des FA sei demnach unbegründet.
15 Die Kläger beantragen,
das FG-Urteil aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid vom 6. März 2008 in Gestalt
der Einspruchsentscheidung vom 11. Juli 2008 dergestalt zu ändern, dass die
Einkommensteuer unter Berücksichtigung einer Rückstellung bei den Einkünften aus
Gewerbebetrieb in Höhe von 95.438,57 EUR festgesetzt wird, sowie die Revision des FA
zurückzuweisen.
16 Das FA beantragt,
das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie die Revision der Kläger
zurückzuweisen.
17 Es ist der Ansicht, entgegen der Würdigung des FG könne aus § 3 Nr. 2 Buchst. b des
Vertretervertrages nicht auf einen Erfüllungsrückstand des Klägers und damit auf die
Berechtigung zur Bildung einer Rückstellung dem Grunde nach geschlossen werden. Erst
recht ergebe sich daraus keine rechtliche Verpflichtung zur Pflege des Bestandes von
Produkten Dritter wie den Krankenversicherungen und Bausparverträgen.
18 Aber auch dann, wenn die Bildung von Rückstellungen dem Grunde nach möglich sein
sollte, stelle sich die Frage nach deren Höhe. Nach den allgemeinen Beweislastregeln habe
keine Schätzung erfolgen dürfen. Das FG lasse völlig unberücksichtigt, dass die objektive
Beweislast für die behaupteten Betreuungsleistungen beim Kläger liege, die beigebrachten
Unterlagen nach den Feststellungen des FG für eine Berechnung der Rückstellung aber
völlig unzureichend gewesen seien, insbesondere genügten diese auch nicht den vom
Bundesfinanzhof (BFH) gestellten Anforderungen.
19 Sei es möglich, auch ohne entsprechende Aufzeichnungen schätzen zu können, erscheine
es gerechtfertigt, den zeitlichen Aufwand für die Betreuungsleistungen für die gesamte
Laufzeit allenfalls mit einer Stunde pro Lebensversicherungsvertrag zu berücksichtigen.
Auch dann komme eine Schätzung nur dann in Betracht, wenn für den Kunden daneben kein
Sachversicherungsvertrag vorliege, für den eine entsprechende Betreuungsprovision gezahlt
werde.
Entscheidungsgründe
20 II. Die Revision der Kläger ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und
zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und
Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
21 1. Gemäß § 5 Abs. 1 EStG sind für ungewisse Verbindlichkeiten Rückstellungen zu bilden.
Zwar dürfen Ansprüche und Verbindlichkeiten aus einem schwebenden Geschäft in der
Bilanz grundsätzlich nicht ausgewiesen werden; geboten ist ein Bilanzausweis u.a. aber bei
Vorleistungen und Erfüllungsrückständen (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom
23. Juni 1997 GrS 2/93, BFHE 183, 199, BStBl II 1997, 735, m.w.N.). Es entspricht der
gefestigten BFH-Rechtsprechung, dass Rückstellungen wegen Erfüllungsrückstandes zu
bilden sind, wenn ein Versicherungsvertreter die Abschlussprovision nicht nur für die
Vermittlung der Versicherung, sondern auch für die weitere Betreuung des
Versicherungsvertrages erhält (BFH-Urteil vom 28. Juli 2004 XI R 63/03, BFHE 207, 205,
BStBl II 2006, 866; Senatsurteile vom 9. Dezember 2009 X R 41/07, BFH/NV 2010, 860; vom
19. Juli 2011 X R 26/10, BFHE 234, 239, BStBl II 2012, 856; X R 48/08, BFH/NV 2011, 2032,
und X R 8/10, BFH/NV 2011, 2035, jeweils m.w.N.).
22 a) Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten setzen eine dem Grunde und/oder der
Höhe nach ungewisse Verbindlichkeit gegenüber einem anderen voraus; es genügt, dass
Grund und Höhe wahrscheinlich sind (Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 32. Aufl., § 5 Rz 361,
376). In zeitlicher Hinsicht muss die Verbindlichkeit in der Vergangenheit wirtschaftlich
verursacht sein; es muss bereits bis zum Bilanzstichtag eine wirtschaftliche Belastung
eingetreten sein (BFH-Urteile vom 19. Oktober 2005 XI R 64/04, BFHE 211, 475, BStBl II
2006, 371, und vom 29. November 2007 IV R 62/05, BFHE 220, 85, BStBl II 2008, 557).
23 b) Entgegen der Auffassung des FA ist die Bildung der Rückstellung nicht wegen
Unwesentlichkeit der Verpflichtung ausgeschlossen. Zur Vermeidung von Wiederholungen
verweist der Senat auf seine grundlegenden Ausführungen im Urteil in BFHE 234, 239,
BStBl II 2012, 856 (unter II.1.b).
24 2. Die Würdigung des FG, der Kläger sei aufgrund der Regelung in § 3 Nr. 2 Buchst. b des
Vertretervertrages rechtlich zur Betreuung lediglich der vermittelten
Lebensversicherungsverträge (unter a), nicht aber auch der Krankenversicherungs- und
Bausparverträge (unter b) verpflichtet, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
25 a) Gemäß § 3 Nr. 2 Buchst. b des Vertretervertrages ist der Kläger "insbesondere"
verpflichtet, den Versicherungsbestand zu pflegen sowie die sich daraus ergebenden
geschäftlichen Vorgänge zu erledigen.
26 aa) Für die Pflege des Bestandes an --für B vermittelte-- Sachversicherungen, für den ihm
übertragenen Beitragseinzug, die Mitwirkung bei der Bearbeitung von Schadensfällen und
für sonstige ihm obliegende Aufgaben erhält er eine entsprechende Verwaltungsprovision.
Gemäß den Provisionsbestimmungen der A in Anlage 4 sind dagegen mit der
Abschlussprovision sowohl die Vermittlung eines Lebensversicherungsvertrages als auch
"andere Tätigkeiten" abgegolten. Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, dass mit dieser
Umschreibung die Betreuungstätigkeiten gemeint sind, die sich im Zuge der in § 3 Nr. 2
Buchst. b des Vertretervertrages vereinbarten Bestandspflege durch den Kläger ergeben.
27 bb) Das FA wendet sich insoweit letztlich auch nicht gegen die Annahme einer vertraglich
vereinbarten Pflicht zur Betreuung bestehender Lebensversicherungsverträge. Vielmehr ist
es der Auffassung, in Bezug auf den Bestand an Lebensversicherungen habe diese
Verpflichtung keinen wirtschaftlichen Gehalt, was sich daran zeige, dass V hierfür --anders
als für die Betreuung der Sachversicherungen-- keine zusätzliche Verwaltungsprovision
zahle.
28 cc) Anders als das FA offenbar meint, ist zwischen der rechtlichen Verpflichtung zur
Nachbetreuung von Versicherungsverträgen und der Frage, ob sich der
Versicherungsvertreter in einem Erfüllungsrückstand befindet, zu trennen. Die Bildung einer
entsprechenden Rückstellung setzt zunächst eine Verpflichtung des Versicherungsvertreters
voraus, auch nach Abschluss des Vertrages tätig zu werden. Diese ergibt sich nicht aus dem
Gesetz, kann aber im Rahmen der Vertragsfreiheit als vertragliche Zusatzpflicht des
Versicherungsvertreters vereinbart werden (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 2010, 860, unter
II.3.). Im Erfüllungsrückstand befindet sich der Versicherungsvertreter, wenn er aufgrund
einer individualvertraglichen Regelung zur künftigen Betreuung bereits abgeschlossener
Versicherungsverträge verpflichtet ist, diese Verpflichtung aber auch durch die einmalige, bei
Abschluss des vermittelten Vertrages gezahlte Provision abgegolten ist. In diesem Fall hat
der Versicherungsvertreter weniger geleistet, als er nach dem Vertrag für die bis dahin vom
Vertragspartner (der Versicherungsgesellschaft) erbrachte Leistung (Zahlung einer
einmaligen Provision) insgesamt zu leisten hatte (BFH-Urteil in BFHE 207, 205, BStBl II
2006, 866, unter II.1.b). Hierbei handelt es sich auch um eine wesentliche Verpflichtung
(BFH-Urteil in BFHE 207, 205, BStBl II 2006, 866, unter II.1.a; Senatsurteil in BFHE 234,
239, BStBl II 2012, 856, unter II.1.b).
29 Keinesfalls lässt sich die "Unwesentlichkeit" der Nachbetreuungsverpflichtung daraus
ableiten, dass keine jährliche Verwaltungsprovision gezahlt wird. Die Zahlung einer
separaten jährlichen Verwaltungsprovision führt lediglich dazu, dass sich der
Versicherungsvertreter --trotz seiner vertraglichen Verpflichtung zur Nachbetreuung-- nicht in
einem Erfüllungsrückstand befindet.
30 b) Entgegen der Auffassung der Kläger hält auch die Würdigung des FG, es fehle
hinsichtlich der vermittelten Bausparverträge und Krankenversicherungen an einer
eindeutigen vertraglichen Verpflichtung zur Bestandsbetreuung, einer Überprüfung stand.
31 Die Vertragsauslegung durch das FG entspricht den Auslegungsgrundsätzen und verstößt
nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze. Sie ist daher gemäß § 118 Abs. 2 FGO für
den erkennenden Senat bindend (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil in BFHE 234,
239, BStBl II 2012, 856). Das FG weist insbesondere zutreffend darauf hin, dass es sich bei
den Bausparverträgen und Krankenversicherungen nicht um Produkte der V handelt,
sondern um "Partner-" bzw. "Kooperationsprodukte", die nicht ausdrücklich von § 3 Nr. 2
Buchst. b des Vertretervertrages erfasst werden. In Bezug auf die Bausparverträge ist dies
offensichtlich, da die Klausel nur eine Regelung zur Pflege des Versicherungsbestandes
enthält. Angesichts der dort ausdrücklich getroffenen Regelung über die Bestandspflege
liefert erst recht die allgemeine Regelung in § 3 Nr. 1 des Vertretervertrages, nach der der
Kläger verpflichtet ist, die Geschäfte der V nach besten Kräften zu fördern und deren
Interessen wahrzunehmen, keine ausreichende Rechtsgrundlage für die Anerkennung einer
Bestandspflegepflicht für Produkte Dritter. Das FG führt auch zutreffend aus, anders als die
Anlage 4 für die vermittelten Lebensversicherungen enthalte die Anlage 7 in Bezug auf die
Bausparverträge nur Regelungen zu einer Abschlussprovision und der damit
einhergehenden Vermittlungstätigkeit. Für die Anlage 8 betreffend die
Krankenversicherungen gilt nichts anderes.
32 3. Hinsichtlich der Höhe der Rückstellung hat der Senat in seinen Urteilen vom 19. Juli 2011
(in BFHE 234, 239, BStBl II 2012, 856; in BFH/NV 2011, 2032, und in BFH/NV 2011, 2035)
folgende zu beachtende Grundsätze aufgestellt:
33 a) Die Nachbetreuungsverpflichtung ist eine Sachleistungsverpflichtung i.S. des § 6 Abs. 1
Nr. 3a Buchst. b EStG; sie ist mit den Einzelkosten und den Gemeinkosten zu bewerten.
34 aa) Abzustellen ist auf die Anzahl der Versicherungsverträge, für die noch künftige
Betreuungsleistungen aufgrund rechtlicher Verpflichtung zu erbringen sind, für die aber kein
weiteres Entgelt beansprucht werden kann.
35 Einbezogen werden dürfen nur Leistungen für die Betreuung bereits abgeschlossener
Verträge. Werbeleistungen mit dem Ziel, Kunden (auch Bestandskunden) zu neuen
Vertragsabschlüssen zu veranlassen (Einwerbung von Neugeschäften), sind nicht
rückstellbar.
36 Nicht einzubeziehen ist der Aufwand für die eigene künftige Arbeitsleistung des
Betriebsinhabers; Vertreter ohne angestelltes Personal können daher von vornherein keine
Rückstellung bilden. Sollte neben dem angestellten Personal auch der Einzelunternehmer
selbst in die Betreuung eingeschaltet sein, könnte für den von ihm erbrachten Teil der
Leistungen ebenfalls keine Rückstellung gebildet werden.
37 bb) Für die Höhe der Rückstellung ist der jeweilige Zeitaufwand für die Betreuung pro
Vertrag und Jahr von entscheidender Bedeutung; zur Darlegung des (voraussichtlichen)
Zeitaufwandes ist im Einzelnen notwendig:
38 - die genaue Beschreibung der einzelnen Betreuungstätigkeiten; die Darstellung muss das
FA und das FG in die Lage versetzen, anhand der rechtlichen Anforderungen zu prüfen, ob
der Aufwand für die jeweilige Tätigkeit zur Bildung einer Rückstellung berechtigt;
39 - die Angabe, welchen Zeitbedarf die jeweilige Tätigkeit mit sich bringt, wenn sie im
Einzelfall anfällt;
40 - die Angabe, wie oft die jeweilige Tätigkeit über die Gesamtlaufzeit des jeweiligen Vertrages
zu erbringen ist;
41 - die Laufzeit bzw. Restlaufzeit der einzubeziehenden Verträge; dabei ist vor allem auch der
Erfahrungssatz zu berücksichtigen, dass ein Teil der Verträge vorzeitig gekündigt wird.
42 cc) Neben dem zeitlichen Umfang der Betreuungsleistungen ist für die Bemessung der
Rückstellung der Stundenlohn der vom Kläger für die Nachbetreuung eingesetzten
Mitarbeiter sowie die auf diese anteilig entfallenden Gemeinkosten von Bedeutung.
43 dd) Als Sachleistungsverpflichtung ist eine Rückstellung für Erfüllungsrückstand nach
Maßgabe des § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e Satz 2 EStG abzuzinsen.
44 Maßgebend ist insoweit der Zeitraum bis zum Beginn der Erfüllung, d.h. bis zur konkreten
Umsetzung der Sachleistungspflicht. Entsprechend dem Gesetzeswortlaut ist entscheidend
darauf abzustellen, wann im konkreten Einzelfall erstmalig Bestandspflegemaßnahmen (z.B.
als Reaktion auf eine Adressänderung des Kunden, eine Änderung der Bankverbindung
oder ähnliches) durchgeführt werden (ebenso Schmidt/Kulosa, a.a.O., § 6 Rz 482; Schreiben
des Bundesministeriums der Finanzen vom 20. November 2012, BStBl I 2012, 1100; Prinz,
Finanz-Rundschau 2012, 36; a.A. Endert, Deutsches Steuerrecht 2011, 2280).
45 Der Steuerpflichtige hat insoweit darzulegen und mittels Stichproben zu belegen, zu
welchem nach dem Vertragsabschluss liegenden Zeitpunkt unter Berücksichtigung von
Erfahrungswerten im einzelnen Vertrag erstmals mit Betreuungsmaßnahmen zu rechnen ist.
46 b) Über die unter a) bezeichneten Angaben sind Aufzeichnungen zu führen und vorzulegen.
47 aa) Diese Aufzeichnungen müssen so konkret und spezifiziert sein, dass eine angemessene
Schätzung der Höhe der zu erwartenden Betreuungsaufwendungen sowie des Zeitraums bis
zum Beginn der erstmaligen Durchführung von Betreuungsmaßnahmen
(Abzinsungszeitraum) möglich ist. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass
eine Rückstellung ein Passivposten ist, der eine dem Grund und/oder der Höhe nach noch
ungewisse (also nur wahrscheinliche) künftige Verbindlichkeit zum Ausdruck bringt. Zu
berücksichtigen ist ferner, dass die Rückstellung jedes Jahr angepasst werden muss und
jedes Jahr zu prüfen ist, in welchem Umfang der rückgestellte Aufwand tatsächlich
eingetreten ist und ob für die Zukunft Korrekturen vorzunehmen sind.
48 Dieser Natur des Rückstellungspostens entsprechend (Schätzung von Aufwand, der auf
unter Umständen sehr langfristigen Verpflichtungen beruht) kann ggf. auch auf spätere
Aufzeichnungen zurückgegriffen werden, sofern sie geeignet sind, die voraussichtlich
anfallenden Kosten zu belegen.
49 bb) Die laufenden Aufzeichnungen sind "vertragsbezogen" zu führen; der Steuerpflichtige
hat zu belegen, welche einzelnen Tätigkeiten (z.B. Fälle von Namens- und
Adressenänderungen, Beitragsfreistellungen, Baufinanzierungen, Abtretungen,
Änderungskündigungen) in welcher Häufigkeit mit welchem Zeitaufwand über die
Gesamtlaufzeit des einzelnen Vertrages (typischerweise) anfallen werden. Diese Prüfung
muss nicht für alle Verträge einzeln vorgenommen werden; im Einzelfall können fundierte
Stichproben (z.B. anhand eines bestimmten Prozentsatzes der Verträge oder nach
bestimmten Anfangsbuchstaben der Kundennamen) ausreichen, um eine hinreichende
Rückstellungswahrscheinlichkeit zu begründen.
50 cc) Die Richtigkeit der vorgenommenen Aufzeichnungen kann im Einzelfall verprobt werden
durch eine Gegenüberstellung von Verträgen ohne Bestandspflegeprovision mit Verträgen
mit Bestandspflegeprovision. Dabei muss die Vergleichbarkeit der Versicherungen
gewährleistet sein; so darf etwa der Teil der Bestandspflege, der auf den Inhaber der
Versicherungsagentur entfällt, nicht berücksichtigt werden.
51 dd) Eine derartige Dokumentation der Beratungsleistungen erlegt dem Steuerpflichtigen
keine unangemessenen und unverhältnismäßigen Belastungen auf. Zum einen ist zu
berücksichtigen, dass der zu führende Belegnachweis sich auf Vorgänge bezieht, die sich
allein in der Sphäre des Steuerpflichtigen zugetragen haben und die zu einem späteren
Zeitpunkt nur in eingeschränktem Umfang und nur mit erheblichem Ermittlungsaufwand auf
ihre zutreffende Erfassung hin überprüft werden können (vgl. hierzu BFH-Urteil vom
9. November 2005 VI R 27/05, BFHE 211, 508, BStBl II 2006, 408, unter II.1.c, zu den
Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch). Zum anderen sind auch angesichts
der Höhe und der Zeitdauer des vom Kläger geltend gemachten Erfüllungsrückstandes
aussagekräftige Aufzeichnungen geboten.
52 4. Diese Grundsätze konnte das FG noch nicht beachten, da es zeitlich vor den Urteilen des
erkennenden Senats vom 19. Juli 2011 in BFHE 234, 239, BStBl II 2012, 856, BFH/NV 2011,
2032 und BFH/NV 2011, 2035 entschieden hat. Seit der Veröffentlichung der
Entscheidungen am 19. Oktober 2011 hatte der Kläger auch Gelegenheit, die von ihm und
seinen Mitarbeitern getätigten Nachbetreuungsleistungen entsprechend den vom Senat
niedergelegten Anforderungen zu dokumentieren, um so der ihm obliegenden
Feststellungslast (objektive Beweislast) für die behaupteten Aufwendungen Rechnung zu
tragen (vgl. Senatsurteil in BFHE 234, 239, BStBl II 2012, 856, unter II.5.).
53 a) Ist der Kläger nach wie vor nicht in der Lage, Aufzeichnungen entsprechend den unter II.3.
dargelegten Anforderungen vorzulegen, so führt dies entgegen der Ansicht des FA nicht
zwangsläufig dazu, dass die Bildung einer Rückstellung gänzlich zu unterbleiben hat. Nach
den nicht zu beanstandenden Feststellungen des FG ist der Kläger hinsichtlich der von ihm
abgeschlossenen Lebensversicherungsverträge zur weiteren Betreuung dieser Verträge
vertraglich verpflichtet. Das FG ist weiter zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger
insoweit auch tatsächlich Nachbetreuungsleistungen erbracht hat. Auch dies ist nicht zu
beanstanden. Dies genügt für die grundsätzliche Berechtigung zur Bildung der Rückstellung.
54 b) Der tatsächliche Umfang der Nachbetreuungsleistungen ist erst für die konkrete
Bemessung der Höhe der Rückstellung von Bedeutung. Zutreffend ist das FG insoweit
davon ausgegangen, dass die von dem Kläger vorgelegten Aufzeichnungen infolge der
festgestellten Mängel einen Betreuungsansatz von zwei Stunden pro Vertrag und Jahr nicht
rechtfertigen und ein solcher im Streitfall auch nicht ansatzweise als gerechtfertigt erscheint.
Kann der Kläger im zweiten Rechtsgang den von ihm erbrachten Betreuungsaufwand nicht
durch neue, substantiierte Aufzeichnungen belegen, kommt die Bildung einer Rückstellung
in der von ihm beantragten Höhe deshalb nicht in Betracht, da ihn die Darlegungs- und
Beweislast trifft. Vielmehr hat das FG den künftigen Betreuungsaufwand aufgrund der --noch
im Einzelnen festzustellenden-- Verhältnisse im Betrieb des Klägers erneut zu schätzen.
55 c) Eine solche Schätzung des --durch die von dem erkennenden Senat geforderten
substantiierten Aufzeichnungen nicht belegten-- Umfangs der Betreuungsleistungen durch
das FG muss sich im Hinblick auf die den Steuerpflichtigen treffende Darlegungs- und
Beweislast aber im unteren Rahmen bewegen. Ggf. muss das FG zudem den Zeitraum
schätzen, in dem unter Berücksichtigung von Durchschnittswerten noch keine
Betreuungsmaßnahmen anfallen, d.h. den gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e Satz 2 EStG
maßgeblichen Abzinsungszeitraum. Auch hier gehen Unklarheiten infolge nicht
nachvollziehbarer Aufzeichnungen zu Lasten des Steuerpflichtigen. Wie vom FG im ersten
Rechtsgang bereits zutreffend ausgeführt, ist im Streitfall in diesem Zusammenhang
insbesondere auch zu berücksichtigen, dass der Kläger unter Verletzung seiner
Mitwirkungspflichten im Rahmen der Außenprüfung die Einsichtnahme in 30 zufällig
ausgewählte Verträge verweigert hat.
56 d) Insbesondere wird das FG noch aufzuklären haben, wer (der Kläger, Mitarbeiter) im
Streitjahr welche Nachbetreuungsleistungen für welchen Versicherungstyp erbracht hat. Zu
seinen im ersten Rechtsgang angestellten Überlegungen wird es auch zu überdenken
haben, ob angesichts der angeführten eigenen Erfahrungen des Senats, nach denen
während der Laufzeit regelmäßig überhaupt nur geringfügige Verrichtungen anfallen und
sich auch die Tätigkeiten im Streitfall oftmals in einer bloßen Weiterleitung von Anträgen und
Erklärungen von Versicherungsnehmern an den Direktionsbetrieb erschöpfen, ein Ansatz
von jährlich 20 Minuten pro Vertrag tatsächlich gerechtfertigt ist. Solange der Kläger die
Vornahme von --über die Entgegennahme und Weiterleitung von Unterlagen für den
Direktionsbetrieb bzw. für den Versicherungsnehmer hinausgehende-- arbeitsintensiveren
Nachbetreuungsleistungen nicht belegen kann, können diese für die Höhe der Rückstellung
naturgemäß keine Rolle spielen. Maßgeblich ist ferner, welche(r) Mitarbeiter im Betrieb des
Klägers für die Bestandspflege zuständig war(en), und dass diese(r) in der Arbeitszeit nicht
nur die 591 Lebensversicherungen, sondern auch die 53 Krankenversicherungen,
125 Bausparverträge und 5.209 Sachversicherungen zu betreuen hatte(n).
57 III. Die Revision des FA ist ebenfalls begründet, da die zur teilweisen Stattgabe der Klage
führende Schätzung der Höhe der Rückstellung nicht den vom Senat aufgestellten
Grundsätzen entspricht.